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Der Ombudsmann und die «fünfte Gewalt»

Die sozialen Medien haben Resonanzräume der Empörung geschaffen, in denen Medienschaffende herausgefordert, hinterfragt und kritisiert werden. Diffamierung und Falschaussagen sind dort kaum zu kontrollieren. Dennoch kann diese Entwicklung eine Chance für den Meinungsbildungsprozess sein.

«Achtung: Schere im Kopf!», hiess eine der Warnungen, die der Gründer des ersten Bündner Lokalradios «Grischa», Matthias Lauterburg, uns blutjungen Journalisten damals eintrichterte. Damals, das war 1987, und dieses «Achtung» sollte mich fortan mein ganzes Journalistenleben begleiten. Zum Glück. Die Schere im Kopf, das ist die Selbstzensur, der vorauseilende Gehorsam jenen gegenüber, über die man kritisch berichten sollte und auf die man dann doch, bewusst oder unbewusst, aus Abhängigkeit oder Loyalität, in den entscheidenden Details Rücksicht nimmt. Fakten tun manchmal weh. Sie dennoch zu benennen, heisst die Schere im Kopf zu überwinden, ohne falsche Rücksichtnahme. Es ist die Grundlage für guten, kritischen Journalismus. Später, als Mitarbeiter des Schweizer Fernsehens, nistete sich eine andere Art Schere in meinem Kopf ein, eine, die von den Warnsignalen her ganz ähnlich funktionierte, nur dass sie statt guten Journalismus zu kompromittieren diesen beförderte. Und freilich ging es nicht darum, sie zu überwinden, sondern sie als Leitplanke zu verstehen, als Instanz zur eigenen Qualitätssicherung. «Was würde der Ombudsmann dazu sagen?», diese Frage ist bis heute unser täglicher Begleiter, bei der Besprechung von Stories in den Redaktionssitzungen, manchmal auch bei Dreharbeiten, sehr oft bei der Abnahme von Beiträgen auf dem Schnittplatz. Vor allem dann, wenn bei heiklen Fällen auch der Chefredaktor beigezogen wird. Der Ombudsmann sitzt immer wie ein Schatten dabei, und seine imaginäre Stimme mischt sich fast schon hörbar in die Diskussion mit ein.

Einseitige Bevorzugung einer Kandidatin

Wo das nicht geschieht, rächt es sich manchmal. Als letztes Jahr Esther Friedli, die Ehefrau von SVP-Präsident Toni Brunner, überraschend zum zweiten Wahlgang zu den St. Galler Regierungsratswahlen antrat, produzierte «10vor10» einen Beitrag über Quereinsteiger in der Politik, mit Fokus – selbstverständlich – auf Esther Friedli. Doch wie stand es dabei mit den besonderen journalistischen Sorgfaltspflichten vor Wahlen und Abstimmungen? Wo waren in dem Beitrag die anderen Kandidaten für den freien Regierungsratssitz? Und vor allem: Was würde der Ombudsmann dazu sagen? Die letzte Frage stellte sich die Redaktion vor Ausstrahlung des Beitrages leider nicht, im Gegensatz zu einem Zuschauer, der die Berichterstattung beim Ombudsmann beanstandete. Während «10 vor10» sich auf den Standpunkt stellte, mit der Quereinsteiger-Thematik einen legitimen Fokus gesetzt zu haben, ohne sich dabei in den Wahlkampf einzumischen, sah der Ombudsmann den Beitrag anders: als Plattform und damit einseitige Bevorzugung einer Kandidatin. Wir haben den Fall – wie jede gutgeheissene Beanstandung – in der grossen Redaktionsleitersitzung diskutiert. Und wir haben daraus gelernt. Die korrekte Berichterstattung vor Wahlen und Abstimmungen ist ein Klassiker. Doch das Themenspektrum, mit dem sich die Ombudsstelle zu befassen hat, ist scheinbar unerschöpflich. War der «CLUB» zum Thema «Sexismus» einseitig besetzt? Hat die «Tagesschau» falsche Karten über den Gebietsverlust des islamischen Staates gezeigt? Hat dieselbe Sendung zu Unrecht nicht über ein Erdbeben in Japan berichtet? Wurde Bundesrat Johann Schneider-Ammann zu oft veräppelt von «Giacobbo/Müller»? Und darf «Meteo» den Zuschauern «Lektionen in Thermodynamik» erteilen, statt sich auf die eigentliche Wetterprognose zu konzentrieren? In den Worten des Beanstanders klingt das dann so: «Ist es der verfassungsmässige Auftrag dieser Anstalt, seine Kunden mit allerlei Tricks möglichst lange bei SRF-TV hinzuhalten?». Die Beantwortung all dieser Fragen braucht nicht nur Sachverstand, sondern manchmal auch Nerven. Auf Seiten der Fernsehmacher, mutmasslich aber auch auf Seiten der Ombudsstelle.

