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«Wir wollen Leute zum Lachen bringen»

Der Satiriker Renato Kaiser setzt sich in seinen Texten mit aktuellen Themen auseinander. Er will aber nicht in erster Linie politische Einflussnahme bewirken – zumindest nicht absichtlich. Ein Gespräch über die Macht politischer Satire.

In Ihren Texten, aber auch in Posts auf Social Media nehmen Sie regelmässig Stellung zu aktuellen Themen. Wie politisch sind Sie?

Ich hatte lange das Gefühl, ich sei gar nicht so politisch. Im gesamtgesellschaftlichen Vergleich bin ich wohl sehr politisch interessiert. Das habe ich von meinem Vater. Ihm war von Anfang an wichtig, dass mein Bruder und ich wählen und abstimmen gehen.

Wie klar positionieren Sie sich? Oder lassen Sie absichtlich eine Ungewissheit bezüglich Ihrer wahren Position walten?

Ich halte meine Meinung sicher nicht hinter dem Berg. Aber ich gebe keine klaren Abstimmungstipps mehr ab. Ich bin kein Aktivist, ich bin Künstler. Und künstlerisch ist es superuninteressant, den Leuten zu sagen, was sie machen sollen. Meine Herausforderung ist, Themen auf kreative und bestenfalls humoristische Art und Weise zu bearbeiten, sodass sich die Leute, falls überhaupt, als Nebenwirkung selber Gedanken machen.

Inwiefern kann Satire mobilisieren?

Wenn, dann aus Versehen. Oder sollte dies zumindest aus Versehen sein, wegen der Grenze zu Aktivismus. Bei der Satire ist es wie bei allem in der Kunst: Es geht darum, zu überlegen, was mich interessiert, was ich lustig oder absurd finde – aber man darf nicht zuerst das Resultat haben.

Aus Versehen sehen Leute dann gewisse Sachen und können auf einen Schluss kommen, der auch ausserhalb von Humor einleuchtend ist. So kann es kommen, dass es sie mobilisiert. Ich mache ein Video, weil ich es lustig finde – und dann gibt es vielleicht Hunderte, die das gut finden und dann benutzen.

Sie sprechen Ihr Video zur Sozialhilfe an, in dem es um die Stigmatisierung von Sozialhilfebezügerinnen und -bezügern geht.

Das passiert mir auch bei kürzeren Videos, aber das Video zur Sozialhilfe ist ein gutes Beispiel, weil ich es dort am wenigsten erwartet hatte. Dieses Video hatte ich ursprünglich für die Pädagogische Hochschule St. Gallen gedreht, es war ungewöhnlich lang, 18 Minuten. Ich wurde gefragt, ob ich das auch auf Social Media teilen könnte.

Zuerst dachte ich, es ist eh zu lang, zu dicht, hat zu viele Informationen, als dass es ein grosses Publikum interessieren würde. Und dann ist es auf einmal explodiert. Dabei wollte ich damit nicht unbedingt mobilisieren oder etwas erreichen. Es kam aber genauso: Ich erhielt sehr viel Feedback, und das Video wurde auch an Vorstellungen und Seminaren gezeigt, selbst vor der Sozialhilfekommission der Stadt Bern.

Studien zeigen, dass Satire einen Einfluss auf die politische Meinungsbildung in der Bevölkerung haben kann. Sehen Sie sich als politischer Akteur?

Ich weiss nicht, ob ich mich selber so nennen würde, aber das kann man wohl, weil alles politisch ist. Auch wenn Künstlerinnen sagen, sie seien nicht politisch und würden sich deshalb nicht äussern, so merken sie nicht, dass dieses Sich-nicht-Äussern auch schon politisch ist.

Nicht politisch zu sein, ist bereits ein Privileg, weil wer mit dem Status quo zufrieden ist, mit ziemlicher Sicherheit nicht zu einer marginalisierten Minderheit gehört. Und natürlich bin ich auch ein politischer Akteur, weil ich Themen behandle, die aktuell wichtig sind und besprochen werden.

Achten Sie dabei wie Medienschaffende auch auf Objektivität und Neutralität oder müssen Sie das als Satiriker nicht?

