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SRF-«DOK», «Marish - Die Haussklavin» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 1. Mai 2019 haben Sie den «DOK»-Film «Marish - Die Haussklavin» vom 1. Mai 2019 beanstandet. Wir haben diese Beanstandung an die Redaktion zur Direktbeantwortung überwie­sen. Mit der Antwort waren Sie nicht zufrieden und haben sich am 3. Juni 2019 nochmals per E-Mail an die Ombudsstelle gewandt. Ihre Eingabe erfüllt die formalen Voraussetzungen an eine Beanstan­dung. Somit kann ich auf sie eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

Es ist mir ein Rätsel, warum dieser Dokumentarfilm zur besten Sendezeit zwischen 21.00 und 22.00 Uhr im SRF 1 gezeigt wird. Es handelt sich zwar um einen mehrfach prämierten und für den Europäi­schen Filmpreis nominierten Film.

Marish, die ungarische Hauptperson des Filmes, ist krank und hätte in Ungarn jederzeit Gelegenheit gehabt, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der Film zeigt sie jedoch nur als "Sklavin und Gefangene".

Ich bitte Sie, den ganzen Film anzuschauen. Er bietet so viele Ungereimtheiten, dass er diese Sende­zeit nicht verdient.

Am 3. Juni 2019 wandten Sie sich erneut an die Ombudsstelle:

Nach dem Erscheinen des Dokumentarfilms "Marish - Die Haussklavin" am 1. Mai 2019 beanstandete ich bei Ihnen, dass dieser Film trotz vieler Ungereimtheiten zur besten Sendezeit zwischen 21.00 und 22.00 Uhr ausgestrahlt wurde. Sie liessen mir mitteilen, dass die Anfrage an die SRF-Kultur-Redaktion weitergleitet wurde.

Zwei zuständige Stellen des SRF beantworteten mir zwei Mails, mit denen ich versuchte herauszufin­den, ob denn die SRF vor der Ausstrahlung des Films geprüft hatte, ob er mit der Wirklichkeit in Un­garn übereinstimmt. Das wurde von der SRF weder vor noch nach meinen Mails gemacht. Es wird auf verschiedene andere Instanzen verwiesen. Ich bekam viele ausweichende Antworten.

Meine Frau und ich sind gerne bereit, Ihnen weitere Auskünfte über Ungarn zu geben. Wir sind seit 50 Jahren in ständigem Kontakt mit unseren ungarischen Verwandten, Bekannten und Freunden. Wir be­obachten eine unkorrekte Berichterstattung über Ungarn. Das ist auch mit diesem Film der Fall.

B. Ihre Beanstandung wurde der zuständigen Redaktion zur Stellungnahme vorgelegt. Frau Nathalie Rufer, Executive Producer DOK und Reportage, schrieb:

Gerne nehmen wir zur Beanstandung von Herrn Heinrich Sprecher vom 1. Mai 2019 zum Dokumentar­film «Marish: Die Haussklavin» in der Sendung «DOK» Stellung.

Der beanstandete Film «Marish: Die Haussklavin» ist Teil einer Dokumentarfilmreihe zum Thema mo­derne Sklaverei. SRF hat sich mit vielen anderen Sendern daran finanziell beteiligt, da das Thema ak­tuell ist.[1]

Herr Heinrich Sprecher bemängelt, dass Marish in Ungarn jederzeit hätte Hilfe suchen können. Ob und in welchem Umfang sie das vielleicht gemacht oder nicht gemacht hat, können wir tatsächlich nicht sagen. Im Film wird jedoch transparent gemacht, dass die Filmemacherin die Polizei über die Vor­gänge in diesem Haushalt orientiert hat – als sie realisierte, was da geschah. Weiter wird im Film ge­zeigt, dass Marish sehr wohl selbst aktiv wurde – nachdem ihr die Flucht gelang. Sie kontaktierte ent­sprechende Stellen, stiess dort aber nur beschränkt auf Hilfe. Sie fand im Anschluss selbst eine Arbeit, von der sie heute leben kann. Zudem engagiert sie sich heute mit der Filmautorin für die Rechte von Menschen, denen Ähnliches widerfahren ist.

