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Durch Humor kann man das Leben kurz anhalten

Obschon er zurzeit im Ausland lebt, ist Gabriel Vetter mit seiner Präsenz auf ­Bühnen, in Zeitungen, Radio und Fernsehen einer der prägenden Humoristen der Schweiz. Im Interview spricht er über die existenzielle Bedeutung von Humor.

Gabriel Vetter, Sie leben in Norwegen und sind ­gerade für vier Auftrittstage in der Schweiz gelandet. Gibt es einen Schweizer Humor?
Ja, natürlich. Ich glaube, Humor ist stets an Zeit und Ort gebunden. Er funktioniert als eine Art Schmiermittel eines aktuellen ­Aggregatzustandes, wird also durch das aktuelle Zeitgeschehen beeinflusst. Und weil die Schweiz ein geografisch ­begrenztes Territorium ist, gibt es den Schweizer Humor, wie es den norwegischen oder den Toggenburger Humor gibt.

Humor verändert sich also laufend?
Sicher. Aktuell finde ich beispielsweise interessant, wie sich in ­sozialen Medien ein mediumsbezogener Humor entwickelt. Der deutsche SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat von der Buchmesse in Leipzig den folgenden Tweet abgesetzt: «Kunst und Kultur können uns zum Staunen, Zweifeln oder zum Nachdenken bringen. War auf der Buchmesse in Leipzig wieder intensiv zu spüren.» An sich ist das einfach eine Platti­tüde von Schulz. Der deutsche Satiriker Leo Fischer, der fürs Magazin «Titanic» Kolumnen schreibt – übrigens einer der lustigsten deutschen Schreiber –, hat Schulzes Tweet kommentarlos geteilt. Durch ­Fischers Kanal wurde die Plattitüde satirisch aufgeladen und wahnsinnig lustig.

Der Kontext vom als Satiriker bekannten Fischer hat eine Plattitüde in etwas Humoristisches ­verwandelt. Braucht es immer einen Kontext?
Wenn Verfremdungsmittel wie Ironie oder Sarkasmus verwendet werden, ist er auf jeden Fall sehr nützlich. Ich habe vor einiger Zeit eine Show des amerikanischen Comedians Louis C. K. besucht, der für seinen tiefschwarzen Humor bekannt ist. Der hat nach einer guten Stunde Sätze gesagt, die politisch extrem inkorrekt waren. Trotzdem haben alle gelacht, weil sich Louis C. K. über Jahre einen Kontext er­arbeitet hat, der jedem verdeutlicht, dass er das nicht so meint. Mir wurde bei der Show plötzlich klar, dass er diese Sätze nicht über die vorangegangene Stunde des Programmes, sondern über die letzten siebzehn Jahre eingeleitet hat.

Wie ist das bei Ihnen?
Von mir wissen die Leute mittlerweile auch, was ungefähr zu erwarten ist. Ich versuche allerdings immer wieder, bekannte Pfade zur Pointe zu verlassen, also Nummern zu schreiben, die nicht nach einem gewohnten Schema funktionieren. Dabei habe ich auch schon Leute erlebt, die wütend wurden, weil sie nicht so lachen konnten, wie sie es sich gewohnt sind. Das finde ich eigentlich noch schön, denn es zeigt, dass den Leuten das Lachen etwas bedeutet. Schade ist, dass manche nicht ­bereit sind, ausserhalb jener Muster zu lachen, die sie kennen. Ich hasse affirmative Comedy. Das ist schlicht langweilig. Blondinenwitze sind deshalb uninteressant, weil sie immer darauf hinauslaufen, dass Blondinen dumm sind. Das Schönste wäre, wenn ich das Publikum zum Lachen bringen könnte und es gar nicht merken würde, warum es lacht.

«Schade ist, dass manche nicht ­bereit sind, ausserhalb jener Muster zu lachen, die sie kennen.»

Dieser Kontext bei Kabarettisten funk­tioniert ­ähnlich wie Sekundär­literatur bei literarischen ­Texten oder bei Kunstwerken. Manche vertreten die Haltung, ein Werk müsse ohne Hintergrundwissen wirken und ­verständlich sein.
Ja, das stimmt. Ein Kontext vereinfacht sowohl dem Publikum als auch dem Künstler die «Arbeit». Die Vorstellung, wieder einmal als völlig Unbekannter aufzutreten, ist aber durchaus verlockend. In Norwegen bietet sich hie und da eine Gelegenheit. Beispielsweise als ich bei einem Poetry-Slam-Festival mit deutschen und englischen Texten aufgetreten bin. Solche Erfahrungen sind immer wieder spannend und nützlich.

Ironie und Sarkasmus lernen ­Kinder erst ab einem gewissen ­Alter ­zu verstehen. Es gibt allerdings auch Erwachsene, die Mühe haben, Ironie zu erkennen. Kann man ­Humor ­lernen?
Ich glaube schon. Es ist wohl nicht etwas, was man über einen Sommer lernt. Wenn man in einem Umfeld aufwächst, in dem Humor eine Rolle spielt, dann eignet man sich aber sicher automatisch einen Humor an. Oder zumindest die Fähigkeit, ihn zu verstehen. Aber ich denke, selbst wenn jemand völlig humorlos aufgewachsen ist, kann er es noch lernen. Man kann alles lernen.

