Reportage über die «Junge Tat»: gesetzeskonform, aber problematisch

Eine Reportage, die in die Lebenswelt einer rechtsextremen Gruppierung eintaucht: Bietet SRF so eine Plattform für politische Extrempositionen? 62 Beanstandungen gingen ein als Reaktion auf einen «rec.»-Beitrag über die «Junge Tat». Die Ombudsstelle stellt fest: die Berichterstattung verletzt das Gesetz nicht, weist aber dennoch bedenkliche Mängel auf.
Darum geht es in der beanstandeten Sendung
«rec.» ist nach Eigenbeschrieb ein Reportage-Format, in dem Reporter:innen in aussergewöhnliche Lebenswelten eintauchen und sich so direkt mit diversen Werthaltungen auseinandersetzen. In der Sendung vom 24. März 2025 begleitet ein Journalist die rechtsextreme Gruppierung «Junge Tat» während mehrerer Monate. Er filmt deren Mitglieder bei einer Wanderung und interviewt die beiden Co-Leiter sowie weitere Personen. Das Erlebte wird von einem zweiten Journalisten, einem Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie sowie durch den Reporter selbst eingeordnet.
«rec.» vom 24. März 2025
«Die ‹Junge Tat› – Zwischen Rassismus und Meinungsfreiheit»
«rec.» vom 24. März 2025
«Die ‹Junge Tat› – Zwischen Rassismus und Meinungsfreiheit»
Was wird beanstandet?
Der Beitrag führte bereits kurz nach der Ausstrahlung zu zahlreichen Reaktionen, insbesondere in unterschiedlichen Schweizer Medien wurde die Recherche kontrovers diskutiert. Auch die «Junge Tat» selbst verbreitete das Video weiter. In der Folge gingen insgesamt 62 Beanstandungen bei der Ombudsstelle der SRG Deutschschweiz ein. In den eingereichten Wortmeldungen wurden mehrere Punkte kritisiert.
Da die Hauptprotagonisten rassistische Ansichten hätten, verletze die Reportage die Grundrechte und Menschenwürde. Die verbreitete Ideologie werde im Beitrag zu wenig entschieden zurückgewiesen. Der Reporter bewege sich dabei zu nahe an der Gruppierung, duze die Gruppenmitglieder, nenne sie beim Vornamen und laufe auf der Wanderung mit. So lasse das Format die nötige journalistische Distanz vermissen.
SRF biete so einer rechtsextremen Gruppierung eine Plattform für die Verbreitung ihrer radikalen Ansichten und würden letztere normalisieren. SRF unterstütze die «Junge Tat» dadurch in ihrem Ziel, die Grenze des «Sagbaren» in der Gesellschaft zu verschieben und politisch extreme Positionen salonfähig zu machen. Die auftretenden Co-Leiter der Gruppierung hätten den Auftritt zur Selbstinszenierung nutzen können. Die Reportage würde die Aussagen der Interviewten zu wenig kontextualisieren. Beispielsweise würden die Straftaten der Protagonisten – etwa Vorstrafen wegen Waffenbesitzes und Rassendiskriminierung – als «Jugendsünden» dargestellt. Dadurch verletze «rec.» die journalistische Sorgfaltspflicht. Zudem würden gezeigte Szenen eines Boxtrainings sowie eines Boxkampfs Gewalt verherrlichen.
Weiter werden verschiedene Sachgerechtigkeitsverletzungen vermutet. Der Reporter habe es verpasst, Falschaussagen richtigzustellen. Etwa behaupte ein Protagonist, Transmenschen hätten eine psychische Störung. Auch verbreite die Reportage die Falschnachrichten in Bezug auf die von einem Neumitglied genannte «Massenmigration» als Grund für sein Interesse an der Gruppierung unkritisch weiter.
Schliesslich wird ein Verstoss gegen das Vielfaltsgebot beanstandet. Die kritischen Stimmen erhielten in der Reportage wenig Raum. Nur ein Experte werde befragt, eine weitere Aufarbeitung durch Extremismusforscher:innen fehle. Ebenfalls nicht zu Wort kämen die Opfer der Gruppierung und deren Ideologie.
Was sagt die Redaktion?
Die Redaktion schreibt in ihrer Stellungnahme, dass es grundsätzlich positiv zu werten sei, wenn Beiträge Reaktionen in der Gesellschaft auslösten. Die Belebung des gesellschaftlichen Diskurses sei schliesslich ein Anliegen von SRF. Die kategorische Forderung nach Zensur weise man aber dezidiert zurück. Die Reportage betreibe Aufklärung und ordne kritisch ein.
In der Folge geht die Redaktion ausführlich auf die konkreten Vorwürfe ein. Die menschenverachtenden Ansichten der Gruppierung würden stets kontextualisiert, was die Abbildung der Aussagen der Mitglieder der «Jungen Tat» im O-Ton rechtfertige. Obwohl der Reporter der Gruppierung durch die Berichterstattung nahekommt, habe er nie ein unangemessenes Verhältnis zu den Porträtierten gepflegt. Das «Du» sei im Format «rec.» üblich. Jedoch diskutiere die Redaktion, bei politisch heiklen Berichterstattungen künftig zu Siezen, um die Distanz klarer herzustellen.
