Radio SRF, Sendung «Echo der Zeit», Beitrag «Ein klares Signal des US-Kongresses an Moskau - und an Trump» beanstandet

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Mit Ihrem Brief vom 29. Juli 2017 beanstandeten Sie den Beitrag „Ein klares Signal des US-Kongresses an Moskau - und an Trump“ in der Sendung „Echo der Zeit“ von Radio SRF vom 28. Juli 2017.[1] Beim Beitrag handelte es sich um ein Interview mit Stephan Bierling, Professor für internationale Politik und transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg. Sie warfen dem Beitrag vor, das Sachgerechtigkeits- und das Vielfaltsgebot zu verletzen, journalistische Grundregeln zu missachten und „fast“ Kriegshetze zu betreiben. Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung - „in gespannter Erwartung auf eine Stellungnahme“ - wie folgt:

„In dem Gespräch präsentiert Herr Bierling eine Einmischung Russlands in die amerikanischen Wahlen von 2016 als unumstösslichen Fakt und lässt somit jede Objektivität vermissen, da er zu keiner Zeit auch nur andeutet,

— dass es begründete Zweifel am Vorwurf gegen Russland gibt, weil

— bis heute keine Beweise für Russlands Einmischung vorliegen, und

— dass sich die USA selbst regelmässig in die Politik und Wahlen fremder Staaten einmischen.

Dass Herr Bierling keine überprüfbaren Belege für das angebliche Fehlverhalten Russlands anführt und es als ‚fast Kriegserklärung‘, bezeichnet, für die Putin zu bezahlen hat, hat zur Folge,

— dass er sich dem Vorwurf der Verbreitung von Lügen aussetzt, und

— dass seine Ausführungen zur ‚fast Kriegshetze‘ ausarten.

Dass das keine Übertreibung ist, unterstreicht das folgende Zitat aus den einleitenden Worten:

<... dass man Russland nicht mehr als möglichen Partner, nicht mehr als Land betrachtet, mit dem man zusammenarbeiten kann ... >“

Sie führten weitere Zitate aus dem Beitrag als Beleg für Ihre Sichtweise an:

<...was Russland sich in den letzten Monaten und Jahren geleistet hat ... vor allem mit seiner Einmischung in die amerikanische Innenpolitik, in den Wahlkampf, ... das [Sanktionen] ist die Retourkutsche für diese fast Kriegserklärung gegen die USA.>

— <Russland hat bisher kaum einen Preis bezahlt für seine flagrante Verletzung von internationalem Recht, ... vor allem die Einmischung in die Wahlen in den USA; so was hats in der Geschichte des Westens noch nicht gegeben in der Dimension und dafür muss Putin bezahlen.>

— <...weil wir wissen, die Russen haben gegenüber der Ukraine, gegen viele andern Staaten das[Abhängigkeit von Gaslieferungen] als brutale politische Waffe benutzt.>

Und Sie fuhren fort:

„Radio SRF erweist sich, seinen Hörern und dem Journalismus einen schlechten Dienst, wenn es Leuten wie Herrn Bierling eine Plattform bietet, über die sie unwidersprochen und kontextfrei ihre fragwürdigen Ansichten verbreiten können. Die einseitige Abstützung der Berichterstattung von Radio SRF auf unkritisch die USA unterstützende Quellen wie Herrn Bierling und offizielle Verlautbarungen US-amerikanischer Regierungsstellen und amerikanischer ‚Leitmedien‘ (New York Times, Washington Post), widerspricht dem journalistischen Grundsatz ‚audiatur et altera pars‘. Durch das Ausblenden alternativer Ansichten verunmöglicht Radio SRF dem Hörer, sich eigenständig ein ausgewogenes Bild der Lage zu machen, und wird — gewollt oder ungewollt — zum Propagandisten der amerikanischen Weltsicht und unterstützt — direkt oder indirekt — eine Konfrontation zwischen den USA und ihren NATO-Verbündeten mit Russland.

