«Tagesschau»-Bericht über Anschlag in Istanbul beanstandet (I)

4459

Mit Ihrer E-Mail und Ihrem Brief vom 8. Januar 2017 beanstandeten Sie die „Tagesschau“ des Schweizer Fernsehens SRF vom 1. Januar 2017 und dort den Beitrag über den Anschlag in Instanbul, genauer das Verhalten des Moderators Florian Inhauser.[1] Und Sie schrieben: „In der Hoffnung einer ehrlichen und sachlichen Analyse meiner Beschwerde, sehe ich Ihrem Gegenbericht gespannt entgegen.“ Ihre Eingabe erfüllt die formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Folglich kann ich auf die eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„In der besagten Sendung vom Neujahrstag berichtet die Tagesschau unter anderem über den Terroranschlag auf ein Istanbuler Nobelclub, bei dem 39 Menschen starben und weit über 60 Personen verletzt wurden. Nach dem Einspieler zum Attentat schaltet sich Moderator Florian Inhauser zur freien Korrespondentin in Istanbul, Kristina Karasu.

Beim geführten Interview formuliert Florian Inhauser seine zweite Frage wie folgt: <Ist den schon absehbar, wie die Regierung, wie Präsident ErdoWahn auf diese jüngste Bluttat in Istanbul reagieren könnte?>

Dass Florian Inhauser den türkischen Präsidenten statt beim richtigen Namen mit ‚ErdoWahn‘ erwähnt, ist an der Stelle 4 Min. 42 Sek. hörbar und auch von den Lippen ablesbar. Nun ist das gewiss eine – vorsichtig gesagt – ‚sonderbare‘ und zudem deplatzierte Formulierung. Bei der besagten Sendung handelt es sich um eine Nachrichtensendung, deren redaktionelle Aufgabe sowohl verfassungsrechtlich, wie auch in den ‚Publizistischen Leitlinien des SRF‘ festgehalten ist. Weshalb sich unter anderem folgende Fragen aufdrängen:

- Welchem publizistischen Zweck diente Florian Inhauser’s Formulierung?

- Wie ist dieses Verhalten mit der verfassungsrechtlichen Aufgabe des SRF und dessen publizistischen Leitlinien vereinbar?

- Wieso wird eine derart herabsetzende Formulierung über einen Staatsmann geduldet oder bleibt ungeahnt?

In der Sendung geht es um einen grausamen Anschlag, mit zahlreichen Toten und Verletzten, der auch die in der Schweiz lebende türkische und türkischstämmige Community schwer getroffen hat. Abgesehen davon ist die Türkei seit längerem Ziel von linken und radikalen Terrororganisationen: den unzähligen Anschlägen der vergangenen Monate sind hunderte Polizisten, Militärangehörige sowie in- und ausländische Zivilisten zum Opfer gefallen. Die Terrororganisationen bezwecken das Land zu destabilisieren und ähnlich wie in Syrien in einen Bürgerkrieg zu stürzen. Und genau diesem Umstand ist sich auch die hiesige türkische und türkischstämmige Gemeinschaft bestens bewusst. Deshalb ihre Besonnenheit.

Florian Inhauser mag persönlich mit der Politik von Präsident Erdoğan nicht einverstanden sein. Das ist zwar sein Recht. Doch hat seine Meinung im Rahmen der Tagesschau, wo es um die Vermittlung von redaktionellen Inhalten geht, nichts verloren. Schon gar nicht so!

Mit seiner bewussten und herabsetzenden Entgleisung über ein Staatsoberhaupt - der wohlverstanden auch der Präsident von ca. 110 Tsd. Türkinnen/Türken und türkischstämmigen in der Schweiz ist - missachtet er die Gefühlslage der Menschen, ihre Trauer und ihre Besonnenheit. Die, ganz nebenbei, mit den öffentlich-rechtliche Fernseh- und Radio-Gebühren auch noch dafür bezahlen, dass man sie nicht respektiert.

