SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

Diskussionssendung «Arena» zur Rentenreform beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 6. Oktober 2016 kritisierten Sie die Sendung „Arena“ des Schweizer Fernsehens SRF vom 30. September 2016[1]. Ihre Eingabe erfüllt die formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich auf sie eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Leider haben alle DiskussionsteilnehmerInnen und insbesondere der SRF-Moderator Mario Grossniklaus brav das Mantra der angeblich immer noch steigenden Lebenserwartung gebetet. Während der Sendung hat Grossniklaus verschiedenste Statistiken präsentiert, nur nicht die aktuelle zur sinkenden Lebenserwartung! Die ganze Arena-Sendung ist so zu einer Farce verkommen, weil alle ihre Voten auf einer falschen Faktenbasis einbrachten (wunderbar: von links bis rechts).

Die aktuellen Zahlen zur Lebenserwartung sind für jedermann ganz einfach auf der Homepage des schweizerischen statistischen Amtes für Statistik für jedermann zugänglich![2] Wenn der Moderator und alle geladenen Gäste in der Arena über eine Stunde Gegenteiliges verbreiteten, ist das eine Sache für die Ombudsstelle und gegebenenfalls für die UBI.

Hier meine Grafik zur Steigerung der Lebenserwartung in Monaten bei Neugeborenen (Zeitraum 1990 bis 2015, aufgeteilt in Dekaden plus „Rest“), basierend auf den offiziellen Zahlen des BFS !!!:

Balkendiagramm zur Steigerung der Lebenserwartung in Monaten bei Neugeborenen

Jeder, der nur eine minimale Ahnung von Epidemiologie hat, weiss, dass bei einem solchen Verlauf der Lebenserwartung vor ca. 15 Jahren etwas gravierendes passiert sein muss!!!!

Ich erwarte von der SRG, welche mit ordnungswidrigen Zwangssteuern finanziert wird, dass bei der nächsten Arena darauf hingewiesen wird, dass der Moderator und die anwesenden Politiker im luftleeren Raum diskutierten, da sie die minimalsten Sorgfaltspflichten verletzten und sich nicht selbständig vorgängig in geeigneter Form zu den primitivsten Sachverhalten informierten!“

B. Soweit Ihre Argumentation. Wie üblich, erhielt die zuständige Redaktion Gelegenheit, zu Ihrer Beanstandung Stellung zu nehmen. Herr Jonas Projer, Redaktionsleiter der „Arena“, schrieb:

„Vielen Dank für die Zustellung der Beanstandung von herr zu unserer Sendung vom 30. September 2016 (Thema: Rentenreform.

Herr X kritisiert, in der Sendung sei ‚brav das Mantra der angeblich immer noch steigenden Lebenserwartung gebetet‘ worden. Er geht von der Annahme aus, dass die Lebenserwartung in der Schweiz in Tat und Wahrheit generell sinkt.

Diese Annahme ist nicht korrekt. Die Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BfS) zeigen zwar, dass die Lebenserwartung im Jahr 2015 – isoliert betrachtet – leicht sank. Dahinter steckt jedoch kein Trend, sondern die aussergewöhnliche Grippewelle zu Beginn des Jahres 2015 sowie die Hitzeperiode im Juli 2015. Wir zitieren aus der Pressemitteilung des BfS vom 30.6.2016:

<Die Grippewelle Anfang 2015 und die Hitzeperiode im Juli führten zu einer Erhöhung der Anzahl Todesfälle. Insgesamt wurden 67'600 Todesfälle registriert; dies sind 5,7 Prozent mehr als 2014. (...) Als Folge dieser Entwicklung verringerte sich die Lebenserwartung bei der Geburt im Jahr 2015. Jene der Männer sank von 81,0 Jahren im Jahr 2014 auf 80,8 Jahre im Jahr 2015, jene der Frauen von 85,2 Jahren auf 84,9 Jahre. Dieser Rückgang ist wahrscheinlich nur vorübergehend und stellt keinen Trend dar.> [3]

Aufgrund der Beanstandung von X fragte die Redaktion der ‚Arena‘ beim Bund nochmals explizit nach, ob davon auszugehen sei, dass der Trend einer steigenden Lebenserwartung weiter anhalte. Per Mail vom Dienstag, 11. Oktober 2016 bestätigte das BfS dies:

