Porträt Ilona Stämpfli & Lena Oppong
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Junger Journalismus: «Haltung zeigen ist ebenfalls Service public»

Mit den beiden neuen Reportageformaten «rec.» und «Impact» richten sich deren Macherinnen und Macher an eine junge Zielgruppe – und das auf eine im Leutschenbach eher untypische Art und Weise.

In eine fremde Welt eintauchen, sie spüren, riechen, hören, schmecken und schliesslich anschaulich und spannend darüber berichten – Donat Hofer macht genau das. Letzten Sommer besuchte der «rec.»-Reporter die Waldmenschen von Bern. «Hammer Doku», «Vielen Dank für diesen tollen Beitrag», «Interessant, dynamisch und informativ» – die YouTube-User überschlagen sich mit positiven Kommentaren. Das halbstündige Video kam bei den Zuschauerinnen und Zuschauern so gut an, dass sich viele von ihnen eine Fortsetzung wünschen. Also macht sich Hofer sieben Monate später nochmals zu den Waldmenschen auf, um zu sehen, wie es ihnen in den kalten Wintermonaten ergeht.

Mit Zelt, Schlafsack und Kamera bewaffnet, verbringt der Reporter zwei Tage im Bremgartenwald, diskutiert mit den fünf Männern über ihren Alltag und philosophiert über den Sinn des Lebens. «Der Kontrast zwischen mir und den Waldmenschen könnte nicht grösser sein», gibt Hofer unverblümt zu Protokoll. «Sie sind so gechillt, und ich bin gestresst. Ich sollte mich besser mal eine halbe Stunde hinsetzen und dem Feuer zuschauen. Aber dafür hab ich ja keine Zeit», sagt er nachdenklich in die Kamera, während er durch den Wald läuft. Hofer wirkt ehrlich berührt, authentisch, macht sich Gedanken übers eigene Leben und schreckt nicht davor zurück, diese mit den Zuschauerinnen und Zuschauern zu teilen. Zum Schluss fragt er sich: «Was brauche ich überhaupt im Leben, was mache ich mit meiner Zeit?»

Genau diese Nahbarkeit schätzt die «rec.»-Community. Jede Woche taucht das Team – bestehend aus sieben Reporterinnen und Reportern und zwei Produzentinnen, die 400 Stellenprozent unter sich aufteilen – in Mikrokosmen und Lebenswelten ein. Sie berichten aus ihrer Perspektive und machen ihre Gedanken und Gefühle für die Zuschauerinnen und Zuschauer transparent. Publiziert wird das Format, das sich an 25- bis 35-Jährige richtet und von Reporterinnen und Reportern im selben Alter produziert wird, auf dem YouTube-Kanal von «SRF DOK». Damit erfüllt «rec.» einen der Entwicklungsaufträge von SRF Kultur, um neue Angebote zu realisieren oder bestehende Sendungen für die digitale Nutzung weiterzuentwickeln. Auf jede Reportage folgt schliesslich eine «rec.»-Ausgabe, die auf Rückmeldungen und Reaktionen aus der Community eingeht.

Aushängeschild der neuen SRF-Formate

«Hört und seht ihr mich?», «Du bist eingefroren!» – selbst bei einem jungen, digitalen Reportageformat beginnt die hybride Sitzung mit den bekannten Ton- und Bildproblemen. Es ist Montag, 14 Uhr. Zeit für die Filmkritik. Diese übernimmt heute Daniel Foppa, Themenplaner Inland bei SRF. «Ihr bei ‹rec.› seid ein Aushängeschild der neuen SRF-Formate. Ihr macht einen tollen Job. Kompliment!», lobt Foppa die junge Truppe. Ein Ritterschlag von einem durchaus kritischen Journalisten. So erklärte Foppa erst kürzlich in einem Interview, dass er gelegentlich eine gewisse Sorglosigkeit, «eine Art Beta-Journalismus» feststelle: «Man stellt mal eine erste Version ins Netz, denn man kann sie ja jederzeit korrigieren.» Im gleichen Interview erklärte Foppa, der in Kürze zur «NZZ am Sonntag» wechseln wird, aber auch: «Die Generation ‹Wisch und weg› ist unerbittlich.»

