Politik
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Politik als Unterhaltungsspektakel

Für die öffentlichen Sender ist es eine grosse Herausforderung, über politische Wahlen zu berichten. Heutige Mediennutzer erwarten eine seriöse politische Berichterstattung, die zugleich innovativ und unterhaltend aufbereitet ist. Ausländische Sender haben versucht, dieser Anforderung gerecht zu werden. Auch SRF wird im Wahljahr 2015 gefordert sein.

– Von Olivia Gähwiler

Die freie Meinungsbildung zu fördern, ist ein Auftrag, den Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) in etlichen Variationen immer wieder umzusetzen versucht. Vor ­allem bei der politischen Berichterstattung ist SRF stets aufs Neue gefordert, vollumfänglich über die Wahlen zu berichten und dies auf interessante und innovative Weise zu tun. Auch in diesem Jahr stellt sich die Frage: Wie soll SRF über die ­eidgenössischen Wahlen vom 18. Oktober ­berichten?

Politische Berichterstattung ohne Politiker

Auf der Suche nach neuen Formen der ­politischen Berichterstattung lohnt sich ein Blick ins Ausland. Der nationale Sender ABC in Australien nahm beispiels­weise in der Unterhaltungssendung «The Gruen ­Nation» anstelle der Wahl­themen oder der Politiker einfach deren Kampagnenstrategien auf humoristische Art unter die Lupe – und erhielten so vor allem viel Zuspruch von den jüngeren ­Zuschauern.

Belgien ging noch weiter und setzte mit einem Format ganz auf die Erstwähler und präsentierte die Live-Radio- und TV-Show «327». Dabei bestritten 18-Jährige in verschiedenen ­Landeskreisen Aufgaben, welche im Zusammenhang mit der lokalen Politik standen. Beispielsweise waren die Strassenverhältnisse der jeweiligen Ausgangsorte mitverantwortlich, ob die Jugendlichen eine Packung rohe Eier mit dem Fahrrad ­sicher durch die Stadt transportieren konnten oder nicht.

Der öffentlich-rechtliche Sender Danmarks Radio ­(DR) in Dänemark verfolgte einen anderen Weg der Berichterstattung: DR setzte bewusst auf die Parteien und deren Aushängeschilder. Tine Gøtzsche, News-Moderatorin beim Sender, berichtete im vergangenen Jahr am «Atelier de Programmes» der SRG im Bundeshaus über die politische Berichterstattung in Dänemark der etwas anderen Art.

Auf Schritt und Tritt dabei

Das Medienunternehmen DR, zu welchem diverse Radio- und TV-Sender angehören, verwandelte bereits 2011 die Parlamentswahlen in eine «Celebration of Democracy», wie Tine Gøtzsche es in ihrem Referat nannte. Während drei Wochen begleitete der Sender neun Parteien und deren Kandidaten auf ihrer Kampagnentour durch Dänemark und berichtete täglich multimedial über die Ereignisse. Jeder politische Kandidat wurde von einem Korrespondenten begleitet, der für Web, Radio und TV Inhalte zur Tour generierte und ­zudem einen GPS-Sender auf sich trug.

Bereits 2011 setzte Danmarks Radio DR bei seiner Wahlberichterstattung auf viel Emonion, Drama und physische Nähe zwischen Politikern und Wählern – vor allem, um ein jüngeres Publikum zu erreichen und es für Politik zu begeistern.

Auf einer interaktiven Landkarte auf der Website von DR war so der jeweilige Standort des Politikers ersichtlich. Sämtliche Social-Media-Aktivitäten der Politiker wie Tweets, Blogeinträge, Interviews oder Videos wurden in die Karte integriert und stellten zusammen mit den journalistischen Inhalten der Korrespondenten eine umfassende Berichterstattung über die Kampagnentouren dar. In einer abendlichen TV-Sendung analysierten Politexperten die Strategien der Politiker, schalteten die Korrespondenten live dazu und stellten Wahlprognosen auf. DR wurde dank der multimedialen Berichterstattung zur ersten Informationsquelle für das Stimmvolk und konnte Topeinschaltquoten zur Hauptsendezeit und eine hohe Webbesucherzahl verzeichnen.

