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SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

Auftritt von Uygur Cenk in der Sendung «Deville» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 28. April 2019 beanstandeten Sie die Sendung «Deville» vom gleichen Tag und dort die Sequenz «Kleinkunst: Cenk».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Gegen die Glosse von Uygur Cenk lege ich Beschwerde ein. Der Komiker Cenk hat in der Sendung DeVille von heute Abend jegliche Sensibilität vermissen lassen. Der Bezug von Jesus zu sich selbst war unter aller Kritik. Nebst anderen abschätzigen Sätzen sind mir die diejenigen betreffend ‘Nagelstudio’ und ‘Kreuzfahrt’ besonders hängen geblieben. Er ist Moslem, auch wenn er sich als Agnostiker bezeichnet. Wenn jemand Mohammed in aller Öffentlichkeit derart diffamieren würde, hätte dies wahrscheinlich böse Folgen, wenn nicht Klagen oder sogar Racheakte zur Folge . Mit freier Meinungsäusserung hat dies nichts mehr zu tun. Religiöse Gefühle wurden auf Gröbste verletzt! So etwas kann sich SRF nicht leisten, es ist zu weit gegangen.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für «Deville» äußerte sich Herr Daniel Kaufmann, Senior Producer Comedy:

«Gerne nehmen wir zur Beanstandung von Herrn X Stellung.

Bei ‘Deville’ handelt es sich um eine Satiresendung. Satire ist ein besonderes Mittel der Meinungsäusserung, bei dem sich die Form bewusst nicht kongruent zu dem verhält, was sie hinterfragen will. Sie übersteigert die Wirklichkeit, verfremdet sie, stellt sie um, kehrt wieder zu ihr zurück, banalisiert sie, karikiert sie, macht sie lächerlich. Die Satire fällt in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 16 der Bundesverfassung) sowie der Kunstfreiheit (Art. 21 der Bundesverfassung) und ist zudem durch die in Art. 10 EMRK enthaltene Meinungsäusserungs- und Kunstfreiheit geschützt. Dabei ist es aus programmrechtlicher Sicht zentral, dass der satirische Charakter für das Publikum erkennbar ist. Der satirische Charakter bei ‘Deville’ ist klar erkennbar.

In der Sendung vom 28. April 2019 hat sich der Comedian Cenk Korkmaz in seinem Auftritt dem Thema ‘Influencer’ gewidmet und dabei einen Vergleich zu Jesus gezogen.

Dass Jesus, würde er heute leben, den Kult um seine Person kommerzialisieren und Kreuzfahrten anbieten oder ein Nagelstudio eröffnen würde, ist eine absurde Behauptung. Absurde Behauptungen gehören zum Wesen der Satire. Die entscheidende Frage ist einmal mehr: Darf Satire das? In den publizistischen Leitlinien bekennt sich SRF dazu, <zentrale Glaubensinhalte von Religionen nicht ins Lächerliche> zu ziehen und übernimmt damit die Praxis der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI). Bei der römisch-katholischen Kirche gehören insbesondere die sieben Sakramente zu den zentralen Glaubensinhalten (vgl. UBI-Entscheid b. 453 vom 23. August 2002 E. 7.4 [‘Swissair’]. Sollte es sich bei der Kreuzigung Jesu, um die es bei den beiden Wortspielen mit ‘Kreuzfahrten’ und ‘Nagelstudio’ geht, um einen zentralen Glaubensinhalt handeln, wäre dieser zumindest durch die satirische Äusserung von Cenk Korkmaz nicht erheblich in negativer Weise berührt. Die in satirischer Form vorgebrachte eigentliche Botschaft des Comedians bestand offensichtlich nicht in einem Lächerlichmachen der Kreuzigung Christi, sondern in der Verballhornung von Kommerzialisierungsstrategien, wie sie heute bei vielen Influencern zu beobachten ist. Dass diese Wortspiele provokativ sind, ist uns bewusst. Dass diese Form von Humor Geschmacksache ist, auch. Niemand würde aber ernsthaft bestreiten, dass selbst die berühmte Kreuzigungsszene aus ‘Monty Python – Das Leben des Brian’ durch das Satireprivileg geschützt ist.

Herr X erwähnt in seinem Schreiben den Umgang des Islam mit Satire: <Wenn jemand Mohammed in aller Öffentlichkeit derart diffamieren würde, hätte dies wahrscheinlich böse Folgen, wenn nicht Klagen oder sogar Racheakte zur Folge>.

Ja. Es gab Klagen und Racheakte von Muslimen nach Satire-Beiträgen. Aber was bedeutet das für uns? Die Intoleranz von religiösen Fundamentalisten kann nicht Vorbild sein für den Umgang mit christlichen Themen in einer offenen Gesellschaft. Wohin religiöser Fanatismus führen kann, hat der Anschlag auf die Satiriker von Charlie Hebdo in Paris gezeigt. Die Tabus rund um die Religionen erachten wir als ein Konzept aus vergangenen Zeiten, die es zu überwinden gilt.