Ohne eine äquivalente ‚Gegendartstellung‘ — zB in Form eines Gespräches mit einem Vertreter der ‚Veteran Intelligence Professionals for Sanity‘ wie Ray McGovern — verletzt Radio DRS neben allen Regeln des guten Journalismus seine Leitlinien (Sachgerechtigkeit, Vielfalt, Unabhängigkeit) und macht sich der Verbreitung von Propaganda schuldig.“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für Radio SRF antwortete Herr Fredy Gsteiger, stellvertretender Chefredaktor:

„Ich nehme gerne die Gelegenheit wahr für eine Stellungnahme zur Beanstandung Nr. 5136 von Herrn Urs Elsasser. Herr Elsasser kritisiert, dass das ‚Echo der Zeit‘ Professor Stephan Bierling eine Plattform geboten hat. Und er hält ausserdem etliche von dessen Aussagen für unstatthaft.

Es ist ein Markenzeichen des ‚Echo der Zeit‘, regelmässig Experten zu Wort kommen zu lassen. Wichtig ist uns dabei die sorgfältige Auswahl dieser Experten und die Erfordernis, dass sie auf dem Themengebiet, zu dem sie sich äussern, sachkundig sind. Ausserdem, dass sie ihre Sichtweisen argumentativ begründen. All das scheint mir im Fall von Stephan Bierling erfüllt. Er hat sich als Kenner der amerikanischen Aussenpolitik über viele Jahre hinweg einen Namen geschaffen und zu seinem Fachgebiet zahlreiche Bücher publiziert, nicht zuletzt zum Irak-Krieg, zur Geschichte der amerikanischen Aussenpolitik oder zu den transatlantischen Beziehungen. Bierling, der an der Universität Regensburg lehrt, vertritt zwar grundsätzlich eine pro-westliche Haltung, hat aber vielfach bewiesen, dass er die Vereinigten Staaten und besonders deren Aussenpolitik keineswegs unkritisch sieht, im Gegenteil. Er wird deshalb nicht nur von Radio SRF, sondern auch von namhaften anderen Medien regelmässig um Stellungnahmen und Einschätzungen gebeten.

Im Interview fällt auf, dass Bierling gerade in den kritisierten Passagen gar nicht seine persönliche Meinung vertritt, sondern hauptsächlich referiert, was in Washington passiert und weshalb. Beispielsweise mit seiner Kernaussage, wonach <man Russland nicht mehr als möglichen Partner betrachtet, mit dem man zusammenarbeiten will>. Es handelt sich da weder um eine Forderung noch eine persönliche Sichtweise Bierlings. Vielmehr stellt er lediglich fest, wie der US-Kongress, der ja die jüngste Gesetzgebung zu den Russland-Sanktionen verabschiedet hat, Russland sieht. Unseres Erachtens ist Bierlings Einschätzung der Motive im US-Parlament korrekt. Der Experte sagt ferner, die Abgeordneten nähmen damit eine Konfrontation mit Moskau in Kauf. Auch dies ist eine richtige Beobachtung. Es ist jedoch erneut keineswegs Bierling, der eine Konfrontation fordert oder auch nur gutheisst. Ebenso einleuchtend ist seine Darstellung, wonach der jüngste Beschluss im Kapitol als ‚Retourkutsche‘ zu verstehen ist. Wiederum ist es nicht Bierling, der eine solche verlangt oder für angebracht hält. Er stellt lediglich fest, dass es die grosse Mehrheit der US-Abgeordneten so sieht.

Schwer zu widerlegen ist auch die Feststellung des Professors, dass bis zum jüngsten Parlamentsbeschluss die USA keine Strafmassnahmen gegen Moskau ergriffen haben im Zusammenhang mit der russischen Einmischung in den US-Wahlkampf. Die einzige Strafmassnahme, wenn man sie als solche bezeichnen will, betraf den früheren Sicherheitsberater Michael Flynn, der wegen seiner Russlandkontakte abgesetzt wurde.