In diesem herausfordernden Umfeld scheint «rec.» etwas zu gelingen, woran viele andere scheitern: Die jungen Userinnen und User für ein Thema zu begeistern und sie in eine Diskussion zu verwickeln. Das schafft das Team nicht zuletzt dank der Nähe zu seinen Interviewpartnerinnen und -partnern. Genau diese Nähe ist es aber auch, die immer wieder die Frage nach der Objektivität aufkommen lässt. Foppas Verdikt im Fall von Hofers Waldmenschen-Reportage ist eindeutig: «Die Balance zwischen Objektivität und Subjektivität ist gewahrt. Du hast zwar im Wald geschlafen, aber nicht am selben Ort wie die Waldmenschen. Du warst nah dran und hast trotzdem die Distanz gewahrt.»

Die kritische Distanz – ein Thema, das Teamleiterin Ilona Stämpfli immer wieder beschäftigt. «Es wird uns häufig vorgeworfen, wir seien nicht objektiv.»

«‹Objektivität› in diesem Reportageformat gibt es ohnehin nicht. Entscheidend für uns ist die Sachgerechtigkeit.»

Ilona Stämpfli, Teamleiterin SRF rec.

«Unsere Reporterinnen und Reporter machen ihre Gedanken und Gefühle transparent und nachvollziehbar. So kann man sich schliesslich eine eigene Meinung zum Thema bilden», so Stämpfli weiter.

Diese Haltung löste allerdings auch schon Kritik aus. Eine Reportage, die von Verschwörungserzählungen zu satanistisch-rituellem Missbrauch handelt, führte zu verschiedenen Meldungen an Fairmedia, einer Anlaufstelle für Betroffene von Medienberichten. Gegenüber persoenlich.com sagte Fairmedia-Geschäftsführer Jeremias Schulthess: «Die herablassende Art, wie sich der Journalist gegenüber den Betroffenen äussert – in der Sendung, wie auch im Nachgang –, das ist kein respektvoller Umgang, den man von Journalistinnen und Journalisten eigentlich erwarten dürfte.» Darauf konterte Stämpfli im gleichen Beitrag: «In allen Interviews haben wir wiederholt differenziert, dass unser Interesse speziell auf den satanistischen rituellen Missbrauch zielt. Wir sind jederzeit transparent vorgegangen.» Die Ombudsstelle SRG.D gab «rec.» recht und wies bis auf einen Punkt sämtliche Beschwerden und Beanstandungen zum Beitrag «Der Teufel mitten unter uns» ab. Das Gremium hält fest: «Die Ombudsstelle ist der Ansicht, dass der Reporter zwar sehr emotional ist, sich aber durchaus korrekt und fair verhält.» Mittlerweile hat «rec.» sogar eine zweite Reportage zum Thema veröffentlicht.

Haltung zeigen und zu Diskussionen anregen

Heute sagt die «rec.»-Teamleiterin: «Wir gehen in Einklang mit der Beurteilung der Ombudsstelle davon aus, dass wir fair und sachgerecht gearbeitet haben. Der Ombudsstelle-Bericht ermutigt uns, weiterhin genau hinzusehen und Missstände aufzudecken.»

«Wir erheben nicht den Anspruch, ein Problem von allen Seiten zu beleuchten.»

Ilona Stämpfli, Teamleiterin SRF rec.

«Stattdessen zeigen wir Haltung und regen zu Diskussionen an. Auch die subjektive Herangehensweise an ein Thema ist Service public – wenn man es sachgerecht macht und sich sowohl journalistische wie auch rechtliche Regeln zu Herzen nimmt.» Stämpflis oberstes Ziel ist, den Jungen auf Augenhöhe zu begegnen, sie direkt anzusprechen und auf eine Reise mitzunehmen.

