Fernsehen SRF, Sendung «10 vor 10» («Deutschland vor der Wahl») beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom25. September 2017 beanstandeten Sie die Sendung „10 vor 10“ (Fernsehen SRF) vom 22. September 2017 zum Thema „Deutschland vor der Wahl“.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Die Wahlen in Deutschland sind zum Glück endlich vorbei und SRF kann sich nun wieder mit schweizerischen Themen befassen. Was sich die Sendung 10 vor 10 am letzten Freitag, 22.09.2017 geleistet hat, finden wir eine absolute Zumutung, da wird während rund 30 Minuten über das deutsche Wählerverhalten und mögliche Koalitionen spekuliert, und dann ganz am Schluss der Sendung, so nebenbei noch erwähnt, dass der neu zusammengesetzte Bundesrat die Departementsverteilung vorgenommen hat.

Für SRF ist es nicht zu aufwendig, in Berlin ein Wahlstudio mit selbstdarstellender Moderatorin zu betreiben, dagegen ist es dann aus Kostengründen nicht möglich, am Eidg. Dank-, Buss- und Bettag im TV einen Gottesdienst zu übertragen. Das Verhalten eines mit Zwangsgebühren finanzierten Staatssenders (in einer sog. christlichen Nation) empfinden wir als Zumutung, bzw. eine Frechheit.“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Herr Christian Dütschler, Redaktionsleiter von „10 vor 10“, schrieb:

„H. X beanstandet unsere Berichterstattung in der Sendung 10vor10 vom
22. September 2017.

Wir haben an diesem Freitag vor den Wahlen in Deutschland in einer Spezialsendung ausführlich über eben dieses Thema berichtet. Der Beanstander findet das ‚eine absolute Zumutung‘. Da werde ‚während rund 30 Minuten über das deutsche Wählerverhalten und mögliche Koalitionen spekuliert, und dann ganz am Schluss der Sendung, so nebenbei noch erwähnt, dass der neu zusammengesetzte Bundesrat die Departementsverteilung vorgenommen hat.

Gerne nehmen wir zu der Kritik Stellung.

1. Spezialsendung zu den Wahlen in Deutschland

Die verschiedenen Informationssendungen von SRF basieren auf verschiedenen Konzepten. Während zum Beispiel die Tagesschau dem Publikum einen Überblick über die wichtigsten Ereignisse des Tages gibt, erfahren die Zuschauer bei 10vor10 vor allem die Hintergründe zu aktuellen Themen. Dabei liegt der Hauptakzent bei relevanten Themen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Regelmässig wird dabei ein klarer thematischer Schwerpunkt gesetzt, der sogenannte ‚Fokus‘. Zum Sendekonzept von 10vor10 gehören aber auch sogenannte ‚monothematischen Spezialsendungen‘. Wie der Name schon sagt, werden in einer solchen Spezialsendung verschiedene Aspekte eines einzigen Themas beleuchtet. In der Wahl des Themas sind wir aufgrund der gesetzlich garantierten Programmautonomie frei. Aus journalistischer Sicht ist natürlich die Voraussetzung für eine solche Spezialsendung, dass wir die Relevanz des Themas als sehr hoch einschätzen.

Die Wahlen in Deutschland sind zweifellos ein Thema, das für die Schweiz sehr relevant ist. Dies aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtung der Schweiz mit unserem wichtigsten Nachbarland, aber auch aufgrund der wichtigen Stellung von Deutschland innerhalb der EU. Der Artikel ‚Was die Deutschland-Wahl für die Schweiz und die Märkte bedeutet‘ von cash.ch vom 7. 9. 2017 [2] gibt einen raschen Überblick über das enge Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland. Hier einige Auszüge:

<Deutschland ist mit 23 Prozent Anteil am Aussenhandel der mit Abstand wichtigste Handelspartner der Schweiz. Anders ausgedrückt: 2016 lieferte die Schweizer Wirtschaft knapp 40 Milliarden Franken an Gütern ins nördliche Nachbarland, importiert wurde für 48,5 Milliarden. Die gegenseitigen Direkt-Investitionen betragen Milliarden und steigen Jahr für Jahr. Schweizer Unternehmen beschäftigen in Deutschland 235'000 Arbeitnehmer, umgekehrt arbeiten in der Schweiz 120'000 Personen für Unternehmen mit Sitz in Deutschland.
Vor diesem Hintergrund sind die deutschen Bundestagswahlen aus Schweizer Sicht sehr wichtig. Die Wahlen beeinflussen die künftige deutsche Wirschaftspolitik, entscheiden über die Entwicklung der Eurozone und des EU-Binnenmarktes mit und sie werden auch von den Währungshütern genau beobachtet. (...)>

