Larissa M. Bieler: «Es geht um die digitale Souveränität der Schweiz»

Die mehrsprachige digitale Plattform Swissinfo berichtet seit 90 Jahren für die fünfte Schweiz und das interessierte Ausland. Ab 2027 könnte Schluss sein: Der Bundesrat prüft im Rahmen der umfassenden Sparmassnahmen auch das SRG-Auslandmandat. Direktorin Larissa Bieler spricht im Interview über Missverständnisse, Sicherheitspolitik, Mehrsprachigkeit als Stärke und digitale Pionierarbeit.

Zur Person

Larissa M. Bieler ist Direktorin von SWI swissinfo.ch. Sie studierte Germanistik, Management and Economics sowie Politikwissenschaften an der Universität Zürich. Zunächst arbeitete sie als freischaffende Journalistin, ab 2013 war sie Chefredaktorin des «Bündner Tagblatts». 2016 folgte der Wechsel in die Chefredaktion von SWI swissinfo.ch, seit 2018 ist sie Swissinfo-Direktorin. Larissa Bieler ist Mitglied der Geschäftsleitung der SRG.

Dieses Interview wurde vor der Bundesratsorientierung bezüglich der Auswertung der Vernehmalssungsergebnisse am 25. Juni 2025 geführt.

Larissa Bieler, am 5. Mai endete die Frist der Vernehmlassung zu den umfassenden Sparmassnahmen des Bundes. Teil der vorgeschlagenen Kürzungen ist auch die Bundessubvention für das Auslandmandat der SRG, das unter anderem Swissinfo mitfinanziert. Dies hat bei Swissinfo grosse Unsicherheit ausgelöst. Wie gehen Sie und Ihre Mitarbeitenden damit um?

Natürlich ist Verunsicherung da. Es geht hier nicht um eine punktuelle Sparmassnahme im Sinne eines Kanals oder einer Sendung, sondern es geht um die Substanz. Wir müssen drastisch sparen, da wir bereits jene 17-Prozent-Kürzungen mittragen, die der Bundesrat durch die Senkung der Medienabgabe ab 2027 der SRG auferlegt hat. Doch zusätzlich würde mit der ersatzlosen Streichung der Bundessubvention für das Auslandmandat Swissinfo zur Disposition stehen. Die SRG könnte das Mandat nicht in der heutigen Form aufrechterhalten. Für unsere Mitarbeitenden ist die jetzige Situation sicher belastend, die Teams arbeiten jedoch mit viel Engagement. So haben wir gerade im März erst die App «SWI Plus» für Auslandschweizerinnen und -schweizer neu lanciert.

Wie erklären Sie sich die Einschätzung des Bundes, dass das Auslandmandat der SRG nicht verlängert werden soll?

Es waren Expertinnen und Experten im Auftrag des Finanzdepartements, die den Bericht für mögliche Sparmassnahmen verfasst haben. Die Massnahmen, die sie in diesem Bericht vorgeschlagen haben, wurden aus primär finanziellen Gesichtspunkten definiert, ideelle und gesellschaftliche Werte flossen kaum in die Beurteilung ein. So wurde nicht berücksichtigt, was Swissinfo leistet: Jährlich verzeichnen wir mit unseren zehn Sprachen rund 45 Millionen Besuche auf unserer Website, in Krisenzeiten sind Informationen aus der Schweiz im Ausland noch viel stärker nachgefragt. Zudem leben 830 000 Personen mit Schweizer Pass im Ausland. Das entspricht über 10 Prozent aller Wahl- und Stimmberechtigten. Swissinfo informiert sie über aktuelle Debatten und das Tagesgeschehen, ist also zentral für das Funktionieren der direkten Demokratie. Es gibt kein vergleichbares multilinguales Medienhaus in der Schweiz, das ihre Themeninteressen und Bedürfnisse überhaupt kennt und so gezielt berücksichtigt.

«Swissinfo übersetzt nicht nur sprachlich, sondern auch kulturell und politisch einordnend.»

Aber Swissinfo informiert auch ein ausländisches Publikum.

