In der Coronakrise vertraut die Bevölkerung glaubwürdigen Medien

Seit Mitte Februar verzeichnet SRF steigende Nutzerzahlen. Besonders stark nachgefragt werden verlässliche Informationen. Die Quoten von News- und Informationssendungen stiegen stark an.


Weniger Radiohörer, die aber länger hinhören

Während das Fernsehen nach dem Lockdown mehr Personen erreicht, ist das Bild bei den Radiosendern ein anderes: weniger Tagesreichweite, aber längere Nutzungsdauer. Dies zeigt eine Auswertung von Mediapulse. «Rendez-vous» und «Echo der Zeit» auf Radio SRF legen zu.

Die Nutzung von Radio- und Fernsehangeboten hat in der Schweiz seit der Ausrufung der «ausserordentlichen Lage» aufgrund der Corona-Pandemie zugenommen. Dies belegen die im Auftrag der Stiftung Mediapulse erhobenen Nutzungsdaten für die beiden Wochen vor und nach dem 16. März 2020. Zum ersten Mal liegen somit Zahlen für die Radionutzung vor.
Während TV-Sender eigentliche Quotenrekorde eingefahren haben, verzeichnete das Medium Radio nach dem 16. März einen moderaten Rückgang der Tagesreichweite von 81 auf 77 Prozent. Das tägliche Publikum von rund 5,4 Millionen Personen ab 15 Jahren nutzt jedoch das Angebot der Radiostationen pro Tag acht Minuten länger (127 statt 119 Minuten). Umgerechnet auf die Gesamtbevölkerung führt dies zu einer Zunahme der täglichen Hördauer von 96 auf 97 Minuten, schreibt Mediapulse in einer Mitteilung vom Mittwoch.
Wie das Fernsehen legt auch das Radio seit dem Lockdown in jener Phase des Tages zu, in der es auch in normalen Zeiten seine Stärken hat: als Tagesbegleiter von morgens bis nachmittags. Die Routine des Radiohörens wird in diesem Tagesabschnitt durch die derzeitigen Einschränkungen des sozialen Lebens nicht gebrochen, so Mediapulse. Nutzungspeaks jeweils zur vollen Stunde und vor allem in der Mittagspause würden zudem die Nachfrage nach den Nachrichtenangeboten der Radiosender und damit nach deren Informations- und Orientierungsfunktion in unsicheren Zeiten belegen.
Weniger Hörer schalten das Radio dagegen am Abend ein, also genau dann, wenn das Fernsehen auf Grund der veränderten Lebensumstände derzeit mehr Publikum binden kann. Die leicht rückläufigen Nutzerzahlen des Radios in den Randstunden des Arbeitstages scheinen auf den verminderten Berufsverkehr zurückzuführen zu sein, wo das Radio als Pendlermedium aktuell weniger zum Einsatz kommt.
Höhere Marktanteile für «Rendez-vous» und «Echo der Zeit»
Die Radio-Quartalszahlen der SRF-Sender bestätigen die Beobachtungen von Mediapulse. «SRF stellt nicht nur im TV und Online, sondern auch im Radio ein erhöhtes Informationsbedürfnis beim Publikum fest», so SRF-Sprecher Stefan Wyss auf Anfrage von persoenlich.com. Im Quartalsvergleich zum Vorjahr hätten sowohl die Sendungen «Rendez-vous» über Mittag um 12.30 Uhr als auch «Echo der Zeit» am Abend um 18 Uhr höhere Marktanteile.
Bei «Rendez-vous» ist die Nettoreichweite über alle Ausstrahlungssender – Radio SRF 1, Radio SRF 2 Kultur, Radio SRF News und Musikwelle – um 25'000 Hörer auf 610'000 gestiegen im Vergleich zur Vorjahresperiode. Das entspricht einem Marktanteil von 50,1 Prozent. «Echo der Zeit» um 18 Uhr erreicht auf Radio SRF 1 und Radio SRF 4 News zusammen eine Nettoreichweite von 369'000 Hörerinnen und Hörer. Dies sind gleich viele wie im Vorjahresquartal. «Zusammen mit der Steigerung des Marktanteils zur Sendezeit um 2,8 Prozentpunkte auf 34,1 Prozent zeigt dies, dass die erreichten Personen länger zuhören», so Wyss.