Auf der einen Seite unterliege ich den gleichen Bedingungen und Werten wie der Journalismus. Zum Beispiel darf ich nicht etwas erzählen, was nicht stimmt. Jokes sind nur lustig, wenn sie auch stimmen. Auf der anderen Seite bin ich ein bisschen freier, weil wir Satiriker und Satirikerinnen lustig sein dürfen. Schlussendlich ist Satire in erster Linie zur Unterhaltung gedacht.

Satire kann aber eine Wirkung haben, wie der sogenannte Tina-Fey-Effekt zeigt, in Anlehnung an eine amerikanische Parodistin, deren Sarah-Palin-Parodien das öffentliche Bild dieser Politikerin tatsächlich negativ beeinflusst haben sollen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass das so ist. Ich bin ja mit «Viktors Spätprogramm» aufgewachsen, und Viktor Giacobbo hat Ueli Maurer damals, als er noch nicht Bundesrat war, immer als einen im Schatten von Christoph Blocher stehenden, unterwürfigen und nicht besonders intelligenten Speichellecker dargestellt. Dies hat mein Bild von ihm sicher beeinflusst. Womöglich habe ich die Parodie sogar zuerst gesehen, noch bevor ich überhaupt Ueli Maurer selbst zum ersten Mal gesehen habe.

Ich selber mache aber keine Parodien oder Imitationen; wenn ich jemanden auf etwas reduziere, dann auf etwas, was diese Person gesagt hat. Meine direkte politische Einflussnahme ist somit sicher geringer.

Es gibt Studien, die besagen, dass politische Satire zu einem besseren Verständnis oder zumindest zu einer Neugier für Politik beitragen kann.

Ich muss die Leute nicht belehren. Bei mir geht es eher darum, inspiriert zu werden, anders über gewisse Dinge nachzudenken. Das, was ich mache, ist wie ein offener Denkprozess. Daraus könnten die Leute zum Schluss kommen: Ah, so könnte man es auch sehen.

Wirklich mehr über die Politik zu lernen, das geht wohl nur bei amerikanischen Satirikerinnen und Satirikern wie John Oliver, dessen Team gross genug ist, um journalistische Satire zu betreiben. Sie haben die Kapazitäten, sehr viel zu einem Thema zu recherchieren und dieses zu verordnen.

Dort kann das Publikum selbst in 15 Minuten wirklich etwas lernen – ähnlich wie bei einem guten journalistischen Artikel, nur dass es attraktiver und konsumfreundlicher daherkommt.

Warum lernt man bei Satire in den USA so viel mehr über die Politik?

Es kommt immer auch auf die Sendung drauf an – bei der «Daily Show» haben sich früher viele über Politik informiert. Das ist aber nicht ganz ungefährlich. Ich bin kein Freund des Sprichworts: «Früher hat man über Komiker gelacht und auf Politikerinnen gehört. Heute lacht man über Politiker und hört auf Komikerinnen.» Bitte tut das nicht, hört nicht auf Komikerinnen oder Komiker! Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir wollen Leute zum Lachen bringen. Sonst wertet man den Journalismus, aber auch die Politik ab.

Warum ist es in der Schweiz so schwierig, sich mit politischer Satire durchzusetzen?

Drei Gründe: zu wenig Geld, zu wenig Ressourcen und zu wenig Wille. Ich bin der festen Überzeugung, man könnte mit einem Format in politischer Satire auch in der Deutschschweiz Erfolg haben – wenn man die Ressourcen und die Überzeugung hat. Und es müsste bei SRF stattfinden, denn als gebührenfinanziertes Haus bietet es das beste System für kreative Arbeit, weil es am unabhängigsten ist.

Was übrigens lustig ist: Bei meinem Sozialhilfe-Video schrieben viele in die Kommentarspalte: So ein Format brauchen wir, warum gibt es das nicht bei SRF? SRF macht nicht alles falsch, aber es braucht natürlich auch Geld sowie Personen, die recherchieren. Es muss ja nicht ein so grosses Team sein wie bei John Oliver ...

Fehlt so ein Format denn in der Schweiz?

Ja, denn es gibt alles andere. Es gibt den «Donnschtig-Jass» und auch noch den «Samschtig-Jass», damit man an zwei Tagen Jass schauen kann. Dann haben wir «SRF bi de Lüt», «Landfrauenküche» und was weiss ich für die Mehrheitsgesellschaft. «Deville» war das letzte Satireformat und hatte es schon schwer genug.