Florian Inhauser’s Verhalten bedarf meines Erachtens einer Erklärung und persönlichen Entschuldigung seinerseits im selben Sendungsrahmen, wie es entstanden ist. Mit dieser Auffassung stehe ich gewiss nicht alleine da. Aus meinem persönlichen Umfeld habe ich zahlreiche Reaktionen auf die Sendung erhalten.“

Nachdem ich Ihre Beanstandung erhalten hatte, habe ich Sie am 9. Januar 2017 per E-Mail gefragt:

„Ich danke Ihnen für Ihre Beanstandung, möchte aber nachfragen, ob sie nicht auf einem Missverständnis beruht. Die Frage ist letztlich, wie man den türkischen Buchstaben ğ ausspricht. Den Namen des türkischen Politikers Erdoğan hat man im deutschsprachigen Raum zuerst so ausgesprochen, wie man es auf Deutsch liest: Erdogan. Dann, als er Präsident geworden war, begann man bei deutschsprachigen Radio- und Fernsehsendern in Deutschland, Österreich und der Schweiz umzustellen auf die korrekte türkische Aussprache. Ob sie wirklich korrekt ist, kann ich nicht beurteilen, aber es hörte sich stets an wie Erdowan, wobei nie jemand daran dachte, den Namen als Erdo-Wahn auszusprechen. Wenn also ein Moderator sich um die türkische Aussprache eines türkischen Namens bemüht, dann sehe ich nicht recht, was man da beanstanden soll. Ich bitte Sie daher, mir mitzuteilen, ob Sie wirklich an Ihrer Beanstandung festhalten wollen.“

Sie haben umgehend wie folgt geantwortet:

„Vorab möchte ich Ihnen herzlich danken, dass Sie sich spätabends um eine Antwort bemühten, was ich zu schätzen weiss.

Bei allem Respekt und in der Annahme, dass sie um eine konstruktive Schlichtung bemüht sind, muss ich Ihrer These des allfälligen Missverständnisses widersprechen.

Denn und nicht abschliessend:

1. hört sich das türkische ğ auch für türkischfremde, deutschsprachige Moderatoren/Journalisten nicht an, wie ein W. Es wird auch nicht so ausgesprochen. Dass auch deutschsprachige den Namen des türkischen Präsidenten korrekt aussprechen können, kann man auch aus der Antwort von Frau Krisitina Karasu hören.

Auch kann diese These beim folgenden Dialog von 10vor10 Moderator Arthur Honegger mit SRF Türkei Korrespondentin Ruth Bossart widerlegt werden, die beide den Namen korrekt aussprechen können.[2]

2. Selbst wenn es so wäre, wie sie zu schildern versuchen: wäre von einem öffentlich-rechtlichen Sender (und dessen Moderator) im Kontext des Terroranschlages mit 39 Toten und über 60 Verletzten

a) nicht mehr ‚Fingerspitzengefühl‘ angesichts der ganzen Diskussionen um Erdowie-Erdowo-Erdowahn Polemik und

b) mehr Respekt vor der zahlenmässig nicht zu unterschätzenden türkischstämmigen Gemeinschaft, die in der Schweiz lebt, zu erwarten? Zumal diese bestimmt nicht erfreut ist, dass man sich mit ihren mitfinanzierten Gebühren über den eigenen Präsidenten belustigt und/oder herabsetzt.

3. Die These eines allfälligen Missverständnisses lässt sich auch an der Tatsache entkräften, dass dieselben ‚Schwierigkeiten‘ sich ‚ironischerweise‘ bei der Namensvetterin Aslı Erdoğan nie offenbaren.

Wenn man Florian Inhauser in den verschiedenen Formaten, die er moderiert, mitverfolgt, erkennt man schnell, dass er die Politik vom türkischen Präsidenten nicht ‚teilt‘. Das ist auch sein gutes Recht. Aber seine persönlichen Ressentiments haben in der Tagesschau, wo es um redaktionellen Inhalt geht, nichts verloren. Zudem wäre mehr Fingerspitzengefühl nach so einer Bluttat nicht zu viel des Guten gewesen. Auch im Hinblick auf die hier lebenden und zutiefst getroffenen Landsleute nicht...

Wie bereits in meinem Beschwerdebrief erwähnt, würde eine persönliche Entschuldigung Florian Inhauser's im selben Sendeformat zum Wohlwollen der Türken/-innen in der Schweiz nur positiv beitragen. Daher hoffe ich auf eine ehrliche und objektive Behandlung der Angelegenheit.