Auch Privatsender spüren veränderte Radionutzung
Auch die Radiosender von CH Media haben auf Anfrage von persoenlich.com die Auswirkungen der Coronakrise auf die Nutzungszahlen analysiert. «Radio 24, Radio 32, Radio Argovia, Radio FM1 und Radio Pilatus spüren die veränderte Radionutzung ebenfalls», so Nicola Bomio, Leiter Programm Radio. Die Hördauer über alle Regionalsender gesehen sei durchschnittlich 7 Prozent höher (16. bis 29. März verglichen mit 2. bis 15. März 2020, Deutschschweiz, 15+).
Zudem würden vor allem die Nachrichten zur vollen Stunde bei den CH-Media-Sendern mehr Hörer erreichen. «Dieser Trend startete bereits Ende Februar, als die ersten Grossanlässe abgesagt wurden und der Bundesrat ein Verbot für Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen erliess», so Bomio. Im März habe sich dieser Trend fortgesetzt. Dies würden sowohl die von Mediapulse offiziell erhobenen Hörerzahlen belegen als auch die Auswertungen der Online-Streamings, die für die Nachrichtenbulletins laut eigenen Angaben an gewissen Tagen bis zu 70 Prozent höher liegen.
TV mit deutlichem Zuwachs
Die Angebote der in- und ausländischen TV-Sender erreichten in den ersten beiden Märzwochen 2020 pro Tag 69 Prozent der Bevölkerung ab 15 Jahren und damit ebenso viele wie im März 2019, schreibt Mediapulse weiter. Am 16. März, dem Tag, an dem der Bundesrat den Notstand ausrief, hat es viele Schweizerinnen und Schweizer vor die Bildschirme gezogen (persoenlich.com berichtete). In den beiden Wochen nach dem 16. März sei dieser Reichweitenwert auf 75 Prozent gestiegen, was in absoluten Zahlen einer Zunahme des täglichen TV-Publikums um 363'000 Personen entspreche. Im gleichen Zeitraum erhöht sich die Zeit, die ein TV-Zuschauer pro Tag mit der Nutzung von TV-Angeboten verbringt, von 214 auf 240 Minuten oder vier Stunden, so Mediapulse.
Legt man diesen Wert auf die Gesamtbevölkerung um, so sah eine erwachsene Person in der Schweiz in der zweiten Märzhälfte im Schnitt 179 Minuten pro Tag fern, eine Zunahme der täglichen Sehdauer pro Person um 31 Minuten im Vergleich zum Monatsanfang. Wie ausserordentlich dieser Wert selbst für das nutzungsstarke Medium Fernsehen ist, lässt sich daran bemessen, dass er in den vergangenen sechs Jahren nur zweimal überboten wurde – und zwar in der Neujahrswoche und in der Weihnachtswoche 2015, bilanziert Mediapulse.
In der Gegenüberstellung der Reichweiten im Tagesverlauf zeigt sich, dass die TV-Nutzung in der zweiten Märzhälfte über den ganzen Tag hinweg ansteigt, der grösste Zuwachs aber in der klassischen TV-Primetime zwischen 19 und 23 Uhr stattfindet. Die Zahl der Personen, die in diesem Zeitraum den Fernseher einschalten, nimmt von 4 auf 4,5 Millionen und die durchschnittliche Sehdauer von 77 auf 93 Minuten zu.
Information erzielt das grösste Interesse
Vom Nutzungszuwachs der Gattung TV profitieren vor allem jene Angebote, die den thematischen Bereichen Aktualität (Nachrichten, Pressekonferenzen) oder Information (Magazine, Ratgeber) zugeordnet werden können. So steigt die tägliche Sehdauer für aktualitätsbezogene Sendungen von 17 auf 28 Minuten und jene für weitere Informationsangebote von 18 auf 22 Minuten. Kumuliert bedeutet dies, dass eine erwachsene Person in der Schweiz pro Tag 50 Minuten mit der Nutzung von Nachrichten- und Informationssendungen im Fernsehen verbringt. Die ereignisbedingte Zunahme solcher Angebote und der daran angepasste Programmablauf zahlreicher Sender trifft also auf eine gestiegene Nachfrage.