<Neben den USA, China und Frankreich gehört Deutschland zu den aussenpolitisch wichtigsten Staaten für die Schweiz. Alles in allem gelten die schweizerisch-deutschen Beziehungen als gut. Auch persönliche Verflechtungen sind vielfältig. Es leben 80'000 Schweizer in Deutschland und 300'000 Deutsche in der Schweiz. Weitere 150'000 Personen sind Doppelbürger in der Schweiz. 60'000 Deutsche arbeiten als Grenzgänger in der Schweiz.>

<Wichtig ist Berlin auch, weil die Schweizer Wirtschaft den Zugang zum EU-Binnenmarkt will. Deutschland ist das wichtigste und mächtigste EU-und Euro-Land. (...)>

Die Relevanz des von uns gewählten Themas der Spezialsendung ist also zweifelsohne gegeben. Dass es sich um eine Sepzialsendung handelt, haben wir unserem Publikum gleich zu Beginn der Sendung deutlich gemacht. Die Moderatorin sagte wörtlich:

<Guten Abend. 10vor10 mit einer Spezialsendung. Wir senden live aus Berlin. Gleich hinter mir im Dunkeln, das Parlaments-Gebäude. Wer dort in den neuen Bundestag einzieht, entscheidet sich am Sonntag.>

Dem Publikum war also schon zu Beginn der Sendung bewusst, dass sich die Sendung ganz den Wahlen in Deutschland widmet.

2. Erwähnung der Departementsverteilung im News-Flash

In einem kurzen Nachrichtenblock am Ende der Spezialsendung haben wir über die neue Departementsverteilung berichtet. Wörtlich hiess es:

<Der neugewählte FDP-Bundesrat Ignazio Cassis wird Aussenminister. Dies hat der Bundesrat heute entschieden. Im Aussendepartement erbt Cassis somit das schwierige EU-Dossier des scheidenden Bundesrats Didier Burkhalter. Die anderen Mitglieder des Bundesrats bleiben in ihren bisherigen Departementen. Damit wurde auch Spekulationen über einen möglichen Wechsel von Alain Berset vom Innen- ins Aussendepartement ein Ende gesetzt.>

Am Ende der Sendung haben wir zusätzlich auf die Vertiefung des Themas in der Arena hingewiesen:

<Hier auf dem Sender geht es weiter mit der Arena. Diskutiert wird die Frage, was Bundesrat Ignazio Cassis als Aussenminister anders machen wird.>

Der Beanstander ist mit dieser Gewichtung – ausführliche Berichterstattung über die Wahlen in Deutschland, kurze Erwähnung der neuen Departementsverteilung und Hinweis auf die ausführliche Diskussion darüber in der Arena – nicht einverstanden.

Anders als die Beanstander sind wir der Meinung, dass die Gewichtung angemessen war. Dies aus verschiedenen Gründen: Zum einen haben wir in den vorangehenden Tagen ausführlich über die Bundesratswahl berichtet, am Tag unmittelbar vor der Wahl haben wir dem Thema sogar mehr als die Hälfte der Sendezeit gewidmet:

19.9.2017 10vor10

FOKUS: Letztes Weibeln vor der Wahl
FOKUS: Gespräch mit Gerhard Pfister und Roger Nordmann
FOKUS: Der Job ‚Bundesrat‘
FOKUS: Gespräch mit Politik-Experte Adrian Vatter

20.9.2017 10vor10

FOKUS: Der Tessiner Ignazio Cassis ist neuer Bundesrat
FOKUS: Studiogespräch mit Bundeshausredaktor G. Vincenz

21.9.2017 10vor10

Ein Frauenticket soll es richten

Zum anderen entsprach der Entscheid, dass der neu gewählte Bundesrat das offene Aussendepartement (oder allenfalls von Berset das Innendepartement) übernimmt, den Erwartungen. Unser Bundeshauskorrespondent hat bereits am Tag der Wahl von Cassis in unserer Sendung darauf hingewiesen. Bei einer grösseren Rochade hätten wir selbstverständlich ausführlicher berichtet.

