SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

Talksendung «Schawinski» mit Komiker Thiel beanstandet (3)

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Mit E-Mail vom 21. Dezember 2014 beanstanden Sie die Sendung «Schawinski» vom 15. Dezember mit Andreas Thiel. Den Erhalt Ihrer Eingabe habe ich mit meinem Brief bereits bestätigt.

Wie angekündigt, habe ich die Verantwortlichen von SRF gebeten, zu Ihren Kritiken Stellung zu beziehen. Dies ist erfolgt und in der Zwischenzeit habe ich die von Ihnen angesprochene Sendung sehr genau analysieren können. Ich bin somit in der Lage, Ihnen heute meinen Schlussbericht zu senden.

Ausgangslage

Ihre Beanstandung ist bei weitem nicht die einzige, welche bei der Ombudsstelle eingereicht wurde. Im Gegenteil. Insgesamt wurden zu der Sendung «Schawinski» mit Andreas Thiel nicht weniger als 185 Reklamationen eingereicht. Ein einmaliger Rekord. Vielleicht auch, weil über diesen medialen Hahnenkampf zahlreiche Artikel und Kommentare veröffentlicht wurden, gab es für eine einzelne Sendung noch nie so viele Beanstandungen.

Auch wenn die Ombudsstelle auf zwanzig Reklamationen wegen fehlender Postadresse und auf eine weitere, welche eine Untersuchung gegen die obersten Verantwortlichen von SRF forderte, nicht eintreten konnte, waren insgesamt 164 Beanstandungen formell zu behandeln. Für den «Ein-Mann-Betrieb Ombudsstelle« eine schwer zu bewältigende Situation. Bereits die einzelnen Bestätigungsbriefe hat die Ombudsstelle während den Weihnachts- und Neujahrstagen intensiv beschäftigt....

Die Grossmehrheit der Reklamation richtet sich gegen Roger Schawinski. Insgesamt 148 Beanstandungen (zirka 90 %) kritisieren die Art und Weise, wie der Talk-Master seinen Gast behandelt hat. Die Vorwürfe sind happig: seine Gesprächsführung sei mangelhaft, provozierend, unhöflich, arrogant und respektlos. Er habe seinem Gast ständig das Wort abgeschnitten und wiederholt beleidigt. Als besonders gravierend sei der Rassismus-Vorwurf auf Grund eines falschen Zitats zu werten.

Dass Roger Schawinski nach der Sendung Thiel angeblich das «A-Wort» an den Kopf warf, sorgte bei vielen Zuschauerinnen und Zuschauer für zusätzliche Empörung.

Zwei Drittel der Beschwerdeführenden verlangen ausdrücklich die Absetzung von Schawinski oder der nach ihm benannten Sendung. Schawinski sei ein selbstherrlicher Moderator, der sein Ego in den Vordergrund stellt und seine Gäste stets provoziert.

Lediglich in 16 Eingaben wurde nicht Schawinski, sondern Thiel kritisiert. Er habe sich von vornherein geweigert, auf die Fragen von Schawinski zu antworten und durch seine Haltung bewusst den Moderator unnötig provoziert. Bereits seine erste Gegenfrage zur Religion von Schawinski wurde als problematisch – wenn nicht gar nahe an Antisemitismus – angesehen. Zu Recht habe der Moderator immer wieder versucht, über pauschale Verunglimpfungen von Muslimen zu diskutieren, was durch Herrn Thiel stets verweigert worden sei.

Bei dieser Ausgangslage würde eine individuelle Behandlung der einzelnen Beanstandungen innerhalb der gesetzlich festgelegten Frist von 40 Tagen die Möglichkeiten sowohl von SRF wie auch der Ombudsstelle bei weitem sprengen. Ich bitte deshalb um Verständnis dafür, wenn es im vorliegenden Schlussbericht nicht möglich war, auf jede Beanstandung einzeln einzugehen. Ich bin aber sicher, dass auch Ihre persönlichen Einwände und Bemerkungen – wenn auch lediglich indirekt und öfters eher pauschal – berücksichtigt werden konnten.

1. Sie begründen Ihre Unzufriedenheit wortwörtlich wie folgt:

Ich reiche hiermit Beschwerde gegen die obgenannte Sendung ein. Sie verstösst gegen die Publizistischen Leitlinien von SRF und ruft nach Antirasismusgesetz Art. 261 zu Volksverhetzungen auf.