Dies bedeutet laut Mediapulse allerdings nicht, dass das Fernsehen unter den besonderen Umständen der Coronakrise nur noch Informationsbedürfnisse erfüllt. Zugenommen habe nämlich nach dem Lockdown auch die Nutzung von Spielfilmen und TV-Serien (jeweils +2 Minuten). Klarer und naheliegender Verlierer sei hier der Sport, dessen Angebot und Nutzung aber bereits in der ersten Märzhälfte rückläufig waren. (pd/cbe)
Quelle: persönlich.com, 8. April 2020


Albtraum beschert SRF Traumquoten

Vor allem die «Tagesschau» profitiert vom riesigen Informationsbedürfnis zu Corona

PETER PADRUTT UND JEAN-CLAUDE GALLI
Kaum je seit 9/11 war das Interesse der Menschen an sachlichen News so gross wie jetzt. Und damals wie heute zeigt sich: Öffentlichrechtliche Medien geniessen in solchen Phasen verstärkt Akzeptanz und Vertrauen. Das beweist auch SRF. Die Einschaltquoten stiegen seit Ausbruch der Corona-Krise vor allem bei den Nachrichten. Eindrücklichstes Beispiel ist die Hauptausgabe der «Tagesschau». Am 12. März wurde erstmals die Millionenmauer durchbrochen, am 15. und 19. März kratzte man mit Marktanteilen von über 70 Prozent gar an der Marke von 1,5 Millionen Zuschauern. Von Mitte März bis Ostern betrug der Schnitt 1,247 Millionen. Auch private Newsportale wie etwa Blick.ch und Blick TV verzeichnen auffällig höhere Werte.
«Diese Zahlen belegen, dass das Informationsbedürfnis der Bevölkerung enorm ist», sagt SRF-Chefredaktor Tristan Brenn (55). Und der Tenor der Zuschauer sei überwiegend positiv. «Man attestiert uns einen guten Umgang mit dem Thema, man schätzt unsere Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit.»
Einen ähnlichen Quotenanstieg verzeichnen auch die öffentlichrechtlichen Stationen in Deutschland und Österreich. So schalteten in Spitzenzeiten bis zu 17 Millionen Deutsche die «Tagesschau» im Ersten ein. Eine aktuelle Untersuchung der European Broadcasting Union für die ersten beiden März-Wochen 2020 liefert einen europaweiten Überblick, welcher illustriert, dass die öffentlich-rechtlichen Sender in sämtlichen Ländern signifikant Marktanteile gewonnen haben. SRG-Direktor Gilles Marchand (58) sagt: «Auch wenn die Lage ernst ist, gibt es einige sichere Häfen. Der öffentliche Dienst mitsamt seinen Medien gehört definitiv dazu. Dies scheint mir eine der wichtigsten Lehren aus dieser beispiellosen Krise zu sein.»
Eine nicht unwichtige Rolle zur Vermittlung dieser Sicherheit kommt den News-Sprecherinnen und Sprechern wie Angélique Beldner (44) oder Franz Fischlin (57) zu. Der Medienwissenschaftler Heinz Bonfadelli (71) sagt: «Dass die ‹Tagesschau› gerade in Zeiten von Corona so wichtig ist, hängt vermutlich von verschiedenen Faktoren ab. Zum einen ist sie nach wie vor für viele und aktuell sogar für die meisten so etwas wie ein Ritual: Man schaltet jeden Abend ein, um sich über das laufende Geschehen zu informieren. Kommt hinzu, dass die unaufgeregte, professionellausgewogene Information sehr glaubwürdig wirkt. Das hängt auch von den Moderatoren ab, die ruhig und kompetent rüberkommen und im besten Fall zu so etwas wie Mitbewohnern werden.»
Zwingend dazu gehört eine strenge Qualitätskontrolle. Tristan Brenn sagt: «Wir publizieren nur, was von vertrauenswürdigen Quellen kommt, also von ausgewiesenen Spezialisten, von der Weltgesundheitsorganisation, aber auch von unseren eigenen Fachredaktionen.»
Selber auf die Schulter klopfen will sich das SRF in Anbetracht der Traumquoten bewusst nicht. «Eigenlob in einer Zeit, wo viele Menschen grosses Leid erfahren, ist unangebracht», sagt Brenn. «Es ist unser Job, gerade in Krisensituationen möglichst professionell zu informieren. Wenn es uns gelingt, umso besser. Das Publikum kann sich da selber eine Meinung bilden.»
Quelle: Blick. 15. April 2020


Wer schaut sich das an?

In der Corona-Krise erreicht das Schweizer Fernsehen Rekordwerte. Wird der gute alte Landessender wieder zum Lagerfeuer, um das herum wir uns versammeln?
