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«Wer darf etwas sagen, wem hören wir zu?»

Das Jahrbuch «Qualität der Medien 2019» kommt zu einem frustrierenden Fazit: Wir sind alle unterinformiert, insbesondere die jüngere Generation. Wie kommts? Und wo liegen mögliche Lösungsansätze? Ein Gespräch mit EMEK-Präsident Otfried Jarren und Martina Fehr, Leiterin Publizistik bei der «Südostschweiz».

Frau Fehr, welche Newsmeldung haben Sie zuletzt bis zum Schluss gelesen?
Fehr: Einen NZZ-Artikel von Rainer Stalder über Newsdeprivierte, als Vorbereitung auf dieses Interview.

Herr Jarren, wie konsumieren Sie selber News?
Jarren: Ich habe einige Tages- und Wochenzeitungen abonniert, diese lese ich morgens und auch abends, bevor ich ins Bett gehe. Für das Lesen nehme ich mir gerne Zeit. Und auf dem Handy habe ich ein paar News-Apps installiert. Da konsumiere ich aber sehr ausgewählt, ich bin ein schwacher Digitalnutzer. Der Morgen und der Abend sind bei mir für Lesen, für Lektüre, reserviert. Den Rest des Tages nutze ich lieber zum Arbeiten. Ich bin kein News-Junkie, der gar noch Push-Meldungen bezieht. Es sei denn, es sind Bundesratswahlen oder aktuelle Ereignisse.

Kürzlich erschien das Jahrbuch «Qualität der Medien». Eine grosse Lehre ­daraus: Wir sind alle newsdepriviert, vor allem die jüngere Generation – warum?
Jarren: Das hat sehr viel damit zu tun, wie die Medien heute News anbieten. Es gibt so viele Kanäle, über die die Inhalte verteilt werden. Diese Art von medialer Fluss­organisation und individuellem Selektions- wie Wischverhalten begründet kein Geschäftsmodell. Wenn ich damit aufwachse, führt das dazu, dass ich mich frage: Warum soll ich dafür bezahlen? Ich wische einfach weiter, hier bekomme ich ein bisschen etwas über das Königshaus, hier auch, und dort etwas über den Konflikt zwischen den USA und dem Iran. Dieses schnelle Konsumieren führt einerseits dazu, dass ich nicht mehr richtig lese. Und wer als junger Mensch so lesend aufwächst, der wird in diese «Lesekultur» sozialisiert. Hüpfen von App zu App und wischen: Die Bindung zu einem Medium wird sehr schwach und es stellt sich die Vertrauensfrage. Die Newsanbieter beuten ihre Leute im 24-Stunden-­Liefermodus aus: Die Macher sitzen in Newsrooms, produzieren wie die Wilden, immer mit Blick auf das, was bei der Konkurrenz gerade läuft. «Das müssen wir auch haben.» Anpassung ist die Folge, «more of the same» heisst das Angebot: Doch wer will dafür zahlen?

Martina Fehr, Leiterin Publizistik bei der «Südostschweiz» erzählt gestikulierend.

Liegt das Problem also bei den Journalistinnen und Journalisten?
Jarren: Nein, denn sie werden ja in den Newsrooms gesteckt. Der Fehler liegt bei Medienhäusern, bei Verlagen sowie Redaktionsleitungen, die sich wundern, dass sie mit den so erstellten Produkten keine hinreichenden Erträge für den Journalismus erzielen können.

Fehr: Wie und wo man News konsumiert, hat extrem viel damit zu tun, wie man aufwächst. Am letztjährigen Zukunftstag bei uns stellte ich wieder fest: Jene, die sich von Zuhause gewohnt waren, Tageszeitung zu lesen, hatten einen ganz anderen Zugang zu unserer Arbeit. Das Problem der Newsdepriviertheit betrifft aber nicht nur junge Menschen.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Fehr: Bei der «Südostschweiz» gibt es eine Grossauflage, immer dienstags wird die Zeitung in einem gewissen Einzugsgebiet gratis verteilt. Kürzlich rief mich jemand an und meinte, er lese eigentlich nur den «Blick», wisse aber, dass er unsere Zeitung eigentlich abonnieren müsste – aber unsere Geschichten über den Klimawandel und so hätten ihn derart nachdenklich gestimmt, dass er sich bewusst dagegen entschieden habe. Er war der Meinung, dass er viel einfacher leben könne, wenn er das alles nicht wisse. Beim «Blick« fühle er sich einfach immer bestätigt. Das war eine Person um die sechzig, das hat mich doch schockiert und auch sehr nachdenklich gestimmt.

Nochmal zur jüngeren Generation: Der Lehrplan 21 sieht keinen konkreten ­Fokus auf den Umgang mit Medien oder News vor. Ist das problematisch?
Fehr: Ich finde schon, dass Medienkompetenz Thema an der Schule sein sollte. Vorbildlich ist in dieser Hinsicht Skandinavien. Denn selbst für mich als Profi ist es heutzutage manchmal nicht oder nur schwer möglich, Sponsored Content als solchen zu erkennen. Und dabei kenne ich die Regeln! Wir Medien müssen uns aber überlegen, wie wir die Jungen erreichen. Die «Tagesschau» der ARD experimentiert mit TikTok, ich finde, die machen das wirklich super.

