Illustration von Susanne Wille.
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«Ich möchte die Kultur sichtbar und stark machen»

Mit dem Amtsantritt von Susanne Wille als Abteilungsleiterin Kultur von SRF brach die Coronakrise über die Schweiz herein. Im Gespräch erklärt sie, warum sie das in ihren Zielen bestärkt hat und was das für den Wissenschaftsjournalismus bedeutet.

LINK: Susanne Wille – Sie waren bisher die Frau für News und für politische Hintergründe. Was verbindet Sie persönlich mit Kultur?
Susanne Wille: Wenn ich jetzt sage, dass Kultur ein Lebenselixier sei, dann tönt das etwas nach Werbung für meine neue Aufgabe. Aber es stimmt: Kultur war immer schon ein wichtiger Teil in meinem Leben. Umgekehrt bleibe ich auch jetzt, wenn ich mich beruflich mit Kultur befasse, ein politisch interessierter Mensch.

Bei SRF gehört zur Abteilung Kultur auch «SRF Wissen». Wie halten Sie es mit der Wissenschaft?
Wissenschaftsjournalismus ist wichtiger denn je. Gerade in der Coronakrise ist es unsere Aufgabe, komplexe Zusammenhänge zu erklären und zu zeigen, was man weiss und was noch nicht. Ich halte mich immer an das Bonmot von Stephen W. Hawking: «Der grösste Feind des Wissens ist nicht die Unwissenheit, sondern die Illusion, wissend zu sein.»

Seit der Coronakrise ist die Wissenschaftsredaktion von SRF gefragt wie nie zuvor. Was leiten Sie daraus für die Zukunft ab?
Ich freue mich über die aktive Rolle, die das Wissenschaftsteam von SRF spielt. Wissenschaftsjournalismus gehört zum Kernauftrag von SRF. Deshalb möchten wir noch stärker darauf bauen. Wir planen die Realisierung einer digitalen Wissensplattform, auf der wir Wissen und Übersicht bieten wollen, und zwar auf srf.ch, aber auch auf Youtube. Gerade in der Zeit von Fake News kommt unseren Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten eine grosse Rolle zu.

Kultur hat es traditionell schwerer als die Wissenschaft. Verleger pflegen als Erstes bei der Kulturberichterstattung zu sparen. SRF auch?
SRF hat einen Leistungsauftrag in der Kultur, den wir mit Freude und Überzeugung wahrnehmen. Wir sind und bleiben das grösste multimediale Feuilleton der Schweiz. Als ich mein Amt antrat, begann die Coronakrise und das Kulturleben kam zum Stillstand: Es gab keine Lesungen und keine Konzerte mehr, Theater und Kinos mussten schliessen. Es war ein starkes Erlebnis, zu spüren, was unserem Land fehlt, wenn keine Kultur mehr stattfindet. Das ist für mich eine erhöhte Motivation, die Kultur sichtbar und stark zu machen.

An welches Zielpublikum richtet sich SRF künftig mit seinen Kulturangeboten?
Wir haben ganz genau analysiert, welches Publikum SRF erreicht, und haben festgestellt, dass wir momentan kein Medienhaus für alle sind. Die ganze Bevölkerung zahlt Gebühren, aber 80 Prozent unserer Investitionen kommen einem Publikum im Alter von über 45 Jahren zugute. Hier möchten wir einen Ausgleich schaffen. Unser Ziel ist es, unserem bestehenden Publikum Sorge zu tragen, aber gleichzeitig ein jüngeres Publikum anzusprechen. Das wollen wir vor allem über digitale Kanäle erreichen. Lineares Radio und Fernsehen spielt bei Jugendlichen eine immer kleinere Rolle.

Hat die Investition ins Digitale ein Abbau beim Radio zur Folge?
Klar ist: Wir halten an einem starken Kulturradio fest. Es soll weiterhin Sendungen geben, die ein hochinteressiertes Kulturpublikum erreichen, wie zum Beispiel die «Diskothek». Aber wir überlegen uns künftig viel konsequenter, wo wir mit welchen Inhalten an welches Publikum gelangen. So wollen wir über Instagram neu täglich über Kulturereignisse berichten und damit auch jüngere Kulturinteressierte erreichen. Übrigens gilt die Zweiteilung «jung gleich digital» und «älter gleich analog» nicht. Das Nutzungsverhalten hat sich insgesamt verändert. Digitale Inhalte spielen in allen Altersgruppen eine immer grössere Rolle.

«Ich müsste ja eine sehr grosse Kulturpessimistin sein, zu glauben, dass Menschen, die sich für Kultur interessieren, nicht auch digitale Angebote nutzen möchten.»

Susanne Wille
Bereichsleiterin SRF Kultur

Neu nimmt die Abteilung Audience, also die Markt- und Publikumsforschung, eine starke Rolle ein. Kommt es bald auch in der Kulturberichterstattung nur noch auf die Quote an?
Bei der Abteilung Audience geht es um viel mehr als nur um die Einschaltquote. Es geht zum Beispiel darum, zu prüfen, ob wir den Leistungsauftrag erfüllen und für welche Publikumssegmente wir welche Angebote bieten. Es ist entscheidend, dass wir nicht einfach ins Blaue hinaus publizieren, sondern das Publikum ins Zentrum stellen. Quote ist übrigens nichts Schlechtes. Es ist wichtig, dass wir unser Publikum wirklich erreichen. Aber die Quote darf nicht die alleinige Währung sein, und darauf werden wir auch in Zukunft achten.

