SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

Tatort - «Sturm» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 17. April 2017 haben Sie den Tatort «Sturm» vom Ostermontag beanstandet. Ihre Eingabe erfüllt die formalen Voraussetzungen an eine Beanstandung. Somit kann ich auf sie eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

Der ausgestrahlte Tatort vom Ostermontag ist vorallem am Schluss ein reine Zumutung für Geist und Seele.
Es ist ein Hohn eine solche Sendung noch an einem Feiertag auszustrahlen.
Wir sind entsetzt, und zwar Wortwörtlich.

Grundrechte der Menschenwürde
Im Film sind diskriminierende und rassistische Inhalte vorhanden.

Öffentliche Sicherheit
Wie auch in anderen Medienberichten und Sendungen wird mit Ausstrahlung solcher Bilder die öffentliche Sicherheit indirekt gefährdet oder kann gefährdet werden. (Nachahmungstäter)

Schutz Minderjähriger
Bravo für unserer Kinder (und uns Erwachsene) die so was ansehen müssen.
Bezüglich Sprache ist dieser Tatort auch ein Superbeispiel wie man kommunizieren soll.

Gewalt am TV, ein Dauerthema.

Sie merken es, wir können uns kaum erholen.
Und dies an einem Feiertag.
Warum haben wir bloss geschaut, ja selber Schuld.

B. Ihre Beanstandung wurde der zuständigen Redaktion zur Stellungnahme vorgelegt. Frau Lilian Räber, Leitung Fernsehfilm schrieb:

Auf Ihre Bitte um eine redaktionelle Stellungnahme zur Kritik von Herrn und Frau Kläusli-X gehe ich hiermit gerne ein.

Die Frage nach der Gewaltdarstellung im Fernsehen und insbesondere im Krimi beschäftigt uns regelmässig. Das Publikum erwartet vom Fernsehen, dass es die Komplexität der Wirklichkeit im Programm wiederspiegelt. Dazu gehört auch das Phänomen der Gewalt, das seit jeher in unserer Gesellschaft existiert. Gerade im Kriminalfilm, wie der Tatort einer ist, steht am Anfang immer tödliche Gewalt. Krimis erzählen von Verbrechen und ihren Folgen und sind per Definition keine leichte Unterhaltung. Deshalb zeigen wir sie in der Regel erst im Hauptabendprogramm ab 20 Uhr. Dieses Programm richtet sich grundsätzlich an ein mündiges Publikum, das sich bei der Festlegung seiner Bedürfnisse und Rezeptionsgewohnheiten nicht gerne bevormunden lässt. Die Redaktion achtet aber darauf, dass dieses Programm einem Publikum ab 12 Jahren zugemutet werden können. Die Tatorte aus Deutschland werden vom Jugendschutzbeauftragten der Sender geprüft und freigegeben. So geschehen auch bei der kritisierten WDR-Folge „Sturm“.

SRF produziert den Tatort in Produktionsgemeinschaft mit der ARD und den ORF. Von den 36 Tatortfolgen pro Jahr werden zwei Folgen vom Schweizer Radio und Fernsehen produziert. Die restlichen Folgen werden von den deutschen, respektive österreichischen Redaktionen hergestellt. Wir haben weder auf deren Inhalte noch auf ihre Programmierung einen Einfluss. Trotzdem übernehmen wir für die Ausstrahlung dieser Filme die Verantwortung.

Die Tatortfolge „Sturm“ sollte ursprünglich Anfang 2017 ausgestrahlt werden. Der Film wurde aber nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche kurzfristig aus dem Programm genommen und auf den 17. April gesetzt. Als Mitglied der Tatort-Gemeinschaft übernehmen wir die Tatort-Planung der ARD und damit auch den neuen Sendeplatz für den Tatort „Sturm“.

