Foto: Wysel Gyr hält einem Musikanten ein Mikrofon hin
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Wie Wysel Gyr die Volksmusik prägte

Schweizer Volksmusik und Fernsehredaktor und -moderator Wysel Gyr sind in der Fernsehgeschichte untrennbar. Was viele nicht wissen: Er war ein akribischer Archivar. Ein Forscherteam der Universität Zürich taucht mit SRF Archiv in Wysel Gyrs Archivbestände ein und will wissen: Welchen Einfluss hatten das Fernsehen und der «Ländlerpapst» selbst auf die Volksmusik?

Was «es Örgelimuul» mit Wysel Gyr zu tun hat und warum es ein Streitpunkt auf der Fernsehbühne in den 70er-Jahren war, weiss Alexandra Neukomm. Die Doktorandin ist eine der vier Projektmitarbeitenden im Forscherteam um Professor Bernhard Tschofen am Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft an der Universität Zürich. Seit etwas mehr als einem Jahr beschäftigt sich das Team des Projekts «Claiming Folklore – Politiken und Praktiken von Volksmusik im Schweizer Fernsehen (1960er–1990er Jahre)» mit dem Einfluss des Fernsehens auf die Volksmusik.

Das vierjährige Projekt, das seit Anfang 2022 läuft, bekommt über die umfangreichen Archivmaterialien des SRF-Archivs Einblick in die Art und Weise, wie Gyr und seine Redaktion die Ländlerkapellen, Musikensembles und Jodlerchöre für unterschiedliche Sendeformate auswählten. Das vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützte Projekt untersucht über Archivmaterialien und ergänzende Interviews die Bedeutung des Schweizer Fernsehens als wichtigen Volkskulturförderer.

Herzstück der Redaktion: Der Karteikasten mit den Publikumsmusikwünschen fungierte auch als eine Art Datenbank der schweizerischen Volksmusik.

In enger Zusammenarbeit mit dem Bereich «Recherche und Archive» von SRF und dessen Co-Leiter Manuel Meyer werden die umfassenden Bestände aufgearbeitet. Im Auftrag der Stiftung Kulturerbe von Schweizer Radio und Fernsehen hat Meyer den Aufruf für ein Forschungsprojekt lanciert. «Es ist eine Win-win-Situation für die Forschung und für SRF zugleich. Es ist unser Auftrag und Bestreben, dass wir historische Sendungen erhalten. Von der Stiftung Kulturerbe haben wir die Mittel erhalten, um das umfassende Redaktionsarchiv von Wysel Gyr zu digitalisieren.

Das Forscherteam der Uni Zürich erhält Zugang zu den umfassenden digitalisierten Beständen», so Meyer. Insgesamt sind um die 600 Fernsehsendungen und musikalische Einspieler sowie sämtliche Korrespondenzen und Sendungsunterlagen der damaligen Redaktion «Folklore und Heimat» Gegenstand der Untersuchung – der grösste Teil akribisch vom Moderator und Abteilungsleiter Wysel Gyr selbst erfasst und archiviert.»

Wysel Gyr und eine Redaktionsmitarbeiterin in der Redaktion «Folklore und Heimat».

Zum Stand der Forschung meint Alexandra Neukomm: «Wir sind erst im zweiten Forschungsjahr und nach wie vor in der Datenerhebungsphase. Wir führen noch Gespräche mit verschiedenen Akteurgruppen, zum Beispiel mit Volksmusikinterpretinnen und -interpreten, die in den Sendungen von Wysel Gyr in den 60er- bis in die 90er-Jahre aufgetreten sind.» Also in Sendeformaten wie «Für Stadt und Land», «Diräkt us», «Bodeständigi Choscht» und «Öisi Musig». Es seien aber bereits gewisse Tendenzen erkennbar, meint die Doktorandin: Beispielsweise werde die Professionalität von Wysel Gyr oft erwähnt, so Neukomm.

Gyr war wichtig, dass nur qualitativ hochwertige Volksmusik in seinen Sendungen gespielt wurde, auch wenn die Musiker teils etwas ernst rüberkamen. «Wenn sich Musikerinnen und Musiker stark konzentrieren, sieht man dies am Gesichtsausdruck. Die Interpretinnen und Interpreten selbst haben dafür den Begriff ‹Örgelimuul› verwendet. Vor allem gegen Ende der 70er-Jahre, als der Unterhaltungsaspekt immer wichtiger wurde und die Konkurrenz aus dem Ausland mit den grossen Shows zunahm, wurde bemängelt, dass sie nicht fröhlicher in die Kamera schauten. Das stand im Kontrast zum Anspruch an Unterhaltungssendungen, dass sie gute Laune und fröhliche Stimmung verbreiten.» Für Gyr sei das Ästhetische zwar nicht unwichtig gewesen, für ihn war das «Authentische» aber wichtiger: Kulisse und Tracht mussten zur gespielten Musik und ihrer Herkunft passen.

Gewisse Ländlerkönige konnten durch ihre Popularität nicht nur ausserhalb ihrer Region auftreten, sondern hatten so viele Engagements, dass sie sogar von ihrer Musik leben konnten. Für die Musikerinnen und Musiker hätten das Fernsehen und Wysel Gyr eine absolute Schlüsselrolle gespielt, um bekannt zu werden, so Neukomm.

Wäre ein solcher Einfluss heute noch möglich? «Nein», meint Ueli Stump, SRF-Musikwelle-Redaktor. «Zum einen gehörte Wysel zu den Fernsehpionieren, und er hat seine Gefässe von Grund auf selbst aufgebaut; man liess ihn gern gewähren.» Das habe ihn automatisch in eine dominante Position gebracht, die er durch seine Persönlichkeit auch entsprechend ausfüllte. «Zum Zweiten waren die Rahmenbedingungen damals anders: Es gab kaum Konkurrenz, seine Quoten waren daher beachtlich – und das Publikum war viel homogener und generell der Ländlermusik gegenüber aufgeschlossener als heute.»

Haben Sie Erinnerungen an Wysel Gyr oder die Volksmusiksendungen?

Das Forschungsteam sucht Zeitzeuginnen und -zeugen aus dem damaligen Publikum, das vor Ort, im Studio oder zu Hause die beliebten Sendungen erlebt haben. Haben Sie die Sendungen regelmässig verfolgt? Oder waren Sie gar bei Dreharbeiten dabei? Kannten Sie Wysel Gyr oder haben Sie besondere Erinnerungen an den Besuch des Schweizer Fernsehens in Ihrem Dorf? Das Forscherteam freut sich über Ihre Kontaktaufnahme:
claimingfolklore@isek.uzh.ch, +41 44 634 24 31


Text: SRD.D/Pernille Budtz

Bild: SRF Archiv

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