Schlüpfrige ESC-Songs vor der Ombudsstelle

Die Ombudsstelle befasste sich mit zwei Beiträgen von Radio SRF 3 über schlüpfrige Songs am diesjährigen Eurovision Song Contest. Zwei Beanstandende sehen Verstösse gegen die Sachgerechtigkeit, das Diskriminierungsverbot, die Menschenwürde sowie den Jugendschutz. Die Ombudsleute differenzieren.
Darum geht es in der beanstandeten Sendung
Radio SRF 3 befasste sich in einem Online-Artikel vom 27. Februar 2025 sowie einem Radiogespräch vom 5. März 2025 mit zweideutigen und schlüpfrigen Songs, welche am diesjährigen Eurovision Song Contest (ESC) gesungen werden.
Der Online-Artikel thematisiert den australischen Song «Milkshake Man», den maltesischen Titel «Kant» (ursprünglicher Titel) sowie den finnischen Beitrag «Ich komme».
Radio SRF 3: Radiogespräch vom 27. Februar 2025 und Online-Text vom 5. März 2025
Radio SRF 3: Radiogespräch vom 27. Februar 2025 und Online-Text vom 5. März 2025
Was wird beanstandet?
Die zwei bei der Ombudsstelle eingegangenen Beanstandungen unterscheiden sich voneinander: Eine Beanstanderin kritisiert den Online-Artikel (Fall Nr. 10806). Sie moniert, man habe eine weitere Bedeutung des Malta-Songtexts «Serving Kant» ausgelassen. ‹Serving cunt› bedeute, dass jemand gut aussehe, ‹slaye›, abliefere etc. Das sei nicht anzüglich und habe nichts damit zu tun, dass Geschlechtsteile angeboten oder serviert würden. Durch die zweideutige Darstellung des Textes seitens SRF 3 werde ein schlechtes Licht auf den ESC und die Sängerin geworfen. Dies könnte Malta im schlimmsten Fall Stimmen kosten, befürchtet die Beanstanderin.
In der zweiten Beanstandung (Fall Nr. 10816) sorgt sich der Beanstander um die Sittlichkeit und Menschenwürde. Er findet es unnötig, dass SRF 3 Bilder, Videos und Songtexte der schlüpfrigen Songs präsentiere. Damit verbreite SRF ebenfalls stark sexistischen Inhalt. Die Darstellungen und Begriffe würden Frauen diskriminieren und entwürdigen und sie auf ihre Sexualität und Geschlechtsmerkmale degradieren. Ebenso wird in den Augen des Beanstanders der Jugendschutz verletzt, da die Publikation während des Nachmittags und ohne Kennzeichnung oder Warnung erfolgt sei.
Nicht zuletzt stört sich der Beanstander daran, dass im Radiogespräch die Moderatorin und der Musikredaktor Witzchen über die Songs und ihre Performance reissen und eigene Zweideutigkeiten formulieren. Die Mehrdeutigkeit von «Serving Kant» werde ausserdem von den beiden als «fantastischer Schachzug» bejubelt.
Was sagt die Redaktion?
Was die erste Beanstandung betrifft, räumt die Redaktion ein, dass der Online-Beitrag nicht das ganze Interpretationsspektrum des Songtextes thematisiert habe. Tatsächlich sei die Redewendung «serving cunt» in der queeren Szene auch positiv konnotiert. Da bedeute es, dass jemand sehr selbstbewusst und stilvoll auftrete. Die Redaktion habe den Onlinetext umgehend angepasst und mit dieser zusätzlichen Information ergänzt.
Ob die Redewendung im Lied anzüglich zu verstehen sei oder nicht, dazu existierten verschiedene Positionen, gibt die Redaktion zu bedenken. Unbestritten sei, dass das Wortspiel Reaktionen und Kritik ausgelöst habe. So sehr, dass die BBC eine Beschwerde bei der EBU (European Broadcast Union, welche den ESC veranstaltet) eingereicht habe. In der Folge habe Malta die Songlyrics anpassen müssen.