Dem stimmt Lena Oppong zu. Sie leitet «Impact», das im Februar auf YouTube und Instagram live gegangen und aus dem Zusammenschluss der YouTube-Formate «Unzipped» und «SRF Forward» entstanden ist. Im Gegensatz zu «rec.» stehen bei «Impact» die drei Hosts Amila Redzic, Michelle Feer und Livio Carlin im Zentrum. Sie nehmen das Publikum bei ihren Reportagen mit einer Leitfrage auf ihre persönlichen Recherchereisen mit. So thematisiert Host Livio beispielsweise seine Diagnose ADHS oder begegnet Menschen, die mit einem Spenderorgan leben. Moderatorin Michelle tummelt sich indes im Metaverse und fragt sich, wie viel Leid sich hinter süssen Tierlivideos auf Social Media verbirgt, während Amila den Astrologie-Boom unter die Lupe nimmt und sich mit Waffen-Fans unterhält.

«Die Userinnen und User sollen sich mit unseren Hosts identifizieren können»

Lena Oppong, Teamleiterin SRF Impact

Die drei wichtigsten Kriterien, um junge Leute anzusprechen, sind gemäss der Teamleiterin von «Impact» allerdings die Themenwahl, die Ansprache und der Ausspielkanal. «Wir suchen uns Themen aus der Lebenswelt der Zielgruppe, bringen diese auf eine lockere Art rüber und spielen die Videos dort aus, wo sich unsere Zielgruppe aufhält», erklärt Oppong. Dabei könne es sich durchaus um Themen handeln, die auch in anderen Gefässen bei SRF stattfinden – wie beispielsweise ein Beitrag zum Thema Organspende im Zusammenhang mit der Abstimmung zum Transplantationsgesetz. «Wir gehen die Geschichten eben auf unsere eigene Art an, erzählen sie so, dass sie für junge Menschen relevant sind», sagt Oppong.

Bereits im Sendehinweis wird klar, dass «Impact» sich nicht davor scheut, Stellung zu beziehen: «Transplantationen können Leben retten. Für Livio ist die Antwort klar: Wenn er tot ist, braucht er seine Organe nicht mehr.» Mit dem Hochladen eines Videos ist der Prozess aber längst nicht abgeschlossen. Stattdessen stellen die Hosts von «Impact» in ihren Beiträgen Fragen, regen zur Diskussion an und schalten sich auch regelmässig in die Unterhaltungen der Userinnen und User in der Kommentarspalte ein, um mitzudiskutieren.

Zwei Reportageformate für die junge Zielgruppe

Obschon sich die beiden neuen Formate in ihrer Machart unterscheiden, das eine eher Host- und das andere eher themengetrieben ist, lässt sich eine gewisse Ähnlichkeit nicht von der Hand weisen. Das sehen auch die zwei Teamleiterinnen so, finden es aber alles andere als schlimm. «Es gibt unzählige Sendungen, die sich an die Zielgruppe von 45 bis 75 Jahren richten. Nun gibt es zwei verschiedene Reportageformate, welche die junge Zielgruppe ansprechen. Ich bin überzeugt, dass wir beide eine Daseinsberechtigung haben», so «rec.»-Teamleiterin Ilona Stämpfli.

«Impact» und «rec.» – beide Formate wurden erfolgreich lanciert. Nun gilt es, sich zu beweisen und sich einen eigenen Markt zu schaffen. Eine der grössten Herausforderungen für beide Teams besteht deshalb darin, eine Community aufzubauen.

«Wir wollen Menschen zeigen, dass wir wöchentlich etwas liefern, über das sie diskutieren können und sollen»

Lena Oppong, Teamleiterin SRF Impact

Auch «rec.» kämpft um Aufmerksamkeit in einer «Wisch und weg»-Gesellschaft und schickt seine Reporterinnen und Reporter dafür nicht nur in den Wald, sondern nach der Veröffentlichung der Beiträge auch in die Kommentarspalte von YouTube, um dort Präsenz zu zeigen und sich mit den Zuschauerinnen und Zuschauern auszutauschen.

Doch nicht nur extern gilt es sich zu beweisen. Auch intern sieht «rec.»-Leiterin Stämpfli noch Entwicklungspotenzial: «Wir müssen daran arbeiten, dass man uns und diese neue Art von Journalismus im Haus akzeptiert.» Oppong relativiert allerdings: «Reporterinnen oder Hosts, die vor der Kamera eine Haltung vertreten, sind bei unserer Zielgruppe schon längst nichts Neues mehr.»


Text: Nicole Krättli

Bild: SRG.D/Oscar Alessio

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