ESC 2025: Immer die Vision vor Augen

Wenn im Mai der Eurovision Song Contest in Basel über die Bühne geht, endet das wohl intensivste Jahr ihres Berufslebens: Moritz Stadler und Reto Peritz sind die Executive Producers des grössten Musikevents der Welt. Sie wollen zeigen, dass auch die Unterhaltung zum Zusammenhalt der Bevölkerung beitragen kann.
Elf Monate: So kurz ist die Zeit, die den beiden Executive Producers der SRG zur Verfügung steht, um den grössten Musikevent der Welt auf die Beine zu stellen. Am 11. Mai gehen die Lichter in Basel an, die Kameras und Mikrofonelaufen – Bühne frei für den Eurovision Song Contest (ESC) 2025. Moritz Stadler und Reto Peritz wirken beim Gespräch rund zweieinhalb Monate vor dem Event erstaunlich entspannt. Man sei im Fahrplan, sagen sie. Den beiden Medienmanagern hilft sicherlich, dass ihnen der ESC bereits vor ihrer Nomination für ihre Leitungsfunktion im vergangenen Sommer vertraut war: Beide kamen schon 2016 in Stockholm zum ersten Mal mit dem Megaevent in Berührung.
Reto Peritz führte damals die Schweizer Delegation an, Moritz Stadler arbeitete für die European Broadcast Union (EBU), die den ESC jeweils koordiniert. Sie waren seither in verschiedene Austragungen involviert. Kennengelernt haben sich die beiden jedoch erst nach dem letztjährigen Sieg der Schweiz in Malmö. Moritz Stadler sagt: «Wer uns heute zusammen erlebt, glaubt es kaum. Wir haben uns von Anfang an sehr gut verstanden und sind nach kurzer Zeit als Team eingespielt». Dass die Chemie stimme, mache vieles einfacher. «Es war eine intensive Zeit. Das geht viel besser, wenn man sich auf der persönlichen Ebene gut versteht.»
«United by Music.»
Der ESC erreicht rund 200 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer weltweit. Wer diesen Event plant, muss mit einem klaren Plan vorgehen. «Wir wussten, dass wir uns zu Beginn Zeit nehmen müssen, um unsere gemeinsame Vision, unsere Werte und Ziele zu definieren», so Reto Peritz. «Nur so war klar, dass wir die gleiche Sprache sprechen.» Diese Vision lautet: Der ESC 2025 soll ein Event werden, in dem sich alle Schweizerinnen und Schweizer wiederfinden können. So lautet auch das Motto: «United by Music.» Reto Peritz sagt: «Jedes Konzept und jede Entscheidung, die darauf folgten, bezogen sich auf diesen Grundsatz.» Nur so sei es möglich gewesen, einen Event auf die Beine zu stellen, der den eigenen Vorstellungen und Ansprüchen genüge, so die beiden. Die auf Zusammenhalt ausgerichtete Vision wird nun, wo der Event näher rückt, auf allen Ebenen spürbar
So habe man geschafft, dass der ESC Basel nicht als regionale Show wahrgenommen werde, sondern als nationales Projekt. Eine besondere Herausforderung war dabei, den Röstigraben zu überwinden. Wie schwer das ist, zeigt etwa das Beispiel des letzten ESC in der Schweiz, wie Peritz ausführt. «Als die Schweiz 1989 in Lausanne das letzte Mal den ESC ausrichtete, war es ein Event der Romandie. Das mag zu dem Zeitpunkt richtig gewesen sein, aus heutiger Perspektive war der Wirkungsradius eher klein.» Kein Wunder also, kam auch kurz nach dem Sieg in Malmö im vergangenen Jahr die Diskussion auf, in welcher Sprachregion der Schweizer ESC stattfinden sollte. Am Ende musste sich die SRG Zwischen Bewerbungen aus Genf und Basel entscheiden. Die Stadt am Rheinknie erhielt den Zuschlag. Stadler erinnert sich: «Nach der definitiven Wahl der Host City war die Enttäuschung in der Romandie spürbar. Sofort kam dort das Gefühl auf: Jetzt wird es ein Deutschschweizer ESC. Das haben wir antizipiert und konnten rasch Gegensteuer geben.» Dies passierte auch, indem das ESCTeam mit Leuten aus allen Unternehmenseinheiten der SRG besetzt wurde. «Wir wollten auf keinen Fall, dass der ESC ein reines Deutschschweizer Projekt wird. Sämtliche Stellen wurden transparent ausgeschrieben und so für alle Mitarbeitenden der SRG zugänglich gemacht.» Es half, dass auch das Leitungsteam bereits die beiden grössten Sprachregionen vertrat: Peritz’ angestammter Arbeitgeber ist SRF, Stadler ist bei RTS angestellt.
