Kritik an «Tagesschau» über SP-Positionspapier zur Inklusion

Die «Tagesschau» berichtete am 22. Februar 2025 über den SP-Parteitag in Brig. Im Zentrum des Beitrags stand die Verabschiedung eines Positionspapiers zur Inklusion von Menschen mit Behinderung. Vier Beanstander:innen kritisieren die Einschätzung eines Bundeshausredaktors, wonach die SP mit diesem Thema an den grossen Sorgen der Bevölkerung vorbeipolitisiere. Die Ombudsleute geben ihnen recht.
Darum geht es in der beanstandeten Sendung
Die «Tagesschau» berichtete über den SP-Parteitag vom 22. Februar 2025 in Brig. Der Fokus des Berichts liegt auf dem von den Delegierten verabschiedeten «Positionspapier» zur Inklusion von Menschen mit Einschränkungen und Beeinträchtigungen. Darauf folgt eine Einschätzung eines SRF-Bundeshausredaktors.
«Tagesschau» vom 22. Februar 2025:
«Parteitag SP: Schwerpunktthema ist Inklusion»
«Tagesschau» vom 22. Februar 2025:
«Parteitag SP: Schwerpunktthema ist Inklusion»
Was wird beanstandet?
Vier TV-Zuschauer:innen reichten eine Beanstandung bei der Ombudsstelle ein. Den ersten Teil des Beitrags beanstanden sie nicht. Sie stossen sich vor allem an der Einschätzung des Bundeshausredaktors, wonach die SP mit dem Schwerpunkt «Gleichstellungspolitik» an den grossen Sorgen der Schweizer Bevölkerung vorbeipolitisiere. Dabei stütze er sich auf das gfs-Sorgenbarometer, wonach steigende Krankenkassenprämien, Klimawandel und Altersvorsorge zu den grössten Sorgen in der Schweiz gehörten. Weiter kritisieren die Beanstander:innen die Aussage, der Schwerpunkt der SP entspreche nicht dem Zeitgeist.
Diese Einschätzungen können die Beanstander:innen nicht nachvollziehen: Die Schweiz habe 2014 die UNO-Behindertenrechtskonvention ratifiziert und sich verpflichtet, eine inklusive Gesellschaft zu schaffen bzw. an der Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu arbeiten. SRF verkenne mit seiner Aussage die 1,8 Millionen Menschen mit Behinderung und die Bedeutung des SP-Positionspapiers für sie. Inklusion müsse ein Teil von jeder Politik sein und von jeder Partei aufgenommen werden, ist ein Beanstander überzeugt.
Diskriminierung müsse nicht am Zeitgeist gemessen werden, vielmehr seien Diskriminierung und Ungleichheit zeitlos zu bekämpfen, so der Beanstander weiter. Für die vier Beanstander:innen ist es offensichtlich, dass Inklusion im Sorgenbarometer nicht unter den Top-20-Themen erscheine. Denn das Sorgenbarometer messe subjektive Einschätzungen zu allgemeinen Problemen. Strukturelle Missstände seien gemäss Beanstander:innen dabei nicht direkt erfasst. Finanzielle Sorgen, die im Sorgenbarometer vorrangig genannt würden, beträfen jedoch auch Menschen mit Behinderung in besonderem Mass, so die Beanstander:innen. Zudem seien mindestens die Hälfte der im Barometer aufgeführten Themen auch im Kontext von Diskriminierung und Inklusion zu lesen.
Was sagt die Redaktion?
Die SP habe an ihrem Parteitag eine Fülle von Resolutionen zu aktuellen Themen verabschiedet, schreibt die «Tagesschau»-Redaktion in ihrer schriftlichen Stellungnahme. Die «Tagesschau» habe das Positionspapier zur Inklusion herausgegriffen und den Akzent auf dieses Thema gelegt mit einem Bericht und der Einschätzung eines Redaktors vor Ort. Der Redaktor ordne die Thematik der Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen politisch ein. Er mache keine Feststellungen über Menschen mit Behinderungen bzw. deren Situation im Alltag, betont die Redaktion.
