Wie schon im Vorjahr – Der Nahost-Krieg dominiert auch 2024
Mit unverminderter Härte dauerte der am 7. Oktober 2023 durch die beispiellose Terrorattacke der Hamas provozierte Nahost-Krieg im ganzen Jahr 2024 an. Die Härte zeigte sich auch bei der Ombudsstelle. Nicht nur ging ein Viertel der 852 Beanstandungen auf den Krieg zurück. Auch der angeschlagene Ton in den Eingaben war grösstenteils schwer erträglich.
Die Ombudsstelle verzichtet auf ausführliche Erwägungen zu den im Berichtsjahr über 200 eingegangenen Beanstandungen zum Nahost-Krieg. Denn so unversöhnlich, kompromisslos und dialogverweigernd sich die beiden Kriegsparteien gegenüberstehen, so unversöhnlich, kompromisslos und dialogverweigernd war auch der grösste Teil der Eingaben des «pro palästinensischen» und des «pro israelischen» Lagers. Die Schlussberichte, die trotz auch persönlicher Attacken auf die Ombudsleute sachlich gehalten sind, sind zu einem grossen Teil auf der Webseite der Ombudsstelle nachzulesen. Beide Lager hielten sich in der Anzahl der Beanstandungen ungefähr die Waage. Mehrheitlich fehlte die Bereitschaft, sich mit der anderen Meinung auseinanderzusetzen und in vielen Fällen wurde die eigene Ansicht argumentativ wenig begründet oder konkretisiert. Die Fakten wurden umgedeutet, bis sie zur eigenen Ideologie passten. Die vielen WhatsApp-Gruppen und andere Kanäle der Sozialen Medien führten durch die Wiedergabe einseitiger Nachrichten zu vielen (auch anonymen) «Massenbeanstandungen».
Die flächendeckende Berichterstattung durch SRF in allen möglichen Gefässen war grösstenteils sachgerecht. Daran hält die Ombudsstelle trotz der gegenteiligen Überzeugung der Beanstandenden fest. Verstösse gegen das Sachgerechtigkeitsgebot gab es. Aber sie waren die Ausnahme. Besonders kritisch wurde der «Live-Ticker» zum Nahost-Krieg beobachtet. Den per Definition kurz gehaltenen aktuellen Nachrichten ist es zuzuschreiben, dass dort am ehesten Verstösse gegen Art. 4 Abs. 2 des Radio- und Fernsehgesetzes vorkamen. Wenn beispielsweise ein Spital in Gaza durch Israel bombardiert wurde und diese Aktualität bekannt wurde, ist der Titel «Israel bombardiert Hamas-Zentrale in Gaza» nicht sachgerecht, auch wenn in den folgenden Zeilen dann genannt wurde, dass diese Information von der israelischen Regierung stammte. Zum Zeitpunkt des Angriffs stand nicht fest, dass es sich wirklich um eine Hamas-Zentrale handelte.
Überdurchschnittlich oft wurde beanstandet, dass dem Leid der Bevölkerung von Gaza zu viel Platz und zu viel Emotionalität eingeräumt und die Ursache dieses Leids, nämlich die Terrorattacke der Hamas am 7. Oktober, zu wenig genannt worden sei. Bei einer weltweit medial so intensiven Berichterstattung darf aber vorausgesetzt werden, dass die Geschehnisse am 7. Oktober 2023 bekannt sind und nicht in jeder Informationssendung wiederholt werden müssen. Immer wieder betonte die Ombudsstelle, dass das humanitäre Völkerrecht prinzipiell neutral ist gegenüber der Ursache eines Konflikts. Der menschenverachtende Terrorangriff der Hamas ist beispiellos. Aber SRF muss die Reaktion der israelischen Regierung, die Zehntausenden von Menschen das Leben kostet, nennen können, ohne automatisch des Antisemitismus bezichtigt zu werden. Genau dies brachten jedoch sehr viele Beanstandende vor. Umgekehrt war SRF nicht vorzuwerfen, sie verneine das Selbstverteidigungsrecht Israels oder bezichtige das Land des Genozids oder bezeichne es gar als Apartheid-Staat. SRF hat zwar über solche Vorwürfe berichtet, sich diese in der Berichterstattung aber nie zu eigen gemacht.
Wie schon bei der ersten Wahl Donald Trumps hat auch die zweite Wahl des 47. US-Präsidenten zu vielen Beanstandungen geführt. SRF hat sich entsprechend des Auftrags zur objektiven Berichterstattung in der Interpretation des Wahlergebnisses zurückgehalten. Allerdings gehört es zu einer differenzierten Berichterstattung, auch den Stil und den Auftritt Trumps zu beschreiben. Provokationen, Polarisierungen, sexistische Bemerkungen des Präsidenten und gewisse personelle Nominationen sind ebenso zu nennen wie die Berichterstattung über seine umstrittenen wirtschaftlichen und aussenpolitischen Pläne, ohne dass SRF die Wahl Trumps in Zweifel gezogen hätte. Wobei die Ombudsstelle da und dort eben doch einen Verstoss gegen das Sachgerechtigkeitsgebot feststellte. Beispielsweise, wenn Trump vorgeworfen wird, ein verurteilter Steuerbetrüger zu sein. Es war nämlich nicht er persönlich, sondern seine Firma, die «Trump Organization», die verurteilt wurde.
