Resonanzradar #12: «Man muss dem Frauenfussball Zeit zum Wachsen geben»
Zum Abschluss des Dialogfensters «Der Grossanlass auf dem Bildschirm – Das SRF-Programm als Ort der Begegnung» sprach das Leitungsteams des Publikumsrats SRG.D mit ausgewählten Personen über die gesellschaftlichen Auswirkungen der UEFA Women’s EURO 2025. Die Interviews legen nahe: Das Grossereignis hat keinen Boom bewirkt, aber dennoch gesellschaftliche Prozesse angestossen – zum Beispiel häufigere Anfragen von interessierten Sponsoring-Partnern und ein leichter Spielerinnenzuwachs in den Trainings. Leitungsteam-Mitglieder Eveline Hipeli und Christof Thurnherr erläutern die Erkenntnisse aus den Gesprächen.
Über den Resonanzradar
Über den Resonanzradar
Der «Resonanzradar» ist der Blog des Leitungsteams des Publikumsrats der SRG Deutschschweiz. In regelmässigen Abständen informiert es so zu Neuigkeiten und Erkenntnissen aus dem Resonanzraum.
Infobox zu den Interviewpartner:innen
Rahel Graf: Leiterin Frauenfussball FC Luzern
Stephanie Erne: Cheftrainerin U20 FC Luzern und Gründerin Förderverein F19
Franziska Frauenfelder: Sekundarlehrerin und Mutter zweier Kinder, hat seit sie 13 Jahre alt war in verschiedenen Vereinen Fussball gespielt
Pirmin Meyer: Jurist, ist Co-Founder von allyship.ch und dem Verein WE/MEN, beschäftigt sich mit den Themen Gleichberechtigung und Allyship im Alltag, hat zwei fussballbegeisterte Söhne
In den vergangenen Monaten widmeten wir uns im Rahmen des Dialogfensters «Der Grossanlass auf dem Bildschirm – Das SRF-Programm als Ort der Begegnung» zwei Schweizer Grossevents und der Wirkung der medialen Berichterstattung darüber. Zunächst war dies der Eurovision Song Contest in Basel, danach die Women’s EURO in der ganzen Schweiz. Als Abschluss sprachen wir im Nachgang zur Europameisterschaft mit vier ausgewählten Personen (siehe Box) über den Grossanlass und seine gesellschaftliche Wirkung.
Sorgfältige Berichterstattung durch SRF gewürdigt
Als Einstieg in die Gespräche interessierte uns, wie die Interviewpartner:innen die Berichterstattung von SRF wahrgenommen haben. Alle kommen einstimmig zu einem sehr positiven Fazit. In den Worten von Stephanie Erne: «Ich war überwältigt vom Umfang und von der Art der Berichterstattung. Es wurde viel berichtet, die Berichte waren vielfältig und gingen tief».
Gerade beim Vergleich zwischen dem Fussball der Männer und der Frauen hat die Berichterstattung von SRF gemäss den Befragten Grosses geleistet. Der Vergleich schwinge allein schon bei der Bezeichnung «Frauen»-Fussball mit. Aber er sei in den Sendungen in Radio, Fernsehen und Online nie plakativ ausgeschlachtet worden. «Vor allem der Beitrag der Sendung ‹Einstein› ging sehr einfühlsam mit dem Thema um», bestätigt Rahel Graf. Und nach Erne sei das in dieser Diskussion der zentrale Punkt: «Frauenfussball ist zwar nicht eine andere Sportart. Aber sie wird anders gespielt.»
Kein Ansturm, aber merklich mehr Nachwuchs, Fans und Sponsoren
Gemäss Stephanie Erne sind auch bereits einzelne Effekte der Berichterstattung bemerkbar. Tatsächlich war ein leichter Spielerinnenzuwachs in den Trainings zu verzeichnen. Auch für das diesjährige Herbst-Camp sind schon überdurchschnittlich viele Anmeldungen eingegangen. Ein grosser Boom sei allerdings ausgeblieben. Ob auf Seiten Publikum eine Veränderung eingetreten ist, wird sich zeigen, wenn die Liga wieder anfängt. Konkret angesprochen auf die Trainings-Infrastruktur sei eine Bilanz heute verfrüht. Man befinde sich noch immer in einer Startphase; aus Erfahrung wird sich erst in zwei bis drei Jahren abzeichnen, ob und wie sie alles entwickelt.
