Schön- und Kleinreden? PR und Journalismus im Zweikampf

Immer wieder ist die Regionalredaktion mit Auskunftspersonen konfrontiert, die sehr spezielle Vorstellungen von Journalismus und dessen Aufgabe haben. Dieser Text ist deshalb auch und vor allem ein Aufruf an die PR-Branche.

Ich kann es nicht beweisen mit einer internen Statistik, aber gefühlt werden die Beziehungen zwischen uns und Kommunikationsverantwortlichen oder PR-Agenturen gerade wieder etwas schwieriger. Vielleicht hat die in letzter Zeit häufig sehr laut und pauschal geäusserte Kritik an «den Medien» dazu beigetragen, dass sich auch Medienstellen von Unternehmen oder Behörden wieder häufiger dazu bemüssigt fühlen, uns unseren eigenen Beruf zu erklären.

Vorweg: Nein, wir sind als Redaktion und als einzelne Journalistin oder Journalist natürlich nicht fehlerfrei. Es ist wichtig und richtig, dass uns Fachexpertinnen und Experten auf Fehler hinweisen. Wir korrigieren auch sehr schnell und grosszügig, wenn wir eine Formulierung als unglücklich erkennen oder einen Sachverhalt präziser darstellen müssen. Aber es gibt rote Linien.

Wir sind nicht zu Loyalität verpflichtet
Eine Aargauer Firma (in Staatsbesitz) wird durch eine behördliche Kommission eingeschränkt. Wir laden die Medienstelle zu einer Stellungnahme ein. Uns erreicht ein langes Schreiben, gespickt mit generellen Aussagen über die «hervorragende Qualität» der Firma. Da wir zum Thema einen Radiobeitrag von 2 Minuten produzieren, können wir natürlich nicht die gesamte Stellungnahme wörtlich zitieren, sondern beschränken uns auf aus unserer Sicht wesentliche Antworten zum konkreten Fall.

Im Nachgang gibt es einen langen Mailwechsel und schliesslich sogar einen Besuch der Kommunikationsverantwortlichen in unserer Redaktion, eine Aussprache. Der Vorwurf des Marketingchefs: Er glaube, dass wir seine Firma «hassen». Ich erkläre ihm, dass wir völlig «gefühlskalt» über seine Firma berichten. Aber dass wir als Journalistinnen und Journalisten selbstverständlich einen grundsätzlich kritischen Blick haben. Und dass wir aus diesem Grund schon gar nicht «PR-Sprech» aus einer viel zu langen Stellungnahme in einen Radiobeitrag übernehmen können.

Die Episode zeigt ein grundlegendes Missverständnis: Wir sind – auch als Regionalredaktion – nicht das «Sprachrohr» von Firmen, Behörden oder Organisationen unserer Region. Im Gegenteil: Unsere Rolle ist es, diese Akteure kritisch zu begleiten. Fair, aber kritisch. Ehrlicherweise muss ich erwähnen, dass wir tatsächlich einen Fehler gemacht haben in unserer Berichterstattung, eine wichtige Information nicht erwähnt wurde. Diesen Fehler haben wir aber – bereits Tage vor der erwähnten Aussprache – sofort korrigiert.

Ehrlich währt am längsten
Apropos Ehrlichkeit: Die gleiche Firma wurde von uns einige Wochen oder Monate später aus einem anderen Grund zu einer Stellungnahme eingeladen. In diesem Fall erfolgte die Antwort mündlich, kurz und knapp. So, wie wir uns das wünschen. Allerdings: Die Auskunft war inhaltlich leider falsch.

Das in der Branche weitverbreitete Problem, über das wir berichteten, existiere in dieser Firma nicht, hiess es. Kurze Zeit später wurde die Aussage etwas abgeschwächt. Es existiere schon, man habe es aber im Griff. Ich musste diese Korrektur am Wochenende schnell in einen Online-Artikel einfügen lassen... was wir gemacht haben, obwohl uns selbst ja keine Schuld dafür getroffen hat.

Wenn Kommunikationsverantwortliche eine allzu rosafarbiges Bild einer Situation malen, dann werden Journalistinnen und Journalisten skeptisch.

Kurze Zeit später lese ich in einem Konkurrenzmedium, dass die Firma mit ungewöhnlichen Massnahmen auf das von uns beschriebene Problem reagieren müsse. Man hat es offensichtlich also nicht im Griff. Als Journalist fühle ich mich nun betrogen: Ich habe den Eindruck, dass ich angelogen wurde. Wieder drückt ein sonderbares Rollenverständnis der Kommunikationsabteilung durch: Der gute Ruf des Unternehmens soll offenbar unter allen Umständen gewahrt werden. Sogar dann, wenn das Problem offensichtlich ist (und alle anderen Unternehmen dieser Branche auch betrifft), also überhaupt kein Image-Schaden droht. Und sogar, wenn dafür Halbwahrheiten in Kauf genommen werden müssen.

Auch ich habe mich mit PR und Unternehmenskommunikation beschäftigt, habe als Fachoffizier in der Armee zum Beispiel Medientrainings mitgestaltet. Ein eiserner Grundsatz, den wir unseren Kursteilnehmenden vermittelten, war immer: Bleibt bei der Wahrheit. Denn früher oder später kommt sie sowieso ans Licht. Das gilt noch immer. Denn es geht auch um Vertrauen.

Zerrüttetes Vertrauen führt zu einem noch sehr viel kritischeren Blick von uns Journalistinnen und Journalisten. Die Kommunikationsverantwortlichen haben mit ihrem Versuch, den Ruf oder das positive Bild ihres Unternehmens mit allen Mitteln zu schützen, genau das Gegenteil bewirkt. Inzwischen reagiere ich tatsächlich etwas emotional. Es ist noch immer kein «Hass», aber grundsätzliche Skepsis gegenüber den Aussagen dieser Kommunikationsstelle. Vielleicht brauchen wir bei Gelegenheit noch eine weitere Aussprache.

Es ist ein Spiel, aber Spiele haben Regeln
Ich postuliere mit diesem Text kein komplett neues Rollenverständnis von PR oder Unternehmenskommunikation. Mir ist bewusst, dass eine Medienstelle für die kommunikative Unterstützung des Wohlergehens der eigenen Organisation zuständig ist. Und mir ist auch klar, dass wir als Journalistinnen und Journalisten gerne das «Haar in der Suppe» suchen und eine Story auch mal etwas «zuspitzen», um sie besser «verkaufen» zu können.

Diese Rollenteilung gehört zum Spiel dazu. Wenn jemand seine Rolle übertrieben auslebt, dann sucht man das Gespräch, greift ein und korrigiert. Aber unsere Rolle muss dabei klar sein: Wir sind keine Werbefläche, sondern produzieren journalistische Inhalte. Die Werbetexte gehören auf die Website der Firma, aber nicht in unser Programm. Unangenehme Fragen gehören dazu.

Auch wenn unsere Arbeit lauter und heftiger kritisiert wird als auch schon, so sind wir nicht nur «Störenfriede» in der Kommunikationsarbeit, sondern erfüllen eine gesellschaftliche Aufgabe.

Disclaimer:
Maurice Velati äussert in diesem Textbeitrag seine persönliche Meinung, nicht die Haltung von Schweizer Radio und Fernsehen. Und selbstverständlich steht er für Diskussionen gerne zur Verfügung. Die Beispiele im Text sind absichtlich anonymisiert, sie dienen lediglich der Illustration der Problematik.

Text: Maurice Velati, Leiter Regionalredaktion SRF

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