Big Data
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Grosse Daten, grosse Fragen

Unternehmen sammeln immer mehr Daten über unser Verhalten, machen unsere Vorlieben und Neigungen zu Geld. Big Data boomt. Für die SRG wirft das existenzielle Fragen auf. Sie sucht nach Antworten.

– Von Oliver Fuchs

Was passiert mit unseren Daten? (Bild: Getty Images / Colourbox, Montage)

Niemand mag Juristendeutsch. Niemand liest gerne Verträge. Ausser Juristen. Und Schuldeneintreiber. Dabei sind Juristen Künstler. Ihre Worte stecken Grenzen ab, definieren Grauzonen – schaffen «Handlungsspielraum». Es gibt kaum eine bessere Methode, hinter die Fassade eines Unter­nehmens zu blicken, als die Nutzungs­­bestimmungen zu lesen, die Juristen für die jeweiligen Produkte ver­fassen. Da steht schwarz auf weiss, wie Unternehmen denken, wie sie ihre Kunden sehen – und auch, was sie ihnen zuzumuten bereit sind. Beim Datenschutz zum Beispiel. Hier je ein Auszug, leicht gekürzt, aus den Datenschutzbestimmungen von zwei Schweizer Unternehmen.

Der erste: «Wir bearbeiten die aus den Onlineaktivitäten der Kunden resultierenden Daten, unter anderem für die der Unterbreitung von bedürfnisgerechten Angeboten durch uns. Wir werten diese Daten für die Zwecke unseres neuen Angebots aus und, falls kein Verzicht erfolgt, für Angebote von Dritten.»

Ein Verzicht auf die Auswertung, ohne gleichzeitig das ganze Angebot nicht mehr nutzen zu können, war übrigens nicht vorgesehen. Es ist dem Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten zu verdanken, dass es diese Möglichkeit nun gibt.

Hier der zweite: «Ihre persönlichen Daten behandeln wir gemäss dem geltenden Datenschutzgesetz. Wir verpflichten uns, personenbezogene Daten sorgfältig und ausschliesslich für die angezeigten Zwecke zu verwenden. Weder geben wir Ihre Daten Dritten weiter, noch machen wir sie Dritten zugänglich.»

Vielleicht nicht poetisch, aber deutlich. Beide Auszüge stammen von Service-public-Unternehmen. Der erste von der Post. Sie wertet jetzt die Transaktionen jedes E-Banking-Nutzers aus, der sich nicht aktiv wehrt, betreibt mit den Daten ein neues Schnäppchenportal. Der zweite Auszug? Schweizer Radio und Fernsehen (SRF).

Die Daten-Bonanza

Unsere Daten sind für Unternehmen ungeheuer wertvoll. Und wir generieren immer mehr davon. Manchmal bewusst, meistens ohne darüber nachzudenken. Mit jedem Facebook-Eintrag, jedem Einkauf, jedem Download, jedem Klick. Für diese Datenflut hat sich ein Überbegriff etabliert: Big Data. «Big», also gross, ist wörtlich gemeint. Facebook-Nutzer teilten und erstellten beispielsweise bereits vor zwei Jahren rund 2,5 Milliarden Inhalte, haben 300 Millionen Fotos hochgeladen. Jeden Tag, versteht sich.

Facebook-Nutzer teilten und erstellten bereits vor zwei Jahren rund 2,5 Milliarden Inhalte, haben 300 Millionen Fotos hochgeladen. Jeden Tag.

Die ganz grossen Datensammler kennen unsere Wünsche, Interessen und Sehnsüchte. (Bild: Istockphoto.com)

Wer aus dieser Flut die richtigen Daten fischt und diese geschickt zusammenführt, erhält intime Einblicke in unsere Wünsche, Interessen und Sehnsüchte. So kann er vor­­aussagen, was sein Kunde konsumieren will. Er kann ihm den interessantesten Ausschnitt aus seiner Angebotspalette gezielt vor Augen beziehungsweise unter den Mauszeiger halten. Und: Er kann diese Nutzerprofile zu Geld machen. Zu sehr viel Geld. Google zum Beispiel verdiente alleine mit personalisierter Internetwerbung letztes Jahr um die 60 Milliarden Dollar.

Google verdiente alleine mit personalisierter Internetwerbung letztes Jahr um die 60 Milliarden Dollar.

In der Schweizer Politik scheint das Thema Big Data allerdings noch nicht so richtig angekommen zu sein – anders als in der EU, die bis 2020 die Europäische Datenindustrie mit 2,5 Milliarden Euro fördern will. So verzeichnet die Geschäftsdatenbank des Schweizer Parlaments genau zwei Vorstösse, die den Ausdruck Big Data enthalten. Zum Vergleich: In den letzten drei Jahren reichten unsere Volksvertreter viermal so viele Vorstösse zum Asiatischen Laubholzbockkäfer ein – und fast 50 zum Thema Butter.