Medienwissenschaftler Vinzenz Wyss bestätige die Einschätzungen in einem Nachfolgegespräch von «rec.» mit der Redaktion, dass der Journalist sowohl kritisch gegenüber der Gruppe als auch selbstkritisch berichtet habe. Extremismusforscher Jerôme Endrass habe zudem gegenüber «20 Minuten» im Nachgang der Sendung ausgeführt, dass die Dokumentation auf szenische Inszenierungen verzichte und somit für Menschen mit extremistischen Neigungen kaum ansprechend sei. Man biete der extremistischen Gruppe also keine Plattform, sondern beleuchte deren Ideologie und informiere die Öffentlichkeit darüber. Dies passiere, so die Redaktion weiter, dort, wo die «Junge Tat» selbst aktiv sei: in den sozialen Medien und auf Youtube.
Die auch in den Medien kursierende Behauptung, dass die «Junge Tat» das Video als Werbevideo auf ihren Kanälen teile, sei zudem lediglich Teil der Selbstdarstellungsstrategie der Gruppierung. Vielmehr habe sich die «Junge Tat» in einem Reaktionsvideo über die Berichterstattung lustig gemacht.
Der Beitrag kontextualisiere die Aussagen der «Jungen Tat» von Anfang an und im ganzen Beitrag. Der Journalist komme jederzeit seiner Sorgfaltspflicht nach, indem er die Weltanschauung der Gruppierung klar benenne und einordne. Es werde weder Gewalt verherrlicht – Teile der monierten Stellen seien gar unkenntlich gemacht – noch würden die Co-Leite der «Jungen Tat» in ihrer Selbstinszenierung bestärkt. Der Reporter benenne in seinem Off-Kommentar die Radikalität der Gruppierung, welche für die Erreichung ihrer Ziele sogar gegen strafrechtliche Grenzen verstossen.
Das Benennen und Einordnen von aufkommenden gesellschaftlichen Strömungen sei eine wichtige Funktion von Journalismus. Totschweigen würde, so die Redaktion weiter, der Bewegung Raum lassen zur ungehinderten Entfaltung. Die Redaktion vertraue dabei auf die Mündigkeit des Publikums, der faktenbasierten und durch Expertenstimmen kontextualisierten Berichterstattung zu folgen und sich eine eigene Meinung zu bilden.
Zu den Vorwürfen der unsachgemässen Berichterstattung räumt die Redaktion in ihrer Stellungnahme zwar ein, dass einzelne Richtigstellungen verpasst wurden – etwa hätte die Aussage, Transsexualität sei eine psychische Krankheit, korrigiert werden müssen. Insgesamt aber sei die Berichterstattung faktenbasiert und zeige korrekt auf, wie die «Junge Tat» Neumitglieder anwirbt, welche Narrative sie verbreite und mit welchen Begriffen sie dies tue.
Schliesslich weist die Redaktion den Vorwurf der Unausgewogenheit zurück. Nebst dem Strafrechtsprofessor Martino Mona käme auch SRF-Journalist und Fachredaktor Daniel Glaus zu Wort. Zudem würden im Off-Kommentar Einordnungen von verschiedenen Stellen, unter anderem dem Bundesnachrichtendienstes und dem SVP-Jungpolitiker Max Slongo einfliessen. Jedoch nimmt die Redaktion zur Kenntnis, dass die Abbildung verschiedener Perspektiven im Format der Reportage eine Herausforderung darstelle.
Ebenso anerkennt die Redaktion, dass die Stimme eines Opfers im Beitrag fehlt. Dies bedauere man, SRF aber habe schon mehrfach über Opfer von Rassismus und Diskriminierung berichtet. Die beanstandete Reportage fokussiere sich auf die Aufklärung über die rechtsextreme Gruppe und ihre Ziele. Jedoch wolle man künftig darauf achten, dass die Perspektive von Betroffenen nicht untergehe.
Was sagt die Ombudsstelle?
Zu Beginn stellt die Ombudsstelle fest, dass die Berichterstattung über die «Junge Tat» grundsätzlich vom Auftrag von SRF erfasst werde, selbst wenn diese vom Nachrichtendienst des Bundes als «gewalttätige, rechtsextremistische Gruppe» eingestuft wird – und auch unabhängig davon, wie gross ihr Einfluss oder die Anzahl der Mitglieder sei. Die Themenwahl sei von der Programmautonomie gemäss Radio- und Fernsehgesetzes gedeckt.
Der Beitrag benenne zudem die rassistischen Positionen, ausgrenzenden Haltung gegenüber sexuellen Minderheiten, die Verwendung von Nazi-Symbolen, die völkische Grundhaltung sowie die Verbindungen der «Jungen Tat» zu extremistischen Organisationen im benachbarten Ausland klar. Dass einzelne Aussagen oder Darstellungen nicht präzise erklärt oder kontextualisiert wurden, sei nicht massgebend in der gesetzlichen Beurteilung des Beitrags. Was zähle, so erklärt die Ombudsstelle, sei der Gesamteindruck.
