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«Wir gehören den Menschen in diesem Land»

Seit Mai 2017 ist Jean-Michel Cina Präsident des Verwaltungsrats der SRG. Im Gespräch mit der Aargauer Zeitung sagt der neue Chef, dass er Kooperationsmöglichkeiten mit den Privaten – wie etwa YouTube – sieht: «Wir sind mit den privaten Medienanbietern im Austausch, um ihre spezifischen Interessenlagen noch besser zu verstehen.»

Höher hinaus kann Jean-Michel Cina nicht mehr: Im 14. Stock der SRG-Generaldirektion lädt der neue Verwaltungsrats-Präsident zum Interview – mit einer grandiosen Aussicht auf die Stadt Bern.

Aargauer Zeitung: Herr Cina, nach 13 Jahren als Staatsrat im Wallis sind Sie zurück in Bern. Ihr strahlendes Gesicht zeigt: Das gefällt Ihnen sehr.
Jean-Michel Cina: Ich habe eine neue Aufgabe. Aber ein Comeback ist es eigentlich nicht. Ich war nie ganz weg. Auch als Walliser Staatsrat hatte ich in den letzten Jahren diverse Funktionen auf nationaler Ebene inne.

Aber Sie freuen sich darüber, wieder im Zentrum der Macht zu sitzen?
Mich interessiert es, eine verantwortungsvolle Aufgabe zu haben. Das Präsidium des SRG-Verwaltungsrates entspricht dem: Die Institution SRG ist wichtig für das Funktionieren der Schweizer Demokratie.

Sie sind ein ehrgeiziger Mensch: Was haben Sie vor mit der SRG?
Sie meinen ehrgeizig, ich meine engagiert. Ich will diese verantwortungsvolle Aufgabe so gut wie möglich wahrnehmen.

Können Sie konkreter werden?
Die SRG SSR stehen vor grossen Herausforderungen. Erstens werden die politischen Rahmenbedingungen diskutiert. Zweitens sind wir mitten im digitalen Wandel. Das junge Publikum wählt andere Kanäle. Und drittens kommt die ökonomische Frage hinzu: Auch bei uns gehen die Werbegelder zurück. Es ist unsere Aufgabe, alles zu unternehmen, um diese Herausforderungen zu bewältigen.

Beginnen wir mit der Politik. Die SRG ist seit einiger Zeit umstritten.
Die Politik führt eine Debatte über den Service public und setzt sich mit den Leistungen der SRG auseinander. Das ist legitim und für uns eigentlich willkommen.

Der SRG steht die «No-Billag»- Abstimmung bevor. Sie will die Gebühren abschaffen.
Geht es nach der Initiative, dürfen keine Gebühren mehr erhoben werden. Das wäre das Ende der SRG, würde aber auch die 34 privaten TV- und Radiostationen, die Gebühren erhalten, existenziell gefährden.

Ein Faktencheck, den die SRG-Tochter Swissinfo zu «No Billag» machte, sorgte für rote Köpfe. SRG-kritische Parlamentarier wie Adrian Amstutz (SVP) kamen auf 30 Prozent Wahrheitsgehalt, SRG-Befürworter wie Matthias Aebischer (SP) auf 90 Prozent. Was sagen Sie dazu?
Schauen Sie, die Unabhängigkeit ist das wichtigste Gut eines Medienhauses. In den Programmen und Sendungen der SRG wird über politische Vorstösse – also auch die No-Billag-Initiative – redaktionell unabhängig, kritisch und ausgewogen gemäss den publizistischen Richtlinien berichtet. Darüber hinaus äussere ich mich nicht zu redaktionellen Leistungen in den Unternehmenseinheiten.

Sie sagten im «Tages-Anzeiger»: «Uns kann man weder kaufen noch verkaufen, wir gehören der Schweiz.» Die SRG ist also ein Staatssender.
Diese Interpretation ist komplett falsch. Fakt ist, dass wir ein privatrechtlicher Verein sind. Die Trägerschaft umfasst 24'000 Mitglieder, die die Basis der SRG bilden. Wir gehören den Menschen in diesem Land.

