Bild von Radio SRF 1 Sendung «Treffpunkt», Beitrag «Wüste Wörter – wie sie kommen und gehen»
SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

Radio SRF 1 Sendung «Treffpunkt», Beitrag «Wüste Wörter – wie sie kommen und gehen»

5976
Mit Ihrer E-Mail vom 3. Mai 2019 beanstandeten Sie die Sendung «Treffpunkt» (Radio SRF 1) vom 2. Mai 2019 zum Thema «Wüste Wörter - wie sie kommen und gehen».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Ich möchte gegen die Sendung gestern Treffpunkt laut Programm von 10:03-11.00 Uhr (02.05.2019).

Für mich verstösst das klar gegen diesen Artikel des Schutzes Minderjähriger: <Programmveranstalter haben durch die Wahl der Sendezeit oder sonstige Massnahmen dafür zu sorgen, dass Minderjährige nicht mit Sendungen konfrontiert werden, welche ihre körperliche, geistig-seelische, sittliche oder soziale Entwicklung gefährden.>

Der Studiogast und ‘Experte’ hatte richtige Lust Wörter wie Ficken, usw zu sagen er wiederholte diese immer wieder. Mein 31⁄2 Jähriger Sohn auf der Autorücksitz fragte was die Sprechen und sagte diese Wörter dann auch nach! Sind die von allen guten geistern verlassen? Im TV wird das sogar zensiert mit einem Ton! Wenn das nach 20.00 Uhr gesendet wird OK, aber um diese Zeit ....wenn man nicht mehr SRF1 hören kann mit Kinder ist das beschämend für was wir Gebühren zahlen.

Bitte klären Sie den Sachverhalt sauber ab und geben Sie mir Bescheid. Ich bin wirklich kein Bünzli und Fluche auch mal aber vor der Kindern versuchen wir uns zu beherrschen und dann kommt so etwas.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für den «Treffpunkt» äußerte sich Frau Heidi Ungerer, publizistische Leiterin von Radio SRF 1:

«Mit Mail vom 03. Mai 2019 beanstandet Herr X die Radio SRF 1-Sendung Treffpunkt vom 2. Mai 10-11 Uhr zum Thema Fluchen. Der Treffpunkt vom 2. Mai gehörte zum Thementag ‘Wüste Wörter’ auf Radio SRF 1: Vom Morgenprogramm bis zur Mundartsendung Schnabelweid ab 21.00 wurde in verschiedenen Sendungen über ‘wüste Wörter’ diskutiert und diese auch genannt.

Warum dieser Thementag?
Schimpfen, Fluchen, Beleidigen, grobe Wörter benutzen: Das ist ein weit verbreitetes Alltagsphänomen, das viel Aufmerksamkeit erregt, über das aber selten diskutiert wird. Dabei gibt es dazu viele Fragen, welche die Menschen bewegen: Stimmt es, dass die Sprache der Jugendlichen immer schlimmer wird? Verroht unsere Sprache durch Fremdeinflüsse? Wie verändert sich dieser tabuisierte Teil der Sprache im Laufe der Generationen und Jahrhunderte? Was gehört eigentlich alles zur ‘wüsten Sprache’? Warum wird überhaupt geflucht und beschimpft? ‘Wüste Wörter’ sind ein Teil des Alltagswortschatzes. Das Alltagsleben abzubilden und zu reflektieren ist der Auftrag und das Selbstverständnis von Radio SRF 1.

Die Sendung ‘Treffpunkt’
In der beanstandeten Sendung ‘Treffpunkt’ wurde kein einziges Mal wirklich lautstark geflucht und geschimpft. Vielmehr wurde stets über das Fluchen und Schimpfen gesprochen. Dass die gemeinten Wörter dabei konkret ausgesprochen wurden, liess sich nicht vermeiden. In der Sendung geschah dies stets mit einer gewissen Vorsicht und Zurückhaltung oder sogar mit abfedernden erklärenden Worten (<kommt nicht leicht über die Lippen>, <wir dürfen das ausnahmsweise aussprechen, weil wir drüber reden>).

Beispielstellen

  • Die Erklärung des historischen Schimpfworts Chueghejer = Kuhficker ab Min. 23.00;
  • Der Vergleich von wüsten Wörtern früher und heute mit Ausdrücken wie figg di, figg dini Mueter etc. ab Min. 52.20.