Die Meinungs- und Kunstfreiheit sind ein wichtiges Prinzip in der freien Welt. Man darf über alles reden, über alles diskutieren und über alles lachen. Und wer eine Satiresendung einschaltet, muss Satire erwarten und bereit sein, Satire – zu welchen Themen auch immer – auszuhalten. Die Grenze ist da, wo religiöse Gefühle von Gläubigen in ungebührender Weise verletzt werden. Eine Grenze mit Interpretationsspielraum. Wo ist jemand in seinen religiösen Gefühlen verletzt? Und wo ist es einfach Ärger? Die Schmerzgrenze ist so individuell wie die Menschen selbst. Niemand kann in die Gefühlswelt eines Menschen schauen. Sollten wir mit diesem Beitrag die religiösen Gefühle von Herrn X verletzt haben, bedauern wir dies. Es war nicht unsere Absicht. Eine Verletzung von Programmrecht liegt aber nicht vor.

Wir bedanken uns für die Gelegenheit zur Stellungnahme.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sequenz. Die Frage, die Sie mit Ihrer Beanstandung aufwerfen, ist nicht einfach. In der einen Waagschale liegt das Gewicht der Satirefreiheit, gedeckt durch die Meinungsäußerungs-, Kommentar- und Kunstfreiheit. Satire darf (fast) alles. In der anderen Waagschale liegt das Gewicht der religiösen Gefühle. Die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) hat definiert, dass der Kernbereich des jeweiligen Glaubens geschützt sei. Zum Kernbereich gehören für die Katholiken beispielsweise die Sakramente. Doch ist dieser Kernbereich einem steten Wandel unterworfen. Das Sakrament der Ehe beispielsweise verliert in einer Zeit, in der in der Schweiz 36,1 Prozent der Ehen geschieden werden, seine Strahlkraft. Die UBI muss daher immer wieder neu bestimmen, was zum Kernbereich einer Religion gehört.

Jesus ist ohne Zweifel die Zentralfigur des Christentums. Ohne ihn gäbe es die christliche Religion nicht. Die Frage ist aber, ob man in ihm mehr den Menschen oder mehr das Göttliche sieht. Der menschliche Jesus war ein jüdischer Sektenführer im römischen Palästina zur Zeit der Kaiser Augustus und Tiberius, der dank seiner Predigten, seiner Heilkraft und seiner konsequenten Friedfertigkeit und Menschenliebe rasch eine riesige Anhängerschaft um sich sammelte. Der göttliche Jesus ist Teil der christlichen Dreifaltigkeit; er sitzt neben Gott und wird beim Jüngsten Gericht mitrichten. Ich halte es für ausgeschlossen, den göttlichen Jesus zum Gegenstand von Satire zu machen. Der menschliche Jesus hingegen kann kritisch gesehen werden genauso wie Mohammed oder Ghandi oder Billy Graham oder Joseph Smith, der Begründer der Mormonen.

Die Frage ist aber, ob auch die Hinrichtung von Jesus, also die Kreuzigung, zum Anlass von Satire gemacht werden kann. Für die Christen ist die Kreuzigung von enormer Symbolkraft und Wichtigkeit. Nicht die Hinrichtung, aber das, was durch sie passiert, ist wohl ein zentraler Glaubensinhalt. Über sie dürfte man eigentlich nicht spotten. Umgekehrt spekuliert Cenk nur darüber, was Jesus heute als Influencer tun könnte. Er braucht Wortspiele, über die das Publikum lacht: «Kreuzfahrten», «Hochseewanderung», «Nagelstudio». Eigentlich würde ich Cenk gerne zubilligen, dass ihm die Satirefreiheit das Recht zu diesem Spott gibt. Gleichzeitig habe ich ein ungutes Gefühl dabei. Ich ziehe deshalb einen Schluss, den ich noch nie gezogen habe: Ich entscheide mich nicht, ob ich Ihre Beanstandung unterstütze oder nicht unterstütze.

Hingegen rate ich Ihnen, Beschwerde bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz zu erheben – entweder zusammen mit 20 weiteren Unterzeichnern, oder aber allein, und dann mit dem Hinweis darauf, dass ein öffentliches Interesse an der Klärung der Frage besteht. Im Artikel 96 Absatz 1 des Radio- und Fernsehgesetzes steht: «Besteht ein öffentliches Interesse an einem Entscheid, so tritt die Beschwerdeinstanz auch auf fristgemäss erhobene Beschwerden ein, welche nicht alle formellen Voraussetzungen erfüllen. In diesem Fall haben die Beschwerdeführer keine Parteirechte.» [2] Die UBI anerkennt immer dann ein öffentliches Interesse an einem Entscheid, wenn sich neue Rechtsfragen stellen. Das dürfte hier der Fall sein.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann

[1] https://www.srf.ch/play/tv/deville/video/mit-cenk-korkmaz?id=960ef305-a589-4c99-94f0-2b954d251057

[2] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html

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