Und schliesslich wurde das Thema von unseren Schwestersendungen ausführlich aufgegriffen. So hat die Tagesschau am selben Tag in den beiden Berichten ‚Unterschiedliche Erwartungen an Aussenminister Cassis[3] und ‚Was kann Cassis tatsächlich ausrichten?‘ [4] die neue Departementsverteilung thematisiert. Auch in der Arena [5], gleich anschliessend an unsere Sendung, standen die Aussenpolitik und der neue Aussenminister im Fokus der Diskussion.

3. Teures Studio und selbstdarstellende Moderatorin

Der Beanstander schreibt: <Für SRF ist es nicht zu aufwendig, in Berlin ein Wahlstudio mit selbstdarstellender Moderatorin zu betreiben, dagegen ist es aus Kostengründen nicht möglich, am Eidg. Dank-, Buss- und Bettag im TV einen Gottesdienst zu übertragen.> Er empfindet dieses Verhalten ‚eines mit Zwangsgebühren finanzierten Staatssenders‘ ‚als Zumutung bzw. eine Frechheit.‘

Zu den Kosten des Studios in Berlin: Grundsätzlich ist festzuhalten, dass jede Redaktion ihr eigenes Budget hat und damit haushälterisch umgehen muss. Schaltungen an den Ort des Geschehens gehören für die SRF Informationssendungen zum Standard. Das Wahlstudio in Berlin wurde zudem am Wahltag für zwei weitere Sondersendungen genutzt, so dass die Kosten so tief wie möglich gehalten werden konnten.

Zu unserer Moderatorin: Es liegt in der Natur der Sache, dass nicht jeder unserer Moderatoren alle Zuschauer und Zuschauerinnen gleichermassen anspricht. Wir sind aber überzeugt, dass Susanne Wille ihren Job sehr professionell macht und sich in keiner Weise unangemessen zu profilieren versucht.

4. Fazit

Unser Entscheid für eine Spezialsendung über die Wahlen in Deutschland ist nicht nur von der Programmautonomie gedeckt, sondern unserer Meinung nach auch nach journalistischen Kriterien überzeugend. Unserem Publikum haben wir den Charakter und das Thema der Sendung von Beginn weg transparent gemacht. Den Entscheid des Bundesrates über die Departementsverteilung haben wir in der Konsequenz nur kurz erwähnt, da er einerseits keine grosse Überraschung war und andererseits von unseren Schwestersendungen ausführlich thematisiert wurde. Über die Bundesratswahlen haben wir in den vorangehenden Tagen zudem ausführlich berichtet. Unsere Berichterstattung scheint uns sachgerecht, und das Publikum konnte sich jederzeit eine eigene Meinung bilden.

Wir bitten Sie deshalb, die Beanstandung nicht zu unterstützen.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Zur Frage, warum es keine Direktübertragung eines Bettag-Gottesdienstes gab, erhalten Sie eine direkte Antwort der zuständigen Redaktion. Frau Dr. Judith Hardegger hatte den Standpunkt der Redaktion im Zusammenhang mit einer anderen Beanstandung wie folgt erläutert:

„Grundlage der Gottesdienstübertragungen von SRF sind die Vereinbarungen mit den drei Landeskirchen (christkatholisch, römisch-katholisch und evangelisch-reformiert), zuletzt erneuert am 22. März diesen Jahres.

Diese Vereinbarungen regeln die Zusammenarbeit und Zuständigkeiten bei sogenannten Verkündigungssendungen, zu denen Gottesdienstübertragungen gehören. SRF verpflichtet sich zu durchschnittlich zehn solcher Fernsehübertragungen pro Jahr. Davon sind neun auf die verschiedenen Konfessionen verteilt, einer bildet das religiöse Feiern entweder der orthodoxen Christenheit oder einer anderen in der Schweiz ansässigen Religion ab. Um dem Publikum mehr als 10 Gottesdienste zeigen zu können, übernimmt SRF immer wieder auch Übertragungen aus der Westschweiz von RTS, der italienischsprachigen Schweiz von RSI sowie aus dem deutschsprachigen Ausland von ARD oder ZDF.