  1. möchte ich festhalten, dass jeder Mensch und Journalist über die Informations- und Meinungsfreiheit verfügt, die verfassungsmässig in Art. 16 der Schweizer Bundesverfassung verbrieft ist. Es ist okay, dass jeder seine Meinung äussern darf und auch dazu stehen kann. Wer aber Falschbehauptungen und Werturteile als Tatsachen und nicht mehr als Meinungen äussert, oder dem Publikum angebliche Äusserungen als Tatsachen verkauft, macht sich u.U. strafbar und haftbar.
  2. In der Sendung Schawinski vom 15. Dezember 2014 auf SRF sollte es um ein Streitgespräch zwischen Roger Schawinski und Andreas Thiel und dessen Äusserungen/Texte zum Koran gehen. Das Gespräch sei jedoch aus dem Ruder gelaufen, wie verschiedene Print-Medien sich dazu im Verlauf der Folgewoche äusserten, z.B. der Tagesanzeiger vom 17.12.2014.
  3. Aus dem Gesprächsverlauf ging hervor, dass der Moderator Roger Schawinski weder den Koran ganz gelesen hatte, noch zwischen Meinungen, Diffarmierungen, Äusserungen und Werturteilen unterscheiden konnte, oder wollte. Andreas Thiel nannte dann den Moderator Roger Schwawinski salopp einen «Boulevardjournalisten» und erklärte diesem, was er darunter verstand. Wir werden in dieser Bewschwerde untersuchen, ob diese Enschätzung tatsächlich zutrifft.
  4. Vorliegende Beschwerde soll jedoch nicht untersuchen, ob und inwiefern wer welche Redenszeit in der Sendung hatte, noch welche Person mehr Sympathien beim Zuschauer erlangte. Die Meinungen dazu sind frei, die politischen Ansichen dazu auch. Die Sendung soll alleine vom publizistischen und journalistischen und rechtlichen Standpunkt her betrachtet werden. Etwa 90 % der SRF-Zuschauer glauben, (oder müssen es zwecks fehlender Überprüfbarkeit annehmen), dass das eingeblendete Zitat von Roger Schawinski in der Sendung eine Äusserung, und damit ein Werturteil von Andreas Thiel gewesen sei. Da der Beschwerdeführer über die journalistischen Werkzeuge und Arbeitsmethoden der Medien verfügt, wollte er sofort wissen, ob das von Roger Schawinski oder dessen Ghostwriter oder Sendungsassistenten zusammen gesuchte «Muslim-Zitat» sich überprüfen liesse und richtig war.
  5. In der Schawinski-Sendung wurde folgendes Zitat von Andreas Thiel als Wertäusserung in den Mund gelegt: «Muslime sind, böse gesagt, irgendwo im Übergang zwischen Neandertaler und Homo sapiens stecken geblieben.»
    (Quelle: Sendung bei Spielzeit 15:35 Min. http://www.srf.ch/player/tv/schawinski/video/roger-schawinski-im-gespraech-mit-andreas-thiel?id=c363edd9-fc1d-4576-bf6c-97763f0ec453)
  6. In der Berner-Zeitung vom 31.12.2012 äusserte sich Andreas Thiel im Interview mit der Adrian Zurbriggen und Peter Meier weder in der Meinung, noch in einem Werturteil zur Frage «Die Muslime sind nicht gerade bekannt dafür, unseren Humor zu verstehen?» wie folgt: «Weil sie im Grund genommen gar keinen haben. Wenn du ihre Witze hörst, denkst du dir: Aha, das geht hier unter Humor. Die sind, böse gesagt, irgendwo im Übergang zwischen Neandertaler und Homosapiens stecken gebleiben.» (Quelle: Berner-Zeitung, S. 13, 31.12.2012, Auszug SMD/Swissdox)
  7. Als Blogger und Journalist kann ich nicht erkennen, wie die Gleichsetzung oder Verkürzung dieses Satzes zu Stande kam, so dass ich ihn als provozierende und entstellende Manipulierung des TV-Zuschauers und einer Rufschädigung von Andreas Thiel empfinde. Von SRF-Sendungen erwarte ich, dass sie sachlich, nachvollzeihbar und nicht zu Volksverhetzungen oder sozialem Unfrieden aufrufen. Eine Aufrufung oder Anstachelung mitsamt falscher Unterstellung scheint in der Sendung aber vorgekommen zu sein, wenn man Art. 261 der Antirassismus-Strafnorm (http://www.ekr.admin.ch/themen/d154.html) heranzieht, für welche die Unterstellungen von Herrn Schawinski mit dem eingeblendeten «Thiel-Zitat» ausgelegt serden können.