Ob die beanstandeten Wörter dabei zu oft genannt wurden, ist eine Ermessensfrage. Tatsächlich wurde das jugendsprachlich epidemisch benutzte figg di in der Sendung genau zweimal gesagt, ebenso wie figg dini Mueter, und zwar nur an dem Punkt, wo diese Ausdrücke besprochen wurden. Dazu die Erklärungen zur historischen Bedeutung des Worts gheje = ficken und des Schimpfworts Chueghejer = Kuhficker.

Die meisten anderen Schimpf- und Fluchwörter, über die in der Sendung gesprochen wurde, gehören dem einigermassen akzeptierten Wortschatz an (huereschön, Siech, Chäib, hocke, ganz verreckt etc.) - auch wenn, zugegeben, diese Akzeptanzgrenze fliessend und individuell ist.

Unsere Einschätzung der Beanstandung

Der Thementag von Radio SRF 1 war angekündigt und eingebettet, das heisst: An keinem Punkt wurde das Publikum von ‘wüsten Wörtern’ überrascht. Die ‘wüsten Wörter’ wurden erklärt, nicht einfach bedenkenlos ‘gebraucht’. Ausserdem werden im Kontext eines für Erwachsene produzierten Radioprogramms jeden Tag Themen behandelt, die für Kinder nicht verständlich und auch nicht geeignet sind.

Dass Eltern unwillig werden, wenn ein Vorschulkind solche Wörter mit einem Erwachsenen mithören muss, ist uns verständlich. Vor allem, wenn das Kind den einbettenden Kontext nicht versteht bzw. wenn die Eltern diesen Kontext selber noch weiter ausführen müssen. Diese Situation gibt es aber bei vielen Themen, die wir in unseren Begleitprogrammen auf Radio SRF jeden Tag senden, denn unser Radioprogramm ist prinzipiell kein Kinderprogramm. Das heisst: Die Erwachsenen tragen bei ihrer Mediennutzung die Verantwortung, die Mitmediennutzung ihrer Kinder immer wieder kritisch zu prüfen. Gerade in Fällen, wo ein Thema angekündigt wird, haben Erwachsene problemlos die Möglichkeit, einem für ein Kind nicht geeigneten Thema auszuweichen. Sowenig z.B. eine Tageschau für Dreijährige geeignet ist und Eltern diese auch nicht mit den kleinen Kindern gemeinsam anschauen, sowenig war es diese thematisch deklarierte Sendestrecke bei Radio SRF 1 über ‘wüste Wörter’.

Aus unserer Sicht ist das Thema für diese Sendung auch zu dieser Tageszeit aufgrund der gesellschaftlichen Relevanz als gerechtfertigt und der Umgang der Beteiligten mit dem tabuisierten Wortschatz als adäquat zu bezeichnen.

Was uns in dieser Haltung bestätigt: Von den täglich über 1,3 Millionen Zuhörenden bei Radio SRF 1 – darunter, wie wir aus der Publikumsforschung wissen, viele Eltern mit Kindern – haben sich über 500 mit grossem Lob, Augenzwinkern und eigenen Inputs zum Thementag geäussert. Auf der Gegenseite zählen wir drei kritische Stimmen aus dem Publikum, die vor allem generell mit dieser Themenwahl Mühe hatten.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ich bedaure, dass Sie durch diese Sendung in Anwesenheit Ihres dreieinhalbjährigen Sohnes in eine peinliche Situation des Erklärungsnotstandes gerieten. Ich möchte aber dreierlei festhalten:

  1. Medien müssen jedes Thema aufgreifen dürfen. Medien sind Beobachter der Gesellschaft, und so müssen sie auch über Pornografie, Sadomasochismus, Geheimbünde, Sekten, Berufskiller, Verschwörungstheorien, Pädophilie, Foltermethoden oder wüste Wörter reden. Es gibt im öffentlichen Diskurs grundsätzlich keine Tabus, die Frage ist nur, wie Journalistinnen und Journalisten die Themen angehen.
  2. Die von Ihnen beanstandete Sendung hat das Thema der «wüsten Wörter» auf sehr differenzierte, intelligente Weise behandelt. Wer die ganze Sendung verfolgte, hat sehr viel gelernt, vor allem dank der Kenntnisse des Mundartexperten Markus Gasser. Interessant war auch, dass bestimmte Wörter in den einen Regionen der Schweiz als schlimm gelten, in den anderen aber nicht, weil sie nicht das Gleiche bedeuten. Und wie schon Frau Ungerer dargelegt hat, kann man wüste Wörter nicht diskutieren und problematisieren, ohne sie auch auszusprechen.
  3. Das Publikum ist nicht von jeder Verantwortung frei, wenn es Medien konsumiert. Wenn Kinder Zeitschriften lesen, Internetseiten nutzen oder Rundfunksendungen mitverfolgen, die nicht für sie bestimmt sind, dann kann man die Verantwortung dafür nicht einfach den Redaktionen und Produzenten der Medien zuweisen. Für die Kinder sind in erster Linie die Eltern verantwortlich. Das heißt: Wenn Sie im Auto, auf dessen Kindersitz Ihr kleiner Sohn sitzt, Radio SRF 1 hören und es fallen Ausdrücke, die Sie Ihrem Kind nicht zumuten wollen, dann haben Sie drei Möglichkeiten zu reagieren:

a) Ihrem Kind das Gehörte kindergerecht erklären (was bei einem Dreieinhalbjährigen anspruchsvoll sein dürfte);

b) zu einem anderen Sender wechseln;

c) das Radio ausschalten.

Um auf diese Wahlmöglichkeiten zu kommen, brauchen Sie allerdings nicht die Hilfe der Ombudsstelle. Und weil die beanstandete Sendung in keiner Weise gegen das Radio- und Fernsehgesetz verstiess, kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann

[1] https://www.srf.ch/sendungen/treffpunkt/wueste-woerter-wie-sie-kommen-und-gehen

Diese Beiträge könnten Sie auch interessieren:

Bild von «Zytlupe»-Beitrag über SVP-Wahl-Video sorgte für rote Köpfe

«Zytlupe»-Beitrag über SVP-Wahl-Video sorgte für rote Köpfe

Gar nicht lustig empfanden acht Radiohörerinnen und -hörer Autorin Stefanie Grobs Satire «Ha Ha isch ke Witz» in der Sendung «Zytlupe» von Radio SRF 1 vom 19. September 2015. Darin sinnierte sie über den Video-Clip des SVP-Wahlsongs «Welcome to SVP», worin eine Tänzerin ein T-Shirt mit der Zahl 88 zeigt. Die 88 ist ein Zahlencode der Neonazis, der als verschlüsselter Hitlergruss gilt. Der Text stelle die SVP als Rassisten und Nazi-Befürworter hin, reklamierten die Beanstander in ihren Eingaben bei der Ombudsstelle. Achille Casanova wies die Beanstandungen als unberechtigt ab.

Weiterlesen

Bild von Sachgerechter Podcast zum «Mobilfunkpapst»

Sachgerechter Podcast zum «Mobilfunkpapst»

Gegen einen Podcast über verbale Angriffe und schwere Vorwürfe gegen den Mobilfunkexperten Martinr Röösli gingen mehrere Beanstandungen ein. Der Beitrag sei einseitig und diffamiere die Aktivist:innen der Anti-Mobilfunkbewegung. Die Ombudsstelle ist nicht einverstanden.

Weiterlesen

Bild von SRF wählte Experten mit Bedacht

SRF wählte Experten mit Bedacht

Radio SRF 1 beschäftigte sich im «Rendez-Vous» mit den Vorwürfen, die US-Präsident Trump gegen Huawei erhebt. Ein Beanstander findet den Beitrag einseitig und undemokratisch – Ombudsmann Blum ist anderer Meinung.

Weiterlesen

Teilen Sie uns Ihre Meinung mit (bitte beachten Sie die Netiquette und Rechtliches)

Lade Kommentare...
Noch keine Kommentare vorhanden

Leider konnte dein Kommentar nicht verarbeitet werden. Bitte versuche es später nochmals.

Ihr Kommentar wurde erfolgreich gespeichert und wird nach der Freigabe durch SRG Deutschschweiz hier veröffentlicht