Verlage kämpfen um Datenhoheit

Und doch: Big Data boomt. Auch in der Schweiz. Das zeigt nicht nur der Umstand, dass die altehrwürdige Post bereit war, sich mit dem Datenschutzbeauftragten anzulegen – und einen schönen Teil ihrer datenschutzaffinen Kundschaft zu ver­prellen – um bei Big Data mitmischen zu können. Sondern zum Beispiel auch der Umstand, dass Google seinen grössten Stand­ort ausserhalb der USA in Zürich be­treibt. Man braucht sich nur die Branche anzuschauen, deren Kerngeschäft seit jeher das Sammeln, Bewerten und Vermitteln von Information, also Daten, ist: die Medien. Genauer, in welche An­gebote die grossen Verlage momentan ihr Geld investieren. Tamedia, der grösste unter ihnen, hält Anteile am Streamingdienst ­Zattoo, der Suchmaschine search.ch und dem Terminplaner Doodle. Erst gerade hat er den Auktionsdienst Ricardo komplett übernommen, für 240 Millionen Franken. Das Stellenportal jobs.ch hält ­Tamedia sogar gemeinsam mit dem Konkurrenten Ringier.

Tamedia hält Anteile am Streamingdienst ­Zattoo, der Suchmaschine search.ch und dem Terminplaner Doodle. Er hat den Auktionsdienst Ricardo komplett übernommen, für 240 Millionen Franken. Das Stellenportal jobs.ch hält ­Tamedia gemeinsam mit dem Konkurrenten Ringier.

Alles Angebote, die mit dem Kerngeschäft – dem Journalismus – nichts zu tun ha­ben. Dafür hat es damit zu tun, wie Verlage den Löwenan­teil ihres Geldes verdienen: mit Werbung und Anzeigen. Und noch etwas haben diese Plattformen gemeinsam: Sie generieren Daten. Sei es darüber, wer auf Zattoo «­Tatort» guckt, wer auf ­Ricardo einen Laptop kaufen will oder wer im Raum ­St. ­Gallen eine Stelle als Buchhalter sucht. Alles potenzielles Big-Data-Start­kapital für die kommenden Jahre.

Den Vertrag gut lesen: E-Banking-Daten können eventuell für Marketingzwecke verwendet werden. (Bild Fotolia)

Was soll und darf die SRG?

Und die SRG, der grösste Medienbetrieb der Schweiz? Bringt auch sie sich in Startposition für den Wettlauf um die Daten? Schliesslich hat sie das grösste Publikum, ist in allen Sprachregionen präsent. Sie sitzt damit auf dem potenziell grössten Datenberg. Sie müsste ihn nur vermessen – und dann anfangen zu graben. Mögliche Anwendungen von Big Data wären bei der SRG dieselben wie bei den Privaten. Erstens: den Service verbessern, perso­nali­sierte Angebote kreieren, mehr Nutzer erreichen. Zweitens: die Daten zu Geld machen.

Darf und soll die SRG alles, was auch die Privaten tun? Oder bedeutet der Service-public-Auftrag auch eine besondere Verantwortung – und damit höhere Hürden?

Personalisierte Werbung, zum Beispiel im SRF-Player oder in den SRF-Apps, ist aktuell keine Option. Denn noch gilt das Online-Werbeverbot. Andere Optionen wären auch offen: Was hält die SRG beispielsweise davon ab, die Nutzerdaten stattdessen an Marktforscher zu verkaufen? Soll sie sich also nobel zurückhalten oder mitziehen? Und wenn ja, darf und soll die SRG alles, was auch die Privaten tun? Oder bedeutet der Service-public-Auftrag auch eine besondere Verantwortung – und damit höhere Hürden? Die gute Nachricht: Die SRG will sich von der Big-Data-Welle nicht einfach überrollen lassen, sondern sucht nach Antworten auf genau diese Fragen. Im Grossen wie im Kleinen.

Möglichkeiten und Grenzen

Da wäre einmal der Umstand, dass der Regionalvorstand der SRG Deutschschweiz Big Data auf seine Prioritätenliste gesetzt hat. Veranlasst hat das Urs Rellstab, Mitglied dieses Gremiums: «Wir diskutieren im Regionalvorstand die Programmkonzepte – also die längerfristige Ausrichtung des Programms.» Es sei wichtig, dass man Big Data auch in diesem «eher strategisch und langfristig ausgerichteten Gremium» im Auge habe. Denn in den kommenden Jahren werde viel Neues auf die SRG zukommen. «Das stellt jeder fest, der sich den Markt anschaut.» Man werde sich daher zu grundlegenden Fragen Gedanken machen, sagt Rellstab. Auch darüber, «wo die Grenzen sind, gerade für ein ­Service-public-Unternehmen».