Vermittlungsarbeit als wichtige Aufgabe

Was mich immer wieder beeindruckt: Nie begnügt sich der Ombudsmann mit trockenen Rechtsbelehrungen, sondern er ordnet ein, er zieht Vergleiche, er stellt historische und gesellschaftliche Bezüge her. Mit anderen Worten: er urteilt nicht nur über unseren Journalismus, sondern er betreibt in gewisser Weise selber Journalismus. Auch davon können wir jeden Tag lernen. Dem Vorwurf eines Beanstanders, wonach wir in einer Sendung zu Unrecht mehrfach Rechtsaussen-Politiker vom Schnitt eines Hofers oder Le Pen als «Populisten» bezeichnet hätten, begegnet der Ombudsmann mit einem Exkurs über die Unterschiede zwischen der FPÖ mit ihren Anknüpfungen am nationalsozialistischen Gedankengut und der hiesigen SVP, «die bäuerliche und direktdemokratische Wurzeln» hatte. Und er zeigt den Unterschied zwischen Rechtspopulisten und Linkspopulisten auf mit Verweisen weit zurück in die Geschichte eines Robbespierre und seinem «Comité du salut public» während der Französischen Revolution. «Zusammenfassend kann ich nur nochmals bestätigen: Die Verwendung der Begriffe ‹Rechtspopulismus›, ‹Rechtspopulisten› und ‹rechtspopulistisch› ist keine Verleumdung, nicht Teil einer Hetz- und Hasskampagne, keine Volksverhetzung und Volksverdummung, sondern ein Mittel, um Parteien im rechten politischen Spektrum besser zu kategorisieren und zu unterscheiden», so der Ombudsmann. Das ist keine spröde Paragrafenreiterei, sondern schafft Kontext und dient letztlich der Vermittlung und der Verständigung zwischen Beanstandern und Programmschaffenden. Im gegenwärtigen Klima einer aufgeheizten Medienöffentlichkeit betrachte ich diese Vermittlungsarbeit als eine der wichtigsten Aufgaben der Ombudsstelle. Die sozialen Medien haben Resonanzräume der Empörung geschaffen, die uns – und auch die Ombudsstelle – vor ganz neue Herausforderung stellen. Als die «Rundschau» vor ziemlich genau drei Jahren über die Vorlage zur Beschaffung des Kampfflugzeuges Gripen berichtete, lagen binnen weniger Tage über 90 Beanstandungen gegen den Beitrag vor, ein Rekord. Dahinter steckten härter gewordene politische Fronten. Die konzertierte Aktion mit im Wortlaut teilweise identischen Vorwürfen verdankte sich aber vor allem den neuen Möglichkeiten des Internetzeitalters. Mit den sozialen Medien hat sich eine Art fünfte Gewalt etabliert, die uns professionelle Medienschaffenden herausfordert, hinterfragt, unseren Stellenwert relativiert und ihr Wissen in die öffentliche Debatte einbringt. Wer Journalismus als Aufklärung versteht, wird diese Entwicklung zu Recht als Chance im demokratischen Meinungsbildungsprozess sehen. Doch die fünfte Gewalt geht weiter. Sie zieht das, worüber wir berichten, nicht nur in Zweifel, sondern bringt es mehr und mehr in Verruf, wirft uns vor, wir würden bewusst desinformieren und die öffentliche Meinung für unsere Zwecke missbrauchen: Lügenpresse! Gelogen wird aber anderswo. Lügen, Diffamierungen und Falschaussagen sind auf Facebook, Twitter und anderen Plattformen an der Tagesordnung, und sie prägen zunehmend auch den Ton in den offiziellen Beanstandungen.