Trotz aller Chemie zwischen ihnen bringen sie also auch unterschiedliche Sichtweisen, Kulturen und Hintergründe in das Projekt ein. Gleichzeitig brauchte es Anstrengungen, damit im rasch wachsenden und divers zusammengestellten ESCTeam innert kürzester Zeit der nötige Zusammenhalt aufgebaut werden konnte. «Wir wollten nicht, dass sich ein Moritz- Team und ein Reto-Team bilden. Wir diskutieren jede Entscheidung gemeinsam», so Stadler. Doch die Vision des Zusammenhalts zeigt sich auch bei jeder anderen Entscheidung: Bühnenbild, Showkonzepte, produzierte Einspieler und Videobeiträge – alle Aspekte werden immer wieder darauf überprüft, dass möglichst viele Menschen miteinbezogen und repräsentiert werden.
«Wir möchten auch dem internationalen Publikum nicht nur Klischees, sondern überraschende Seiten der Schweiz zeigen.»
«Wir möchten die ländliche Schweiz genauso wie die Bergwelt und gleichermassen die urbanen Lebenswelten abbilden», so Peritz. «Und wir möchten auch dem internationalen Publikum nicht nur Klischees, sondern überraschende Seiten der Schweiz zeigen.» Und nicht zuletzt widerspiegelt sich die Vision des Zusammenhalts in der Wahl der Künstlerin: Zoë Më singt auf Französisch, hat aber Wurzeln in Basel, und sie lebt in der zweisprachigen Stadt Freiburg, verkörpert also verschiedene Kulturen der Schweiz, baut Brücken. Die Konsequenz, die das Leitungsduo bei der Organisation an den Tag legte, zahlt sich nun aus. Inzwischen fiebern Menschen in der ganzen Schweiz dem ESC entgegen. Das zeigte sich spätestens bei beiden Wellen des Ticketverkaufs, als innert Minuten sämtliche Eintrittskarten für die Live-Shows vergriffen waren. Nun erhalten Peritz und Stadler aus allen Landesteilen Anfragen für Public Viewings, die Vorfreude ist gross. Das Duo freut sich über den Erfolg.
«Für uns ist es vergleichbar mit dem Aufbau eines Start-ups, alles geht rasend schnell: Letzten Sommer waren wir zu zweit, im Mai werden wir ein Team von 1500 Menschen sein. Der einzige Unterschied ist: Statt mit unserem Start-up an die Börse zu gehen, lösen wir unser KMU auf dem Höhepunkt der Entwicklung wieder auf», so Peritz lachend. Zwar organisiert das Gastland den Eurovision Song Contest jeweils nur einmal – ausser, die Schweiz sollte den Event erneut gewinnen, was nur gerade drei Ländern in der Geschichte des ESC gelungen ist –, doch das Projekt bietet darüber hinaus viele Erfahrungswerte, die schliesslich der SRG zugutekommen. «Wir haben den direkten Auftrag von der Generaldirektorin, Dinge auszuprobieren und neue Wege zu gehen», so Peritz.
Die kurze Zeitspanne, in welcher der Event auf die Beine gestellt werden musste, zwang sie auch dazu. Zum Beispiel arbeitete das Team mit flexibler und transparenter Budgetstruktur, achtete streng darauf, dass kein Silodenken entstand. «Wir mussten sichergehen, dass alles Nötige über den Einkauf beschafft wird, aber keine überflüssigen Anschaffungen getätigt werden. Das funktioniert seit dem Anfang sehr gut, weil das ganze Team immer für das ganze Projekt mitdenkt», so Stadler. Eine gut organisierte interne Kommunikation sorgt ausserdem dafür, dass die richtigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort ankommen. «Wir haben viel gelernt im Prozess. Manches davon wird der SRG und den Unternehmenseinheiten, in denen wir arbeiten, künftig zugutekommen.» Für mehr zusammenhängendes Denken und mehr Zusammenhalt, auch innerhalb des ganzen Unternehmens SRG.
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