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«Die Menschen wollen wissen, was vor ihrer Tür passiert»

Rolf Hieringer leitet die Regionalredaktionen von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). Im Rahmen der Zürcher GV, wo er als Gastredner auftrat, sprach LINK mit ihm über den Medienwandel, die Abgrenzung zu den Privaten und über die Zukunft des Regionaljournals.

– Von Oliver Schaffner

«Angebote, wie sie ein Regionaljournal liefert, helfen in der Gewichtung, sind Kompass, sind Filter und tragen schliesslich dazu bei, dass Bürgerinnen und Bürger eine mündige Rolle in unserer Demokratie spielen können.» (Rolf Hieringer). Bild: Colourbox /

LINK: Rolf Hieringer, der Tante-Emma-Laden feiert sein Comeback, das Regionale ist wieder in. Ist der Trend zu Regionalem auch in den Regionalredaktionen zu spüren?
Rolf Hieringer: Das Interesse an regionalen Themen ist tatsächlich stark. Das bestätigen alle Umfragen beim Publikum. Oft steht Regionales vor Aussen- oder Wirtschaftspolitik – das heisst, die Menschen wollen wissen, was vor ihrer Tür passiert, was sie direkt angeht. Wir sind überzeugt, dass unser Angebot mit den Kernthemen regionale Politik und Wirtschaft, Kultur und gesellschaftliche Themen sehr gefragt ist.

Spürt das Regionaljournal diesen Trend auch bei der jüngeren Generation? Immerhin liegt das Zuschauer-Durchschnittsalter z. B. bei den regionalen Berichten von «Schweiz aktuell» bei 65 Jahren. Das sind acht Jahre mehr als beim restlichen SRF-Programm.
Das Durchschnittsalter bei Radio SRF 1 ist nicht ganz so hoch, aber auch über 60. Und natürlich ist das Interesse an regionalen Themen ebenfalls bei Jüngeren gross. Wir versuchen, auch dieses Publikum zu erreichen. Was wir feststellen: Die Besucher unserer Online-Seiten sind deutlich jünger und oft keine Regionaljournalhörer. Jüngere holen sich also tendenziell ihre Regionalinformationen aus unseren Internetangeboten. Das ältere Publikum hingegen nützt dieses Angebot weniger, hört dafür mehr Radio.

«Jüngere holen sich also tendenziell ihre Regionalinformationen aus unseren Internetangeboten. Das ältere Publikum hingegen nützt dieses Angebot weniger, hört dafür mehr Radio.»

In den letzten Jahren hat in den Bakom-Studien die Regionalberichterstattung der SRG schlechter als die Privaten abgeschnitten. Warum?
Die Studien stellen lediglich fest, dass die Privaten das Lokale besser abbilden. Dies hat offensichtlich mit der Einschränkung auf die erwähnten Kernthemen zu tun. Im Gegensatz zu den Privaten decken wir nicht das ganze Spektrum ab. Wir sind auch kein Veranstaltungskalender. Unsere Regionaljournale sind in Radio SRF 1 eingebettet, einem in erster Linie nationalen Sender. Wir senden fünfmal täglich aus den Regionen – morgens und mittags kürzer, am Abend länger. Hinzu kommt noch das tägliche «Regional Diagonal». Alles in allem kommen wir damit aber nicht mal auf eine Stunde regionale Berichterstattung pro Tag. Private hingegen senden den ganzen Tag, und das aus ihrer Region, sie reagieren rasch und sind stets mit lokalen Themen auf dem Sender. Das sind komplett andere Voraussetzungen, um das lokale Geschehen abzubilden.

Das Radio ist vom Informations- zum Begleitmedium geworden. Hat das Konsequenzen fürs Regi?
Das ändert an der erwähnten Grundidee nichts. Wir wollen auch als Begleitmedium die gleiche Qualität an Informationen liefern wie immer schon.

«Wir wollen auch als Begleitmedium die gleiche Qualität an Informationen liefern wie immer schon.»

Wenn ich dann aber nicht zufällig zur richtigen Zeit zuhöre, habe ich all die relevanten Informationen des Regi verpasst. Wie sichern Sie sich Ihr Publikum?
Indem wir nicht auf das Publikum warten, sondern zu ihm gehen. Dabei spielt das Internet natürlich ein grosse Rolle: Unser Angebot soll jederzeit abrufbar, also aktuell sein. Wir stellen zum Beispiel fest, dass morgens, wenn die Leute ins Büro kommen, der Traffic auf unseren Portalen ansteigt. Man fährt also den Computer hoch, und bevor man zu arbeiten beginnt, informiert man sich. Wenn man es nicht schon auf dem Smartphone getan hat. Unser Credo aber bleibt: Wir wollen auch auf diesen Kanälen mit der gleichen Qualität informieren und glaubhaft sein wie im Radio. Unsere publizistischen Grundsätze gelten ja für alle Medien, die wir bedienen.

