Illustration: Zeigefinger streckt sich in die Luft
SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

«SRF News»- und «Tagesschau»-Beiträge zu Arbeitslosigkeit beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 9. Januar 2019 beanstandeten Sie den Bericht über die Arbeitslosenzahlen auf SRF News und in der «Tagesschau» (Fernsehen SRF) vom 8. Januar 2019.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Als jahrelanger Gebührenzahler finde ich die Berichterstattung der Arbeitslosenzahlen seit Jahren durch unser SF und SRF, ein Skandal. Gestern wieder in den Nachrichten, Arbeitslosenzahlen nur 2.6 %. Doch laut Studie ETH und Bericht NZZ haben wir über 5 % Arbeitslose, mehr als Deutschland, USA, etc.[2] Unser Staatsmedium erzählt nur die Zahlen vom SECO und die vielen 100'000 Ausgesteuerten und 50 plus, welche auch ohne Job sind und in die Armut getrieben werden, werden verheimlicht. Himmelblau und rosarot soll die Schweiz sein. So wird die Bevölkerung seit Jahren mit falschen Zahlen manipuliert und von unserem Staatsmedium verlangen wir mehr Ehrlichkeit.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Die Antwort kam von Herrn Franz Lustenberger, ehemaliger stellvertretender Redaktionsleiter der «Tagesschau»:

«Mit Mail vom 9. Januar hat Herr X eine Beanstandung gegen die Tagesschau vom 8. Januar eingereicht. Beanstandet wird die Berichterstattung über die Arbeitslosenzahlen, welche das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO publiziert hatte.

Der Bericht zu den Arbeitslosenzahlen (ab 03:49) ist Teil einer umfassenden Berichterstattung über den Arbeitsmarkt in der Schweiz. Gleich im Anschluss an die aktuellen Dezemberzahlen wird eine kritische Bilanz über die Stellenmeldepflicht bei den Regionalen Arbeitsämtern RAV gezogen (ab 04:55 bis 08:05). Diese Bilanz zur Stellenmeldepflicht, also zum sogenannten ‘Inländervorrang’ fällt durchzogen aus.

Statistiken

Der Beanstander verweist auf die Mängel der SECO-Statistik. Die Bundesbehörden erheben selber zwei unterschiedlichen Statistiken zur Arbeitslosigkeit, respektive zur Erwerbslosigkeit.

- Monatlich mit der Arbeitslosenstatistik des SECO, welche die bei den RAV registrierten Arbeitslosen berücksichtigt. Diese erscheinen monatlich und sind eine Woche nach Monatsschluss verfügbar.

- Quartalsweise mit der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung SAKE (ELS-ILO), welche die Erwerbslosigkeit nach dem Standard der Internationalen Arbeitsorganisation ILO bemisst, erhoben vom Bundesamt für Statistik. Derzeit ist es so, dass die aktuellst verfügbaren Zahlen die Periode Juli bis September 2018 betreffen. Mitte Februar 2019 erscheinen die Zahlen für Oktober bis Dezember 2018. Es ist richtig, dass die Zahlen gemäss ILO-Standard höhere Werte ausweisen; die ‘Erwerbslosigkeit’ ist aber auch nicht punktgenau zu eruieren, da sie auf Stichproben beruht.

Die Frage der richtigen Statistik ist immer wieder auch auf der politischen Ebene ein Thema. So jüngst in der Fragestunde des Nationalrates in der Herbstsession 2018: Nationalrätin Yvonne Feri stellte entsprechende Fragen.[3]

Aus der Antwort des Bundesrates geht hervor, dass beide Statistiken je ihre Berechtigung haben. In der Antwort werden die unterschiedlichen Statistiken eingehend erläutert; ihre jeweiligen Vor- und Nachteile dargelegt. Beide Statistiken ergänzen sich; erst gemeinsam ergeben sie laut Bundesrat ein ‘umfassendes Bild der Arbeitsmarktsituation in der Schweiz’.

Die Wirtschaftsredaktion wie auch die betroffene Senderedaktion Tagesschau teilen diese Meinung. Es wäre also falsch, die beiden Statistiken gegeneinander auszuspielen. Um - mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung - einen internationalen Vergleich anzustellen, eignen sich die Zahlen der SAKE des Bundesamts für Statistik (ELS-ILO) in der Tat besser.

Um die relative Veränderung der Arbeitslosigkeit und den aktuellst möglichen Zustand des Arbeitsmarktes beschreiben zu können, müssen hingegen die Arbeitslosenzahlen des SECO herangezogen werden. Anfangs Jahr interessieren die aktuellsten Zahlen; diese sind diejenigen des SECO – wie viele Menschen sind aktuell am Ende des Jahres bei den Regionalen Arbeitsvermittlungsämtern gemeldet. Die Arbeitslosenzahlen des SECO sind eine relevante Grösse in der wirtschaftspolitischen Diskussion.

Die Wirtschaftsredaktion wird zu gegebener Zeit auch die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung SAKE des Bundesamts für Statistik wieder thematisieren.