Neues Format – neue Macht

Die Idee des Trackings von Politikern ist aber nicht ganz neu. Der britische TV-Sender Sky News begleitete Ex-Premierminister Gordon Brown bei seinem Wahlkampf 2010 – was für Brown unschön endete. Er vergass nach einem spontanen Gespräch mit einer Wählerin, dass sein Mikrofon noch eingeschaltet war, und liess sich über die Frau aus, als er mit seinem Assistenten im Auto davonfuhr. Die Äusserung wurde von Sky News veröffentlicht und brachte Brown keine Pluspunkte bei den Wählern ein.

Bild: DR / SRG SSR (Screenshot)

Man kann nicht Fernsehen machen wie vor 50 Jahren. Die Politiker müssen sich der Realität der Mediennutzer anpassen – und wir uns auch. (Tine Gøtzsche)

Können folglich Medien die politischen Wahlen je nach Form ihrer Berichterstattung auch mitbeeinflussen? An eine Beeinflussung der Wahlen durch eine solche personenfokussierte Berichterstattung glaubt SRF-Programmentwickler Thomas Schäppi nicht. Durch seine Zuständigkeit für neue Formate bei SRF beobachtet er auch ausländische Versuche neuer Berichterstattungsformen. «Die politische Berichterstattung eines Mediums kann das Bild einer Partei oder eines Kandidaten bei den Wählern abrunden – mehr aber auch nicht», sagt er. Aber war nicht das ­dänische Format der politischen Berichterstattung vor allem ein Erfolg für diejenigen Politiker, die mit einer solch direkten Medienkonfrontation gut umgehen konnten? Natürlich hätten telegene, Social-­Media-affine Politiker, die verstehen, wie die Medienwelt heutzutage funktioniere, einen Vorteil gehabt, meint Tine Gøtzsche. «Politiker, die wissen, wie man ein gutes Selfie macht, hatten es garantiert leichter», sagt sie.

Politiker, die wissen, wie man ein gutes Selfie macht, hatten es garantiert leichter (Tine Gøtzsche)

Doch wie Thomas Schäppi findet Gøtzsche, dass heutzutage jeder Politiker sich des Risikos bewusst sein müsse, dass überall ein Mikrofon oder eine Kamera lauere. Und dass vermehrt die Personen anstelle der Parteien im Vordergrund stünden. «Man kann nicht Fernsehen machen wie vor 50 Jahren. Die Politiker müssen sich der Realität der Mediennutzer anpassen – und wir uns auch», findet Gøtzsche.

Danmarks Radio wollte die Politiker den ­Zuschauern so nah wie möglich bringen, ­erklärt Tine Gøtzsche. Neben dem GPS-­Tracking der Kandidaten realisierte DR TV-Duelle zwischen den Topkandidaten, bei denen jede Regung der Politiker mit der Kamera eingefangen wurde. «Wir fokussierten nicht immer die Person, die am sprechen war», erzählt Gøtzsche. «Wir wollten den Zuschauern zeigen, wie die Politiker reagieren und wie sie sich geben, wenn sie nicht gerade im Zentrum ­standen», sagt sie weiter.

Wie eine Oscar-Verleihung

Am Abend vor dem Stichtag vollendete DR seine Berichterstattung mit einer Debatte. Erwachsene wie auch viele Jugendliche füllten die DR-Konzerthalle in Kopenhagen. Die Fragen, die an die Politiker gestellt wurden, konnten die Zuschauer im Vorfeld beim Sender einschicken. Die vom Sender ausgewählten Fragen wurden von den Zuschauern den Politikern per Video-Einschaltung gestellt. Die Debatte war eine Politshow. Show deswegen, weil die in einer Linie aufgereihten Politiker hinter ihren farbigen Rednerpulten inmitten der Konzerthalle eher aussahen wie die Teilnehmer einer Quizshow.

