SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

Sendung «Forum» auf Radio SRF 1 zum Thema Sozialhilfe-Revision beanstandet

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Mit E-Mail vom 6. Februar 2015 haben Sie den Beitrag „Braucht die Schweiz eine Sozialhilfe-Revision?“ in der Sendung „Forum“ vom 5. Februar beanstandet. Den Erhalt Ihrer Beanstandung habe ich mit meinem Brief vom 16. Februar bereits bestätigt.

Wie üblich, habe ich die Verantwortlichen von SRF gebeten, zu Ihren Kritiken Stel-lung zu beziehen. Dies ist erfolgt und in der Zwischenzeit habe ich die von Ihnen kriti-sierte Sendung analysieren können. Ich bin somit in der Lage, Ihnen heute meinen Schlussbericht zu senden.

1. Sie begründen Ihre Unzufriedenheit wie folgt:

„Ich möchte mich über die Sendung Forum zur Sozialhilfethematik von dieser Woche beschweren. Trotz zahlreichen Kommentaren zum bedingungslosen Grundeinkom-men wurde dieses in der Sendung nicht erwähnt. Es wurde nur diskutiert, ob die So-zialhilfe gekürzt werden sollte, nicht aber, ob sie erhöht oder bedingungslos gestaltet werden sollte, obwohl in den Kommentaren auf der Website mehrfach erwähnt. Dies vor dem Hintergrund, dass Personen in der Schweiz obdachlos wurden und keinen richtigen Zugang zu Nahrungsmitteln haben. Dies obwohl die Schweiz unglaublich reich ist und es problemlos mit einer Bodenwertsteuer finanziert werden könnte. Ausserdem blieb eine Anfrage an Eco zur Bodenwertsteuer unbeantwortet.“

2. Wie bereits erwähnt, habe ich die Verantwortlichen von SRF eingeladen, zu Ihrer Kritik Stellung zu nehmen. Dies ist erfolgt. Ich möchte Ihnen das Schreiben von Frau Heidi Ungerer, Publizistische Leiterin Radio SRF 1, nicht vorenthalten. Sie argumen-tiert wie folgt:

„Mit E-Mail vom 6. Februar 2015 beanstandet Herr X die Sendung Forum zum Thema ‚Braucht die Schweiz eine Sozialhilfe-Revision?’ vom 5. Februar.

Er begründet seine Beanstandung wie folgt: ‚Trotz zahlreichen Kommentaren zum bedingungslosen Grundeinkommen wurde dieses in der Sendung nicht erwähnt.’

Der Fokus der Forums-Sendung lag auf konkreten Änderungen in der bestehenden Sozialhilfe und damit nicht auf einer grundsätzlichen Diskussion von alternativen Systemen zum geltenden Sozialhilfesystem.

Hintergrund der Themenwahl war also die zu diesem Zeitpunkt breit geführte Debatte in Politik und Medien. Um dem gewählten Themenfokus gerecht zu werden, haben wir beschlossen, uns in der Sendung auch auf den aktuell diskutierten Bereich zu fokussieren. Dies ist ein begründeter, redaktioneller Entscheid, der grundsätzlich zu den journalistischen Freiheiten einer Senderedaktion gehört. Auf diesem publizistischen Entscheid basierten in der Folge die Wahl der Gäste, die diskutierten Themenkreise und natürlich auch die Auswahl der Online-Kommentare auf srf1.ch.

Im Weiteren kritisiert Herr X: ‚Es wurde nur diskutiert, ob die Sozialhilfe gekürzt werden sollte, nicht aber, ob sie erhöht (...) werden sollte.’