Zur zweiten Beanstandung bemerkt die Redaktion, es sei bekannt, dass ESC-Songs – wie Popmusik im Allgemeinen – auffallen wollten. Künstler:innen würden dafür verschiedene Register ziehen, unter anderem Provokation und Zweideutigkeit. Die Redaktion weist den Vorwurf zurück, dass die beanstandeten SRF-Beiträge stark sexistische oder generell diskriminierende Inhalte verbreiteten.
Die verwendeten Songausschnitte, Bilder und Videos dienten in der Berichterstattung zur Veranschaulichung. Ein Verzicht auf einzelne Wörter, Sätze oder Umschreibungen hätte zu Verwirrung geführt, ist die Redaktion überzeugt. Keines der im Radiogespräch benutzten Wörter gehöre zu problematischen Begrifflichkeiten, welche gemäss den SRF-Richtlinien nicht zu verwenden seien.
Formal bewege sich das Radiogespräch zwischen Information und Unterhaltung. Dass dabei im Gespräch auch eine Prise Humor verwendet werde, empfindet die Redaktion nicht als problematisch. Charakter wie Gesprächsduktus passten zum Radiosender SRF 3 und seiner Zielgruppe. Zudem habe man den Inhalt als bewussten Disclaimer am «schmutzigen Donnerstag» aufgehängt.
Was sagt die Ombudsstelle?
Der ursprüngliche Onlineartikel habe nur eine mögliche Interpretation zum Liedtext «Serving Kant» wiedergegeben, stellen die Ombudsleute fest. Die angepasste Version des Artikels zeige, dass eine umfassende Berichterstattung hätte differenzierter ausfallen müssen. Bei der Unterlassung handle es sich nicht um einen Nebenpunkt. Der ursprüngliche Artikel habe es dem Publikum nicht erlaubt, zu diesem Punkt sich eine eigene Meinung zu bilden.
Die Ombudsleute sehen deshalb hier einen Verstoss gegen das Gebot der Sachgerechtigkeit.
Im Schlussbericht der zweiten Beanstandung erinnern die Ombudsleute daran, dass der ESC seit seiner Gründung 1956 sich von einem klassischen «Schlagerfestival» zu einer «politisch-gesellschaftstrendigen Show» gewandelt habe. Diese sei in der Öffentlichkeit wegen der Art der Präsentationen und der Inhalte der dargebotenen Stücke umstritten. Trotzdem zähle der ESC zu den erfolgreichsten musikalischen Fernsehsendungen.
Für die Ombudsleute ist es deshalb naheliegend, dass in den verschiedenen Sendegefässen von SRF auf den Grossanlass ESC eingegangen wird und die unterschiedlichen Aspekte der Veranstaltung thematisiert werden. Dazu gehörten auch die zum Teil anzüglichen Texte der vorgetragenen Songs.
Als locker, aber nicht unnötig anstössig, empfinden die Ombudsleute die im Radiobeitrag verwendete Sprache. Die Texte würden dort zitiert, wo dies für eine Vorstellung der «Schmuddel-Songs» angebracht sei. Das Publikum werde auf die in diesem Jahr besonders anzüglichen Songtexte und Präsentationen hingewiesen. Dies ermögliche es ihm, sich bereits im Vorfeld eine eigene Meinung zu bilden. Die aufgezeigten Songs würden nicht bejubelt. Vielmehr bringe das Moderationsduo ein gewisses Erstaunen über die Anzüglichkeit und die Sexualisierung der Auftritte zum Ausdruck, ohne moralisierend zu sein.
Der zweite Beanstander moniert Verstösse gegen das Diskriminierungsverbot, die Menschenwürde und den Jugendschutz. Diese Kritik richtet sich in den Augen der Ombudsleute letztlich gegen Inhalte des ESC selbst und dessen europaweite Ausstrahlung.
Weder im Audio- noch im Online-Beitrag erkennen die Ombudsleute bei der zweiten Beanstandung einen Verstoss gegen programmrechtliche Vorgaben und den Jugendschutz.