Bildcollage: Key Visual des DOK-Films und Porträt Eveline Falk
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«Es ist unser Job, hartnäckig nachzufragen»

Ihr Dokumentarfilm über eine christliche Privatschule unter Führung von Ex-Schokoladenpatron Jürg Läderach schlug hohe Wellen. In früheren Jahren sollen mehrere Kinder gezüchtigt worden sein, im Film kommen sie erstmals zu Wort. Ein Gespräch mit Eveline Falk über ihre Motivation, das Handwerk einer Recherchejournalistin und wie sich dieses verändert hat.

Ihre Dokumentation «Die evangelikale Welt der Läderachs – Züchtigung im Namen Gottes» hat viele sehr bewegt. Wie ist es, wenn eine Recherche derart grosse Aufmerksamkeit erhält?

Eveline Falk: Mit einer solchen Flut an Reaktionen haben wir nicht gerechnet. Wir alle sind überrascht worden – vor allem auch die Betroffenen, die im Film ihre Geschichte erzählen. Jahrelang hatte man ihnen nicht geglaubt. Ich freue mich, dass niemand an ihrer Glaubwürdigkeit zweifelt – und hoffe, dass nun genauer hingeschaut wird.

Haben sich nach dem Film weitere Opfer gemeldet?

Ja, viele, bei mir und vor allem bei den Betroffenen, die im Film zu Wort kommen. Manche kennen sich noch persönlich aus dieser Zeit.

Welche Folgen hatte der Film nach seiner Ausstrahlung?

Die St. Galler Staatsanwaltschaft hat ein Verfahren wegen Handlungen gegen die sexuelle Integrität eröffnet. Nach unserem Film hatten sich weitere Personen im Zusammenhang mit der Schule beim Kanton gemeldet. Mehr weiss ich nicht darüber. Mir ist aufgefallen, dass auf der anderen Seite die Firma Läderach viel Aufwand betreibt, um ihr Image zu richten. Unter anderem wurden sämtliche schlechten Google-Rezensionen gelöscht.

Seit fast 30 Jahren sind Sie als Journalistin für SRF unterwegs. War dies einer Ihrer schwierigeren Filme?

Einen solchen Druck von aussen, wie hier passiert, habe ich noch nie erlebt bei einer Produktion. In der Schlussphase haben wir fast täglich E-Mails der Anwälte bekommen. Die Betroffenen wurden von ihnen angegriffen und wir als Team genauso. Meine journalistischen Fähigkeiten wurden infrage gestellt und Unwahrheiten über mich erzählt. Uns war wichtig, dass alles «verhebet». Wir haben jeden Buchstaben dreimal umgedreht, um zu verhindern, dass der Film auf die Betroffenen zurückfällt oder auf SRF. Wir haben sehr genau gearbeitet, und das hat sich bewährt: Vor Ausstrahlung des Films wurden wir massiv unter Druck gesetzt – kaum war der Film gesendet, haben wir nichts mehr gehört von den zahlreichen Anwälten und Mediensprechern.

Wie viel journalistisches Geschick benötigten Sie für diesen Dok?

Viele Leute haben gesagt: Wow, du warst richtig investigativ. Ich finde, das ist unser Handwerk. Simples Handwerk: Recherche, Zusammentragen, Abwägen, Sieben – und nochmals von vorn. Du tauchst in Archive ein, physisch vor Ort, ackerst dich durch hundertseitige Dokumente, bündelst und büschelst. Das ist unser Beruf.

Auffällig viele Medienhäuser setzen auf Rechercheteams und Investigativdesks – eigentlich schon immer eine Kerndisziplin des Journalismus.

Wir haben eine solche Flut an Informationen, da müssen wir Journalistinnen und Journalisten uns stärker in die Recherche vertiefen. Mit einer einfachen Google-Suche findest du noch keine Geschichten. Dafür braucht es unbedingt solche Investigativteams. Eine Recherche braucht Zeit, und das kostet. Das wurde mir wieder bewusst, als ich die Berichterstattung zu meinem Film gelesen habe. Es gab gute Texte, aber auch schludrige und unpräzise. Ich plädiere dafür, dass genau gearbeitet wird, das macht uns glaubwürdig. SRF bietet diese Qualität – und hat auch eine publizistische Haltung, die Filme wie den Läderach-Dok ermöglichen.

Mit welcher Haltung sind Sie an den Film herangegangen?

Ich wollte nicht der verlängerte Arm der Opfer sein, sondern das System aufzeigen, das solche Geschehnisse erst möglich macht. Wir wollten berichten, wie unschuldige Kinder in ein solches System geraten – und wie wir als Gesellschaft wegschauen. Jahrzehntelang gab es Stimmen, die sagten: «Da läuft etwas nicht gut in dieser Schule.» Das wurde nicht genug ernst genommen. So etwas darf in unserer Gesellschaft nicht passieren. Ich befürchte, das geschieht mehr, als wir denken.

Wie gehen Sie als Investigativjournalistin mit jungen, schnellen Formaten um?

Es ist eine Bereicherung, dass Recherchejournalismus auf unterschiedlichen Vektoren stattfinden kann. Ich verstehe, dass man Neues ausprobieren will, und das ist auch nötig. Für Formate wie ein Läderach-Dok habe ich den Eindruck, dass Erfahrung von Vorteil ist. Ich persönlich hätte mit 30 Jahren nie einen solchen Film produzieren können. Die Erfahrung des gesamten Teams hat hier sicher auch dazu geführt, dass es nur vereinzelte Beschwerden gab, die übrigens allesamt abgewiesen wurden. Doch egal, für welches Format du unterwegs bist, im Journalismus gilt letztlich für alle dasselbe: sauber recherchieren.

Zur Person:

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Porträt Eveline Falk

Eveline Falk hat 1990 beim «Regionaljournal Ostschweiz» angefangen, war Ostschweiz-Korrespondentin fürs Fernsehen und wechselte später zur «Rundschau». Heute arbeitet sie im multimedialen Team Serien & Langformate von SRF Kultur. In ihren Filmen legt sie oft den Fokus auf die Ostschweiz und ihre Menschen. Dafür wurde sie 2023 mit dem Ostschweizer Radio- und Fernsehpreis ausgezeichnet.


Text: SRG.D/Sulamith Ehrensperger

Bild: SRF

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