Die stimmt aus unserer Sicht nicht. Anhand des aktuellen Sozialhilfe-Systems von ‚Belohnen und Bestrafen’ fand in der Sendung hierzu eine differenzierte Diskussion statt. Eine Erhöhung der Leistung war an folgenden Zeit-Punkten in der Sendung Thema:

  • 20:19 und 20:37 Uhr – Stichwort: Welchen Sinn haben Bonus-Systeme?
  • 20:30 Uhr – Stichwort: Anreiz bei Weiter- und Ausbildung mit Ziel der Reinte-gration
  • 20:36 Uhr – Stichwort: Situationsbedingte Zusatzleistungen

Zum nächsten Kritikpunkt von Herrn X: ‚Dies vor dem Hintergrund, dass Perso-nen in der Schweiz obdachlos wurden und keinen richtigen Zugang zu Nahrungsmitteln haben. Dies obwohl die Schweiz unglaublich reich ist und es problemlos mit einer Bodenwertsteuer finanziert werden könnte.’

Die Schwierigkeit des jetzt gültigen Minimums – eben kein Leben in Luxus, wie Ex-tremfälle wiederholt suggerieren – wurde an folgenden Stellen in der Sendung darge-stellt und von konkret Betroffenen exemplarisch geschildert:

  • 20:21 Definition des Existenzminimums. Stichworte: Sozialhilfe als tiefstes Existenzminimum. Tiefer als z.B. das betreibungsrechtliche Existenzminimum. Dazu folgt eine differenzierte Einordnung verschiedener möglicher Mindest-beträge im jetzigen Rechtssystem.
  • 20:27 Wie lebt es sich mit Grundbedürfnis?: Mit eindrücklichen Ausführungen der (ehemals) betroffenen Gäste in der Sendung.

Zusätzlich möchten wir festhalten, dass die Sendung in ihrer Ausrichtung bewusst keine einseitigen Positionen* und mit Absicht keine Extremfälle** dargestellt hat. Die in der Kritik des Beschwerdeführers aufgeführten Fälle von Personen, die obdachlos und ohne Zugang zu Nahrung sind, gehören in der Schweiz genauso zum Bereich der Extremfälle, wie sie auf der anderen Seite Fälle von Sozialschmarotzern sind.

In einer Sendung, die der Klärung einer Frage / einem Informationstransfer zu aktuellen Situation in der Sozialhilfe dient, sind Debatten über Ausnahmen und Extremfälle aus unserer Erfahrung wenig zielführend und helfen zudem kaum bei der Meinungs-bildung.

  • *Bereits in der ersten Runde in der Sendung zu Online-Kommentaren der Hörerschaft um 20:12 Uhr hielten sich 2 negative Kommentare und 2 positive Kommentar die Waage.
  • *Dasselbe gilt auch für die zweite Kommentarrunde Online um 20:52 Uhr. Bei der Expertenrunde standen sich zwei Exponenten mit unterschiedlicher Position gegenüber – ohne in ihren Positionen radikal zu sein.
  • **Dito bei den beiden Fallbeispielen, welche veranschaulichen, wie der Weg in (und zum Teil aus) der Sozialhilfe aussehen kann.

Zum Schluss: Natürlich ist auch uns die Vielzahl der Publikums-Kommentare zum bedingungslosen Grundeinkommen aufgefallen. Wir werden dieses Thema gerne zu Diskussion und Vertiefung bringen, genauso, wie wir dies in der kritisierten Sendung mit dem Themenfokus zum aktuellen Sozialhilfesystem versucht haben.“

3. Soweit die Stellungnahme der publizistischen Leiterin Radio SRF 1. Frau Heidi Ungerer argumentiert ausführlich und plausibel, warum Ihre Beanstandung ihrer Meinnung nach abgewiesen werden sollte.

In Ihrer Beanstandung monieren Sie zwei Dinge. Zuerst einmal kritisieren Sie, dass in der Sendung „Forum“ nur diskutiert wurde, ob die Sozialhilfe gekürzt werden sollte. Von einer Erhöhung war nicht die Rede. Dann vermissen Sie im Radiogespräch einen Hinweis auf die Volksinitiative für ein „Bedingungsloses Grundeinkommen“, die mit 126.408 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist.