Die Vereinbarungen halten keinen Feiertag als verbindlich zu übertragen fest, jedoch gehört der Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag in der Regel gleich den kirchlichen Hochfesten in unseren Jahresplan. In diesem Jahr gab es aus folgendem Grund eine Ausnahme: Am Sonntag nach dem Bettag, am 24. September, fand in Sachseln ein grosser ökumenischer Gottesdienst anlässlich der Feierlichkeiten zu 600 Jahre Bruder Klaus statt. Hierfür reiste eigens der Schweizer Kardinal Kurt Koch aus dem Vatikan an. Reformierterseits war der Ratspräsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes Gottfried Locher beteiligt. Niklaus von Flüe ist auch nach 600 Jahren für die moderne Schweiz faszinierend und wichtig. Daher haben wir uns in Absprache mit den kirchlichen Medienbeauftragten entschieden, im Jahr 2017 anstelle des Bettags diese besondere Feier zu übertragen, da auch diese von nationaler Bedeutung ist.

Leider war es aus programmplanerischen, produktionellen und finanziellen Gründen nicht möglich, an zwei Wochenenden nacheinander einen Gottesdienst zu übertragen. Wegen des Bruder-Klaus-Jubiläumsjahrs fiel der Entscheid ausnahmsweise gegen den Bettag aus.“

Und nun zu den Wahlen in Deutschland. Es entspricht langer Übung, dass die Wahlen unserer wichtigsten Nachbarländer in Radio und Fernsehen ausführlich behandelt werden. Es war absolut richtig, quasi am Vorabend der Wahl nochmals zu rekapitulieren: Wie sieht die Ausgangslage aus? Warum genießt Angela Merkel gerade auch bei den Jungen so viel Vertrauen? Warum schafft es die SPD nicht, der CDU/CSU gefährlich zu werden? Was sind die Gründe für den Aufstieg der AfD? Wie könnte die neue Regierung parteipolitisch zusammengesetzt sein? Da war keine Frage zu viel. Zwar hatte der Schwerpunkt dann gewisse Längen, aber es handelte sich rundweg um relevante, interessante und erhellende Informationen. Es gibt keine Bestimmung, wonach sich SRF zu einem bestimmten Prozentsatz mit schweizerischen Themen befassen muss. Der Radio- und Fernsehartikel der Bundesverfassung macht überhaupt keine Auflagen, über welche Bereiche berichtet werden soll. Er sagt in Absatz 2:

2 Radio und Fernsehen tragen zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung bei. Sie berücksichtigen die Besonderheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone. Sie stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck.[6]

Es geht also nur um die Frage, ob die Berichterstattung aus Berlin sachgerecht war. Und da meine ich: Sehr wohl! Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

Noch etwas: Sie sprechen von einem „mit Zwangsgebühren finanzierten Staatssender“. SRF ist kein Staatssender. Zwar reguliert der Bund die Rahmenbedingungen für Radio und Fernsehen und ermöglicht mit den Rundfunkgebühren den Service public für alle Sprachregionen. Aber inhaltlich sind die Rundfunkmedien vom Staat unabhängig. Der Staat – genauer: die Regierung, das Parlament, die Verwaltung – kann nicht vorschreiben, was gesendet und was nicht gesendet werden soll. Es besteht Programmautonomie. Und SRF kann die Regierung auch kritisieren. SRF ist im Unterschied zu den eigentlichen Staatssendern kein Lautsprecher der Regierung. Solche finden wir beispielsweise in China, Nordkorea, Syrien, Ägypten, Kuba, Russland usw., nicht aber in der Schweiz.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1]https://www.srf.ch/sendungen/10vor10/10vor10-spezial-wahlen-in-deutschland

[2] https://www.cash.ch/news/politik/politik-was-die-deutschland-wahl-fuer-die-schweiz-und-die-maerkte-bedeutet-1098915

[3] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/unterschiedliche-erwartungen-an-aussenminister-cassis?id=83ee7dfb-e070-41dd-98ca-ae04a3d33ad1&station=69e8ac16-4327-4af4-b873-fd5cd6e895a7

[4] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/was-kann-cassis-tatsaechlich-ausrichten?id=c9626b3c-cb14-4e86-b3d0-eb57aea071ec&station=69e8ac16-4327-4af4-b873-fd5cd6e895a7

[5] https://www.srf.ch/sendungen/arena/blocher-gegen-alle

[6] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19995395/index.html#a8

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