Ich hoffe, dass ich mit meinen Schilderungen klar machen konnte, dass ich an meiner Beschwerde festhalte.“

B. Damit war klar, dass ich Ihre Beanstandung weiter behandle. Die zuständige Redaktion erhielt Gelegenheit, zu Ihren Argumenten Stellung zu nehmen. Herr Franz Lustenberger, stellvertretender Redaktionsleiter der „Tagesschau“, schrieb:

„Mit Brief vom 9. Januar kritisiert Her X die Tagesschau-Hauptausgabe vom 1. Januar. Letztlich geht es in der Beanstandung um die Aussprache des Namens des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Berichterstattung

Die Tagesschau hat am Neujahrstag umfassend und breit über den Anschlag während einer Silvesterparty in einem Istanbuler Nobelclub berichtet. Sie hat dies korrekt gemacht. Sie hat auch im Rahmen ihres Informationsauftrages Stellung bezogen; Moderator Florian Inhauser bezeichnet den Anschlag in der Moderation als „mörderische Attacke“. Im Live-Gespräch mit der Korrespondentin Kristina Karasu in Istanbul werden mögliche Hintergründe besprochen; es wird herausgearbeitet und erläutert, dass mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit islamistische Kreise hinter der Tat stecken könnten.

Dies hat sich mit der Verhaftung eines Usbeken, der in Afghanistan ausgebildet wurde, mittlerweile auch bestätigt. Die Terrormiliz IS hat sich in der Zwischenzeit auch zur Tat bekannt.

Aussprache

Zur Aussprache drei Vorbemerkungen: Die Tagesschau ist eine live-Sendung. Alle Moderationen und Korrespondenten-Gespräche werden live gesprochen. Die Moderatorinnen und Moderatoren sind sprachgewandt; sie sind aber der türkischen Sprache nicht mächtig. Die Tagesschau stützt sich bei der Aussprache von Namen, Orte, Berge, etc. in anderssprachigen Ländern auf die Aussprachedatenbank der ARD.[3]

Gemäss Datenbank wird der Name des türkischen Präsidenten Erdogan mit einem weichen ‚w‘ ausgesprochen. In der Sendung wird das ‚w‘ etwas härter ausgesprochen, nicht ganz in perfektem Türkisch.

Wenn Herr X dies als ‚ErdoWahn‘ (Hervorhebung durch den Beanstander) gehört und interpretiert haben will, so ist das seine ganz persönliche Wahrnehmung. Sie war vom Moderator nie so gemeint. Die allermeisten Zuschauer haben dies auch nicht so gehört und schon gar nicht so interpretiert.

Keine ‚Entgleisung‘

Florian Inhauser formuliert sehr eloquent und auf einem hohen sprachlichen Niveau. Von einer ‚bewussten und herabsetzenden Entgleisung‘ gegenüber einem gewählten Staatsoberhaupt kann keine Rede sein. Noch missachtet Florian Inhauser die Gemütslage der Menschen und ihre Trauer. Florian Inhauser hat in seiner langen journalistischen Laufbahn verschiedentlich aus Kriegs- und Katastrophengebieten (Erdbeben Haiti nur als ein Beispiel) berichtet – immer mit einer grossen Empathie den Opfern von Kriegen und Katastrophen gegenüber.

Publizistische Linie von SRF

Herr X stellt in seiner Beanstandung eine Reihe von Fragen zur publizistischen Haltung, auf die ich im Folgenden eingehe:

Die nicht ganz perfekte Aussprache des Namens des türkischen Präsidenten durch Florian Inhauser verfolgt keinen publizistischen oder politischen Zweck. Es gibt daher auch keinen Widerspruch zu den rechtlichen Grundlagen (Verfassung, Gesetz, Konzession), auf denen die Arbeit der Journalistinnen und Journalisten von SRF beruht. Eine kleine sprachliche Unzulänglichkeit im live ist kein Anlass für weitere Massnahmen. Die vom Beanstander verlangte Erklärung im selben Sendungsrahmen, respektive persönliche Entschuldigung, ist deshalb nicht nötig.

Alle Moderatorinnen und Moderatoren, alle Journalistinnen und Journalisten von SRF bemühen sich um eine korrekte Aussprache von Namen und Bezeichnungen anderer Sprachen. Die Beanstandung von Herr X erinnert die Redaktion daran, dass wir diesem Teil unserer Arbeit besondere Beachtung schenken müssen. Aber nochmals – im live sind sprachliche Ungenauigkeiten bei fremdsprachigen Namen und Wörtern nie ganz auszuschliessen.