Ombudsmann zieht rote Linie

Es gibt die vergleichsweise harmlosen Fälle, etwa wenn SRF als «zwangsgebührenfinanzierter Staatssender» bezeichnet wird. Der Ombudsmann könnte darüber hinwegsehen. Das tut er aber nicht, sondern er stellt klar: «Ein Staatssender ist das Sprachrohr der Regierung. Wir finden solche Sender in China, Nordkorea, Syrien, Kuba, Ägypten, Iran, Weißrussland, Saudiarabien und bis zu einem gewissen Grad auch in Russland. Die Schweiz aber kennt das Modell des Service public: Die SRG erhält nach dem Vorbild der BBC zwar vom Staat festgesetzte Gebühren und einen in Verfassung und Gesetz verankerten Auftrag, aber genau dieser Auftrag legt die völlige redaktionelle Unabhängigkeit der SRG fest. Die SRG darf daher genauso wie die NZZ, der ‹Tages-Anzeiger› oder die ‹Basler Zeitung› den Staat kritisieren, denn das ist der Ausfluss der journalistischen Unabhängigkeit.» Dem gibt es nichts beizufügen.

Doch was tun in Fällen, wo Kritik in blanken Hass umschlägt? In Zeiten, wo ein gewählter amerikanischer Präsident und ehemaliger Wutbürger in vulgärster Sprache und mit Lügen, die er nicht mal kaschiert, zum Sturm auf die Medien ansetzt, mag es nicht verwundern, wenn auch hierzulande alle Dämme brechen. Neu ist jedoch, dass verbale Entgleisungen nicht mehr anonym auf sozialen Plattformen stattfinden, sondern als offizielle Beanstandungen mit vollem Namen und Adresse beim Ombudsmann landen. Natürlich ist das nicht die Regel, das sei hier betont, denn noch immer überwiegt die diskursive Kritik, der wir uns stellen müssen und wollen. Wenn aber von «linksradikalen Medien-Schnudderis», von «Landesverrätern» und «ergaunerten» Gebühren die Rede ist und Vergleiche mit Goebbels gezogen werden, zeigen sich Symptome, die mehr als beunruhigen. Auch hier könnte es sich der Ombudsmann leicht machen. Er könnte solcherlei Gebaren einfach ignorieren und sich – sofern erkennbar – auf den Kern der jeweiligen Kritik beziehen. Das tut er aber nicht. Stattdessen weist er Hassverbreiter in die Schranken und leitet – wie in einem Fall vorgekommen – verleumderische Pamphlete kurzerhand an die Staatsanwaltschaft weiter. Wo Vermittlung kein Mittel mehr ist, zieht der Ombudsmann die rote Linie und zeigt Haltung. Das ist vorbildlich, und auch das dient uns als Beispiel. Indem er Medienschaffenden und Mediennutzern Leitplanken setzt, spielt er nicht nur für den Medienbetrieb eine wichtige Rolle, sondern immer mehr auch für die Zivilgesellschaft als Ganzes.

Text: SRF/Tristan Brenn, TV-Chefredaktor SRF

Bild: SRF/Gian Vaitl

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