Was die Wahlkampf-Einmischung betrifft, so kann man unterschiedlicher Meinung darüber sein, welches Ausmass und welche Wirksamkeit diese hatte. Offenkundig ist auch, dass noch längst nicht alles ausgeleuchtet oder gar lückenlos bewiesen ist. Es läuft deshalb in den USA ja auch eine Untersuchung, die noch längere Zeit in Anspruch nehmen dürfte. Aber bereits das, was inzwischen bekanntgeworden ist, lässt erkennen, dass es solche Einmischungsversuche zumindest gab. Man kann Bierlings Äusserung zur Wahlkampf-Einmischung deshalb als zugespitzt, jedoch nicht als falsch bezeichnen.

Der Moderator der Sendung hat im Übrigen mehrfach Nachfragen gestellt, die deutlich machten, dass die Kongress-Entscheidung durchaus nicht unumstritten war – weder in den USA selber noch in Europa. Bierling hat das bestätigt und erläutert.

Wir widersprechen schliesslich der Darstellung von Herrn Elsasser, wonach Radio SRF ‚direkt oder indirekt‘ die Konfrontation zwischen dem Westen, insbesondere den USA, und Russland schüre. Wir haben weder in unseren Nachrichten noch in den Hintergrundbeiträgen die Sanktionsentscheidung gutgeheissen. Ebenso wenig die russische Ausweisung amerikanischer Diplomaten.

Wir wehren uns entschieden gegen die Unterstellung, quasi selber Kriegstreiber zu sein. Ob seinerzeit im Irak-Krieg, ob im Ukraine-Krieg oder im Syrien-Krieg: Nie haben wir für ein militärisches Engagement des Westens geworben oder ein solches gar gefordert. Und wir haben in all diesen Kriegen und in zahlreichen weiteren Konflikten erstens häufig auch Stimmen zu Wort kommen lassen, welche die offizielle russische Sichtweise vertreten oder die der russischen Position nahestehen. Und wir sind konsequent darum bemüht, Protagonisten zu interviewen, die Lösungen anstreben und Ansätze für Konfliktregelungen aufzeigen können.

Der Vorwurf, wir verbreiteten ausschliesslich die offizielle amerikanische Darstellung oder stützten uns nur auf US-Leitmedien wie die ‚Washington Post‘ oder die ‚New York Times‘, wird kaum jemand teilen, der oder die unsere Berichterstattung über längere Zeit verfolgt. Zwar sind die beiden genannten Zeitungen wichtige US-Stimmen, und zwar häufig durchaus regierungskritische. Beide Titel haben sich über Jahrzehnte enorme journalistische Meriten erworben – wobei zugleich einzuräumen ist, dass sie im Zusammenhang mit den angeblichen Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein versagt haben. Aber wir stützen uns – auch in der Betrachtung der US-Aussenpolitik – auf weit mehr Quellen als diese beiden und übernehmen generell von keiner vorbehaltlos und unkritisch Aussagen.

Wir bitten Sie daher, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung von Herrn Urs Elsasser abzulehnen.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung des Beitrags. Es besteht kein Zweifel, dass Professor Stephan Bierling ein ausgewiesener Experte für die Einschätzung der amerikanischen Politik ist. Er hat sich wissenschaftlich intensiv mit den USA und den transatlantischen Beziehungen befasst.[2] Der 55jährige Politologe und Historiker ist gegenwärtig Professor für internationale Politik und transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg. Vorher lehrte er zuerst an der Universität München, dann an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er versah Gastprofessuren in Südafrika, Israel, in den USA und in Australien. Seit 1988 führt er jeden Sommer das „Symposium on US Foreign Policiy“ in Washington durch, jedes Jahr organisiert er zudem eine internationale Konferenz zu aktuellen außenpolitischen Problemen. Das geht nicht ohne gute Beziehungen zu amerikanischen Politikern, Diplomaten, Wirtschaftsleuten und Wissenschaftlern. Er lädt regelmässig amerikanische und britische Diplomaten in seine Vorlesungen ein. Er gilt zudem als guter Lehrer und hat dafür mehrere Preise erhalten. Es ist sicher grundsätzlich kein Fehler, wenn Radio SRF auf ihn zurückgreift.

