Die Illustration zeigt SRF-Journalist Gion-Duri Vincenz im Interview mit Alain Berset. Sie sitzen sich im Studio auf zwei Stühlen gegenüber.
SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

Ombudsstelle unterstützt Beanstandungen zu Berset-Interview

Wie präzise muss sich ein Bundesrat zu einer Abstimmungsvorlage ausdrücken und wann muss ein Journalist eine ungenaue Antwort richtigstellen? Mit diesen Fragen beschäftigten sich die Ombudsleute anlässlich eines Interviews mit Bundesrat Alain Berset über das Covid-Gesetz in der Sendung «10vor10» vom 27. Oktober 2021.

Im Vorfeld der Abstimmung über das Covid-Gesetz führte «10vor10» ein Interview mit Bundesrat Alain Berset. Der SRF-Journalist wies darauf hin, dass für die Gegner des Covid-Gesetzes das Covid-Zertifikat die Gesellschaft spalte. Von Alain Berset wollte er wissen, ob der Bundesrat diese Spaltung in Kauf nehme. Der Gesundheitsminister antwortete u.a. wie folgt: «(...) Und jetzt, mit diesem Zertifikat, kann man zeigen, dass man einfach kein... nicht ansteckend ist. (...)»

Zwei Fernsehzuschauer beanstanden diese Aussage als problematisch. Denn auch Genesene und Geimpfte könnten ansteckend sein. So werde der Bevölkerung eine falsche Sicherheit suggeriert. Beide Beanstander beklagen zudem, dass der Interviewer diese Aussage nicht hinterfragt habe.

Kein wissenschaftliches Interview

Die «10vor10»-Redaktion macht in ihrer schriftlichen Stellungnahme darauf aufmerksam, dass es sich um ein Live-Interview (Live-on-Tape) gehandelt habe. Interviewgast sei ein Bundesrat und kein Wissenschaftler gewesen. Bei der beanstandeten Passage sei es um die Spaltung der Gesellschaft gegangen, nicht um den wissenschaftlichen Hintergrund des Zertifikats. Da Bundesrat Berset der Frage um eine mögliche Spaltung der Gesellschaft ausgewichen sei, habe der Journalist bei diesem Kernpunkt nachgehakt und den Interviewgast auf das eigentliche Thema zurückgeführt.

Höhere Toleranz in Live-Situationen

Auch wenn die beanstandete Aussage von Alain Berset nicht präzise gewesen sei, habe der Moderator sie nicht zwingend korrigieren müssen, argumentiert die Redaktion. Denn in einem Live- bzw. Quasi-Live-Interview könne der Moderator nicht jede Formulierung des Gastes auf die Goldwaage legen – besonders hier, wo Bersets Aussage nicht die Kernfrage betroffen habe. Zudem sollte bei einem fremdsprachigen Interviewpartner die Fehlertoleranz für präzise Formulierungen etwas grösser sein, findet die Redaktion.

Erhöhte Sorgfaltspflicht vor Abstimmungen

Die Ombudsleute würden den Argumenten der Redaktion folgen, wenn es sich um irgendein Interview mit Bundesrat Alain Berset zur Corona-Pandemie gehandelt hätte. Das Interview sei aber im Vorfeld der Abstimmung mit Bundesrat Berset als Repräsentant des «Ja-Lagers» geführt und gesendet worden. Hier gelte eine besondere journalistische Sorgfaltspflicht. Da das Covid-Zertifikat im Abstimmungskampf im Zentrum stünde, würden Aussagen des Gesundheitsministers unter besonderer Beobachtung stehen und vom Publikum in die Waagschale gelegt.

SRF könne nicht für die falsche Aussage des Bundesrats verantwortlich gemacht werden, so die Ombudsleute. Doch der Interviewer – ein erfahrener Journalist – hätte im weiteren Verlauf des Interviews die brisante Aussage ansprechen und «richtigstellen» müssen. In diesem Versäumnis sehen die Ombudsleute einen Verstoss gegen die Sachgerechtigkeit. Sie unterstützen die Beanstandungen in diesem Punkt.

Schlussbericht Ombudsstelle 8116

Schlussbericht Ombudsstelle 8117

Zur Sendung «10vor10» vom 27. Oktober 2021


Text: SRG.D/dl

Bild: SRG.D/Illustration Cleverclip

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