Es ist aber offensichtlich ein Geldproblem, denn andere Konzerne gehen auch nicht in diese Richtung – sonst hätten Tamedia, Ringier etc. das schon längst gemacht. Nur wäre Satire bei diesen Unternehmen politisch nicht mehr unabhängig. Deshalb finde ich die SRG so schützenswert, denn die Unabhängigkeit ist da, und die ist auch für Satire enorm wichtig. Freiheit ist Authentizität.

Junge sind News-depriviert und interessieren sich weniger für die Aktualität. Verliert die Satire nicht ihr Nachwuchspublikum?

Nein, das betrifft höchstens die Satire, die meint, sie sei politische Satire, sobald sie einen Parteinamen nenne oder einen Zeitungsbericht zitiere. Politische Satire ist Gesellschaftssatire. Es geht um Themen, die die Bevölkerung beschäftigen. In meinem neuen Programm geht es unter anderem auch um Abtreibung. Es ist ein alltägliches Thema, das sehr ignoriert, aber eigentlich ultrapolitisch ist, denn es geht alle an, sobald sie zeugungs- oder gebärfähig sind. Aber auch Gender, Alkohol, Drogen sind politische Themen.

Mir ist relativ egal, ob es die Jungen interessiert, denn ich finde, es interessiert alle Leute – und Junge sind Leute. Junge wollen ja auch gar nicht einfach nur als Junge angesehen werden. Deshalb glaube ich nicht, dass politische Satire weniger gefragt ist – eher im Gegenteil.

Trotzdem scheint es, als seien Junge immer weniger an Politik interessiert.

Vielleicht kann man sagen, dass sie News-depriviert sind, aber gleichzeitig sind sie womöglich politischer denn je – wenn ich die heutige Generation mit meiner Generation zwischen 14 und 24 Jahre vergleiche, dann finde ich, wir waren völlig unpolitisch. Heute gibt es Friday for Future, feministische Streiktage, klare Gegenpositionen wie gegen den Marsch fürs Läbe ...

Meiner Meinung nach ist die junge Generation politischer als früher, und sie weiss über mehr Bescheid als ich damals – oder ich jetzt. Das Einzige, was man als Satiriker oder Satirikerin machen muss, ist am Ball bleiben und sich weiterentwickeln. Satire funktioniert nicht mehr wie in den 2000er-Jahren, als ein Mann mit Jackett auf der Bühne stand und sagte, was richtig und was falsch ist.

Ist Cancel Culture eine Bedrohung für Satire? Die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart wurde wegen möglicher negativer Reaktionen vorsorglich von einem Festival in Hamburg ausgeladen.

Ich bin fest der Meinung, dass es Cancel Culture nicht gibt. Lisa Eckhart ist ein gutes Beispiel, denn sie wurde vielleicht von einem Anlass ausgeladen, hat aber gefühlt alle zwei Wochen einen Auftritt im deutschen Fernsehen. Alle, die gecancelt wurden, finden immer noch statt, sogar mehr denn je.

Ich glaube, das ist ein konstruiertes Problem. Und vor allem ein Problem, das mich verhältnismässig nicht so interessiert. Ich interessiere mich für Themen nach ihrer Wichtigkeit für mich und für die Gesamtgesellschaft. Die Gefahr, dass ein weisser Hetero-Cis-Mann diskriminiert wird, ist auf meiner Skala relativ weit unten.

Zu Renato Kaiser:

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Porträt Renato Kaiser

Renato Kaiser, 1985 in Goldach geboren, gehört zu den derzeit bekanntesten Satirikern der Schweiz. Seit 2005 steht er auf der Bühne und machte sich zuerst als Slam Poet einen Namen. Mittlerweile ist er vor allem in der Satire-, Comedy- und Kabarettszene tätig, dies sowohl im Fernsehen als auch im Radio und mit eigenen Videokommentaren zu aktuellen Themen. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem als Poetry-Slam-Schweizer-Meister 2012 sowie mit dem Prix Walo 2019 und dem Salzburger Stier 2020.


Text: Eva Hirschi

Bild: «Schmieren/Kleben. Aus dem Archiv KKIII der Stadtpolizei 1976–1989» von Philipp Anz, Viola Zimmermann, Jules Spinatsch und Eva Wolf

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