Richtig. Swissinfo ist nicht Luxusgut, sondern für viele im Ausland Notwendigkeit, die aus beruflicher, familiärer oder auch wirtschaftlicher Perspektive mit der Schweiz im Austausch sind. Die Schweiz ist stark globalisiert und vernetzt. Insbesondere im internationalen Genf mit Organisationen wie dem IKRK, der UNO oder Amnesty International werden unsere Inhalte geschätzt, denn es besteht Interesse für die Schweizer Positionen und Perspektiven. Und wer bei ausländischen Akteuren Vertrauen schaffen und die eigene Sichtweise nachvollziehbar darlegen will, muss sie zielgruppengerecht verständlich machen und distribuieren. Diese Art der Berichterstattung ist eine «Soft Power» der Schweiz, das kann nur ein öffentlich finanzierter Service public leisten. Für kommerziell orientierte Medien gibt es hierzu kein Businessmodell. Diese Aspekte wurden in der Beurteilung durch die Fachpersonen des Bundes zu wenig berücksichtigt.

Der Bund argumentiert, dass heute alle SRG-Angebote weltweit via Internet verfügbar sind – Swissinfo sei daher überflüssig. Was entgegnen Sie?

Das ist ein Missverständnis. Es geht nicht nur um Verfügbarkeit – sondern um Zugänglichkeit, Auffindbarkeit, Kuration und auch Bündelung in entsprechenden Produkten. Es reicht nicht, Inhalte einfach online zu stellen oder automatisch zu übersetzen. Ein Übersetzungsbutton macht aus einer Schweizer Nachrichtensendung zugeschnitten für Schweizerinnen und Schweizer noch lange kein verständliches Angebot für jemanden, der oder die seit Jahrzehnten im Ausland lebt. Eine Sendung auf Schweizerdeutsch, die mit Begriffen aus dem politischen Alltag jongliert, erreicht keine Auslandschweizerin in São Paulo, die 1985 ausgewandert ist. Swissinfo übersetzt nicht nur sprachlich, sondern auch kulturell und politisch einordnend. Diese Brückenfunktion fällt weg, wenn wir nur noch technisch senden, aber nicht mehr verständlich erklären. «The Swiss Voice in the World since 1935» steht seit 90 Jahren für Vertrauen und schafft heute auch Resilienz für die Schweiz.

Inwiefern?

Swissinfo ist im weiteren Sinn heute Teil der Schweizer Sicherheitsinfrastruktur. Es geht um eine digitale Souveränität der Schweiz, um die Bekämpfung von Desinformation im Netz. Wir haben beispielsweise bei der Bürgenstock-Konferenz zum Ukrainekrieg gesehen, wie versucht wurde, über digitale Informationskanäle Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen. Unsere Berichterstattung auf Russisch oder Englisch bietet ein Gegengewicht zur Propaganda und eine sachgemässe Einordnung. Wir leisten aber auch einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen und politischen Integration. Wir erreichen innerhalb der Schweiz auch jene Personen, die nicht hier aufgewachsen sind, keine Landessprache sprechen.

Ein medialer Service public für Expats also?

Diese Bevölkerungsgruppe wächst bekanntlich innerhalb der Schweiz. Inzwischen haben rund 30 Prozent der Bevölkerung keinen Schweizer Pass. Wer sich hier niederlässt, ist in der Regel wenig vertraut mit den politischen und gesellschaftlichen Eigenheiten der Schweiz. Wir sehen anhand der Userzahlen, dass die Nachfrage nach unseren Inhalten auch im Inland wächst.

Die Vernehmlassung zum Sparpaket des Bundes ist abgeschlossen. Sind Sie zuversichtlich, dass Ihre Argumente für die Fortsetzung des Auslandmandats seitens der Politik gehört werden?

Der aktuell dringliche Diskurs über die internationalen Entwicklungen und Desinformation zeigt, dass wir heute genauso relevant sind wie 1935, als die Schweiz sich dazu entschied, mit Schweiz Radio International einen Radiosender für die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer einzurichten. Und wir sind nicht die einzigen, die das so sehen. Die Resonanz in der Vernehmlassung war sehr gross und durchwegs positiv.

