Reporter
SRG Deutschschweiz Magazin LINK

Wenn sich der Beitrag um die eigene Oma dreht

Ende November werden in Basel die Gewinner des «featurepreis ’14» ausgezeichnet. Zentrales Thema in der Jury-Diskussion und auffällig in den eingereichten Beiträgen: die Rolle des Reporter-Ichs. Siegerin Paula Schneider stellt gar ihre Grosseltern ins Zentrum ihres Features.

– Von Alexandra Hänggi

Kaum eine Frage wird in Journalistenkreisen so heftig diskutiert wie die um das explizite Ich in Doku-Beiträgen. Während im Nachrichtenjournalismus, im Streben nach Objektivität, das Autoren-Ich nichts verloren hat, scheiden sich die Geister bei den freieren Formen. In Redaktionen, wo das Erwähnen der berichtenden Person im Beitrag absolut verboten ist, wird oft mit journalistischer Distanz argumentiert. Die Verfechter des Ich in Reportagen und Features halten dem die Glaubwürdigkeit dagegen: Ein klar genanntes Ich sei ehrlicher und schaffe Identifikation. «Ich»-Beiträge sind derzeit in allen Medien auf dem Vormarsch. Auch der Jury des «featurepreis ’14» fällt die grosse Zahl an Einreichungen auf, in denen der Autor oder die Autorin vorkommt. Von den 20 Beiträgen weisen acht Features ein explizites Ich auf, in drei weiteren kommt der Autor im Text zwar nicht vor, ist aber sehr präsent.

Mut zum offenen Ich

Jurymitglied Christian Gasser, Autor und Radiomann mit grosser Feature-Erfahrung, stellt fest, dass in letzter Zeit Redaktionen das Ich vermehrt verlangen. «Diese Entwicklung hat mit einem amerikanischen Journalismus-Verständnis zu tun, das nach Mitteleuropa schwappt.» Gasser steht dem erzählenden Ich aus Prinzip skeptisch gegenüber. Und wenn sich der Reporter in den Mittelpunkt stellt, empfindet er dies oft als eitel.

Diese Entwicklung hat mit einem amerikanischen Journalismus-Verständnis zu tun, das nach Mitteleuropa schwappt. (Jurymitglied Christian Gasser)

Dass man sich selbst auch raffiniert einbringen kann, zeigen die Gewinner des «featurepreis ’14». Auf den dritten und ­ersten Platz haben es nämlich Beiträge ­geschafft, in denen sich der Autor und die Autorin zu erkennen geben. So lässt Achim Nuhr die Hörerschaft hautnah an seiner Recherche zu den digitalen Trojanern des deutschen Staats teilhaben. Das Publikum kann Schritt für Schritt die ­Dimensionen des umstrittenen Tuns er­fassen und ermessen.

Persönlicher Bezug ist Bedingung

Einen speziellen Ansatz wählt Paula Schneider in ihrem Feature über Liebe im Altersheim: Sie stellt ihre eigenen Gross­eltern ins Zentrum. Angefangen habe sie einst mit Radiofeatures in Bunkern und Gefängnissen, weit weg von ihrer Person, erzählt die Autorin. Der Mut, offen über sich und das eigene Umfeld zu erzählen, habe erst wachsen müssen. Jetzt ist der Mut da – soll doch in ihrem nächsten ­Feature ihr Geburtstag eine Rolle spielen.

Für den preisgekrönten Beitrag aus dem ­Altersheim war nicht die Oma, die seit einiger Zeit im Heim lebt, der eigentliche Auslöser: «Ich wollte schon lange über Liebe unter den Bedingungen von Alter und Pflege erzählen.» Im Feature bildet die Situa­tion der Grosseltern zwar die Basis, doch ­öffnet Schneider den Fokus auch auf andere Paare. Ziel sei nie ein privates Stück gewesen. «Die Geschichte der Oma ist zwar berührend, aber nicht die einzige Variante.»

Dass die Autorin selbst im Feature nur am Rand vorkommt, ist denn auch Absicht. Zum einen sollte das Stück ausschliesslich im Sophienhaus in Weimar angesiedelt sein. Und auch inhaltlich: «Das Thema ist gross genug, da wollte ich nicht noch andere Geschichten, wie meine Beziehung zu den Grosseltern, mit hineindrängen.»

Zum «Ich» im journalistischen Schaffen fügt Paula Schneider an, dass sie mit dem in letzter Zeit häufigen Reporter-Ich ohne persönlichen Bezug zum Thema wenig anfangen könne. Womit sie bei Jurymitglied Christian Gasser wohl auf Zustimmung stos­sen würde. – Übrigens, alle Entscheide der «featurepreis»-Jury fielen einstimmig.

Alexandra Hänggi, LINK-Autorin und
Präsidentin der «featurepreis»-Jury 2014

Bild: Shutterstock


«featurepreis ’14» der Stiftung Radio Basel:

1. «Bleib bei mir, denn es will Abend
werden – Lieben im Altenheim»,
Paula Schneider, Deutschlandfunk

2. «Der entpuppte Mann – Stationen ­einer grossen Erleichterung»,
Cornelia Kazis, Radio SRF 2 Kultur

3. «Der Staat und seine Trojaner»,
Achim Nuhr, Hessischer Rundfunk

Mehr unter www.featurepreis.ch


Diese Beiträge könnten Sie auch interessieren:

Bild von «featurepreis '13» der Stiftung Radio Basel

«featurepreis '13» der Stiftung Radio Basel

29.11.2013 | Das Siegerfeature 2013 stammt vom Österreichen Autorenduo Andreas Kuba und Günter Kaindlstorfer. «Special Agent Miller» erzählt die Geschichte eines Wiener Juden, der nach dem Krieg vom Opfer zum Täter wurde. Als ebenbürtig erachtet die Jury des «featurepreis» die Beiträge «Calista – Leben mit Trisomie 21» der Schweizer Autorin Martina Arpagaus...

Weiterlesen

Bild von «featurepreis '14» der Stiftung Radio Basel

«featurepreis '14» der Stiftung Radio Basel

03.11.2014 | Die Jury des «featurepreis '14» hat entschieden: Den ersten Rang belegt die Autorin Paula Schneider mit dem Feature «Bleib bei mir, denn es will Abend werden», das sich um Liebe im Alter dreht, produziert vom Deutschlandfunk. Auf dem zweiten Platz findet sich «Der entpuppte Mann» von...

Weiterlesen

Bild von Auf der Schattenseite des amerikanischen Traums

Auf der Schattenseite des amerikanischen Traums

Als «vielstimmigen Blues über das Auseinanderdriften der US-amerikanischen Gesellschaft» bezeichnet die Jury des «featurepreis ’15» den vom SWR produzierten Radiobeitrag «Silicon Blues – Im Hinterhof eines Mythos» von Tom Schimmeck und verleiht ihm den ersten Preis.

Weiterlesen

Teilen Sie uns Ihre Meinung mit (bitte beachten Sie die Netiquette und Rechtliches)

Lade Kommentare...
Noch keine Kommentare vorhanden

Leider konnte dein Kommentar nicht verarbeitet werden. Bitte versuche es später nochmals.

Ihr Kommentar wurde erfolgreich gespeichert und wird nach der Freigabe durch SRG Deutschschweiz hier veröffentlicht