Diesen aber kritisiert die Ombudsstelle. Die oft von jüngeren Journalist:innen erstellten Berichte würden sich in erster Linie an junge Menschen richten. Die Reporter:innen seien jeweils «nahe dran» an ihren Protagonist:innen. Diese bewusst gewählte Nähe verringere zwangsweise die journalistische Distanz – so fehle diese auch in diesem Beitrag.
Die von den Beanstander:innen oft vermisste Kontextualisierung erfolge im Beitrag hingegen sehr wohl. Wünschenswert aber, so die Ombudsstelle, wäre eine Einordnung aussenstehender Extremismus- oder Rassismus-Expert:innen gewesen. Diese seien erst im Nachhinein in der Berichterstattung anderer Medien zu Wort gekommen.
Gerade ein jüngeres Publikum achte erfahrungsgemäss weniger auf die Ausführungen von Fachpersonen oder Off-Kommentare. Der Titel «Die ‹Junge Tat› – zwischen Rassismus und Meinungsfreiheit» wirke für diese Zuschauer:innen abstrakt. Ohne jungen Menschen die Mündigkeit abzusprechen, so die Ombudsstelle, wirke dieser Beitrag als verunglückt.
Irritiert zeigt sich die Ombudsstelle konkret vom Videoeinstieg: Die in den ersten Sekunden gezeigten Zitate der «Jungen Tat» würden dort verharmlost, die schnell zusammengeschnittenen Bilder von teils strafbaren Aktionen der Gruppierung nur oberflächlich eingeordnet. Es werde eine Wandergruppe gezeigt, die gemeinsam grilliert und musiziert. Der Journalist sage zwar, in den Gesprächen würde es «extrem», doch gezeigt werde eine Gruppe, in der «Pfadi-Stimmung» herrsche.
Dies verharmlose die «Junge Tat» sowie deren Co-Leiter, die wegen Rassismus und illegalem Waffenbesitzt vorbestraft sind. Diese Taten erhielten so tatsächlich den Anschein von «Jugendsünden». Die zu Beginn des Beitrags gezeigten Aussagen sowie die Bildwelt zeigten (noch) nichts vom rassistischen Gedankengut. Gleiches gelte für den Abschnitt über die «»Tyr-Rune», ein nationalsozialistisches Zeichen. Zwar würden die Protagonisten damit konfrontiert, diese könnten aber mit ihren Aussagen die Symbolik ungehindert relativieren.
Als problematisch sieht die Ombudsstelle weiter auch die Aussage eines der Protagonisten, dass «rechts» zu sein seinem Leben Sinn verleihe. Die Einordnung des Reporters, dass die Gruppierung eine «Kulturrevolution von rechts» zum Ziel habe, genüge hier nicht. Denn: Gerade bei jungen Männern sei es immer verbreiteter, sich als «rechts» zu bezeichnen. Wer dies tue, könne sich auch nach erfolgter Kontextualisierung mit den Aussagen der «Jungen Tat» identifizieren.
Die erst später erfolgenden Aussagen von SRF-Fachredaktor Daniel Glaus seien zwar nachvollziehbar, jedoch durften diese von den beiden Co-Leitern der «Jungen Tat» gleich wieder relativiert werden. Dies dürfte bei einem nicht kleinen Teil des Publikums Zustimmung für deren Extrempositionen auslösen – unabhängig von den Aussagen Glaus’. Insgesamt zeige sich in der Reportage wiederholt, wie Einordnungen durch den Reporter oder Experten durch die Co-Leiter der «Jungen Tat» relativiert und dadurch von einem Publikum mit eher rechtem Gedankengut wohl zustimmend zur Kenntnis genommen werde. Problematisch ist also laut der Ombudsstelle nicht die Kontextualisierung – diese sei durchaus vorhanden – sondern der Aufbau der Reportage.
Ein interessiertes Publikum könne sich anhand dieses Beitrags zwar eine Meinung zur «Jungen Tat» bilden – es bleibe aber ein verharmlosender Gesamteindruck. Dieser verstosse zwar nicht gegen das Gesetz, aber wohl gegen die publizistischen Leitlinien von SRF, die vorschreiben, dass man bei der Aufarbeitung von Themen sowohl auf Inhalt als auch auf Form Wert lege und sich nicht instrumentalisieren lasse. Dies sei hier bis zu einem gewissen Mass geschehen, indem die Rechtsextremen die Spielregeln der Berichterstattung diktiert hätten.
Gewaltverherrlichung, Missachtung der Menschenwürde oder eine Gefährdung der inneren und äusseren Sicherheit der Schweiz sei hingegen im ganzen Beitrag nicht feststellbar, so die Ombudsstelle abschliessend. Die Reportage sei auch nicht unsachgemäss. Damit halte sie sämtliche Vorgaben des Radio- und Fernsehgesetzes ein. Aber: SRF sei mit der Reportage seiner Verantwortung in moralischer und politischer Hinsicht nicht gerecht geworden. Dies habe damit zu tun, dass sich ein Format wie «rec.» wenig für das Porträtieren einer solchen rechtsextremen Gruppierung eigne.