Das Bakom hat die Texte der SRG im Web ohne Bezug zu ausgestrahlten Sendungen auf 1000 Zeichen begrenzt. Stört Sie das nicht bei der Entwicklung Ihrer Strategie?
Wir können mit dieser Beschränkung gut leben. Wir wollen ja keine Zeitung machen. Praktisch alle unsere Online-Nachrichten haben Bezug zu einer Sendung, weil das gleiche Thema auch in einem Regionaljournal behandelt wird. Die Beschränkung betrifft uns vor allem dann, wenn wir eine Nachricht schon mehrere Stunden vor der nächsten Sendung online publizieren wollen; dann wird eine kurze, regelkonforme Auftaktmeldung geschrieben, die kurz vor oder nach der Sendung aufdatiert und ausgebaut wird.

«Praktisch alle unsere Online-Nachrichten haben Bezug zu einer Sendung, weil das gleiche Thema auch in einem Regionaljournal behandelt wird.»

Die Online-Nachrichten der SRF-Regionalredaktionen sind übrigens beliebt, das beweisen die wachsenden Besucherzahlen.

Heute werden wir in allen Medien mit News zugedeckt, meistens sogar noch kostenlos. Brauchen wir überhaupt Regionalberichterstattung im Service public? Einen Pflichtauftrag hat die SRG diesbezüglich in der Konzession ja nicht.
Man kann bei der ganzen Informationsflut heute schon den Eindruck erhalten, man sei über alles jederzeit bestens und umfassend informiert. Aber glauben Sie mir: Das ist ein Irrglaube. Gerade verlässliche, unabhängige Angebote, wie sie ein Regionaljournal liefert, helfen in der Gewichtung, sind Kompass, sind Filter und tragen schliesslich dazu bei, dass Bürgerinnen und Bürger eine mündige Rolle in unserer Demokratie spielen können.

«Man kann bei der ganzen Informationsflut heute schon den Eindruck erhalten, man sei über alles jederzeit bestens und umfassend informiert. Aber glauben Sie mir: Das ist ein Irrglaube.»

Der Service public verspricht die Vermittlung von sachlich korrekten Informationen. Gibt es sprachregionale Unterschiede, wie diese Inhalte aufbereitet werden?
Gerade in der Radio-Information gibt es deutliche Unterschiede. Die lateinischen Kolleginnen und Kollegen aus Lugano, Lausanne oder Chur vermitteln die Nachrichtenlage viel narrativer. Stark zugespitzt heisst das, dass wir die Nachrichten verlesen, die anderen erzählen sie. Das ist sicher kulturell bedingt. Wir Deutschschweizer wollen es auf den Punkt gebracht haben, wollen ganz genau sein. Bei den Welschen spielt zum Beispiel das Unterhaltende auch in den Nachrichten eine grössere Rolle. Aber wenn wir versuchen, sie zu kopieren, tun wir uns schwer damit, und es heisst dann auch schnell: «Das isch denn gschwätzig ...»

Rolf Hieringer: «Bei den Welschen spielt zum Beispiel das Unterhaltende auch in den Nachrichten eine grössere Rolle. Aber wenn wir versuchen, sie zu kopieren, tun wir uns schwer damit, und es heisst dann auch schnell: ‚Das isch denn gschwätzig…’».

Die Medien sollen vielfältig sein, heisst es immer. Inwiefern trifft das bei der Moderation der Regis zu? Werden wir in Zukunft mehr St. Galler Moderatoren im Berner Regi, mehr Aargauer Dialekt in Basel hören?
Der «richtige» Dialekt spielt sicher eine wichtige Rolle, denn er prägt die Regionaljournale, ist ein Merkmal, eine Marke. Das heisst: Im Regionaljournal Zürich Schaffhausen sollen grundsätzlich Leute aus dieser Region arbeiten. Doch wir machen bewusst auch Ausnahmen. Gerade im Raum Zürich wohnen ja viele Nicht-Zürcher, eine Bündnerin kann also durchaus im Regionaljournal Zürich Schaffhausen moderieren.