Leider ist Marish kein Einzelfall. Die Anzahl moderner Sklaven in Ungarn wird auf 22'000 geschätzt, in Europa auf 1,2 Millionen Personen und weltweit 40,3 Millionen Menschen (Why Slavery foundation). Das ist ein relevantes Thema, welches Beachtung verdient.

Im Zusammenhang mit der Ausstrahlung des Films auf SRF hatten wir mehrfach Kontakt mit der Auto­rin Bernadett Tuza-Ritter. Sie berichtete uns, dass sie den Film der ungarischen Polizei vorgelegt habe, damit diese von selber aktiv werden könnte. Selber wollen die Autorin und Marish von einer Klage ge­gen die Hausherrin absehen, weil Marish seit langem endlich einigermassen in Frieden leben könne und das nicht aufs Spiel setzen möchte. Sie leide noch immer unter posttraumatischen Störungen und sei nicht bereit für einen juristischen Kampf. Die Autorin ist laut eigenen Angaben des Weiteren in Kontakt mit verschiedenen Hilfsorganisationen in Ungarn, die sich der Thematik annehmen.

Wir haben keinen Anlass, an den Aussagen der Filmautorin zu zweifeln. Es liegt somit keine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots vor. Wir beantragen, die Beanstandung in allen Punkten abzuweisen.

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Sie kritisieren in Ihrer Beanstan­dung mehrere Punkte. So monieren Sie, die Protagonistin hätte jederzeit Gelegenheit gehabt, Hilfe in Anspruch zu nehmen und es kämen so viele Ungereimtheiten vor, dass der Film diese Sendezeit nicht verdiene. Zudem halten Sie fest, dass Sie eine unkorrekte Berichterstattung über Ungarn beobachten und weiter fragen Sie sich, ob SRF vor der Ausstrahlung des Films geprüft habe, ob er mit der Wirk­lichkeit in Ungarn übereinstimmt.

Im Dok-Film «Marish - Die Haussklavin» (Originaltitel «Why Slavery ») geht es um die 52-jährige Ma­rish, die in Ungarn sieben Tage in der Woche im Haushalt schuften muss. Sie wird von ihren Peinigern ausgenützt und geschlagen. Als einzige Gegenleistung erhält sie zu essen, Zigaretten und eine Couch als Schlafgelegenheit. Marish muss auch den Lohn, den sie in einem Nebenjob als Putzfrau in einer Fabrik verdient, abgeben. Sie braucht für jeden Schritt, den sie tut, eine Bewilligung. Marish aber hat grosse Angst vor der Flucht. Sie träumt davon, ihre Tochter wiederzusehen, die vor ein paar Jahren weggelaufen ist, weil sie die Umstände nicht mehr länger aushielt. Die ungarische Filmemacherin Bernadett Tuza-Ritter hat Marishs Alltag zweieinhalb Jahre lang gefilmt. Sie begleitet die Frau, die unter unmenschlichen Bedingungen den Haushalt ihrer «Besitzerin» Eta führt.[2],[3]

Der Film greift eine moderne Art der Sklaverei auf. Es geht hierbei um «vielfältige Situationen der Ausbeutung, die eine Person aufgrund von Drohungen, Gewalt, Zwang, Irreführung und/oder Macht­missbrauch aus eigener Kraft nicht verlassen kann».[4] Die Ausprägungen der modernen Sklaverei sind vielgestaltig: Am meisten verbreitet ist die Zwangsarbeit im privaten Sektor, wovon die Schuld­knechtschaft circa die Hälfte ausmacht. Von staatlicher Zwangsarbeit sind deutlich weniger Menschen betroffen – vergleichbar der Anzahl von Frauen, die zur sexuellen Ausbeutung gezwungen werden. Eine Zwangsheirat hat eine deutlich grössere Anzahl von Frauen erfahren. Auch diese Kategorie gilt als Form moderner Sklaverei.[5] Gemäss Angaben von «The Global Slavery Index» leben in Ungarn so­gar 36'000 Menschen (= 3.67/1000 Personen) in moderner Sklaverei, in der Schweiz sind es 14'000 (= 1,67/1000 Personen).[6],[7]