Apropos TikTok: Jüngst versuchte eine Influencerin, ihren Followern den USA-Iran-Konflikt und die Auswirkungen auf Europa zu erklären – und scheiterte, weil sie nicht ausreichend informiert war. Der Shitstorm war riesig und prasselte vor allem seitens der klassischen Medien auf sie herein. Fühlen die sich bedroht, weil Influencer anfangen, auf ihren Kanälen News zu bearbeiten?
Fehr: Das glaube ich überhaupt nicht. Es ist fatal, wenn man geopolitische Zusammenhänge nicht kapiert hat und dann zu Halbwahrheiten verstrickt. Journalismus ist ein Handwerk und dieses Handwerk hat Regeln, so schützen wir unsere Glaubwürdigkeit. Wenn wir die nicht mehr beachten, dann sind wir schnell bei der Propa­ganda. Um Journalismus zu machen, braucht es Respekt vor diesem Handwerk, und beim Thema Iran und USA gibt es sehr viele kluge Leute, die sich seit Jahren intensiv damit beschäftigen. Wer das Gefühl hat, solch einen Konflikt mal einfach so in kürzester Zeit runterbrechen zu können, sollte wohl doch besser etwas über lässige Frisuren erzählen.

Diese Aussage ist jetzt aber auch etwas anmassend. Sie hätte sich auch einfach besser informieren können.
Fehr: Ich finde es nicht per se falsch, wenn junge Leute etwas erklären oder auf Missstände aufmerksam machen. Aber es ist wichtig, zu differenzieren, gerade, was die Qualität angeht. Wie gesagt, auf TikTok gibt es sehr wertvolle journalistische Inhalte – dort ist die Augenhöhe wichtig, also dass das Junge für Junge machen. Aber auch dann müssen die Fakten stimmen und journalistische Regeln eingehalten werden.

Jarren: Dem schliesse ich mich an. Dass heute den Medien mehr Kanäle zur Verfügung stehen, hat ja Vorteile, denn so können unterschiedliche Angebote gemacht werden. Die Medien waren lange in einer dominanten Position – natürlich gab es Varianz und Vielfalt, aber der Journalismus hatte die alleinige Deutungshoheit. Jetzt aber kommen andere Player hinzu, die Beteiligung und Austausch ermöglichen. Nutzerinnen wie Nutzer äussern sich via Social Media öffentlich. Und es gibt In­fluencer. Diese neuen Akteure halten sich nicht an klassische Werte wie Regeln des Journalismus. Das ist grundsätzlich auch gut so.

Warum?
Jarren: Aus meiner Sicht befinden wir uns in einer Übergangszeit, in der sich neue Regeln für die öffentliche Kommunikation ausbilden: Wer darf etwas sagen, wem hören wir zu? Neben dem Journalismus wirken nun Individuen, PR-Akteure und Influencer mit. Das irritiert. Auch Firmen wie AXA Winterthur legen sich eigene redaktionelle Teams zu, die Inhalte produzieren, die wie journalistische Berichte daherkommen und es auch sind. Aber: Absender ist eine Firma. Wie aber kann der Nutzer das unterscheiden? Wir benötigen Transparenz über Absender. Und wir sollten die Figur des Influencers kritisch diskutieren. Ich denke, wir lernen bezüglich der neuen Kommunikationsverhältnisse laufend dazu, so auch über Krisen.

EMEK-Präsident Otfried Jarren gestikuliert mit erhobenen Händen

Inwiefern können Influencer gefährlich sein?
Jarren: Stellen Sie sich vor, es gäbe eine Influencer-Kampagne: Alle mögen rasch ihr Geld von den Banken abziehen, weil eine Krise bevorstehe. Und wesentliche Gruppen der Gesellschaft würden in diesem Sinne agieren. So kann es zu technischen Engpässen, unüberlegten Folgehandlungen sowie Gerüchten und so weiter kommen – und die Infrastruktur bricht zusammen. Gleiches ist vorstellbar in allgemeinen Sicherheitsfragen. Influencer, Trolle, Bots – das ist nicht Science Fiction. Fake News oder Deep Fakes sind erhebliche kommunikative Herausforderungen.

Welche Rolle spielen Social Media bei unserem veränderten News-Konsum?
Fehr: Heute kann man alles liken, alles kommentieren. Bei manchen Dingen, die die Leute im Internet publizieren, frage ich mich oft: «Meinst du das jetzt wirklich so?» Wenn wir online ganz hässliche Kommentare oder Mails bekommen, bieten wir den Leuten jeweils an, das Schreiben als Leserbrief zu drucken. Meistens reagieren sie höchst schockiert: Um Himmels willen nein, das sei ja so unanständig, das könne man doch nicht in der Zeitung abdrucken. Aber per Mail an mich, das geht dann. Sehr spannend, dass die Leute das selber differenzieren. Dass online aber auch in der Berichterstattung alles zugespitzter, radikaler sein muss, ist sicher ein grosses Problem.