Leider wissen wir nicht, auf welche Passagen sich der Vorwurf von Rassismus und Diskriminierung bezieht. Der Film nimmt als Anfangspunkt die akute Bedrohung durch einen Selbstmordattentäter, der droht, sich in die Luft zu sprengen. Im Unterschied zu den realen Attentaten der letzten Jahre bezeichnet sich der Mann aber nicht als islamistisch. Auch ist sein Ziel nicht, möglichst viele Menschen in den Tod zu reissen, sondern Geld zu überweisen. Im Verlauf der Geschichte wird klar, dass er das nicht freiwillig tut, sondern von islamistisch motivierten Jugendlichen dazu gezwungen wird. Diese Jugendlichen wiederum wurden durch einen deutschen Geschäftsmann manipuliert, der sich bereichern will. Mit dieser umständlichen Täter-Konstruktion bewegt sich der Film erzählerisch weit weg von Anschlägen des IS oder Al-Kaida. Wir können insgesamt keine rassistischen Inhalte feststellen.

Der einzige Punkt, an dem wir die abwehrende Reaktion von Herrn und Frau Kläusli-X nachvollziehen können, ist der Schluss des Filmes. In den letzten Minuten kommt es doch noch zur Explosion. Einer der drei Jugendlichen will die Eskalation, unabhängig davon, ob er sein ursprüngliches Ziel erreicht hat oder nicht. Die Bilder der von Staub und Asche bedeckten Verletzten, die verloren auf dem verwüsteten Parkplatz stehen, in Zeitlupe und mit unterdrücktem Ton, sind intensiv und verstörend. Damit macht der Film die Logik eines solchen Anschlages spürbar: Es kommt nicht darauf an, wer getötet wird, es gibt keinen Grund es hier und jetzt zu tun. Ziel ist einzig die möglichst grosse Zerstörung und dazu opfert sich jemand selbst. In dieses Gefühl der Sinnlosigkeit wirft der Tatort „Sturm“ am Ende seine Zuschauer und entlässt sie auch damit. Dass die Hilflosigkeit und Verstörung für das Publikum unangenehm ist, steht ohne Zweifel. Das ist aber in unseren Augen von den Machern auch intendiert. Denn es geht ihnen darum einen Film zu diesem Gefühl der Hilflosigkeit zu machen.

Man kann darüber spekulieren, ob es der Diskussion dient, dieses hilflose Gefühl nach einem Attentat zu evozieren. Die Angst aber, dass der Film Anstiftung zur Nachahmung ist, ist nicht begründet. Die Medien- und Wirkungsforschung hat in zahlreichen Studien keinen monokausalen Zusammenhang zwischen medialem Konsum und anschliessender Tat feststellen können. Wenn fiktionale Gewaltdarstellungen einen Einfluss auf das Verhalten ihres Publikums haben, dann nur als kleines Glied in einer langen, äusserst komplexen Kette von sozialen, kulturellen, psychologischen und biografischen Faktoren, die beim jeweiligen Zuschauer zusammenkommen.

Vor dem Hintergrund all dieser Ausführungen möchte ich Sie bitten, die Zuschauerkritik abzuweisen.

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ich habe mir den Tatort «Sturm» am Ostermontagabend angeschaut und war am Ende des Krimis ebenfalls schockiert. Besonders irritierend ist dabei die Tatsache, dass man als Zuschauerin oder Zuschauer glaubt, die vielen Polizisten und das Team der Kripo hätten nach der Festnahme des Anstifters nun alles im Griff. Just zu diesem Zeitpunkt folgt der grausame Akt der Gewalt. Der beanstandete Tatort entlässt uns also mit einem Gefühl der Hilflosigkeit und der leider wahren Erkenntnis, dass völlige Sicherheit einem Wunschbild entspricht. Wichtig scheint mir, und das hält auch Frau Räber fest, dass sich dieser Tatort mit seiner umständlichen und für mich zum Teil ziemlich abstrusen Täter-Konstruktion erzählerisch weit weg von Anschlägen des IS oder Al-Kaida befindet. Auch ich komme zum Schluss, dass ich insgesamt keine rassistischen Inhalte feststellen kann.

Wie Sie sicher mitbekommen haben, hat «Sturm» bereits im Vorfeld zu heftigen Diskussionen geführt, einerseits wegen des Ausstrahlungszeitpunkts (der Film wurde vier Monate zuvor anlässlich des Anschlags in Berlin verschoben, andererseits wegen der Heftigkeit des finalen Gewaltaktes.

