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Die Logik des platten Reifens

In ganz Europa steht der mediale Service public unter politischem Druck. Der vielgeäusserte Vorwurf der «Voreingenommenheit» hat zur Folge, dass sich Medienhäuser ständig verteidigen müssen – anstatt ihrerseits kritische Fragen zu stellen. Ein Kommentar von SRF-Chefredaktor TV Tristan Brenn.

Bin ich als Vertreter eines öffentlichen Medienunternehmens schon voreingenommen, wenn ich hier schreibe, dass vor allem rechte Politiker den öffentlichen Medien Parteilichkeit vorwerfen? Und dass es vor allem rechte Politiker sind, welche deshalb die Budgets der öffentlichen Medien kürzen und/oder politisch auf die Sender Einfluss nehmen wollen? Wohl kaum. Nicht nur in der Schweiz, in ganz Europa ist der mediale Service public unter Druck der politischen Rechten, wie sich eindrücklich in Amsterdam an der «NewsXchange», dem jährlichen Branchentreffen der European Broadcasting Union EBU, gezeigt hat. Die einst stolzen, politisch unabhängigen, öffentlichen Medien in Ungarn, Polen oder der Türkei sind mittlerweile stramm auf Regierungslinie. Aber auch in Spanien wurde laut der EBU das obere Management des Senders TVE teils ausgewechselt und durch Anhänger der rechtsgerichteten Regierungspartei «Partido Popular» ersetzt. Immer mehr Journalisten von TVE beklagen sich über die Einmischung der Politik in ihr Programm.

Medien in der Defensive

Das stetig und vehement artikulierte Misstrauen von rechts, der Vorwurf, die öffentlichen Medien – wie überhaupt alle «Mainstream»-Medien – seien trotz anderslautenden Beteuerungen parteiisch statt unvoreingenommen, haben sich zu einem Narrativ entwickelt, das bis weit in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen ist. Ziemlich eindeutig scheint, dass hinter der andauernden «Bias»-Rede eine Strategie liegt, wie sie auch Julie Pace, die Washingtoner Büro-Chefin von AP, bei Donald Trump beobachtet. Pace sagte in Amsterdam, Trump nutze das herrschende Misstrauen gegen die «Mainstream»-Medien aus, indem er es ganz bewusst weiterschüre. Andauernd spricht er über Fake News und zettelt so eine Diskussion an, in der sich die Medien verteidigen müssen – statt in der gleichen Zeit Fragen zu Russland zu stellen. Julie Paces Rat: sich dieser Diskussion nicht dauernd stellen, Tweets von Trump öfter einfach ignorieren und stattdessen ganz normalen Journalismus machen. Ein Rat, den die AP selbst nicht wirklich befolgt.

Sind die öffentlichen Schuld?

Der Druck auf die öffentlichen Medien kommt aber auch von den privaten Verlegern, von Zeitungen und digitalen Plattformen. Und auch hier gleichen sich die Diskussionen innerhalb von Europa. Haben die Verlage recht mit ihrer These, wonach die Öffentlichen es mit ihrem umfassenden Angebot im Netz den Privaten verunmöglichen, Journalismus für eine zahlende Kundschaft zu betreiben? Oder entbehrt es jeder Logik, den öffentlichen Medien die Schuld für die eigenen Probleme mit der digitalen Entwicklung zu geben? Ein Vertreter des dänischen Rundfunks nannte es die «Logik des platten Reifens»: Zwei Lastwagen transportieren wichtige Waren, und plötzlich hat einer einen Platten. Der betroffene Lastwagenfahrer ruft nun aus seiner Fahrerkabine jedem Passanten zu, doch bitte die Reifen des anderen Lastwagens auch platt zu machen, sonst wäre das nicht fair. Und so kommt am Schluss gar keine wichtige Ware mehr ans Ziel.

Mehr Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Medien

Vor diesem Hintergrund richtete der neue Generaldirektor der EBU, der Ire Noel Curran, einen starken Appell an private wie öffentliche Medien: Man solle sich auf Gemeinsamkeiten besinnen statt sich gegenseitig zu bekämpfen, ansonsten am Ende alle gemeinsam zu Grunde gingen. Der politische Druck, die digitale Revolution und schmaler werdende Budgets, das Aufkommen von Fake News und damit der Vertrauensverlust in alle Medien, das alles erfordere eine im Vergleich zu heute viel radikalere Zusammenarbeit von Öffentlichen und Privaten, auch in der Haltung und im Auftreten gegenüber den dominierenden Social-Media-Giganten aus dem Silicon Valley. Nur diesen nütze es, wenn sich die grossen Medienorganisationen bekriegten und dabei immer weniger Geld für Investitionen in den Journalismus hätten. Dabei sei «Invest in Investigations», investieren in die Recherche, heute wichtiger denn je. Anzufügen bleibt da nur noch: Auch Haltung zeigen gegenüber politischen Druckversuchen ist heute wichtiger denn je. Haltung zeigen heisst, dass wir unseren öffentlichen Auftrag und die dort eingeforderte Unabhängigkeit ernstnehmen und auch umsetzen. Dass in der Schweiz eine Initiative zur Abstimmung kommt, welche jegliche Finanzierung von Radio- und Fernsehstationen verbieten will, hat man deshalb auch bei der EBU mit Sorge registriert. Die Unabhängigkeit gerade auch der öffentlichen Medien war einst ein Gebot der Stunde, das immer mehr als obsolet betrachtet wird.

Text: SRF/Tristan Brenn

Bild: SRF/Oscar Alessio

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