Als drittes aussenpolitisches Thema stiessen sich viele Beanstandende an der Berichterstattung über die AfD. Wann immer im Zusammenhang mit der demokratisch gewählten Partei der Begriff «rechtsextrem» fiel, gingen Beanstandungen ein, die forderten, dass «SRF neutral und objektiv berichtet und keine politische Stellung bezieht». In der Wahl der Begrifflichkeit muss SRF weder neutral noch objektiv sein. Die Begriffe müssen einfach zutreffen. Mehrere Gerichte in verschiedenen Bundesländern haben Klagen der AfD gegen die Einstufung als «rechtsextrem» bzw. «rechtsextremer Verdachtsfall» zurückgewiesen. SRF hat diese Begriffe differenziert verwendet, die fremdenfeindlichen und teilweise gar antisemitischen Positionen aber nicht verschwiegen. Auch das gehört zum Informationsauftrag des öffentlichen Senders.
Auch wenn wie in all den Jahren die politischen Informationssendungen am häufigsten beanstandet werden, kann SRF auf grosse Beachtung anderer Publikationsformen zählen. Die Vielfalt wird ganz offensichtlich beachtet. So wurde beispielsweise die Mundartrubrik «Schwiiz und dütlich» kritisiert, welche zum Wort «spanifle» eine kausale Verbindung zwischen dem Jenischen Wörterbuch und der sogenannten Gaunersprache herstellte. Was diskriminierend ist. Ebenfalls mehrmals – und zu Recht – beanstandet wurde die Buchbesprechung von Jolanda Spiess-Hegglin in «srf.ch Kultur». Auch wenn Buchrezensionen immer subjektiv ausfallen, müssen die Fakten doch stimmen. Gegen dieses Gebot wurde im besagten Beitrag gleich mehrmals verstossen.
Entsprechend dem Medienverhalten werden auch die Aktivitäten von SRF in den Sozialen Medien immer mehr beachtet. Ein Post fiel ganz besonders auf: Auf dem Instagram-Kanal von Radio SRF 3 wurde eine Karikatur gezeigt. Unter dem Titel «Was hilft gegen Stau?» war ein Kuchendiagramm zu sehen mit folgenden Antwortvarianten: 1. Mehr Autobahnspuren, 2. Mehr Tunnel, 3. Weniger Autos. Darunter wurde festgehalten: «Alte Erkenntnis: Wer Strassen sät, wird Verkehr ernten.» Kurz vor der Abstimmung über den Bundesbeschluss über den Ausbauschritt 2023 für die Nationalstrasse im November 2024 konnte der Cartoon als Abstimmungskampagne von Umweltverbänden verstanden werden, was gegen die Verpflichtung zur politischen Neutralität verstiess.
Von den 852 materiell geprüften Beanstandungen und den 293 ebenfalls bei der Ombudsstelle anhängig gemachten Eingaben, die aus allen möglichen Gründen nicht in die Zuständigkeit der Ombudsleute fielen, wurden 8,7 Prozent ganz oder teilweise unterstützt. Die Ombudsstelle hat gegenüber den Redaktionen keine Weisungsbefugnis, hat aber nicht selten eine Empfehlung ausgesprochen. Nämlich dann, wenn weder ein Grundrecht noch das Sachgerechtigkeitsgebot gemäss Art. 4 Abs. 1 und 2 des Radio- und Fernsehgesetzes verletzt, aber doch gravierende Ungenauigkeiten oder Unterlassungen begangen wurden.

Seit dem 1. März 2024 führen Esther Girsberger und Urs Hofmann die Ombudsstelle in Co-Leitung, nachdem die Amtszeit von Kurt Schöbi Ende Februar 2024 abgelaufen ist und er sich entschieden hat, keine zweite Amtsperiode anzutreten. Die Co-Leitung bewährt sich auch unter der neuen personellen Zusammensetzung. Die beiden Ombudsleute, die zusammen ein 140-Prozent-Pensum ausüben, tauschen sich regelmässig aus, besprechen die Beanstandungen und zeichnen gemeinsam für alle Schlussberichte. Sie führen ihre Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen und mit der gehörigen Sorgfalt aus. In der Überzeugung, dass SRF sich um fundierte, gut recherchierte Beiträge bemüht, eine dem Service public entsprechende Vielfalt bietet und sich in erster Linie der unabhängigen Information und nicht den klickgetriebenen Inhalten verpflichtet fühlt.
2024 eingegangene Beanstandungen bei der Ombudsstelle
Verfahren | Anzahl | Prozent |
2024 eingegangene Beanstandungen | 852¹ | 100 |
Nicht eingetreten (Frist abgelaufen / Konkretisierung nicht erfolgt /anonym) | 72 | 8.4 |
Nicht zuständig (kein Ombudsfall gemäss RTVG) | 293² | |
Zurückgezogen | 8 | 0.9 |
Direkt beantwortet von Ombudsstelle | 144 | 16.9 |
Begegnung mit Beanstanderinnen und Beanstandern | 1 | 0.1 |
Weitergeleitete «leichte» Fälle an die Redaktion (die redaktionelle Stellungnahme wird durch die Ombudsstelle als Schlussbericht versandt) | 124 | 14.6 |
Materiell behandelte Beanstandungen (mit Stellungnahme der Redaktion) | 454 | 53.3 |
Kommentarspalten | 49 | 5.8 |
Ende 2024 noch hängige Fälle | 0 | 0 |
¹: Einzelne Publikationen wurden teilweise mehrfach (bis zu 73 Mal pro Sendung) beanstandet.
²: 293 Eingaben waren kein Ombudsfall gemäss RTVG. Sie wurden bei den «eingegangenen Beanstandungen» nicht mitgezählt und von den Ombudsleuten nicht behandelt. Diese Eingaben mussten aber von der Geschäftsstelle administrativ abgewickelt werden, weshalb sie als Zahl hier aufgeführt sind.