Auf der Tatort-Site (www.tatort.de) ist bezüglich Gewalt unter den am häufigsten gestellten Fragen folgendes zu lesen: «Warum wird der "Tatort" immer gewalttätiger? Jeder "Tatort", den Sie im Ersten sehen, wird vor der Ausstrahlung nach den Kriterien der "ARD- Grundsätze gegen Verharmlosung und Verherrlichung von Gewalt im Fernsehen" und des Jugendschutzes geprüft. Auch wenn die Krimis Gewaltszenen enthalten, sehen Sie in keinem "Tatort" Gewalthandlungen, die zum Selbstzweck und ohne dramaturgische Begründungszusammenhänge in Szene gesetzt werden. Gewalt wird nicht als Mittel zur Konfliktlösung angepriesen. Außerdem werden die Auswirkungen von Gewalt auf ihre Opfer nicht ausgeblendet. Es trifft daher nicht zu, dass der "Tatort" immer gewalttätiger wird.»

Der von Ihnen kritisierte Ausstrahlungszeitpunkt ergibt sich aus der Tatsache, dass SRF als Mitglied der Tatort-Gemeinschaft die Planung der ARD und damit auch den neuen Tatort-Sendeplatz übernehmen musste. Dabei gilt selbstverständlich auch bei Radio und Fernsehen SRF der Jugendschutz. So können ab 20 Uhr auch Sendungen mit heiklem Inhalt ausgestrahlt werden, aber nur solche, die ab dem 12. Altersjahr freigegeben sind. Solche, die erst ab dem 14. Altersjahr freigegeben worden sind, müssen mit einem besonderen Jugendschutz-Signal angekündigt werden. Ab 22 Uhr sind Sendungen mit Altersfreigabe ab 16 Jahren, ab 23 Uhr auch solche mit Altersfreigabe ab 18 Jahren möglich. Diese werden aber nur mit Warnsignal ausgestrahlt. Klar ist allerdings, dass diese Regeln heute nur noch relative Gültigkeit haben. Das Internet stellt den Unterschied zwischen den Programmen am helllichten Tag und den Programmen zur Nachtzeit auf den Kopf. Denn Kinder und Jugendlich können, sofern sie über die nötigen Zugangskenntnisse verfügen, die Sendungen unschwer in einer Mediathek oder auf Youtube anschauen, notabene zu jeder Tages- und Nachtzeit. So ist das Ende des Tatorts «Sturm» auf Youtube[1] problemlos zu finden. Dies macht aber die Jugendschutz-Massnahmen nicht unnötig: Es ist weiterhin richtig, wenn sich SRF strikt an die vorgeschriebenen Tageszeiten und die vorgeschriebenen Signale halten. Und es ist weiterhin richtig und wichtig, wenn Eltern dafür sorgen, dass Kinder nicht zur falschen Zeit vor dem Fernseher sitzen.

Dass das soziale Umfeld (wie beispielsweise Familie und Peers) auf den Menschen letztlich einen deutlich grösseren Einfluss hat als die Medien, darin besteht in der Wissenschaft weitgehende Einigkeit darin. Dies zeigt sich auch darin, dass trotz der gestiegenen Verbreitung von gewalttätigen Filmen (und Computerspielen) in den letzten Jahrzehnten, die Gewalt bei Jugendlichen in dieser Zeit gesunken ist (www.ard.de).

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass ich zwar für Ihre Reaktion Respekt und Verständnis habe, Ihre Beanstandung aber, soweit ich darauf eintreten konnte, nicht unterstützen kann.

Abschliessend empfehle ich der Redaktion aber, in den regelmässigen Kontakten mit der ARD darauf hinzuwirken, dass besonders brutale «Tatorte» nicht ausgerechnet an Feiertagen ausgestrahlt werden.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Manfred Pfiffner, stv. Ombudsmann


[1] https://www.youtube.com/watch?v=mYPLT-PRw_Y

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