Die SRG ist in ihrer Berichterstattung aber nicht vollkommen unabhängig. Bei Staatsbesuchen etwa ist die SRG eingebettet, weil sie diese medial orchestriert. Die SRG hat bessere Zugänge als die anderen Medien, auch bei allen Bundesrats-Medienkonferenzen.
Es entspricht unserem Auftrag, die Schweizer Politik journalistisch differenziert zu begleiten, über sie unabhängig zu berichten und damit zur Meinungsbildung in unserer Demokratie beizutragen.

So war das nicht gemeint. Es geht hier um die subtile Nähe der SRG zum Staat. Ist die SRG staatsnah?
Wir sind gegenüber dem Konzessionsgeber, dem Gesetzgeber und den Behörden Rechenschaft schuldig, das ist klar. Doch legitimieren müssen wir uns in erster Linie gegenüber unserem Publikum – wir müssen publikumsnah sein.

Für Sie sind Kooperationen offen- bar wichtig. Als die Verlegerfamilie Wanner, welche die «Nordwestschweiz» herausgibt, bei der Badenfahrt hinter der Theke stand, twitterten Sie: «Teamwork ist alles. Kooperationen sind es auch.»
Ich freue mich darüber, dass meine Tweets aufmerksam gelesen werden. Es war ein klares Signal für unsere Kooperationsbereitschaft.

Stehen Kooperationen im Raum?
Die SRG hat nicht nur die Verantwortung, ihren Kernauftrag zu erfüllen. Sondern auch den Auftrag, einen Beitrag für die Medienvielfalt zu leisten. Konkretisieren lässt sich dies mit Kooperationen. Es gibt sie bereits – denken Sie zum Beispiel an den Free Shared Content, den wir privaten Medien anbieten. Gleichzeitig sehe ich zusätzliches Potenzial.

Wo?
Man könnte bei Investitionen im Bereich der Basis-Infrastruktur noch stärker zusammenarbeiten. So könnte man etwa gemeinsam einen YouTube-Kanal Schweiz betreiben. Potenzial für Kooperationen gibt es zum Beispiel auch im Bereich HbbTV, das traditionelles Fernsehen mit Internetangeboten anreichert. Vielleicht gibt es auch Kooperations-Möglichkeiten bei den Archiven. Wir sind mit den privaten Medienanbietern im Austausch, um ihre spezifischen Interessenlagen noch besser zu verstehen.

Sie wollen das Klima zwischen Privaten und der SRG verbessern?
Ja. Für einen starken Medienplatz Schweiz. Dieser verfügt über komplexe Marktbedingungen – wir dürfen ihn auch nicht nur unter der Schweizer Käseglocke betrachten, der Medienmarkt ist global. Die Antwort auf diese Herausforderungen sind Kooperationen zwischen der SRG und Privaten.

Ist eine Zusammenarbeit mit den Privaten überhaupt möglich? Diese sind untereinander teilweise heftig zerstritten, wie sich jüngst zum Beispiel am Swiss Media Forum zeigte.
Ja, ich bin davon überzeugt, dass solche Kooperationen möglich sind, die für beide Seiten gewinnbringend sind.

Sprechen wir von der Zukunft des Journalismus. Ist er bedroht?
Er muss sich der Digitalisierung anpassen, qualitativ hochstehend bleiben, neue Konsumbedürfnisse berücksichtigen und neue Modelle finden. Die Kernfrage ist: Wie wird er finanziert?

Dieses Problem kennt die SRG nicht.
Im Zusammenhang mit der No-Billag-Initiative stellt sich diese Frage für die SRG auch bald existenziell. Aber heute sind wir solide finanziert. Qualitätsjournalismus hat seinen Preis.