Ich erwarte von den Sendungsmachern eine Klarstellung der Tatsachen und ggf. eine Berichtigung in der Sendung, dass in der Schawinski-Sendung (und anderen SRF-Formaten) «Boulevardjournalismus» der übelsten Sorte betrieben wurde, indem dei Rechte und Pflichten (z.B. neutrale und wahrhaftige Berichterstattung) nicht eingehalten wurden. Ein richtiger Journalist hätte dieses Zitat nicht verfremden oder im Sinn verkürzen dürfen.

Die Publizistischen Leitlinien von SRF schreiben: «Wenn andere Medien ein Thema über das sachgerechte Mass hinaus anheizen, ist es Aufgabe der Redaktionen, die Proportionen zu wahren.»

2. Wie bereits erwähnt, haben die Verantwortlichen von SRF zu Ihrer Eingabe Stellung genommen. Ich möchte Ihnen das Schreiben von Herrn Tristan Brenn, Chefredaktor, und Frau Erika Burri, Redaktorin & Produzentin «Schawinski», nicht vorenthalten. Sie schreiben Folgendes:

Unsere Sendung vom 15. Dezember 2014 mit Andreas Thiel hat hohe Wellen geworfen. Viele Medien haben darüber berichtet, hunderte Onlinekommentare wurden verfasst. Noch nie wurde eine TV-Sendung im Schweizer Fernsehen im Internet so oft angeklickt (weit über eine Million Mal). Rund 170 Beanstandungen sind bei Ihnen eingegangen, es ist uns deshalb nicht möglich, auf jedes Schreiben einzeln einzugehen.

Die allermeisten Beanstandungen richten sich gegen Roger Schawinski. Die Beschwerdeführer werfen ihm unter anderem vor, emotional und unsachgemäss auf die Aussagen des Gastes reagiert zu haben. Roger Schawinski habe Andreas Thiel andauernd unterbrochen und zudem beleidigt («aufgeblasener Typ», «ein bisschen pubertär»). Er habe ihn sogar als Rassisten beschimpft. Schawinski habe den Anstand verloren. Einige Zuschauer fordern, dass das Schweizer Fernsehen die Sendung «Schawinski» absetzt.

Es haben uns auch Zuschriften erreicht, die Roger Schawinski in Schutz nehmen. Es sei dem Interviewer nachzusehen, dass er emotional reagiert habe. Er habe sich lediglich gegen pauschale Verunglimpfungen von Muslimen und das Schüren religiösen Hasses gewandt.

Mehrere Eingaben richten sich gegen das Verhalten von Andreas Thiel: Es wird kritisiert, er habe unnötig provoziert. Einige wenige fordern, Thiel solle wegen Verstosses gegen das Antirassismusgesetz angezeigt werden.

Schliesslich gab es eine Hand voll Beanstandungen, die uns vorwerfen, wir hätten ein Zitat von Andreas Thiel aus einem Artikel in der «Berner Zeitung» aus dem Zusammenhang gerissen.

Gerne nehmen wir zu den Kritikpunkten an unserer Sendung Stellung, im Besonderen zum umstrittenen Zitat aus der «Berner Zeitung» sowie zur Rolle von Interviewer Roger Schawinski.

Zum Zitat

Um Minute 15 haben wir folgendes Zitat eingeblendet: «Die Muslime sind, böse gesagt, irgendwo im Übergang zwischen Neandertaler und Homo sapiens stecken geblieben.» Es stammt aus einem Interview mit Andreas Thiel in der «Berner Zeitung», das am 31.12.2012 unter dem Titel «Die sind alle gehirngewaschen und haben einen an der Waffel»[1] erschien.

Die vollständige Passage aus der «Berner Zeitung» vom Dezember 2012 lautete:

Frage: «Die Muslime sind nicht gerade bekannt dafür, unseren Humor zu verstehen.»