<A notre avis, l’espérance de vie devrait continuer de progresser ces prochaines années.>[4]

Wir hoffen, Ihnen mit diesen Ausführungen gedient zu haben. Für weitere Auskünfte stehen wir jederzeit zur Verfügung.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Beurteilung der Sendung. Sie werfen den Teilnehmenden an der „Arena“-Debatte vom 30. September 2016 über die Rentenreform – namentlich: Nationalrat Sebastian Frehner (SVP, Basel-Stadt), Nationalrätin Regine Sauter (FDP, Zürich), Nationalrat Martin Landolt (BDP, Glarus), Ständerätin Pascale Bruderer Wyss (SP, Aargau), Expertin Silja Häusermann, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Zürich, sowie Moderator Mario Grossniklaus – vor, falsche Fakten verbreitet zu haben, indem sie von einer anhaltend steigenden Lebenserwartung sprachen. Eine Sendung, die relevante Fakten verschweigt oder falsche Fakten verbreitet, ist nicht sachgerecht. Sie würde das Publikum in die Irre führen und würde dadurch gegen das Radio- und Fernsehgesetz verstoßen. War dies tatsächlich der Fall? Ich gehe der Frage in drei Schritten nach:

1. Die Problematik der Lebenserwartung. Herr Projer hat in seiner Stellungnahme überzeugend nachgewiesen, dass es keine Trendwende gibt, sondern dass die Lebenserwartung weiterhin steigt und dass die leicht niedrigeren Werte des Jahres 2015 durch die Grippewelle und die Hitzeperiode zu erklären sind. So kalkulieren denn die maßgebenden Instanzen des Bundes ihre Prognosen in Bezug auf die Altersversicherungen weiterhin auf der Basis einer steigenden Lebenserwartung. Die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge beispielsweise, eine unabhängige Behördenkommission des Bundes, ging in ihrem Tätigkeitsbericht vom 10. Mai 2016 zur finanziellen Lage der Vorsorgeeinrichtungen im Jahr 2015 davon aus, dass die Lebenserwartung weiter steigt.[5] Das Bundesamt für Statistik beobachtet einen anhaltenden Anstieg der Lebenserwartung, wobei es feststellt, dass sich der Anstieg in den letzten Jahren etwas abgeschwächt habe.[6] Aber es ist immer noch ein Anstieg! Aus diesem Grund war es nicht notwendig, während der Diskussion in der „Arena“ eine Grafik zur Lebenserwartung einzublenden. Ob die Lebenserwartung im Vergleich zu den letzten zehn Jahren weiterhin gleich oder etwas abgeschwächt zunimmt, hat keinen Einfluss auf die politische Diskussion über die Rentenreform.

2. Der Zusammenhang mit der Rentenreform. Die gestiegene Lebenserwartung ist zweifellos einer der Hauptgründe dafür, dass die erste und die zweite Säule der Altersvorsorge in eine Schieflage geraten sind: Die veränderte Alterspyramide mit einer wachsenden Zahl von Rentnern lässt die Ausgaben der Versicherungstöpfe ansteigen, während die Einnahmen nicht zwingend wachsen. Eine Reform ist also notwendig. Sie wäre es aber auch dann, wenn die Lebenserwartung ab jetzt nicht mehr stiege, denn die Menschen mit längerer Lebenserwartung sind längst da, sie sind entweder bereits im AHV-Alter oder noch im Arbeitsprozess oder noch in der Ausbildung, gleichgültig: Sie alle haben einen Anspruch auf ihre Renten im Alter. Die Reform ist also schon deswegen nötig, weil die ab 2030 ins AHV-Alter kommenden Menschen – also die heute 51jährigen und die Jüngeren – eine Garantie haben müssen, dass ihre Renten gesichert sind. Die Diskussionsteilnehmer haben daher nicht, wie Sie unterstellen, „auf einer falschen Faktenbasis“ gesprochen, abgesehen davon, dass die von Ihnen angenommene Faktenbasis so nicht stimmt.