Es gibt den Verdacht, dass beim Mediengesetz Ähnliches passiert wie nach der Abstimmung zum RTVG. Sobald die SRG «No Billag» gebodigt und ihre Gebühren im Trockenen hat, präsentiert sie neue Vorschläge für das Mediengesetz.
Der Gesetzgebungs- und Vernehmlassungsprozess für das Mediengesetz wird von der Verwaltung und der Politik gesteuert. Die Verantwortung liegt nicht bei der SRG.

Die SRG hat aber einen sehr engen Draht in das Medienministerium, das von Ihrer Parteikollegin Doris Leuthard geführt wird.
Natürlich sind wir im Austausch mit den Aufsichtsbehörden. Das liegt in der Natur des Systems.

SRG-Direktor Roger de Weck befürchtet, dass Politmäzene wie Christoph Blocher mit dem Kauf von Medien zu grossen Einfluss gewinnen könnten. Teilen Sie diese Angst?
Eine politisch und wirtschaftlich unabhängige, breit abgestützte Organisation und Institution wie die SRG bekommt angesichts der aktuellen Käufe von politischen Mäzenen sicher eine noch wichtigere Rolle.

Es ist aber beängstigend, wie die privaten Medien etwa auf dem Medienplatz Westschweiz zunehmend ein Mauerblümchendasein fristen. Im Gegensatz zur RTS.
Die RTS hat eine wichtige Rolle. Ihr gelang es in der Westschweiz, sehr gute Kooperationen einzugehen. Medienvielfalt ist eben auch so zu verstehen, dass in diesen Regionen noch jemand vorhanden ist, der eine unabhängige und ausgewogene Berichterstattung leistet, die dem Publikum und der Zivilgesellschaft verpflichtet ist. Das ist nochmals ein gutes Argument gegen die «No-Billag»-Initiative, die auch eine «No-SRG»-Initiative ist. Die Situation in der Westschweiz ist herausfordernd. Private, Kantone, Bund und SRG sollten gemeinsam Verantwortung übernehmen, um sie zu verbessern.

Sie erwähnten die Kantone und den Bund. Denken Sie an eine Presseförderung?
An eine indirekte vielleicht. Ich habe eine gewisse Skepsis einer direkten Presseförderung gegenüber. Es geht letztlich um die Frage der Unabhängigkeit.

Sie beantworteten zu Beginn eine Frage nur ausweichend – deshalb nochmals: Was möchten Sie bei der SRG erreicht haben, wenn Sie zurücktreten?
Ich habe eine langfristige Perspektive bei der SRG. Prognosen sind schwierig angesichts des Medienmarkts, der sich rasch verändert. Es gibt derart viele Unwägbarkeiten und Veränderungen. Entscheidend ist, dass wir auch in Zukunft eine Institution haben in diesem Land, die unabhängig ist und unparteiisch informiert und bewertet. Sonst werden wir verkommerzialisiert und verglobalisiert.

Dafür ist die SRG gut aufgestellt?
Ja, das sind wir. Und gleichzeitig muss sich die SRG doch immer wieder verändern und sich dem technologischen und gesellschaftlichen Wandel anpassen. Veränderung ist der neue Alltag. Werbegelder fliessen zu grossen Playern der Welt ab. Deshalb müssen wir uns für den Medienplatz Schweiz überlegen, wie es uns gelingt, Wasser für einen blühenden Garten für alle zu haben. Sonst produzieren plötzlich globale Anbieter unsere Inhalte und Programme. Und plötzlich ist niemand mehr da, der die Geschehnisse sauber einordnen und bewerten kann im Sinne einer freien Meinungsbildung. Das aber ist eine Essenz für das Funktionieren der direkten Demokratie.


Dieser Artikel erschien erstmals in der Aargauer Zeitung am 4. Oktober 2017.


Text: Othmar von Matt/Aargauer Zeitung

Bild: SRG.D

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