Ich habe mir die DOK-Sendung genau angeschaut. Es ist nur im ersten Moment nicht nachvollziehbar, dass die Protagonistin, Marish, nicht längst geflohen ist. Die Angst, die sie vor der Hausherrin, Eta, hat, wird aber von Szene zu Szene spürbarer. So droht Eta dem anderen Haussklaven wörtlich: «Ich breche dir den Schädel, du Idiot!» [Timecode 19:33] und kurz darauf sagt Eta zu Marish: «Falls du das auch vergisst, bring ich dich um!». Dass Menschen wie die portraitierte Haussklavin nicht primär rational handeln, liegt letztlich auf der Hand. Die Angst, die permanenten Einschüchterungen, der repressive Druck, die Verzweiflung, die Ohnmacht, der komplett zerstörte Selbstwert und letztlich die Hoffnungs­losigkeit lassen sie völlig abstumpfen. Bezeichnenderweise ergreift Marish die Flucht erst, als sie nach langer Zeit merkt, dass sie der Filmemacherin voll vertrauen kann. Allein hätte sie diesen Schritt wohl nie geschafft.

Der Film fokussiert auf die Haussklavin Marish, zeigt ihre Verzweiflung als «Leibeigene» und ihre Freu­de beim Wieder­sehen mit ihrer Tochter nach der Flucht. Ich sehe im Film keinerlei Ungereimt­hei­ten, weder in der Geschichte von Marish noch in den wenigen Situationen, in denen direkt auf Ungarn Bezug genommen wird. Wie Frau Nathalie Rufer, Executive Producer DOK und Reportage, in ihrer Stellungnahme schreibt, hatte SRF mehrfach Kontakt mit der Autorin Bernadett Tuza-Ritter. Der Film wurde auch in Ungarn gezeigt, worauf die «Internationale Organisation für Migration» und die ungarische Polizei eine Kampagne gestartet haben, um Opfern der modernen Sklaverei zu helfen. In der ungarischen Presse erhielt der Film zudem grosse Aufmerksamkeit.[8], [9],[10]

Auch ich sehe keinen Grund an der Glaubwürdigkeit des Filminhalts zweifeln. Das Sachgerechtigkeits­ge­bot wurde nicht verletzt, das Publikum nicht manipuliert. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen kann.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernseh­geset­zes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfü­gung.

Mit freundlichen Grüssen
Manfred Pfiffner, stv. Ombudsmann


[1]https://www.thewhy.dk/projects/why-slavery

[2] https://filmloewin.de/interview-bernadett-tuza-ritter-ueber-a-woman-captured

[3] https://www.medientipp.ch/events/dok-marish-die-haussklavin-why-slavery

[4],5 https://www.humanrights.ch/de/internationale-menschenrechte/nachrichten/initiativen/moderne-formen-sklaverei?gclid=Cj0KCQjw3uboBRDCARIsAO2XcYDN7REFcmXkwEU-F0hT7CqYwEMeeVhrch9b6cOKLkz3sLCP5EYG LkEaAvX0EALw_wcB

[6] https://www.globalslaveryindex.org/2018/data/country-data/hungary/

[7] https://www.globalslaveryindex.org/2018/data/country-data/switzerland/

[8] https://magyarnemzet.hu/kultura/egy-evtizednyi-rabszolgasag-6510470/

[9] https://www.magyarhirlap.hu/kultura/TuzaRitter_Bernadett_filmje_nyerte_a_legjobb_rendezes_dijat_a_GoEast_ fesztivalon

[10] https://nepszava.hu/1146878_a-magyarok-a-modern-rabszolgasagrol-szolo-filmmel-szerepelnek-a-sundance-en

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