3. Das Thema in der Sendung. Entgegen dem von Ihnen vermittelten Eindruck war das Thema der Lebenserwartung in der Sendung kaum präsent. Es wurde ein einziges Mal aufgeworfen, nämlich dann, als in den Minuten 26-28 Moderator Mario Grossniklaus den Präsidenten der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP), Nationalrat Martin Landolt, über das Konzept der BDP befragte. Die BDP hatte vorgeschlagen, die Finanzierung der Altersversicherung an die Lebenserwartung zu koppeln, hatte aber ihren Vorschlag wieder zurückgezogen, als ihr klar wurde, dass er keine Chancen hatte. Selbst in dieser kurzen Phase war neutral von der Lebenserwartung die Rede – als einem Faktor, der die Finanzierung der Altersvorsorge beeinflusst. Die Diskussion aber galt während der überwiegenden Zeit der Sendung ganz anderen Themen – so den unterschiedlichen Konzepten von Nationalrat und Ständerat, dem Rentenalter 67, der gegenseitigen Abhängigkeit von AHV und beruflicher Vorsorge, der Kompensation sowie dem Umwandlungssatz. Es war eine mehrheitlich sachkundige Diskussion, in der die Expertin Silja Häusermann eine wichtige Rolle spielte, weil sie es verstand, Komplexität zu reduzieren und die Probleme verstehbar zu machen.

Fazit: Die Thematik der Lebenserwartung war in der Sendung kaum ein Thema. Soweit sie in einer ganz kurzen Phase ein Thema war, kam sie neutral zur Sprache. Die Protagonisten der Sendung behaupteten nicht, dass die Lebenserwartung steige. Selbst wenn sie es behauptet hätten, hätten sie die Wahrheit gesprochen und somit keine falschen Fakten verbreitet. Auf einer falschen Grundlage beruht hingegen Ihre Beanstandung. Darum war die „Arena“-Sendung keine Farce, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben nicht im luftleeren Raum diskutiert, und sie hätten, wenn überhaupt, mit gutem Grund das „Mantra der (...) immer noch steigenden Lebenserwartung gebetet“, haben aber in Wirklichkeit gar nicht (oder fast nicht) davon gesprochen. Sie haben auf jeden Fall im Zusammenhang mit der Lebenserwartung keine falschen Fakten verbreitet. Ich kann daher Ihrer Beanstandung nicht beipflichten.

Noch etwas: Die SRG wird nicht „mit ordnungswidrigen Zwangssteuern finanziert“, wie Sie behaupten. Die SRG – und zu einem schönen Teil auch die konzessionierten privaten Fernsehsender der Schweiz wie „Tele M 1“, „Tele Ostschweiz“, „Tele Südostschweiz“, „Tele Top“, „TeleBärn“ oder „Telebasel“ – wird durch Gebühren finanziert, die das Radio und Fernsehgesetz vorsieht. Das Radio- und Fernsehgesetz von 2006 ist vom Volk stillschweigend gutgeheißen worden, da kein Referendum ergriffen wurde. Das revidierte Radio- und Fernsehgesetz von 2014 ist vom Volk in der Volksabstimmung vom 14. Juni 2015 gutgeheißen worden.[7] Zurzeit wird die Gebühr bei jenen Personen erhoben, die ein Radio- oder Fernseh-Empfangsgerät oder beides besitzen. Ab 2018 wird die Gebühr pro Haushalt erhoben, weil die Ausrüstung inzwischen so ist, dass die Bewohner der Schweiz entweder einen Fernseher oder ein Radio oder einen Laptop oder ein Smartphone oder alles zusammen besitzen und mindestens auf einem dieser Kanäle Radio und Fernsehen empfangen können. All das ist sowohl vernünftig als auch legal und vom Schweizer Souverän abgesegnet. Darum verbreiten Sie die Unwahrheit und missachten die Fakten, wenn Sie von „ordnungswidrigen Zwangssteuern“ sprechen!

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.


[1] http://www.srf.ch/news/schweiz/arena-altersvorsorge-2020-geht-das-fuder-bachab

[2] http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/01/06/blank/key/04/04.html

[3] http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/news/medienmitteilungen.Document.203211.pdf

[4] Corinne Di Loreto, Medienstelle BfS, per Mail an die Redaktion der «Arena», 11.10.16.

[5] https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-61652.html

[6] http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/01/06/blank/key/04/04.html

[7] https://www.admin.ch/ch/d/pore/va/20150614/det595.html

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