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«Oft fehlt der Anstand»

SRG-Ombudsmann Roger Blum über Beleidigungen, Beschwerde-Rekorde und seine Rolle als Blitzableiter.

Die Arbeit geht auch so nicht aus: Ende Februar sorgte der «Arena»- Disput zwischen Moderator Projer und dem «umstrittenen Historiker» Daniele Ganser für rote Köpfe.
Eine Einschätzung dazu kann ich erst geben, wenn Anfang April der Schlussbericht publiziert wird. Nur so viel: Es gingen 492 Beanstandungen ein - die höchste Anzahl, seit es die Ombudsstelle gibt.

Weshalb diese Beschwerdeflut?
Ein wichtiger Faktor ist, dass Herr Ganser eine Fan-Gemeinde hat, in der Beanstandungen zirkulieren und eine gegenseitige Mobilisierung stattfinden konnte. Dazu lässt sich heute die Mobilisierung dank sozialen Netzwerken viel leichter organisieren. Das sahen wir 2016 schon beim Fall «Abendmahl» (kirchliche Kreise protestierten gegen eine Pointe in «Giacobbo/ Müller»; Anm. d. Red.). Da klangen viele Beanstandungen ähnlich, gewisse Kritikpunkte hatten die Runde gemacht.

Nicht nur wegen des «Abendmahls» war 2016 das Jahr mit den zweitmeisten Beanstandungen. Warum?
Es gab ein paar Fälle, die grössere Beanstandungszahlen hervorriefen. Neben dem «Abendmahl» waren das der Film «Feuchtgebiete» und das Blackfacing bei «Happy Day». Dazu fanden 2016 in verschiedenen Ländern Wahlen mit Rechtspopulisten statt. Den Sympathisanten missfiel, dass relativ kritisch berichtet wurde über Trump, FPÖ oder AfD.

Solche Beanstandungen wurden zumeist abgewiesen, weil «die Sachgerechtigkeit nicht verletzt» worden sei.
Das wird in der Bevölkerung immer wieder falsch verstanden: Ombudsstelle und UBI haben die Aufgabe, das Publikum vor Manipulation zu schützen.

Dass nicht mit Absicht Fakten weggelassen oder verdreht werden und dass Beschuldigte die Möglichkeit haben, sich in derselben Sendung zum Vorwurf zu äussern. Themenwahl und journalistischer Zugang liegen aber in der Freiheit der Redaktion und der Programmautonomie von Radio und TV. Das Publikum kann nicht verlangen, ob und wie berichtet werden soll.

Wird das akzeptiert?
Grundsätzlich schon. Es gibt aber eine Gruppe, für die alles gelogen ist, was die westlichen Medien verbreiten. Da kann man noch so lange erklären, dass die Fakten geprüft wurden, dass fair berichtet wurde - es nützt alles nichts. Bei diesen Leuten, die «Lügenpresse!» rufen, ist auch die Bereitschaft relativ gross, die Medienfreiheit einzuschränken. Eine gefährliche Entwicklung.

Sie stellten letztes Jahr ausserdem einen «verschärften Ton» fest.
Es gibt eine kleine Gruppe Beanstander, die in ihren E-Mails austeilt wie verrückt. Durchgehend ehrbeleidigend. Zum Teil nehmen sie nicht mal Bezug auf eine Sendung, sondern finden einfach, die vom Fernsehen seien die Hinterletzten.

Erschreckte Sie diese Heftigkeit?
Ich musste mich daran gewöhnen, ja.

Eine Beanstandung leiteten Sie an die Staatsanwaltschaft weiter.
Richtig. Darin wurden einzelne Journalisten, Radio und Fernsehen, Parlament und UBI beleidigt. Die Staatsanwaltschaft schrieb zurück, sie werde erst tätig, wenn jemand klagt, der direkt betroffen ist.

Also die «10 vor 10»-Journalisten, die «Linksterroristen» und «Medienschnuderis» genannt wurden ...
Ja, aber sie wollten nichts unternehmen. Ich fand den Schritt trotzdem wichtig, um ein Zeichen zu setzen. Trotz Meinungsäusserungsfreiheit gibt es Diskursregeln. Ein gewisser Anstand ist Bedingung, um sich miteinander auseinanderzusetzen.

Auch SRF ist nicht immer anständig: «Giacobbo/Müller» bezeichnete Donald Trump als «Arschloch». Wieso sahen Sie von einer Rüge ab?
Da kann man mit guten Gründen zu einem anderen Schluss kommen als ich. Aber Satiresendungen haben einen grösseren Spielraum als andere. Sie dürfen überspitzen - solange ein wahrer Kern da ist.

Wahrer Kern? Ist er ein Arschloch?
Der wahre Kern ist, dass Trump im Wahlkampf unglaublich ausgeteilt und Dinge erzählt hat, die nicht stimmen. Ausserdem wurde der Ausdruck «Arschloch» verspielt vorgetragen und von den Satirikern elegant eingeworfen.

Gerügt haben Sie dagegen Dominic Deville, weil er in seiner Sendung kurz vor der Abstimmung über den Atomausstieg AKW-Witze machte.
Bei Wahlen und Abstimmungen gilt laut Radio- und Fernsehgesetz eine erhöhte Sorgfaltspflicht, darunter auch eine Vielfaltspflicht. So müssen in SRF-Sendungen rund sechs Wochen vor einer Abstimmung die unterschiedlichen Positionen gleichgewichtig zum Zug kommen. Auch bei Satire und Unterhaltung.

Deville hätte also auch über Solarund Windenergie witzeln müssen?
Richtig, er hätte auch die Gegenposition satirisch zum Ausdruck bringen müssen.

Wie lässt sich das überprüfen? Werden Sie nun Witze zählen?
Schwierig, klar. Wir wären in einem ähnlichen Beanstandungsfall wohl grosszügig. Eindeutig war da ein Fall bei «Müslüm TV», wo in der heissen Phase des Berner Wahlkampfs Gemeinderatskandidat Erich Hess auftrat. Auch wenn Hess nicht unbedingt promoviert wurde, so förderte der Aufritt doch seinen Bekanntheitsgrad.

Wie fanden Sie Devilles Reaktion? Er scherzte und «Es tanzt ein Bi-Ba-Ombudsmann» ...
Als Kabarettist muss er mit seinen Stilmitteln antworten. Der Ombudsmann ist nicht heilig, man darf und soll ihn kritisieren.

Deville machte sich über Ihr Urteil lustig, Mike Müller sagte nach der «Transe»-Rüge, er benutze das Wort weiter. Nimmt man Sie ernst genug?
Ich bin mir nicht sicher, ob Deville bei der nächsten Volksabstimmung nochmals das Gleiche machen wird. Wahrscheinlich hat die Stellungnahme schon eine Wirkung. Und wenn Mike Müller weiter «Transe» sagen will, muss er damit rechnen, dass eine nächste Beanstandung nicht bei mir aufhört, sondern an die UBI gelangt. Das wünscht man sich ja nicht unbedingt.

Was Sie sich wünschen, ist mehr Sichtbarkeit für Ihre Urteile.
Ideal wäre, wenn die jeweiligen Sendungen die Schlussberichte erwähnten. Berichtigung und Entschuldigung, also Fehlerkultur, gehören zur Medienarbeit.

SRF will Ihre Berichte in den Publikumstalk «Hallo SRF» einbauen.
Das kann ich mir gut vorstellen.


Ein Interview von Hanspeter Huber, erschienen am 5. April 2017 in TELE.


Text: TELE/Hanspeter Huber

Bild: SRF/Oscar Alessio

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