«Es gibt viele Organisationen und Institutionen, die den Wert unseres Angebots schätzen.»

Woher kam Zuspruch?

Es gibt viele Organisationen und Institutionen, die den Wert unseres Angebots schätzen. Wir arbeiten mit den konsularischen Diensten zusammen, sind etwa in die Ausbildung der Diplomatinnen und Diplomaten eingebunden. Nationale Stimmen aus Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft oder Kultur haben sich geäussert. Aber auch internationale Organisationen, etwa in Genf, stehen für Swissinfo ein. Auch die SRG hat sich in ihrer Stellungnahme gegen den Vorschlag des Bundesrats ausgesprochen. Und schliesslich ist es die Auslandschweiz mit ihren verschiedenen Organisationen, die sich stark für den Erhalt von Swissinfo einsetzt. Sie sind auf unsere Berichterstattung angewiesen.

Was zeichnet die Bedürfnisse der fünften Schweiz in Bezug auf die Berichterstattung aus?

Wer geografisch weiter weg ist und Distanz zum Alltag in der Schweiz hat, braucht oft mehr Kontext. Wir kennen die Mediennutzung und die Bedürfnisse der Schweizer Diaspora mittlerweile aus vielen Studien und dem Dialog mit der Community sehr gut. Beispielsweise vor Abstimmungen wollen unsere Nutzerinnen und Nutzer nicht nur wissen, worüber abgestimmt wird, sondern auch warum – mit welchen Argumenten, Konsequenzen und Kontroversen. Swissinfo blickt mit den Augen der Schweizerinnen und Schweizer im Ausland auf die hiesige Politik und erklärt diese verständlich. Nur so ist es für die fünfte Schweiz möglich, aktiv und informiert ihre politischen Rechte auszuüben. Wenn in Zukunft das E-Voting eingeführt wird, nimmt die Bedeutung der ausländischen Diaspora politisch übrigens noch zu.

Das müssen Sie über Swissinfo wissen

Swissinfo ist Teil des Auslandmandats der SRG – das hat eine lange Tradition. Doch dieses Auslandmandat könnte im Rahmen der Sparbemühungen des Bundes bald wegfallen. Das hätte auch Konsequenzen für die fünfte Unternehmenseinheit der SRG: Und für 800'000 Auslandschweizer:innen.

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Wie entwickelt sich die Nachfrage nach den Inhalten?

Die Welt erfährt gerade viele verschiedene Krisen. Je drängender die globalen Entwicklungen sind, desto mehr sind unsere Angebote nachgefragt. Es gibt Menschen, die sind auf die Berichterstattung von Swissinfo angewiesen, weil sie sonst im Ausland kaum noch auf verlässliche Quellen zurückgreifen können. Wenn wir die Rolle der Schweiz in der Welt einordnen – in zehn Sprachen, mit Kontext und Sorgfalt – dann ermöglichen wir etwas Seltenes: eine journalistische, faktenbasierte, nicht polarisierende Auseinandersetzung mit dem Weltgeschehen und Einordnung. Und ein Schweizer Brand hat Glaubwürdigkeit – gerade in einer Zeit, in der viele Medienräume fragmentieren. Wir geniessen deshalb viel Vertrauen, und das widerspiegelt sich in steigenden Nutzungszahlen.

«YouTube ist extrem wichtig geworden in Ländern, in denen Zensur herrscht.»

Swissinfo leistet mit der mehrsprachigen Berichterstattung ein Gegengewicht zu Desinformation, etwa mittels russischer oder chinesischer Beiträge. Erreichen Sie Menschen in autokratisch regierten Ländern?

In Russland oder in China sind die freien und unabhängigen Medien stark eingeschränkt. Da sind wir keine Ausnahme, auch der Zugang zu Swissinfo ist blockiert. Wir bewegen uns auf anderen Kanälen. YouTube ist extrem wichtig geworden in Ländern, in denen Zensur herrscht. Das haben auch andere international agierende Medien wie die BBC oder CNN erkannt. Wir sind für ein chinesisches Publikum auch auf Plattformen wie zum Beispiel WeChat – eine Art chinesisches Whatsapp – mit Inhalten präsent. Das gehört zu unserer journalistischen Verantwortung.