Thiel: «Weil sie im Grund genommen gar keinen haben. Wenn du ihre Witze hörst, denkst du dir: Aha, das geht hier unter Humor. Die sind, böse gesagt, irgendwo im Übergang zwischen Neandertaler und Homo sapiens stecken geblieben.»

Wir sind überzeugt davon, dass der von uns gewählte Zitat-Ausschnitt aus dem Interview legitim war. Denn die Aussage Thiels ist sprachlich so formuliert, dass sie nur als generelle Aussage über das Wesen der Muslime verstanden werden kann und nicht als Aussage über deren Humorverständnis.

Das Pronomen «Die» (die Muslime) bezieht sich auf das «sie» im ersten Satz und auf das «ihre» im zweiten Satz. In beiden Fällen ist nicht der Humor gemeint, wie beanstandet wird, sondern die in der Frage erwähnten Muslime. Wäre mit «Die» der Humor der Muslime gemeint, würde der Satz keinen Sinn ergeben. Humor kann nicht «zwischen Neandertaler und Homo sapiens» stecken bleiben. Das können nur Menschen, in diesem Fall die Muslime.

Wir räumen ein, dass wir verkürzt zitiert haben. Ganz korrekt hätten wir den Satz so einblenden müssen: «Die (die Muslime, Red.) sind, böse gesagt, irgendwo im Übergang zwischen Neandertaler und Homo sapiens stecken geblieben.» Aus Gründen der Verständlichkeit haben wir die Klammerbemerkung weggelassen. Dies ändert jedoch nichts am Gehalt des Satzes.

Andreas Thiel hätte in der Sendung die Möglichkeit gehabt, zum Zitat Stellung zu nehmen und den Inhalt zu differenzieren. Thiel sagte aber lediglich: «An das Zitat kann ich mich nicht erinnern.»

Zum Gespräch

Wir haben Andreas Thiel aufgrund seines umstrittenen Artikels in der «Weltwoche» vom 27.11.2014 eingeladen. Sinngemäss behauptete Thiel dort, der Feind sei der Islam und der Koran die Ursache allen Übels. In Expertenkreisen wurde Thiels Koran-Exegese, die er weder in einen historischen noch einen theologischen Kontext gestellt hat, kritisiert.[2] Wir wollten in unserer Sendung erfahren: Wie kommt ein Satiriker dazu, einen solchen Artikel zu schreiben?

Auf diese Frage von Roger Schawinski, aber auch auf vorangehende und nachfol-gende, hat Andreas Thiel nicht geantwortet, sondern mit Gegenfragen Schawinski gezielt provoziert: «Du bist Jude, oder?» «Bist du jetzt eher so ein Papier-Jude oder ein Agnostiker-Jude oder ein gläubiger Jude?» Würde Roger Schawinski einer anderen Glaubensrichtung angehören, hätte dies Andreas Thiel wohl kaum zum Thema gemacht.

Es stimmt, Roger Schawinski ging mit Andreas Thiel nicht zimperlich um. Bezugnehmend auf das Zitat in der «Berner Zeitung», nannte Schawinski Thiel einen Rassisten. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass Thiel mit seinen Aussagen im BZ-Artikel und auch mit dem, was er in unserer Sendung äusserte, die Mitglieder einer ganzen Religionsgruppe pauschal verunglimpft hat.

Ein weiteres Beispiel, das unsere Ansicht verdeutlicht: Gegen Ende der Sendung sagte Thiel: «’Mein Kampf’ ist genau das gleiche wie der Koran...eine Staatsideologie wie der Koran.» Thiel stellt somit den Koran, das heilige Buch von 1,6 Milliarden Moslems, in einen direkten Zusammenhang mit Hitlers «Mein Kampf».

Und noch an anderer Stelle sagte Thiel: «Der Koran ist blutrünstig» Und: «Was im Koran steht, hat nichts mit Religion zu tun». Es sei eine Frechheit, dass der Islam «unter Religionsfreiheit geht». «Liest du den Koran, und glaubst es (was darin steht, Red.), dann fängst du an, andere Menschen umzubringen.» Roger Schawinski hat die Botschaft von Thiel hinterfragt mit dem Ziel, dass zwischen Islam und Islamismus klar unterschieden wird.