Andreas Tobler und Mathias Born (Text) und Birgit Lang (Illustration)
Es wurde mehrfach totgesagt, aber es lebt: das gute alte Fernsehen. Seit der Corona-Krise schauen wir so viel TV wie seit langem nicht mehr: Als der Bundesrat am 16. März den Lockdown verkündete, schnellten die Zahlen von SRF kräftig nach oben. 636’000 Menschen sahen um 17 Uhr zu, wie der Bundesrat an der Medienkonferenz erklärte, dass unser Leben nicht mehr so sein wird, wie es war. Gar doppelt so viele – nämlich 1,339 Millionen – verfolgten an diesem Abend die «Tagesschau».
SRF reagierte prompt auf das riesige Interesse und baute das Programm um. Für alle soll es in der Corona-Krise etwas geben: für Kinder und Erwachsene, Fitnesshungrige und Religiöse, Einsame und Sportliche. Und für die Filmschaffenden, die ihre Werke nicht mehr in den Kinos vorführen können. Was aber wird davon tatsächlich geschaut, was sind die Tops und Flops – und wie lange dauert der TVHype an? Das sagen die Zahlen:
1. Fussball ist populärer als Corona
Die Corona-Krise überbietet alles, was in der jüngeren TV-Geschichte beobachtet werden konnte: Während fast vier Wochen knackte die «Tagesschau»-Hauptausgabe täglich die Millionenmarke. Der bisherige Höhepunkt wurde am 19. März erreicht: An diesem Donnerstagabend – dem dritten Tag des Lockdown – berichtete die «Tagesschau», wie sich die Lage im Tessin «dramatisch» zuspitzte. Uri beschloss eine Ausgangssperre für Senioren, und die Armee mobilisierte zu ihrem grössten Einsatz seit dem Zweiten Weltkrieg per SMS. Insgesamt 1,487 Millionen Personen sassen vor dem Fernseher. Der Marktanteil lag bei über 72 Prozent. Das ist absoluter Rekord, seit uns detaillierte Daten zum TV-Konsum der Schweizer vorliegen, was seit 2013 der Fall ist. Und doch gibt es Ereignisse, die man hierzulande interessanter findet, als wenn die Schweiz stillgelegt wird: Vier Spiele der Schweizer Nati an den zwei letzten Fussball-WM und der EM 2016 erreichten mit bis zu 1,618 Millionen Zuschauern mehr Publikum als die meist geschaute Corona-«Tagesschau».
2. Wir wollen nicht nur News, sondern auch Hilfe
Warum aber schauten ausgerechnet am dritten Tag des Lockdown so viele Menschen wie nie zuvor die «Tagesschau»? Die Zuschauerzahlen steigen immer dann, wenn Unklarheit herrscht. So erreichte die «Tagesschau» die zweithöchste Einschaltquote am Tag bevor der Bundesrat den Lockdown verkündete. Auch in den drei Tagen vor Bekanntgabe, dass die Massnahmen wieder gelockert werden, stieg das Interesse stark an. Wir erwarten vom Fernsehen offensichtlich Antworten auf die Frage, was in Zukunft geschieht. Und wir wollen Hilfe in der Krise: Eine der höchsten Quoten erreichte der «Kassensturz» vom 14. April, in der ein Infektiologe die Frage beantwortete, ob wir zukünftig alle Masken tragen sollten. 679’000 interessierte das, der Marktanteil lag bei 37,8 Prozent.
Wenn wir auf Hilfe warten, sind wir geduldig: Die «Tagesschau»-Hauptausgabe vom 18. März konnte wegen eines Defektes am Tonpult erst mit 16 Minuten Verspätung beginnen. 1,325 Millionen Menschen harrten aus, bis die Technikcrew den Toncomputer wieder hochgefahren hatte und eine der letzten Sendungen mit Katja Stauber beginnen konnte.
3. Hilfe von oben
Der Hunger nach Expertise scheint unersättlich. Und auch beim Gottespersonal finden viele Halt: Die ökumenischen Sondergottesdienste während der Virus-Krise interessierten 40’000–60’000 Zuschauer, was einem Marktanteil von gut 16 Prozent entspricht. Vor der Corona-Krise erreichten die Gottesdienste auf SRF lediglich einen Bruchteil davon, nämlich 16’000 Zuschauer oder ein Marktanteil von 6,2 Prozent.
