Porträt von Stefan Reinhart
SRG Deutschschweiz News

«Der Selbstschutz der Korrespondent:innen ist das A und O»

Ein Jahr nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine befindet sich das Land noch immer im Ausnahmezustand. SRF widmet dem Jahrestag, dem 24. Februar 2022, mit diversen Sendungen einen thematischen Rück- und Ausblick. Im Interview lässt Stefan Reinhart, Leiter der Auslandredaktion im Newsroom, die vergangenen Monate aus publizistischer Sicht Revue passieren.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie auf das vergangene Jahr zurückschauen?
Bundeskanzler Olaf Scholz hat schon drei Tage nach dem Angriff von Russland auf die Ukraine von einer «Zeitenwende» gesprochen und das glaube ich persönlich auch. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurde nie mehr ein souveränes Land in Europa angegriffen. Es hat mich erschüttert, dass dies möglich ist. Man ist davon ausgegangen, dass solche Schlachten wie in den Weltkriegen des letzten Jahrhunderts der Vergangenheit angehören. Dass es dennoch wieder passiert, hat mich schockiert.

Auf Social Media kursieren pausenlos Kriegsbilder und -videos. Wie gelingt es, diese Fülle an Informationen mit der nötigen Distanz zu analysieren, ohne dabei gleichzeitig «abzustumpfen»?
Im Newsroom erreichen uns jeden Tag Bilder und Videos von unsäglichem Leid. Das beschäftigt einen, aber es soll keinen Einfluss haben auf unsere journalistischen Standards. Wichtig ist, dass wir in überfordernden Situationen Hilfe anbieten. Mitarbeitende, die etwa nicht mehr abschalten können, die in der Nacht von diesen Bildern träumen, können umfangreiche Betreuungsangebote im Haus nutzen. In solchen Fällen werden Betroffene fürs Erste auch aus dem Alltagsgeschäft herausgenommen.

In der täglichen Arbeit wurden Sie massgeblich vom Faktencheck-Team unterstützt. Wie hat diese Zusammenarbeit funktioniert?
Diese Unterstützung ist ein zentraler Teil unserer Arbeit. In Kriegssituationen erhalten wir ständig Bild- und Videomaterial von verschiedenen Quellen. Unser Faktencheck-Team ist hierbei sehr versiert und kann diese Dokumente nach diversen Faktoren analysieren: nach Sonnenstand, Uhrzeiten, Fahrzeug-Typen. Sie können etwa überprüfen, ob es beispielsweise in Bachmut vor zwei Wochen wirklich sonnig war. Eine hundertprozentige Sicherheit kann man allerdings nicht herstellen. Wenn wir nicht sicher sind, ob die Bilder authentisch sind, verwenden wir sie nicht.

Wie oft stehen Sie im Austausch mit den Korrespondent:innen in den beiden Ländern?
Thomas von Grünigen ist als Leiter der Auslandkorrespondent:innen natürlich näher dran. Als Chef vom Dienst stehe ich aber auch im Austausch mit den Korrespondent:innen. Dabei ist vor allem das Wohlergehen der Mitarbeitenden entscheidend. Mitarbeitende, die sich in einem Katastrophen- oder Kriegsgebiet aufhalten, müssen zuerst auf sich schauen. Selbstschutz ist das A und O.

Wie gehen Sie damit um, zu wissen, dass Ihre Mitarbeitenden einer akuten Gefahr ausgesetzt sind?
Das ist eine schwierige Situation, weil man ständig daran denkt. Bei Notfällen sind die Chefredaktion, Thomas von Grünigen oder ich als Chef vom Dienst 24 Stunden erreichbar. Wir haben von Haus aus gute Sicherheitsnetze gespannt und wissen, dass wir uns auf die Korrespondent:innen verlassen können. Sie haben ja auch Kriegsreporterkurse besucht und wissen, wie sie sich in verminten Gebieten, an Checkpoints oder in Mobs zu verhalten haben. Zentral ist dabei immer die Sprache. Sowohl Christof Franzen, als auch Luzia Tschirky oder David Nauer sprechen perfekt russisch und ukrainisch.

Sie haben die SRF-Sondersendung mitkonzipiert. Was war Ihnen bei der Entwicklung der Sendung besonders wichtig?
Seit einem Jahr dauert dieser Angriffskrieg von Putin auf die Ukraine. Es ist jetzt der richtige Moment, um vorauszuschauen. Wie hat sich unsere Welt verändert und wo stehen wir? Diese Fragen zu beantworten ist wichtig für das Selbstverständnis von Europa. Gerade im Hinblick auf die kursierenden Fake News brauchen die Menschen eine Orientierung. Was könnte noch passieren und wie reagiert die Welt darauf? Monika Schoenenberger und ihre Gäste werden darauf Antworten finden.

Das Programm zum Jahrestag

​Ab dem 16. Februar 2023 strahlt SRF eine Sondersendung, Dokumentarfilme, Reportagen und Spielfilme aus, die den Konflikt direkt oder indirekt thematisieren:

  • ​​​​«SRF DOK»: Russengeld und die Schweiz – eine Liebesbeziehung in der Krise
  • «SRF DOK»: Russlands Heimfront (Russian Voices)
  • «Perspektiven»​: Ikonen auf Munitionskisten: So trotzt ein ukrainisches Künstlerpaar dem Krieg
  • «Puls»: Ein Jahr Krieg – wie geht es den Kindern?
  • «Club»: Ein Jahr Ukraine-Krieg – Traurige Bilanz
  • «Reporter»​: Ein Haus zerstört im Krieg – Kriegsopfer und Hinterbliebene erzählen
  • «Kulturplatz»: Ein Jahr Krieg – Projekte der Hoffnung
  • «Gredig direkt» mit Bundesrätin Viola Amherd
  • «SRF News Spezial»: Sondersendung mit Monika Schoenenberger​

Text: SRF/Mirja Keller (Interview)

Bild: SRF/Oscar Alessio

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