Die provokativen Äusserungen Thiels und Schawinskis Konter führten zu einer immer aufgeheizteren Stimmung. Der Interviewer reagierte emotional und mit einer Vehemenz, die das im Schweizer Fernsehen übliche Mass klar überschritt. Diesen Umstand anerkennen und bedauern wir.

Bei all dem muss jedoch auch berücksichtig werden, dass wir «Schawinski» unter Livebedingungen aufzeichnen. Und bei Livesendungen besteht immer die Möglichkeit, dass etwas aus dem Ruder laufen kann. Livebedingungen sorgen aber auch dafür, dass Authentizität entsteht und unter Umständen ein TV-Ereignis resultiert, das Ausgangspunkt ist für weiterführende Diskussionen.

Tatsächlich hat die Sendung vom 15. Dezember im Nachhinein dazu beigetragen, dass nicht nur viel über den Interviewer und seinen Gast diskutiert wurde, sondern auch darüber, ob und wie Muslime in Europa bzw. in der Schweiz integriert sind, ob alle Muslime Islamisten sind, was wir dem politisch motivierten Islam (Islamismus) entgegen halten können. Debatten anstossen ist eine wichtige und ehrenvolle Auf-gabe, die wir Journalistinnen und Journalisten haben. Und die Themen Islam und Islamismus sind nach den Anschlägen in Paris aktueller denn je.

Insgesamt sind wir der Überzeugung, dass die Sendung Schawinski vom 15. Dezember 2014 trotz der hohen Emotionalität das Gebot der Sachgerechtigkeit nicht verletzt hat und sich das Publikum eine eigene Meinung bilden konnte.“

3. Soweit die Stellungnahme des Chefredaktors, Herrn Tristan Brenn, und der Redaktorin und Produzentin von «Schawinski», Frau Erika Burri.

Geht es nun um meine eigene Meinung, so scheint mir eine Vorbemerkung über die Aufgaben der Ombudsstelle und die entsprechenden Grenzen wichtig zu sein. Laut Praxis und Gesetz hat die Ombudsstelle keine eigentliche Qualitätskontrolle vorzunehmen. Sie hat somit nicht zu beurteilen, ob eine Sendung gelungen ist oder nicht oder ob sie anders hätte erfolgen sollen.

Laut Radio- und Fernsehgesetz RTVG (Art. 91 Abs. 3) besteht die Aufgabe der Ombudsstelle darin, zu überprüfen, ob in einer beanstandeten Sendung die geltenden programmrechtlichen Bestimmungen (insbesondere Art. 4 RTVG – Mindestanforderungen an den Programminhalt) verletzt wurden oder nicht.

Die Ombudsstelle prüft im Zusammenhang mit dem Sachgerechtigkeitsgebot von Art. 4 Abs. 2 RTVG, ob dem Publikum aufgrund der in der Sendung oder im Beitrag vermittelten Fakten und Meinungen ein möglichst zuverlässiges Bild über einen Sachverhalt oder ein Thema vermittelt wird, so dass dieses sich darüber frei eine eigene Meinung bilden kann.

War dies bei der Sendung «Schawinski» mit Andreas Thiel vom 15. Dezember der Fall? Konnte sich das Publikum über das Thema der Sendung – ein Artikel von Thiel in der „Weltwoche“ über den Koran – eine eigene Meinung bilden? Wurde das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt? Diese Fragen – und nur diese – hat die Ombudsstelle zu beurteilen.

Ich stelle dabei fest, dass die Stimmung bei „Schawinski“ vom 15. Dezember von Beginn weg gehässig war und dies bis zum Schluss blieb. Bereits die erste, übliche Frage «Wer bist du» beantwortete Thiel mit einer Gegenfrage: «Ich bin Andreas und wer bist du?» Dass Andreas Thiel unmittelbar danach wissen wollte, ob Schawinski «ein Papier-Jude oder ein Agnostiker-Jude oder ein gläubiger Jude» sei, empfand Schawinski als Ablenkung und Provokation und führte zu einer ersten verbalen Auseinandersetzung, wer bei der Talk-Sendung die Fragen stellen dürfe.