Die hohen Zuschauerwerte haben letztlich wohl ganz banale Gründe: Normale Gottesdienste dürfen keine gefeiert werden, also greifen Gläubige zur Fernbedienung. Aber auch während der Corona-Krise schwankte das Interesse der TV-Christen: Für den evangelischen Gottesdienst am Ostersonntag konnten sich nur 19’000 erwärmen – ein geringer Marktanteil von 6,7 Prozent, was wohl damit zusammenhängt, dass eine französischsprachige Messe aus Lausanne übertragen wurde. Getoppt wurden die anderen Fernsehmessen von Gottes Stellvertreter auf Erden: Der Papst erreichte mit seinem Ostersegen im leeren Petersdom einen Marktanteil von 21,6 Prozent, was 79’000 interessierten TV-Schäfchen entspricht.
4. Wer nicht raus darf, öffnet das Fenster zur Welt
Sperrt man die Leute zu Hause ein und verordnet ihnen Kurzarbeit, sitzen sie dauernd vor der Glotze. So könnte man denken. Doch auch wenn während der Corona-Krise zahlreiche Rekorde geknackt wurden, scheinen die meisten Leute den Fernseher nicht permanent eingeschaltet zu haben. Das aufgedonnerte Tagesprogramm wurde zwar genutzt, aber nicht ausserordentlich stark. Zwischen 8 und 18 Uhr nahmen sich im Schnitt 22’500 Personen Zeit zum Fernsehen, zwischen 18 Uhr und Mitternacht hingegen waren es 300’000.
Grosse Unterschiede gibts vor allem zwischen den Werktagen und den Wochenenden: Unter der Woche schalteten bloss 21’000 Leute den Fernseher tagsüber ein, am Wochenende waren es 31’500. Kein Wunder: Mütter und Väter, die neben der normalen Arbeit von einem Tag auf den nächsten ihre Kinder voll betreuen und unterrichten müssen, werden kaum eine freie Minute gehabt haben. Ähnlich bei den Kindern: Die Schulfernsehangebote wurden vor allem in den ersten Tagen des Lockdown gut genutzt, als die überrumpelten Lehrpersonen ihre Schüler noch nicht mit Schulmaterial versorgt hatten. Je stärker der Ausnahmezustand zur Normalität wurde, desto weniger Zeit hatten die Kinder offensichtlich zum Fernsehen.
5. Wer schaut und turnt?
Zwei Stunden Schulfernsehen gibts jeden Tag, zwei weitere Stunden sind fürs Kinderprogramm «Zambo» reserviert. Und in gefühlt jeder zweiten Sendung wird geturnt, in «sport@home» sind es etwa Spitzensportler wie Nino Schurter, die Kräftigungsübungen zum Mitmachen vorzeigen.
Wer aber schaut und turnt denn da unter der Woche mit, wenn die meisten zwischen Homeoffice und Homeschooling im Chaos versinken? Sind es nur die Pensionierten, die früher bei einem Schnitt von 55 Jahren das treueste Publikum der Kindersendung «Zambo» waren? Mit Sicherheit lässt sich nur sagen, dass SRF auch Junge zwischen 15 und 29 mit dem linearen Programm erreicht. Besonders stolz ist SRF darauf, dass sich der Anteil dieser Altersgruppe im Publikum der «Tagesschau» verdoppelt hat – von 25’000 auf 50’000. Allzu viele sind das nicht. Aber auch im Onlineangebot sind die Zahlen stark gewachsen, so haben sich die Zugriffe beim Angebot von «Zambo» auf etwas über 5000 pro Tag verdreifacht, bei «MySchool» gar versiebenfacht auf rund 20’000. Es gibt also ein Wachstum, wenn auch auf tiefem Niveau.
6. Taugt das was?
Während etwas mehr als einer Woche haben wir fleissig ins Corona-Sonderprogramm von SRF reingezappt: Wir haben bei «Fit mit Adriano» vor dem Bildschirm auf Anweisung eine Kiste über unsere Beine und Schultern gehoben – und «s’Buggeli» gemacht, um unseren Rücken zu stärken. Und wir waren nicht allein: Insgesamt 295’000 haben während der Corona-Krise mal ins lineare Programm mit Vorturner Adriano Iseppi reingeschaut, mehrheitlich waren es über 60-Jährige. Anders bei «sport@home»: 650’000 haben mal für sich getestet, ob sie mit den Spitzensportlern mitturnen wollen oder können – überwiegend waren das unter 60-Jährige. Genauer weiss man es nicht, denn unterschieden wurde von SRF nur in zwei Altersgruppen: in Senioren und alle anderen.