Gleichzeitig hat die nationale SRG eine Arbeitsgruppe «Big Data» ins Leben gerufen, unter der Regie von Adrian Zaugg, dem Leiter Strategie in der Generaldirektion. Leiten wird sie Michael Schweizer vom Rechtsdienst. Hier ist noch vieles unklar, aber die Arbeitsgruppe wird sich voraussichtlich auch mit Detailfragen beschäftigen. Darunter, wie man mit externen Plattformen umgehen will. Denn SRF verbreitet seine Inhalte auch über eine ganze Reihe sozialer Medien wie Facebook oder ­Twitter. Unlängst ist WhatsApp dazugekommen, ein Kurznachrichtendienst und SMS-Ersatz. Diese internationalen Anbieter haben oft wesentlich schwammigere Datenschutzbestimmungen, werten das Nutzerverhalten schon jetzt sehr aggressiv aus.

Der Tod der Neugier?

Und schliesslich ganz oben, da stellt man sich die grundsätzlichen – schon beinahe philosophischen Fragen. Die politischen, gesellschaftlichen, ethischen. Gilles ­Marchand, Direktor RTS, bloggt darüber, was es bedeutet, wenn Unternehmen aus dem Datenprofil einer Person ihr Verhalten voraussagen können. Er fragt: Wenn wir dann nur noch vorgesetzt bekommen, was uns sowieso interessiert – ist das nicht der Tod der Neugier?

Wenn wir dann nur noch vorgesetzt bekommen, was uns sowieso interessiert – ist das nicht der Tod der Neugier? (Gilles Marchand, Direktor RTS)

Marchand plädiert darum dafür, dem Zufall einen Platz zu lassen, gerade im Medienkonsum. Und Generaldirektor Roger de Weck sieht durch Big Data neue Daseinsberechtigungen für den Service public entstehen: «Vielleicht ist es seine Zukunftsrolle, zu einem öffentlichen Raum beizutragen, der überwachungs- und kommerzfrei ist», so de Weck in einem Interview mit der Schweizer Technikdenkfabrik W.I.R.E.

Der SRF-Player: Werden Konsumentinnen und Konsumenten in Zukunft personalisierte Programmempfehlungen angeboten bekommen? (Bild: Colourbox / SRF Screenshot, Montage)

Was ist, was wird sein?

Doch wie steht es denn nun – was weiss SRF schon über uns, und was macht es mit diesem Wissen? «Die Leute brauchen sich keine Sorgen zu machen, dass sie mit jedem Klick ausspioniert werden», sagt ­Janine Lee. Sie analysiert in der Publikumsforschung die Onlineangebote von SRF.

Es sei heute nicht so, dass SRF mehr über seine Nutzer erfährt, wenn sie die Inhalte online konsumieren. Online sei zweischneidig. «Wir haben einerseits feinere Daten», so Lee, «wir können jede Aktion genau messen – auf die Millisekunde genau. Was guckt sich ein Nutzer an? Für wie lange?» Dafür wisse man – im Unterschied zu den klassischen Paneldaten von Radio und Fernsehen – kaum etwas über die Person dahinter. Nichts über Geschlecht, Alter oder Einkommen.

Wir können jede Aktion genau messen – auf die Millisekunde genau. Was guckt sich ein Nutzer an? Für wie lange? Dafür wissen wir kaum etwas über die Person dahinter. (Janine Lee, Publikumsforschung Online SRF)

Doch auch Lee sieht in den kommenden Jahren Veränderungen auf das Unternehmen zukommen. Daten würden wichtiger, nicht nur für die traditionelle Marktforschung, sondern auch, um im Wettbewerb um Aufmerksamkeit zu bestehen. Immer öfter werde sie auch gefragt, wann – gestützt auf die Nutzungsdaten – der ideale Publikationszeitpunkt für eine Story sei.

Noch hält sich SRF beim Sammeln persönlicher Nutzerdaten also zurück. Ein guter Ort, dies im Auge zu behalten, ist über einen Link ganz unten auf der SRF-Website zu erreichen. «Rechtliches» heisst er, und führt ins Reich derer, die berufsbedingt Klartext schreiben, über das was SRF tut, und wo es seine Grenzen zieht. Ein Hoch auf die Juristen.

Oliver Fuchs

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