Anstelle einer sachlichen Diskussion über den Koran, lief das knapp halbstündige Gespräch aus dem Ruder. Thiel wurde mit fortlaufender Sendung ruhiger, weigerte sich aber konsequent, auf die Fragen des Moderators konkret einzugehen, was Schawinski zunehmend enervierte. Dabei überschritt Schawinski die Grenzen zwischen Provokation und Beleidigung mehrfach. Thiel sei ein «aufgeblasener Typ» sowie «ein bisschen pubertär». Er warf Thiel insbesondere vor, nicht genug gebildet zu sein, um den Koran zu kritisieren und – im Unterschied zu ihm – über kein fundiertes Wissen zu verfügen. Dass der kritisierte Thiel immer wieder betonte, Schawinski habe den Koran gar nicht gelesen, trug sicher nicht zu einer Beruhigung der Stimmung bei. «Sogar über die Frisuren gerieten sich die zwei Streithähne in die Haare», titelte der Blick.

Sie haben die Sendung selber gesehen. Ich brauche deshalb keine weiteren Beispiele dieses unwürdigen Hahnenkampfes zwischen zwei Personen zu erwähnen, die sich nicht mögen und nicht verstehen wollten.

Ich stelle lediglich fest, dass eine echte Diskussion über Thiels Korankritik nicht zustande kam. Das Gespräch missriet vollkommen. Sei es, weil Schawinski seinen Gast immer wieder beleidigte und unterbrach, sei es auch, weil Thiel die gestellten Fragen konsequent verweigerte und Schawinski mit Gegenfragen laufend provozier-te – das Publikum konnte sich über das eigentliche, zur Diskussion stehende Thema „Koran“ keine eigene Meinung bilden. Das im RTVG verlangte Sachgerechtigkeits-gebot wurde deshalb verletzt.

Anscheinend hat dies Talk-Master Roger Schawinski auch so gesehen. Laut Blick.ch vom 21. Dezember hätte sich Schawinski beim Publikum dafür entschuldigt, die Sendung nicht abgebrochen zu haben.

Es gibt auch einen zweiten Grund, warum ich bei der Sendung „Schawinski“ vom 15. Dezember das Sachgerechtigkeitsgebot als verletzt erachte. Es ging um das Zitat aus der Berner Zeitung, wonach Muslime zwischen Neandertaler und Homo Sapiens stecken geblieben seien. Mit diesem Zitat glaubte Schawinski, Thiel als Rassisten entlarven zu können.

Es gehört zu den typischen Eigenheiten dieser Sendung, dass Moderator Roger Schawinski seine Gäste mit früheren Aussagen, Zitaten, Stellungnahmen, ja sogar Filmausschnitten konfrontiert. Dies ist an sich üblich und durchaus legitim, vorausgesetzt, die Zitate sind vollständig und korrekt wiedergegeben. War dies am 15. Dezember der Fall? Es lohnt sich, die Angelegenheit näher zu analysieren.

Zirka in der Mitte der Sendung ging es um die Frage, ob Thiel als Journalist betrachtet werden könnte. Schawinski verneinte dies, und fragte Thiel, was er über folgendes Zitat zu sagen habe:

· «Muslime sind, böse gesagt, irgendwo im Übergang zwischen Neandertaler und Homo sapiens stecken geblieben.» (aus: «Berner Zeitung», 31.12.2012)

«Das ist übelster Rassismus», warf Schawinski Andreas Thiel in der Sendung vor. «Das ist etwas vom Allerschlimmsten, das ich je gelesen habe...» – «Moment, wer hat das gesagt?», fragte Thiel. «Andreas Thiel, Berner Zeitung am 31.12.2012», antwortete Schawinski. «Also, an diesen Satz kann ich mich nicht erinnern», sagte Thiel. Was Schawinski veranlasste, Thiel erneut massiv zu kritisieren: «Du bist ein Rassist, ganz ein übler.»

Tatsächlich berichtete Herr Thiel in einem langen Interview mit der Berner Zeitung vom 31. Dezember 2012 über seinen Aufenthalt in Südindien und seine Reise in Kashmir, «um die Vorurteile gegenüber dem Islam abzubauen. Aber es war leider wie bei der Lektüre des Koran: Meine Meinung zum Islam hat sich noch verschärft. Das Resultat meiner Studienreise war verheerend.»

Zwischen Journalisten der Berner Zeitung und Andreas Thiel kam es danach zu folgendem Gespräch:

Frage: «Trotzdem können Sie sich darüber lustig machen?»

Thiel: «Man muss. Unbedingt. Humor ist entwaffnend und dadurch friedensfördernd.»