Die Regionalredaktionen und die SRG.D Mitgliedgesellschaften sind lokal verankert. Sie arbeiten teilweise unter einem Dach. Wie erleben Sie ihre Kooperation?
Die Regionalredaktionen und die Trägerschaft arbeiten heute punktuell zusammen. Zum Beispiel sind die Programmkommissionen für uns äusserst wertvoll. Sie hören unsere Sendungen mit anderen Ohren als wir, sie schauen sich unseren Online-Auftritt mit anderen Augen an. Und sie legen hin und wieder den Finger auf wunde Punkte. Die Zürcher Programmkommission hat zum Beispiel anschaulich dargelegt, wie schwierig das regionale Angebot auf der SRF-Site zu finden ist. Damit konnten wir auch gegen innen belegen, dass man etwas ändern muss. Heute sind die Angebote einfacher zu finden, auch dank dieser Unterstützung. Auch bei Aussenauftritten gibt es gute Kooperationen, zum Beispiel beim «MäntigApéro», dem öffentlichen Talkevent zu Berner Themen. Die SRG Bern Freiburg Wallis lädt ein, erledigt das Organisatorische und übernimmt den Apéro und wir von der Regionalredaktion führen die Gespräche. Das entlastet uns und bringt uns gute Hörerbindung.

«Wir haben zwar eine ausgeprägte, interne Feedbackkultur, aber am Ende sind es immer Innenansichten von Medienleuten. Jeder Hinweis von aussen ist daher hilfreich.»

Könnte die Zusammenarbeit mit der Trägerschaft noch weiter ausgebaut werden?
Machen Sie bitte weiter so! Wir sind dankbar fürs Zusammenarbeiten und auch für die fundierten Aussensichten, so können wir die Qualität steigern. Wir haben zwar eine ausgeprägte, interne Feedbackkultur, aber am Ende sind es immer Innenansichten von Medienleuten. Jeder Hinweis von aussen ist daher hilfreich.

Wie sieht die Regionalberichterstattung der SRG in 20 Jahren aus?
Jeder, der in diesem Beruf arbeitet, wäre froh, er wüsste, wie die Medienwelt in fünf Jahren aussieht. Wie informiert sich das Publikum? Über welche Kanäle? Und wie erreichen wir als Macher das Publikum? Mit fünf Regionaljournal-Sendungen pro Tag? Oder braucht es zusätzlich andere, fragmentiertere Angebote?

«Jeder, der in diesem Beruf arbeitet, wäre froh, er wüsste, wie die Medienwelt in fünf Jahren aussieht. Wie informiert sich das Publikum? Über welche Kanäle? Und wie erreichen wir als Macher das Publikum?»

Also: Nix ist fix, alles ist im Wandel, die Technologie als Treiber, die Unsicherheit ein steter Begleiter. Was konstant bleiben muss, ist unser Verständnis für Journalismus: gute, seriöse, unaufgeregte Berichterstattung. Das ist der Kurs, den wir einhalten, egal, in welchem Boot wir sitzen.

Interview: Oliver Schaffner

Zur Person
Rolf Hieringer (aus Pontresina / GR) ist seit 2009 Abteilungsleiter Regionalredaktionen SRF. In seiner Funktion ist er für die publizistische, personelle und finanzielle Führung der Regionalredaktionen verantwortlich. Er fing 1993 bei Schweizer Radio DRS als Redaktor beim Regionaljournal Ostschweiz an. Zwischen 2005 und 2009 war er Leiter der Nachrichtenredaktion von SR DRS.


Wie beurteilen Junge das Regi?

Bei der Programmkommission der SRG Zürich Schaffhausen stand im Juni eine besondere Beobachtung auf dem Programm: Bei der Beurteilung des Regionaljournals Zürich Schaffhausen stand nämlich in erster Linie die Meinung von jungen Leuten zwischen 18 und 30 Jahren im Zentrum. Interessieren sich junge Leute für regionale News? Hören sie überhaupt noch Radio? Wann, wo und wie informieren sie sich? Und wie könnte das Regi mehr junge Zuhörerinnen und Zuhörer gewinnen?

Was bei der Beobachtung herausgekommen ist? Der Schlussbericht und weitere Informationen zur Beobachtung sind abrufbar unter: www.srgzhsh.ch > Organisation & Gremien > Programmkommission oder unter www.srginsider.ch > Meinungen


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