Einiges entzieht sich gar der Messbarkeit. Wir sind also nicht sicher, ob tatsächlich die Zielgruppe erreicht wurde, als wir morgens «MySchool» und nachmittags die Kindersendung «Zambo» schauten, denn in der Testgruppe, mit der die Zahlen erhoben werden, gibt es zu wenige Kinder. Aber wir Erwachsenen haben zugeschaut – und uns mit «Zambo» und «MySchool» über das Leben amerikanischer Instagram-Jugendlicher informiert, aber auch über den Hirschkäfer, den man uns als «Super-Bio-Hero» vorstellte. Wir fanden «Deutsch mit Socke» doof, weil in diesem Lernformat aus Deutschland mit Euro gerechnet wird. Überhaupt wird ziemlich vieles von SRF eingekauft, damit man täglich vier Stunden Schul- und Jugendprogramm mit allerlei Beiträgen füllen kann.
7. Hilft das Fernsehen?
Die Kinos sind zu, Konzerte abgesagt, die Theater geschlossen. SRF hat gemäss Konzession den Auftrag, das hiesige Kulturschaffen zu fördern – auch finanziell. Vor allem das Filmschaffen. «Uns ist bewusst, dass die derzeitige Situation verheerend für die Kulturschaffenden ist», schreibt Urs Fitze, Leiter Fiktion bei SRF, «darum ist es uns ein grosses Anliegen, der Schweizer Filmbranche kurzfristig und unbürokratisch zu helfen.»
Kurzfristig geholfen wird ab Mai, wenn SRF zwei Sendeplätze für Schweizer Filme freiräumt: Jeweils am Sonntag und Montag gegen 23 Uhr werden Doks und Spielfilme wie Michael Steiners «Sennentuntschi» gezeigt. Filmschaffende kritisieren den späten Sendetermin, mit dem sie nur ein kleines Publikum erreichen. SRF argumentiert, dass die Filme auch online während sieben Tagen abrufbar sind, was «gerade bei fiktionalen Inhalten immer mehr der Konsumgewohnheit unseres Publikums entspricht», wie Urs Fitze von SRF schreibt. Zahlen von Zattoo deuten darauf hin, dass die Nachfrage nach Fiktion in der Corona-Krise eh nicht besonders gross ist: Während das Bedürfnis an Information und Unterhaltung wächst, lässt das Interesse für Filme und Serien deutlich nach.
Bilanz: Was sagt die Corona-Krise über die TV-Zukunft aus?
Die Befunde sind eindeutig: Wirklich Zeit fürs Fernsehen haben die Schweizerinnen und Schweizer aktuell nur an den Wochenenden. Und es gibt ganz klar eine Spaltung: zwischen denjenigen, die mit dem Fernseher aufwuchsen und «den Jungen», die mit dem Internet sozialisiert wurden. SRF hat auf die veränderten Nutzungsgewohnheiten reagiert – und entwickelt einige Formate für Kinder und Jugendliche zunächst fürs Internet, um sie danach ins lineare Programm einzuspeisen. Das führt aber auch dazu, dass man das lineare SRF-Programm immer weniger am Stück durchschauen kann – und vieles im Programmablauf beliebig wirkt.
Bereits jetzt gesagt werden kann, dass der Corona-Effekt wohl kaum nachhaltig sein wird. Seit mehreren Tagen nimmt das Interesse an den SRF-Angeboten wieder ab. Aber auf ein Wachstum – gerade im digitalen Bereich – ist das Schweizer Fernsehen angewiesen, wenn es nicht nur sein älter werdendes Stammpublikum, sondern auch die Jungen verstärkt erreichen, ergo eine Zukunft haben will.
6 Wochen Corona-TV
Ausgewertet wurden 3000 Sendungen, die vom 6. März bis 21. April auf SRF 1 und SRF zwei zu sehen waren. Die Daten dafür wurden von Mediapulse erhoben: In Testhaushalten wird mithilfe der Tonspuren eruiert, was geschaut wird. SRF publiziert einen Auszug aus den Daten auf seiner Website. Zudem lieferte SRF zusätzliche Zahlen, die Aussagen zur Altersstruktur des TV-Publikums erlauben.
Quelle: SonntagsZeitung 26. April 2020