Wenn ich manchmal andere Sender in anderen Ländern oder auch lokale Sender hierzulande höre, dann komme ich zum Schluss, dass die Nachrichtensendungen von SRF dem Ziel der korrekten Aussprache sehr nahekommen. Dies sicher auch, weil die Schweiz ein vielsprachiges Land ist, wegen den vier Landessprachen und wegen der Migration in die Schweiz mit vielen weiteren Sprachen, die in unserem Umfeld täglich gesprochen werden.

Ich bitte Sie die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung des angesprochenen Problems. Rundfunkmedien stehen – anders als Print- und Onlinemedien – stets vor der Herausforderung, Personen-, Orts-, Landschafts- und Institutionen-Namen aller möglicher Länder und Sprachen richtig auszusprechen. Dabei erlaubt man sich bei deutschsprachigen Sendern, die Namen wichtiger Städte deutsch und nicht in der jeweiligen Landessprache zu benennen. Man sagt also Damaskus und nicht Dismaschq, Aleppo und nicht Halab, Jerusalem und nicht Jeruschalajim oder al-Quds, Kairo und nicht al-Qahira, Prag und nicht Praha, Mailand und nicht Milano. Bei den Personennamen bemüht man sich hingegen, anders als in vielen anderen Ländern, beispielsweise Frankreich, um die korrekte Sprechweise. Dabei werden nicht immer alle Feinheiten beachtet. Nicht immer wurden die Namen der russischen Politiker Konstantin Tschernenko, Juri Andropow oder Michail Gorbatschow so ausgesprochen, dass korrekt Kanstantin Tschernjenko, Juri Andruopow oder Michail Garbatschow herauskam. Genauso verhält es sich mit dem Namen des türkischen Präsidenten Erdoğan: Es geht um Feinheiten.

Dafür ist die „Tagesschau“ vom 1. Januar 2017 ein gutes Beispiel. Der Moderator Florian Inhauser spricht alle Namen härter und „deutscher“ aus als die Korrespondentin Kristina Karasu. Er spricht vom Nachtclub „Raina“, sie sagt „Rejna“. Er setzt das ğ im Namen des türkischen Präsidenten hörbar als relativ hartes W um, die Korrespondentin verwendet ein ganz weiches, kaum hörbares W. Nachdem ich mir den Beitrag mehrfach angehört habe, komme ich zum Schluss, dass die Aussprache der Unbeholfenheit eines der türkischen Sprache unkundigen Moderators zuzuschreiben ist und nicht einer bestimmten politischen Haltung. Arthur Honegger von „10 vor 10“, der der aktuellen Politik des türkischen Präsidenten genauso kritisch gegenübersteht wie Florian Inhauser und wie vermutlich alle demokratisch, rechtsstaatlich und pluralistisch eingestellten Schweizer Journalistinnen und Journalisten, spricht den Namen des Staatspräsidenten absolut korrekt aus.

Sie verlangen eine Entschuldigung. Es gibt zurzeit nur einen Grund, für den sich Schweizer Journalistinnen und Journalisten im angesprochenen Kontext entschuldigen müssten: Dann, wenn sie über die derzeitige Entwicklung in der Türkei nicht mehr kritisch berichteten.

Die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) würde in so einem Fall wie dem des nicht ganz korrekt ausgesprochenen Präsidenten-Namens sagen, es handle sich um einen Fehler in einem Nebenpunkt, der die freie Meinungsbildung des Publikums in keiner Weise beeinträchtige. Da ich die Aussprache als marginalen Fehler in einem Nebenpunkt betrachte, kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] http://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-01-01-2017-1930?id=ae906b12-2ae1-45a9-a023-a49fcff6109a

[2] http://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/ruth-bossart-live-aus-istanbul?id=88637faf-928a-4ee1-a37b-9f05001ef4d0 , Bericht vom 4. November 2016.

[3] http://www.ard.de/home/intern/fakten/abc-der-ard/ARD_Aussprachedatenbank____AusspracheDatenBank__ADB__der_ARD/563650/index.html

Kommentar

Leider konnte dein Kommentar nicht verarbeitet werden. Bitte versuche es später nochmals.

Ihr Kommentar wurde erfolgreich gespeichert und wird nach der Freigabe durch SRG Deutschschweiz hier veröffentlicht

Weitere Neuigkeiten