Frage: «Die Muslime sind nicht gerade bekannt dafür, unseren Humor zu verstehen.»

Thiel: «Weil sie im Grund genommen gar keinen haben. Wenn du ihre Witze hörst, denkst du dir: Aha, das geht hier unter Humor. Die sind, böse gesagt, irgendwo im Übergang zwischen Neandertaler und Homo sapiens stecken geblieben

Auch wenn die semantischen Erklärungen der Verantwortlichen von SRF stimmen würden und somit mit dem «die» die Muslime und nicht lediglich ihre Witze gemeint wären, erachte ich das von Herrn Schawinski verwendete Zitat als irreführend.

Aus dem Gespräch mit der Berner Zeitung geht eindeutig hervor, dass vom Humor der Muslime die Rede war. Das in der Sendung zur Diskussion gebrachte Zitat bezog sich deshalb nicht auf das Wesen der Muslime generell, sondern lediglich auf ihre Art, unseren Humor zu verstehen. Diese Relativierung ergibt sich nicht nur aus dem Gespräch selber. Bereits im Lead des Interviews in der Berner Zeitung wurde klar unterstrichen, dass im Gespräch von «humorlosen Muslimen» die Rede sein würde. Ein durchaus wichtiger Unterschied.

Dass Schawinski unterlassen hat, dies zu präzisieren, erachte ich als gravierende Fehlleistung. Indem das Zitat aus der «Berner-Zeitung» aus dem Zusammenhang gerissen wurde, wurde dem Publikum der falsche Eindruck vermittelt, Andreas Thiel würde die Muslime an sich als «zwischen Neandertaler und Homo sapiens stecken geblieben» beleidigen. Erst diese irreführende Wiedergabe konnte – wenn überhaupt – die schwerwiegenden Rassismusvorwürfe gegenüber Herrn Thiel begründen.

Auch in dieser Hinsicht wurde das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt. Durch die trüge-rische Art und Weise, wie das Zitat aus der Berner Zeitung vorgetragen wurde, war das Publikum nicht in der Lage, sich über die Aussage von Herrn Thiel eine eigene Meinung zu bilden.

117 Beanstander verlangen ausdrücklich die Absetzung von Roger Schawinski oder der nach ihm benannten Sendung. In verschiedenen Beanstandungen wird nicht nur die Sendung mit Herrn Thiel, sondern die Gesprächsführung von Herrn Schawinski allgemein kritisiert. Er sei ein selbstherrlicher Moderator, der sein Ego in den Vorder-grund stelle und seine Gäste stets provoziere. In 42 Beanstandungen wird sinn-gemäss unterstrichen, dass man nicht bereit sei, die TV-Gebühren zu zahlen, um derartige Sendungen zu finanzieren.

Auf solche Forderungen kann die Ombudsstelle nicht eintreten. Nicht nur, weil sie über keine Entscheidungs- oder Weisungsbefugnisse verfügt, sondern vor allem, weil die Ombudsstelle gewillt und verpflichtet ist, die Freiheit der Medien zu respektieren. Denn etwas darf nie vergessen werden: Art. 93 Abs. 3 der Bundesverfassung und Art. 6 Abs. 2 RTVG gewährleisten die Programmautonomie des Veranstalters. Diese beinhaltet namentlich auch die Freiheit in der Wahl eines Themas einer Sendung oder eines Beitrags und in der inhaltlichen Bearbeitung.

Es liegt somit in der alleinigen Zuständigkeit der Verantwortlichen von SRF, zu entscheiden, ob die Sendung «Schawinski» weiterhin produziert und ausgestrahlt wird. Und dies ist gut so: Denn die Freiheit der Medien, vorliegend des Fernsehens, ist ein derart wichtiges Gut, das durch eine misslungene Sendung nicht in Frage gestellt werden darf.

4. Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG entgegenzunehmen. Über die Mög-lichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI (Monbijoustrasse 54A, Postfach 8547, 3001 Bern) orientiert Sie der beiliegende Auszug aus dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen.


[1] www.bernerzeitung.ch/kultur/diverses/Die-sind-alle-gehirngewaschen-und-haben-einen-an-der-Waffel/story/14738875

[2] www.tagesanzeiger.ch/kultur/buecher/Koranlesen-will-gelernt-sein/story/13633432

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