Aber Bierling hat auch eine gewisse Schlagseite. Er war Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Konrad Adenauer-Stiftung[3] ist eine politische Bildungseinrichtung, die von der CDU gegründet wurde und von Vertretern der CDU geführt wird. Seit 2009 ist Bierling Vertrauensdozent der Konrad-Adenauer-Stiftung an der Universität Regensburg. Die jährliche internationale Konferenz organisiert er zusammen mit der Hanns-Seidel-Stiftung. Die Hanns-Seidel-Stiftung[4] wurde von der CSU gegründet und ist die bayerische Variante der Konrad-Adenauer-Stiftung. Hanns Seidel war 1955-1961 CSU-Vorsitzender und 1957-1960 bayerischer Ministerpräsident. Professor Stephan Bierling vertritt daher eine atlantische, NATO-orientierte politische Position.

Gleichzeitig ist es aber richtig, dass er in dem Interview vor allem das Handeln des amerikanischen Kongresses beschreibt und erläutert und nicht seine eigene Meinung sagt, außer vielleicht an folgender Stelle: „Russland hat bislang kaum einen Preis bezahlt für seine flagrante Verletzung von internationalem Recht, vor allem die Einmischung in die Wahlen in den USA, so was hat’s in der Geschichte des Westens noch nicht gegeben in der Dimension, und dafür muss Putin bezahlen.“ Hier kommt seine antirussische Position zum Ausdruck.

Nur: Ein Interview ist ja gerade dazu da, dass der Gesprächspartner seine Sicht darlegt – und diese Sicht kann aus Erläuterungen, Analysen, Einschätzungen und Meinungen bestehen. Der fragende Journalist muss nicht bei jeder Antwort, die etwas pointiert ist, intervenieren. Er kann sie auch als klar erkennbare Ansicht des Gegenübers stehen lassen. Das Radio- und Fernsehgesetz fordert in Artikel 4, Absatz 2: „Ansichten und Kommentare müssen als solche erkennbar sein“.[5] Wenn ein Interview angesagt ist, dann weiß man zum Vorneherein, dass die Antworten interpretierenden und kommentierenden Charakter haben werden. Insofern verstösst der Beitrag nicht gegen das Programmrecht. Der Beitrag ist meines Erachtens sachgerecht, weil er genau das einlöst, was er ankündigt: Die Einschätzung eines Experten zum vom amerikanischen Kongress beschlossenen Gesetz mit Massnahmen gegen Russland. Der Beitrag verletzt das Vielfaltsgebot schon deshalb nicht, weil dieses Gebot nicht auf die einzelne Sendung, sondern auf das Programm im Gesamten anzuwenden ist. So sagt das Radio- und Fernsehgesetz in Artikel 4, Absatz 4: „Konzessionierte Programme müssen in der Gesamtheit ihrer redaktionellen Sendungen die Vielfalt der Ereignisse und Ansichten angemessen zum Ausdruck bringen.“ Und der Beitrag betreibt keineswegs Kriegshetze, sondern analysiert ruhig und besonnen, was das US-Parlament beschlossen hat und was sich daraus ergeben könnte. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

Allerdings ist Radio und Fernsehen SRF zu empfehlen, immer darauf zu achten, dass auch bei den Experten ein gewisser Pluralismus zum Ausdruck kommt. In erster Linie ist natürlich wichtig, dass Experten ihren Themenbereich à fonds kennen und in der Lage sind, messerscharf zu analysieren. In zweiter Linie sind aber auch die Netzwerke und die politischen Affinitäten der Experten zu berücksichtigen. Es gibt für Nahost israelaffine und palästinaaffine Experten. Es gibt islamkritische und islamfreundliche Experten. Es gibt Experten, deren Netzwerke USA-orientiert sind, und solche, die eher mit USA-kritischen Organisationen verbandelt sind usw. Eine gewisse Varietät wurde nicht schaden.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] https://www.srf.ch/sendungen/echo-der-zeit/pakistan-folgt-auf-sharif-erneut-eine-militaerregierung

[2] http://www.uni-regensburg.de/philosophie-kunst-geschichte-gesellschaft/internationale-politik-transatlantische-beziehungen/personen/prof-dr-stephan-bierling/index.html

[3] http://www.kas.de/

[4]

[5] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html

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