Der freigesprochene Oscar Holenweger mit gesenktem Blick beim Verlassen des Gerichtsgebäudes
SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

Ombudsfall: Tagesschau korrigiert sich selbst

Oskar Holenweger beanstandete zwei SRF-Beiträge, in denen seine Person thematisiert wurde. Über ihn, einen zu Unrecht Angeklagten in einem Wirtschaftsprozess, sei nicht sachgerecht informiert worden – der Ombudsmann stützt die Beanstandung mehrheitlich.

Beanstandet wurden zwei Beiträge. Einerseits «Pierin Vincenz sitzt seit Ende Februar in Untersuchungshaft» aus der «Tagesschau» vom 19. Mai 2018 sowie der SRF-News-Online-Beitrag «Drei Szenarien für Pierin Vincenz» vom selben Tag. Ausgangspunkt der Beiträge war die Verlängerung der Untersuchungshaft für Ex-Raiffeisenbankchef Pierin Vincenz. Es wurde der Frage nachgegangen, was passiert, wenn die lange Untersuchungshaft allenfalls nicht gerechtfertigt war.

Redaktion reagierte selbständig

Der Beanstander sieht seine Persönlichkeitsrechte verletzt, weil er als Freigesprochener im selben Atemzug wie rechtskräftig Verurteilte und damit als «unehrenhafte Person» dargestellt werde.

Holenweger wurde nach einem acht Jahre dauernden Prozess freigesprochen. Für die ihm durch das Verfahren verursachten Schäden erhielt er Geldleistungen, die in der «Tagesschau» falsch angegeben worden sind. Die «Tagesschau»-Redaktion korrigierte diese Falschaussage noch vor Eingang der Beanstandung.

Der Betroffene selbst bemängelt in seinem Schreiben, dass sich das Publikum keine Meinung habe bilden können. Hauptgrund dafür sei, dass im angesprochenen Beitrag über die Konsequenzen von ungerechtfertigter Untersuchungshaft der Eindruck entstand, dass ein Freigesprochener für 49 Tage Untersuchungshaft 430'000 Franken Entschädigung erhalte. Dies sei jedoch nicht der Fall. Ombudsmann Roger Blum bestätigt diese Sichtweise und weist auf die Zusammensetzung der bezahlten Geldleistungen hin. Holenweger erhielt:

  • 376'000 Franken als Beitrag an die Anwaltskosten;
  • 35'000 Franken als Genugtuung;
  • 10'000 Franken als Entschädigung für die Untersuchungshaft von 49 Tagen.

Problematik der Öffentlichkeit

Blum führt an, dass Holenweger nun eine öffentliche Person ist (weshalb hier auch auf die Anonymisierung verzichtet wurde). Indem Holenweger öffentlich präsent bleibt, kann auf seine Rehabilitierung nach ungerechtfertigten Schuldzuweisungen hingearbeitet werden. Allerdings wird er so immer wieder aufs Neue mit Wirtschaftskriminalität in Verbindung gebracht – auch wenn er immer als Beispiel der Unschuld daraus hervorgeht.

Schutz des Publikums

Blum betont weiter, dass die Ombudsstelle sowie auch die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen nicht für Persönlichkeitsverletzungen zuständig sind. Aufgabe der Ombudsstelle ist es, das Publikum zu schützen, nicht das Individuum. Erst wenn jemand in den Augen des Publikums herabgewürdigt wurde, ist das Radio- und Fernsehgesetz verletzt. In den beanstandeten Beiträgen ist das aber nicht der Fall, da nichts Ehrenrühriges über Holenweger gesagt und er auf keine Weise stigmatisiert wurde.

Teamleiter entschuldigt sich

Die «Tagesschau»-Redaktion stellte die fehlerhafte Berichterstattung selbständig richtig, bevor die Beanstandung einging. Der Teamleiter Wirtschaft der «Tagesschau» entschuldigte sich zudem für den Fehler. Auch der SRF-News-Beitrag wurde korrigiert, wenngleich Blum mit der dort gewählten Formulierung nicht zufrieden war – er schlug daher vor, die Formulierung anzupassen, was inzwischen geschehen ist.


Schlussbericht Ombudsstelle 5484

Zur «Tagesschau» vom 19. Mai 2018

Zum SRF News-Beitrag «Drei Szenarien für Pierin Vincenz» vom 19. Mai 2018


Text: SRG.D/lh

Bild: Oskar Holenweger verlässt nach dem Freispruch das Gericht. Aus «Tagesschau» vom 19.5.2018. Screenshot, SRF.

Diese Beiträge könnten Sie auch interessieren:

Bild von Über die Relevanz von «Tagesschau»-Beiträgen

Über die Relevanz von «Tagesschau»-Beiträgen

Ombudsmann Roger Blum hatte sich bei einer Beanstandung der «Tagesschau» vom 30. April 2017 vor allem mit der Relevanz verschiedener Beiträge zu befassen. Welche Informationen sind relevant genug, damit sie es in die «Tagesschau» schaffen? Welchen Fokus wählt die Redaktion bei einem Ereignis und warum?

Weiterlesen

Bild von «50 Jahre Sechstagekrieg» beschäftigt auch den Ombudsmann

«50 Jahre Sechstagekrieg» beschäftigt auch den Ombudsmann

Ombudsmann Roger Blum behandelte eine Beanstandung des «Tagesschau»-Beitrags «50 Jahre Sechstagekrieg». Ein Fernsehzuschauer bemängelt den Bericht als unvollständig, einseitig und nicht sachgerecht. Zudem kritisiert er den Interviewpartner als antiisraelisch. Ombudsmann Roger Blum wertet den «Tagesschau»-Bericht und den gewählten Interviewpartner als zulässig. Allerdings hätte die unmittelbare Vorgeschichte des Sechstagekrieges gemäss Blum erwähnt werden müssen.

Weiterlesen

Bild von Beanstandung eines «Tagesschau»-Beitrags teilweise unterstützt

Beanstandung eines «Tagesschau»-Beitrags teilweise unterstützt

Der «Tagesschau»-Beitrag vom 10. Juni 2019 zum Bauprojekt eines dritten Hafenbeckens in Basel und dem damit verbundenen Projekt Gateway Basel Nord wurde als einseitig beanstandet. Ombudsmann Roger Blum unterstützt die Beanstandungen teilweise.

Weiterlesen

Alle Schlussberichte der Ombudsstelle jetzt ansehen

Teilen Sie uns Ihre Meinung mit (bitte beachten Sie die Netiquette und Rechtliches)

Lade Kommentare...
Noch keine Kommentare vorhanden

Leider konnte dein Kommentar nicht verarbeitet werden. Bitte versuche es später nochmals.

Ihr Kommentar wurde erfolgreich gespeichert und wird nach der Freigabe durch SRG Deutschschweiz hier veröffentlicht