Nachdem ich die Sendung sehr genau angehört habe, kann ich Ihre kritische Reak-tion durchaus nachvollziehen. Von der Initiative und dem geforderten Grundeinkommen von 2.500 Franken war kaum die Rede und die Diskussion fokussierte vor allem auf die hohen Kosten der Sozialhilfe und mögliche Sparmassnahmen. Kann man deshalb der Sendung Einseitigkeit vorwerfen? Konnte sich das Publikum über das Thema keine eigene Meinung bilden?

Aus verschiedenen Gründen gelange ich zu einer anderen Auffassung als Sie. Zuerst einmal, weil das Thema der Sendung gerade der Frage gewidmet war, ob bei der Sozialhilfe zu viel verteilt werde. Dies wurde bereits in der Anmoderation transparent vermittelt. Nachdem die Blick-Schlagzeile „Sozialhilfe trotz Villa am See“ zitiert wurde, betonte der Moderator, dass die Sozialhilfe gerade wegen solcher Fälle immer wieder unter Beschuss gerate. „Es gibt Leute, welche sich die Leistungen erschleichen. Leute die Ende Monat dank der Sozialhilfe mehr auf dem Konto haben als jemand, der arbeitet. Einzelfälle?“, fragte der Moderator. Und weiter: „Ist es wirklich so? Wird zu viel verteilt und zu wenig gefordert? Muss man bei der Sozialhilfe die Schrauben anziehen?“

Gerade diese Fragen waren das eigentliche Thema der Sendung. Bereits zu Beginn der Gesprächsrunde mit den vier Gästen stellte die Moderatorin Simone Hulliger die Frage, ob bei der Sozialhilfe zu viel verteilt und zu wenig gefordert würde. Ist es nötig, bei der Sozialhilfe die Schrauben anzuziehen?

Diese Fragen wurden sehr differenziert angegangen und sachlich und kontrovers diskutiert. Dabei ging es nicht nur um die Kosten der Sozialhilfe und mögliche Massnahmen zu deren Senkung. Die verschiedenen Aspekte dieser aktuellen und kontro-versen Problematik wurden umfassend behandeln. Nicht nur, indem der Leiter der Sozialberatung Winterthur deutlich unterstrich, dass Sozialhilfe ein Grundrecht sei, sondern auch, weil an der Diskussion zwei direkt betroffene Personen, welche Sozialhilfe bezogen haben, ihre gemachten Erfahrungen direkt schildern konnten.

Gewiss: man hätte auch über die eingereichte Volksinitiative und über die Idee eines Grundeinkommens für alle sprechen können. Doch das Gespräch drehte sich ausdrücklich um die heutige Sozialhilfe und nicht um die von der Initiative geforderte grundlegende Änderung. Es ist deshalb verständlich, wenn insbesondere die ver-bandsinterne Vernehmlassung der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS thematisiert wurde. Im Hinblick auf eine Revision ihrer Richtlinien wurden dabei Grundbedarf, Höhe des Grundbedarfs für junge Erwachsene, Höhe der Leistungen bei grossen Familien, Leistungen mit Anreizcharakter, Sanktionsmöglichkeiten, situationsbedingte Leistungen und Schwelleneffekte zur Diskussion gestellt.

Ich gelange somit zur Auffassung, wonach sich das Publikum über das diskutierte Thema eine eigene Meinung bilden konnte. Das Sachgerechtigkeitsgebot wurde somit nicht verletzt. Auch wenn ich für Ihr Anliegen Verständnis habe, kann ich deshalb Ihre Beanstandung, soweit ich darauf eintreten konnte, nicht unterstützen.

4. Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG entgegenzunehmen. Über die Mög­lichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI (Monbijoustrasse 54A, Postfach 8547, 3001 Bern) orientiert Sie der beiliegende Auszug aus dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen.

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