Jarren: Ich arbeite derzeit über Normen und Regeln für die gesellschaftliche Kommunikation unter digitalen Kommunikationsbedingungen. Lange Zeit bestimmten die Medien und der Journalismus wesentlich Normen und Regeln, nun sind weitere Normen und Regeln dazugekommen. So durch kommunikative Laien. Damit kommt es zu Norm- und Regelkonflikten, zum Beispiel über die Frage, was man wo, also in welchen Kontext, sagen darf und was nicht. Und wer in seiner Community unterwegs ist, der pflegt eine eigene Sprache. Es gibt Gruppennormen. Gelten die aber immer und für alle? Bei geschlossenen Gruppen gibt es Log-in-Effekte: Man steigert sich in Sachen hinein, äussert Dinge, die man ohne diesen Kontext nicht sagen würde – man scheint ja unter sich zu sein. Welche Folgen hat das für andere Kommunika­tionssituationen? Wir wissen, dass die Journalisten bei den Kommentarspalten zu Online-Beiträgen besonders genau hinschauen müssen, weil dort rasch in einer Weise kommuniziert wird, die man nicht akzeptieren kann, mag oder darf.

Frau Fehr, Sie treten im Sommer Ihre Stelle als MAZ-Leiterin an. Das MAZ hat immer weniger Anmeldungen für den Journalismus-Studiengang. Wollen die jungen Leute überhaupt noch in den Journalismus?
Fehr: Bei uns in der Somedia sehen wir, dass die jungen Menschen ein sehr grosses Interesse an Ausbildungen haben, das MAZ hat nach wie vor einen sehr hohen Stellenwert. Das liegt unter anderem aber auch daran, dass wir uns mit der Südostschweiz in einer Peripherie bewegen: Wir müssen ausbilden, ich habe höchst selten einen ausgebildeten Journalisten, der bei mir anfängt. Wir können deshalb immer alle Volontariate und Praktikumsstellen besetzen. Aber natürlich, es ist ein strukturelles Problem, viele Praktikumsstellen fallen weg, Redaktionen werden zusammengelegt und verkleinert, da sinkt auch der Bedarf an journalistischer Grundausbildung. Zudem wird aufgrund des Kostendrucks immer weniger in die Aus- und Weiterbildung investiert. Aber die Jungen sind heute noch mit anderen Herausforderungen konfrontiert: Sie haben oft ehemalige Journalisten auf der Gegenseite, die heute als PR-Experten arbeiten und zum Beispiel ein Interview gegenlesen. Wir erhalten manchmal Versionen zurück, die mit dem ursprünglichen Interview fast nichts mehr gemeinsam haben. Da sind wir sehr stark dahinter, unseren Jungen klar zu machen, was ihre Rechte und Pflichten sind und dass sie auf ihnen beharren sollen und müssen – die sind neben dem Technischen und dem Storytelling doch das Existenzielle im Journalismus.


Martina Fehr, 45, ist noch publizistische Leiterin der «Südostschweiz» und tritt im Mai 2020 nach 22 Jahren bei der ­Somedia die Stelle als Direktorin des MAZ in Luzern an. Bei der Somedia sorgte die Bündnerin in diversen Führungspositionen für eine Konvergenz der Sparten Zeitung, Radio, TV und ­Online. In ihrer neuen Funktion als MAZ-Direktorin will Fehr den Fokus auf Digitalisierung und Konvergenz legen.

Otfried Jarren, 66, ist emeritierter Professor für Kommunikationswissenschaft am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung an der Universität Zürich. 2016 ist er an der FU Berlin zum Honorarprofessor für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft ernannt worden. Seit 2015 ist Jarren zudem Präsident der Eidgenössischen Medienkommission EMEK. Er äussert sich immer wieder kritisch über die publizistische Haltung der Schweizer Medien – zuletzt forderte er in einem Interview mit der Branchenplattform persoenlich.com ein Qualitätssiegel für journalistische Produkte.


Die Studie der fög
Die Forschergruppe des Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) untersucht jährlich neben der Entwicklung der inhaltlichen Qualität von über 60 Schweizer Informationsmedien auch die Nutzungsentwicklung und die Finanzierungsbasis der Schweizer Medien. Ebenso erforschen die Wissenschaftler Trends und neue Phänomene wie beispielsweise den digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit.
Die Ergebnisse der Untersuchung werden jedes Jahr im Buch «Qualität der Medien» publiziert. Otfried Jarren schieb das Vorwort der Jubiläumsausgabe 2019, welche im vergangenen Herbst erschien. Eine der Hauptbefunde: Ein grosser Teil der Bevölkerung zeigt ein geringes Interesse an aktuellen Informationen. Besonders ausgeprägt ist die Entfremdung unter den Jungen; ein negativer Trend, der anhält.
Die weiteren Hauptbefunde können Sie hier nachlesen:


Text: Miriam Suter

Bild: Gian Vaitl

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