So oder so wird sich das Programm verändern. Was heisst das konkret für die klassische Musik, die Literatur und die Religion bei SRF?
Damit wir neue Angebote entwickeln können, müssen wir Anpassungen im Programm vornehmen. Wir verknüpfen aber jede Anpassung mit der Frage: Wie können wir mit dem Thema künftig die Interessierten noch besser erreichen und damit den Leistungsauftrag insgesamt noch besser erfüllen?

Und wie sieht das bei Podcasts aus? SRF ist bisher vor allem mit als Podcast verbreiteten Radiosendungen präsent.
Podcasts sind wichtig, weil die Nachfrage nach digitalen Audioinhalten, die man zeitunabhängig nutzen kann, zunimmt. In der Wissenschaftsredaktion haben wir mit «Kopf voran» bereits einen originären Podcast realisiert. Jetzt schauen wir, wo wir neue Felder besetzen können. Dazu gehört auch, dass wir Lücken schliessen. Neu finden sich beispielsweise auf unserer Audioplattform Lesungen: Literatur als Podcast, zum Beispiel mit digitalen Lesungen.

Was bedeutet das für das klassische Hörspiel?
Das Hörspiel ist eine Form, der wir besonders Sorge tragen. Aber man hört heute anders Radio. Deshalb werden wir künftig mehr Originale für Podcasts produzieren und dann im Radio ausspielen. Ein Beispiel dafür ist die Sitcom «Roll over Beethoven»: Wenn Christoph Maria Herbst den Beethoven spielt, dann ist das grosses Kino fürs Ohr – online und im Radio.

Wir sind uns einig: Die Zukunft ist digital. Aber ist es auch das Publikum der Kulturangebote von SRF?
Ich müsste ja eine sehr grosse Kulturpessimistin sein, zu glauben, dass Menschen, die sich für Kultur interessieren, nicht auch digitale Angebote nutzen möchten. Es gibt ein grosses Bedürfnis, sich auch im digitalen Raum mit Angeboten aus der Abteilung Kultur zu befassen. Das sehen wir ja bereits.

Und was ist mit den Mitarbeitenden? Von aussen betrachtet scheint es, dass sich gerade die Kultur mit einem Kulturwandel in Richtung Digitalisierung etwas schwertut.
Das erlebe ich anders. Ich habe mir aber als Erstes Gedanken über die Kultur in der Kultur gemacht. Um die Kreativität und den Ideenreichtum der Kolleginnen und Kollegen in der Kultur zusammenzubringen, habe ich beispielsweise ein Digital-Atelier eingeführt. Wir schauen uns gemeinsam unsere digitalen Angebote an. Das war etwas vom Schönsten in den letzten Wochen. Zu sehen, mit wie viel Engagement sich die Teams aus den unterschiedlichsten Bereichen von «Dok» oder «Sternstunde» über Radio SRF 2 Kultur bis zur Fiktion füreinander interessieren und sich überlegen, was wir jetzt gemeinsam lernen. Ich bin bei den Feedbackrunden selbst immer dabei. Wenn man eine digitale Transformation einläutet, muss man sich natürlich viel mit Abläufen und Prozessen beschäftigen. Aber im Kern bleibt der Journalismus, das Brennen für die Musik, für den Film oder für die Literatur. Hier wollte ich ein Zeichen setzen.

Die Strategie 2024 will mit Hilfe der Digitalisierung SRF jüngeren Menschen erschliessen. Und was, wenn sich die Jungen nicht für die SRF-Angebote interessieren?
Was, wenn wir es nicht ausprobieren würden? Es ist doch unsere Aufgabe, für alle da zu sein und die Augen offen zu halten. Wir machen ja nicht Journalismus für Youtube oder für Facebook. Wir machen guten Journalismus und wollen dort präsent sein, wo das Publikum ist.

Susanne Wille wurde 1974 in Villmergen im Kanton Aargau geboren. Als studierte Historikerin und Anglistin stiess sie 2001 zu SRF und war zunächst während zehn Jahren Moderatorin und Reporterin bei «10vor10». Danach wechselte sie als Korrespondentin ins Bundeshaus und war im Anschluss Reporterin und Moderatorin bei der «Rundschau». Ausserdem moderierte sie diverse Spezialsendungen, beispielsweise zu den eidgenössischen Wahlen.

Schon vor ihrer Wahl zur Kulturchefin befasste sich Susanne Wille jahrelang intensiv mit Fragen der digitalen Transformation – unter anderem als Leiterin des Qualitäts- und Steuerungsboards im Newsroom. Sie ist zudem Mitglied im operativen Projektteam von «SRF 2024», dem zentralen Transformationsprojekt von SRF.

In ihrer Funktion als Leiterin SRF Kultur verantwortet Susanne Wille unter anderem Radio SRF 2 Kultur, die fiktionalen Eigenproduktionen, die Angebote von SRF DOK sowie die Onlineplattform srf.ch/kultur.


Text: Matthias Zehnder

Bild: SRF / Oscar Alessio

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