Einordnende Gespräche müssten sachlich hergeleitet werden, für das Publikum nachvollziehbar sein und als persönliche Einschätzung erkennbar sein. Diese Voraussetzungen habe das Statement des Bundeshausredaktors erfüllt, so die Redaktion.
Seine politische Einschätzung zum Positionspapier der SP basiere auf dem politischen Sorgenbarometer von gfs Bern. Es sei unbestritten, dass Wahlentscheide der Stimmbürger:innen von aktuellen Sorgen und Themen stark beeinflusst würden. Es sei ein Faktum, dass das Thema der Inklusion derzeit nicht zu den Top-Themen gehöre, welche die Stimmbevölkerung beschäftigten. Das Sorgenbarometer sei für den Redaktor kein allgemeingültiger Massstab. Sondern der Redaktor relativiere es selber, indem er von «Zeitgeist» spreche.
SRF ignoriere Menschen mit Behinderung nicht, sondern räume der Thematik der Inklusion in seinem Programm und mit verschiedenen Angeboten einen hohen Stellenwert ein.
Was sagt die Ombudsstelle?
Die Sachgerechtigkeit des ersten Teils des «Tagesschau»-Beitrags wird auch von den Ombudsleuten nicht in Frage gestellt.
Zur Einschätzung durch den Bundeshausredaktor: Die Ombudsleute erinnern daran, dass «Ansichten und Kommentare» zulässig sind, soweit sie als solche erkennbar sind. Das sei im vorliegenden «Tagesschau»-Beitrag der Fall, so die Ombudsleute. Solche Statements müssten sich jedoch ebenfalls am Grundsatz der Sachgerechtigkeit orientieren und müssten argumentativ nachvollziehbar sein.
Unter dem Hinweis auf das Sorgenbarometer von gfs Bern sage der Redaktor, das Thema Inklusion entspreche «ganz und gar nicht dem Zeitgeist». Damit riskiere die SP, Sympathisant:innen aus der politischen Mitte abzuschrecken.
Nach Auffassung der Ombudsleute widersprechen diese Aussagen den Grundsätzen einer argumentativen, begründeten und die Argumente gegeneinander abwägenden Äusserung.
Die Gegenüberstellung der zwanzig wichtigsten Politikfelder gemäss Sorgenbarometer mit dem Thema Inklusion bzw. Gleichstellung von Menschen mit einer Behinderung empfinden die Ombudsleute als fragwürdig. Eine breit aufgestellte Partei habe sich mit dem gesamten Spektrum der politischen Themen zu befassen. Inklusion und Gleichstellung von Menschen mit Behinderung sei eine aktuelle politische Frage. Die Ombudsleute erinnern dabei an die Einleitung der Teilrevision des Behindertengleichstellungsgesetzes durch den Bundesrat im Dezember 2024 oder an die Beschlüsse des Bundesrats zur im Herbst 2024 eingereichten Inklusions-Initiative der Behindertenverbände. Über beide Themen habe auch SRF prominent berichtet. Es werde somit zu Unrecht der Eindruck erweckt, die Partei politisiere mit einem nicht aktuellen Thema an den relevanten politischen Fragestellungen vorbei.
Zudem werde der Eindruck erweckt, für die SP handle es sich beim Thema Inklusion um den zentralen Schwerpunkt ihrer Politik. Vielmehr handle es sich um ein Thema unter verschiedenen, mit welchem sich die Partei vertieft auseinandersetze und zu dem sie ihre Position darlege.
Eine Unschärfe sieht die Ombudsstelle auch bei der Verwendung des Begriffs «Gleichstellung». Aus der Einschätzung könnte man ableiten, die SP befasse sich in ihrem Positionspapier generell mit «Gleichstellungspolitik». Darunter verstehe man gemeinhin das Thema «Diversity» oder die Gleichstellung der Geschlechter und nicht die Gleichstellung von Menschen mit Beeinträchtigungen. Während Gleichstellungs- und Genderfragen polarisierend wirkten, sei dies beim politischen Anliegen der Inklusion bzw. «Gleichstellung von Menschen mit Beeinträchtigungen» nicht der Fall.
Die Ombudsleute kommen zum Schluss, dass die Einschätzung des Berichterstatters das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt hat.