Auch Rahel Graf konnte im Rahmen der EM feststellen, dass sich in der Innerschweiz mehr Mädchen mit Freude dem Fussball zuwandten. Daneben stellt sie fest, dass Frauen im Fussball an Ansehen gewonnen haben. Zum Beispiel kamen mehr Anfragen für Autogrammstunden auch an weiblichen Spielerinnen. Die EM hatte aber auch andere positive Effekte: durch den Anlass kamen sie neu in Kontakt mit vielen weiblichen CEOs, wodurch ein kleines Netzwerk entstanden ist. Dabei sei die mediale Vermittlung des Frauenfussballs entscheidend, gerade weil sich aus ihr auch eine längerfristige gesellschaftliche Wirkung ergeben könne, ist Rahel Graf überzeugt: «Wir merken das konkret daran, dass wir aktuell vermehrt Anfragen von interessierten Sponsoring-Partnern erhalten. Wenn mehr Geld fliesst, dann haben wir selbst die Möglichkeit, die Rahmenbedingungen des Frauen-Fussballs zu verbessern.»
Und diese Rahmenbedingungen sind im wahrsten Sinne des Wortes matchentscheidend. Franziska Frauenfelder, die, nachdem sie Spielerin selbst auch Teammanagerin war, ist rückblickend auf ihre eigene Karriere überzeugt, dass sie mit stärkerer Förderung wahrscheinlich weitergekommen wäre. «Vielen Spielerinnen geht es noch heute so» stellt sie fest. «Für viele Mädchen bleibt Fussball ein Hobby und anders als bei Knaben bleibt der Gedanke, davon leben zu können, ist noch immer kaum präsent.»
Veränderungen brauchen Zeit
«Es tut sich was – aber da geht noch mehr!», könnte das Fazit dieser Schlussbefragung lauten. Was würden sich die Befragten denn für die Zukunft wünschen? Franziska Frauenfelder denkt bei dieser Frage an die Verbände und Vereine, die eine offenere, gerechtere Haltung gegenüber dem Frauenfussball entwickeln könnten. Rahel Graf und Stefanie Erne hoffen, dass sich Ressourcen und Rahmenbedingungen weiter verbessern, wobei die Medien eine wichtige Rolle spielen könnten. Die Entwicklung brauche Ressourcen und diese flössen, wenn der Frauenfussball – auch ohne Grossevent wie die EM – sichtbar bleibt. Würden die Medien Fussballerinnen als starke Vorbilder präsentieren, wenn die Sportsendungen auch über die Schweizer Liga berichteten, wenn die Spiele in den Nati-Pausen übertragen würden und die Frauenteams dafür Zugang zu den grossen Arenen erhielten, dann seien die Voraussetzungen für eine Veränderung in der Gesellschaft da.
Doch solche Veränderungen brauchen Zeit, da sich die Haltungen in den Köpfen der Menschen nur allmählich wandeln. Das weiss auch Pirmin Meyer von seinem Engagement für Geschlechtergerechtigkeit bei Projekten wie allyship.ch oder wemen.ch. Umso wichtiger sind für ihn mutige Menschen, die im Beruf, im Verein, im Sport oder in der Politik konsequent dafür einstehen und danach Handeln, dass alle gleichwertig behandelt werden. So wird es vielleicht irgendwann keinen «Frauenfussball» mehr geben, sondern einfach nur «Fussball».
Gemäss Stephanie Erne sollte man aber keine Wunder erwarten. Aus Sicht des Frauenfussballs sei es auch nicht unbedingt wünschenswert, dass die Veränderungen allzu rasch auftreten. Es bestehe doch eine erhebliche Gefahr, dass der Frauenfussball durch eine zu rasch auftretende Veränderung der Umstände überfordert würde, mit unklaren Konsequenzen. «Man muss dem Frauenfussball Zeit zum Wachsen geben.»
Zu den Autor:innen:
Eveline Hipeli und Christof Thurnherr sind Mitglieder des Leitungsteams Publikumsrat SRG.D.