Langzeitarbeitslose und Ausgesteuerte

Schweizer Fernsehen SRF ist sich der vom Beanstander angesprochenen Thematik sehr bewusst. Sie hat in verschiedenen Sendungen und Beiträgen die Probleme von Langzeitarbeitslosen thematisiert; hier zwei Beispiele mit Betroffenen, welche dem Thema über die rein statistischen Zahlen hinaus ein Gesicht geben. In einem DOK-Film unter dem Titel «50+ und arbeitslos» kommen Betroffene sehr ausführlich zu Wort (7. Juni 2018).[4] Die Sendung 10v10 vom 13. Oktober 2017 widmet sich in einem Fokus den Ausgesteuerten. [5]

Fazit

Die Tagesschau hat sachgerecht über die neusten Arbeitslosenzahlen des SECO berichtet. Sie ist sich der Problematik der SECO-Statistik bewusst, welche sich auf die bei den Regionalen Arbeitsvermittlungsstellen RAV gemeldeten Personen abstützt. Das Schweizer Fernsehen wird auch in Zukunft die Thematik der Langzeitarbeitslosen und der Ausgesteuerten immer wieder in sein Programm aufnehmen.

Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ich kann nachvollziehen, dass Sie sich ärgern, wenn Sie wissen, dass es neben der in der «Tagesschau» vom 8. Januar 2019 referierten Statistik noch eine andere Statistik gibt, die international besser vergleichbar ist. Ein erklärender Satz dazu im Kurzbericht der «Tagesschau» wäre nützlich gewesen. Es wäre die Aufgabe des Präzisionsjournalismus – jenes Konzepts, das sich um sozialwissenschaftliche Daten, Statistiken und Demoskopie kümmert -, die Zahlen richtig einzuordnen.

Anlass war allerdings die Medienorientierung des SECO über seine Zahlen. Deren Wiedergabe war korrekt und sachgerecht. Wenn dann das Bundesamt für Statistik über seine Zahlen orientiert, wird SRF wieder berichten. Jedes Mal das Fass ganz aufzumachen, würde das Publikum verwirren. Die Berichterstattung von SRF News online und der «Tagesschau» war daher keineswegs «ein Skandal», wie Sie insinuieren. Und es sind auch nicht «falsche Zahlen», die SRF wiedergegeben hat. Herr Lustenberger hat den Unterschied der beiden Messmethoden dargelegt, und der Bundesrat hat in seiner Antwort auf die Anfrage von Nationalrätin Yvonne Feri begründet, warum es wichtig ist, beide Statistiken zu haben. Es ist daher falsch zu behaupten, SRF sei «unehrlich».

Ich komme zum Schluss, dass der Text von SRF News und der Beitrag der «Tagesschau» vollkommen korrekt sind, wenngleich ein zusätzlicher erklärender Satz mit einem Hinweis auf die andere Statistik wünschenswert gewesen wäre. Aber durch das Fehlen dieses Satzes verletzten die Beiträge die Sachgerechtigkeit noch nicht. Darum kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

Noch ein ergänzendes Wort zum Begriff «Staatsmedium», den Sie verwenden. Es gibt in der Schweiz keine Staatsmedien. Staatsmedien sind Lautsprecher der jeweiligen Regierung. Solche Medien gibt es in China, in Vietnam, in Kuba, in Nordkorea, in Syrien, in Russland, in Thailand, in der Türkei oder in Weißrussland. Sie werden vom Staat finanziert und dirigiert, letztlich betreiben sie Propaganda für die Machthaber. In der Schweiz legt zwar der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen für die Rundfunkmedien fest und er bestimmt, dass Gebühren erhoben werden dürfen. Aber inhaltlich sind Radio und Fernsehen – genau so wie die Presse – vom Staat unabhängig. Das bestimmen die Bundesverfassung in Artikel 93 [6] sowie das Radio- und Fernsehgesetz in Artikel 3a.[7] Und das bedeutet, dass der Bundesrat, das Parlament oder die Verwaltung den Rundfunkmedien – also auch der SRG – inhaltlich absolut nicht dreinreden dürfen. Es ist daher auch das Recht der SRG-Journalistinnen und -Journalisten, den Bundesrat, das Parlament oder die Verwaltung immer wieder zu kritisieren. Und dieses Recht nimmt SRF durchaus wahr. Statt von Staatsmedien sollte man daher von Service Public-Medien sprechen. Man kann auch von gebührenfinanzierten Medien reden. Dabei müsste man unterscheiden zwischen mehrheitlich gebührenfinanzierten Rundfunkmedien (die SRG) und teilweise gebührenfinanzierten Rundfunkmedien (die meisten privaten Radio- und Fernsehsender).

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.


[1] https://www.srf.ch/news/wirtschaft/arbeitslosenquote-2018-25-000-arbeitslose-weniger-als-2017

https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-08-01-2019-1930?id=d6b8894a-9519-45d6-9092-841c6c6209cd

[2] htps://www.20min.ch/schweiz/news/story/Mehr-Arbeitslose-als-in-Deutschland-15039697?httpredirect https://www.blick.ch/news/wirtschaft/internationaler-vergleich-zeigt-arbeitslosigkeit-inder-schweiz-hoeher-als-in-deutschland-id8716930.html

[3] https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20185446

[4] https://www.srf.ch/play/tv/dok/video/50-und-arbeitslos---wege-aus-der-altersfalle?id=9cd04f71-8592-4954-b412-1bb6ccd5d144

[5] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-das-schwierige-leben-der-ausgesteuerten?id=1020f5be-de4d-4923-8297-db7d8253e56c

[6] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19995395/index.html

[7] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html

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