Wozu braucht es Humor?
Für alles. Für mich ist Humor etwas sehr Existenzielles. Eine ähnliche Fähigkeit wie die Sprache und ähnlich wichtig. Man braucht ihn, um das eigene Leben einzuordnen und damit umzugehen. Durch Humor kann man das Leben kurz anhalten und einen selbstironischen Blick auf die eigene Existenz werfen, der sehr tröstlich und lehrreich ist. Man erkennt sich durch den Humor wieder. Zum Erkennen braucht es ­Distanz. Man muss quasi sich selbst sein und gleichzeitig neben sich stehen.

«Für mich ist Humor etwas sehr Existenzielles. Eine ähnliche Fähigkeit wie die Sprache und ähnlich wichtig. Man braucht ihn, um das eigene Leben einzuordnen und damit umzugehen.»

Es heisst oft, die Schweizer Satire sei ­zahmer als beispielsweise in Deutschland oder Österreich. Sind ­unsere Satiriker zahnloser, oder ­verträgt das Publikum ­weniger Biss?
Ich würde sagen: weder noch. Es gibt auch bei uns sehr bissige Satire. Die Frage ist bloss, wo sie stattfindet. Natürlich tragen die Medien, wie beispielsweise das Fern­sehen, eine Verantwortung, indem sie entscheiden, wem sie eine Plattform bieten. Sie entscheiden mit, was einem sehr breiten Publikum bekannt wird. In der Schweiz sind die schärfsten Zungen wohl eher untervertreten. Serdar Somuncu in Deutschland oder Louis C. K. in den USA sind aber, verglichen mit den ganz grossen Namen in diesen Ländern, ebenfalls Nischenkünstler. Nur sind die jeweiligen Nischen da aufgrund der grösseren Bevölkerung eben auch grösser. In der Schweiz gibt es sie auch; einfach weniger sichtbar.

Louis C. K. und Serdar Somuncu sind sehr politische Satiriker. Die Medien werden auch als vierte Macht im Staat bezeichnet. In der Schweiz beobachtet man in letzter Zeit eine Politisierung verschiedener Medien. Kritiker ­befürchten, Medien könnten in Zukunft ihre Aufgabe als ausgewogene Berichterstatter vernachlässigen. Sind Künstler eine Art fünfte Gewalt im Staat?
Ich glaube, alle Bürgerinnen und Bürger tragen eine Verantwortung. Satiriker oder Schriftsteller gehören ebenso zur Zivilbevölkerung wie eine Hobby­stickerin, die eine politische Aussage in ihre Stickerei einfliessen lassen kann. Künstler gehören zur Zivil­bevölkerung, deren Engagement beispielsweise bei der Durchsetzungs­initiative gewirkt hat.

Künstler verfügen aber doch häufig über Kanäle mit mehr Reichweite als die Hobbystickerin, der Schreiner oder Banker.
Ja, und als öffentliche Personen tragen sie eine grosse Verantwortung, wenn sie sich äussern. Die Frage ist aber, in welcher Funktion sie das tun. Für mich lautet die Antwort, dass sie es als Bürger tun, nicht explizit als Künstler. Sie sind Teil des Volkes, das in einer Demokratie per Definition politische Verantwortung trägt.
Auch Ihre Programme sind politisch.

«Als öffentliche Personen tragen Künstler eine grosse Verantwortung, wenn sie sich äussern. Die Frage ist aber, in welcher Funktion sie das tun. Für mich lautet die Antwort, dass sie es als Bürger tun, nicht explizit als Künstler.»

2006 wurde Ihnen als jüngstem Preisträger der Geschichte der «Salzburger Stier» verliehen. Wie bedeutend war der Preis?
Als mir der Preis verliehen wurde, war ich gerade seit eineinhalb Jahren als Slammer aktiv und hatte eigentlich keine Ahnung, dass so etwas wie eine Politkabarett-­Szene überhaupt existierte. Ich dachte, ich würde weiterhin Poetry Slam machen. Dann hat sich aber sehr viel verändert. Meine Programme wurden immer poli­tischer. Viele Angebote, die ich nach 2006 erhielt, verdankte ich dem Preis. Auch heutige Engagements wie meine neue Kolumne beim «Tages-Anzeiger» sehe ich noch als eine Art Spätfolge des «Stiers». So ein Preis motiviert und gibt sehr viel Selbstvertrauen.

Sie und andere Künstler aus dem ­Umfeld des Poetry Slam – beispielsweise Hazel Brugger, Renato Kaiser oder Christoph Simon – sind heute etablierte Satiriker. Welche Bedeutung hat der Poetry Slam in der Schweiz?
Es ist tatsächlich so, dass viele Kabarettisten einen Slam-Hintergrund haben. Meiner Meinung nach funktioniert der Slam in der Schweiz als eine Art Flaschenhals. In England gibt es an Universitäten Theater- und Comedyclubs. Auch andere Länder verfügen über solche Strukturen. In der Schweiz gibt es das weniger. Der Poetry Slam hat sich hier aber sehr erfolgreich verbreitet und findet in allen grossen Städten und auch auf dem Land statt. Sehr viele junge Kreative wählen diesen Weg und nutzen diese Bühnen.

Wie hat sich die kabarettistische und satirische Szene in den letzten Jahren verändert?
Was mir auffällt ist, dass die jungen Slammerinnen und Slammer häufig sehr viel Selbstvertrauen ausstrahlen, wenn sie den Sprung auf andere Bühnen wagen und beispielsweise im Fernsehen auftreten. Das ist so, weil sie durch den Slam bereits sehr viel Bühnenerfahrung gesammelt haben. Poetry Slam funktioniert in der Schweiz mittlerweile als Comedy-RS. Und manche, die die Schule durchlaufen, verlassen sie als Comedy-Grenadiere.

Text: Interview: Frédéric Zwicker

Bild: Johannes Müller

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