„Politische Debatte wie eine Oscar-Verleihung“? Die DR-Debatte mit Politikern und Politikerinnen vor dem Stichtag in Kopenhagen. Bild: DR 1/Bjarne Bergius Hermansen

«Natürlich sträubten sich die Politiker erst dagegen, in einer Reihe debattieren zu müssen», sagt Gøtzsche. Sie hätten ihre Mitstreiter besser sehen wollen. Doch die visuelle Ästhetik zugunsten des Zuschauers wurde stärker gewichtet. Die lineare Aufstellung ermöglichte den Kameras spannendere Aufnahmen, mehr Spiel mit Fokussierungs- und Schärfewechseln und vor allem Close-ups der Politiker. «Es sollte ein Big-Visual-Thing werden», sagt Gøtzsche. Und das war es. Lichtsetzung, Schnittkadenz, Szenografie und Dramaturgie machten die Debatte zu einem politischen ­Spektakel mit ausgeprägtem Unterhaltungscharakter. «Es sah mehr nach einer Oscar-Verleihung aus als nach Präsidentschaftswahl», meint eine Zuschauerin der SRG-Tagung nach einem Ausschnitt kritisch. «Natürlich bekommt eine solche intensive Berichterstattung einen dramatischen Touch», bestätigt Tine Gøtzsche. Inhalt und Unterhaltung müssen jedoch nicht im Widerspruch zueinander stehen, findet sie.

Bild: SRF / Oscar Alessio

Auf der Suche nach aussergewöhnlichen Inszenierungen kann man den Fokus auf den Inhalt verlieren (Thomas Schäppi)

Auch SRF-Programmentwickler Thomas Schäppi sieht die Gefahr, bei solch grossen Shows mehr zu unterhalten als zu informieren: «Auf der Suche nach aussergewöhnlichen Inszenierungen kann man den Fokus auf den Inhalt verlieren.»

Auf Wahlfahrt

Neue Inszenierungen zu wagen, ohne den Blick für das Wesentliche zu verlieren – das ist auch der Plan von SRF selbst. ­Dänemark sei eine Inspirationsquelle, bestätigt Thomas Schäppi. «Genau diese Form der Berichterstattung würde aber aufgrund unseres politischen Systems nicht funktionieren», findet er. Aber die Machart – vor allem die cinematografische Auflösung durch die Vollformatkameras sei ein Spielmittel, das dieses Jahr auch für die Wahlen 2015 übernommen werde. Schweizer Parteien würden aber statt wie in Dänemark im Studio, im «Spionen-Zimmer» im Berner Bellevue miteinander diskutieren. Ein zusätzlicher unbekannter Politgast werde erst gegen Ende des Gesprächs dazukommen und dem Politiker zusätzliche unbequeme Fragen stellen – ein Element, das SRF selbst eingebracht hat. «Man muss die Politiker fordern, damit sie nicht nur vorbereitete Antworten geben können», sagt Schäppi. Manchmal müsse man dafür auch gar keine revolutionären Formate einkaufen oder erfinden, findet er. «Es braucht manchmal einfach eine andere Art von Fragen, Gespräch oder Annäherung.» Ein altes Konzept – nämlich das Interview während ­einer Autofahrt – werde zum neuen Hingucker bei der Berichterstattung 2015, sagt Schäppi. Die Idee selbst gäbe es ja auch in der Schweiz schon lange, doch vom öffentlichen Rundfunk ORF habe SRF die ­Sendung «Wahlfahrt» abgekupfert. Dabei wird Moderatorin Mona Vetsch Politiker von A nach B chauffieren. Unerwartete Gespräche, Stopps wie auch ein lebendiger Schnitt sollen bei diesem Format für Spannung sorgen.

Es wird ein digitaler Wahlkampf (Thomas Schäppi)

Dass die Schweizer auch eigene Ideen haben, will SRF zusätzlich mit dem Relaunch der «Arena» im Frühling zeigen. Dort würden Elemente eingebunden, die so noch nirgends vorkämen, sagt Thomas Schäppi, ohne Details zu nennen. «Wer weiss, vielleicht kopiert dann bald ganz Europa ­unsere ‹Arena›», ergänzt er mit einem Schmunzeln. Der Relaunch des Politmagazins spiele auch für die Wahlberichterstattung 2015 eine Rolle. Zudem würden die Social-Media-Kanäle 2015 für die Berichterstattung so bedeutend wie nie. «Es wird ein digitaler Wahlkampf», meint Schäppi und macht mit diesen Worten neugierig auf die politische Berichterstattung von SRF im Herbst.

Olivia Gähwiler

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