Swissinfo berichtet auch seit Jahrzehnten auf Arabisch, es wird dort als vertrauenswürdige Informationsquelle wahrgenommen.

Richtig. Der Entscheid, Sendungen in arabischer Sprache anzubieten, wurde 1963 gefällt. Ab Sommer 1964 wurden regelmässige Sendungen ausgestrahlt. Ein Treiber waren sicherlich die zunehmenden Spannungen zwischen Israel und den arabischen Nachbarstaaten sowie der Wunsch der Schweiz, als neutrale, diplomatische Vermittlerin wahrgenommen zu werden. 2011, nach Beginn des Arabischen Frühlings, intensivierten wir die Berichterstattung. In der Folge erreichte unser arabischsprachige Facebook-Kanal über eine Million Followerinnen und Follower. Unser Angebot grenzt sich bis heute von geopolitischer Propaganda ab und dient der Förderung diplomatischer und wirtschaftlicher Beziehungen, aber auch der Imagepflege für die Schweiz. Die Golfstaaten sind wichtige Finanz- und Investitionspartner, und umgekehrt sind Schweizer Unternehmen in vielen arabischen Ländern präsent, in Bauwesen, Pharma, Food oder Maschinenbau. Swissinfo trägt noch immer wesentlich dazu bei, das internationale Ansehen der Schweiz zu stärken. Wir erhalten und beleben diese Beziehungen. Früher war es Kurzwelle, heute ist es multilinguales Storytelling, digitaler Journalismus.

1999 ging Swissinfo als erste Webnachrichtenplattform der Schweiz online. Seither konnte viel digitales Know-how aufgebaut werden. Wie profitiert man heute vom angesammelten Erfahrungsschatz?

Wir waren damals auch sogleich international ausgerichtet und mehrsprachig dazu! Dank der langen digitalen Geschichte verfügen wir heute über ein beachtliches Archiv an Beiträgen – das ist für die Auffindbarkeit unserer heutigen Website zentral. Das lässt sich nicht einfach bei Google erkaufen. Viele auch ältere Inhalte werden häufig organisch via Suchmaschinen gefunden. Wir sind zudem schon lange auf vielen Kanälen präsent, nicht nur auf Websites und Apps, sondern auch in den sozialen Medien.

Seit 2022 ist Swissinfo Teil der Geschäftsleitung der SRG. Diese befindet sich gerade mitten im digitalen Transformationsprozess. Wie kann die SRG vom Know-how von Swissinfo profitieren?

Wertvoll ist unsere Erfahrung mit einem mehrsprachigen Angebot. Die SRG bewegt sich ja auch in diese Richtung. Erste Schritte sind bereits gemacht, etwa mit der Plattform «Dialog», auf der mehrsprachig diskutiert werden kann. Swissinfo kann Impulse setzen, wenn es darum geht, die Distanzen zwischen Sprachgemeinschaften zu überwinden und stärker gemeinsam zusammenzuarbeiten. Nach aussen, etwa im Community-Building, aber auch nach innen: Wir haben einen multilingualen Newsroom, die Teams arbeiten oft primär digital miteinander und müssen es dennoch schaffen, Vertrauen zueinander aufzubauen. Die SRG wird in Zukunft näher zusammenrücken und mehr Synergien nutzen – als eine gemeinsame Kraft.

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Dieser Text erschien zuerst im «LINK», dem Magazin für alle Deutschschweizer Mitglieder der SRG. Sie interessieren sich für die Entwicklungen in der Schweizer Medienlandschaft, in der SRG und deren Unternehmenseinheiten? Mit «LINK» erhalten Sie fünf Mal jährlich spannende Beiträge zu den Entwicklungen im Journalismus, über den medialen Service public und die Menschen dahinter.

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Text: Pascal Zeder

Bild: Thomas Kern

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