DOK über Antisemitismus: Trotz Mängeln kein Gesetzesverstoss

Drei Beanstandungen monieren eine unkritische und unausgewogene Schlagseite im «DOK»-Film über Antisemitismus in der Schweiz. Die Ombudsstelle hat Verständnis für die Kritik und empfindet die Dokumentation ebenfalls als mangelhaft, sieht aber keine Verletzung der Sachgerechtigkeit.
Darum geht es in der beanstandeten Sendung
Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg – und mit ihm das grösste Verbrechen der Menschheitsgeschichte, der Holocaust. Heute hat der Antisemitismus in der Schweiz wieder einen Höchststand erreicht, wie der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) im jährlichen Antisemitismusbericht aufzeigte. In dem von «SRF DOK» am 22. Mai 2025 publizierten Film «Antisemitismus – Judenhass in der Schweiz» wird die vielfältige Ausprägung von Judenhass untersucht. Dabei kommen verschiedene Schweizer Jüd:innen zu Wort.
«DOK» vom 22. Mai 2025:
«Antisemitismus – Judenhass in der Schweiz»
«DOK» vom 22. Mai 2025:
«Antisemitismus – Judenhass in der Schweiz»
Was wird beanstandet?
Insgesamt gingen drei Beanstandungen zum Bericht bei der Ombudsstelle der SRG.D ein. Kritisiert wurden verschiedene Punkte:
- Mangelnde kritische Distanz und einseitige Darstellung: Die Dokumentation nehme eine pro-israelische Haltung ein, lasse bewusst zentrale geopolitische und historische Kontexte aus. Dies sei irreführend.
- Pauschalisierung der «Free Palestine»-Bewegung: Die Aussage, die Parole «Free Palestine» sei judenfeindlich, werde im Film unkritisch stehengelassen. Dabei drückten viele Menschen damit legitime Kritik an der israelischen Politik und Solidarität mit der palästinensischen Zivilbevölkerung aus. Antizionismus werde mit Antisemitismus gleichgesetzt, was journalistisch fahrlässig und gesellschaftlich gefährlich sei. Es delegitimiere den öffentlichen Diskurs über völkerrechtlich relevante Fragen.
- Fehlender Kontext zum 7. Oktober 2023: Die Angriffe auf die israelischen Zivilist:innen würden in der Dokumentation als islamistisch motiviert eingeordnet, aber es fehle der Kontext zur jahrzehntelangen «Besatzung, Unterdrückung, Enteignung und den zahlreichen dokumentierten Menschenrechtsverletzungen, unter denen die palästinensische Bevölkerung leidet», so eine Beanstanderin.
Judenhass sei klar zu verurteilen – und gerade um diesen konsequent aufzuarbeiten sei es unerlässlich, dass öffentlich finanzierte Medien differenziert, faktenbasiert und kritisch berichteten. Ansonsten fördere dies gesellschaftliche Spaltung durch Desinformation.
Was sagt die Redaktion?
Die Redaktion führt in ihrer Stellungnahme zunächst aus, was die Fragestellung sowie die Basis für den Dokumentarfilm darstellten: Der Antisemitismus in der Schweiz und jene, die davon betroffen sind, stehen laut Redaktion im Zentrum des Films. In der Folge nimmt sie zu jedem Vorwurf einzeln Stellung:
- Mangelnde kritische Distanz und einseitige Darstellung: Die Redaktion schreibt, dieser Vorwurf vermische den Nahostkonflikt mit der Thematik des Judenhasses in der Schweiz – beziehungsweise eben die fehlende Vermischung werde kritisiert. Der 7. Oktober 2023 werde vom SIG als «Trigger» für die beispiellose Antisemitismuswelle aufgeführt, welche 2024 ganz Europa erfasst habe – auch die Schweiz. Insbesondere, so das SIG weiter, zeige sich ein anhaltendes Narrativ, dass Schweizer Jüd:innen für die Handlungen und Politik Israels verantwortlich seien. Damit verbunden sei die Forderung, sich davon distanzieren müssten. Dabei dürfe man Jüd:innen nicht als zusammenhängendes Kollektiv sehen. Sie seien nicht (mit-)verantwortlich für die Handlungen der israelischen Politik und auch nicht für das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza. Die Schweizer Jüd:innen seien deshalb gerade nicht im «Kontext» der Handlungen von Jüd:innen in Israel zu sehen. Diese Sichtweise sei nach der international breit akzeptierten Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) antisemitisch. Im Film werde zudem explizit ausgeführt: Kritik an der Regierung Israels sei legitim, Antisemitismus aber nicht.
- Pauschalisierung der «Free Palestine»-Bewegung: Diese Kritik sei nicht zutreffend. Im Film werde differenziert, dass sich bei Pro-Palästina-Demonstrationen Solidaritätsbekundungen mit Kritik an Israel und unverhohlenem Antisemitismus vermische. Explizit als antisemitisch bezeichne auch der SIG – gestützt auf die Definitionen der IHRA – den Slogan: «From the river to the sea, Palestine will be free.» Dieser werde immer wieder an Pro-Palästina-Demonstrationen skandiert.
- Fehlender Kontext zum 7. Oktober 2023: Dieser Vorwurf empfindet die Redaktion als «irritierend», da es einem Wunsch nach Relativierung und Rechtfertigung der Terror-Attacke gleichkomme. Die Redaktion widerspricht deshalb deutlich: Eine Kontextualisierung im von der Beanstanderin verlangten Sinne wäre völlig unangebracht gewesen.
Der Beitrag sei faktengetreu und verfolge ein klares Ziel: ein diverses Stimmungsbild der Erfahrungen Schweizer Jüd:innen mit Antisemitismus zu zeichnen.
Was sagt die Ombudsstelle?
Die Ombudsstelle schreibt, sie könne die Irritation über den Beitrag durchaus nachvollziehen. Die darin auftretenden Stimmen seien wenig vielseitig. Insbesondere jene, welche «modernere» Werte vertreten würden, kulturell oder ethisch offener seien, kämen nicht zu Wort.
Dies zeige sich etwa an der von der Redaktion aufgeführten Definition der IHRA von Antisemitismus: Diese sei keineswegs breit anerkannt, werde im Gegenteil innerhalb der jüdischen Gemeinschaft kontrovers diskutiert. Die IHRA-Definition spiele nämlich die Unterscheidung zwischen Antisemitismus und Israelkritik herunter, während dies andere klarer trennen würden. Die beiläufige Bemerkung im «DOK»-Film, dass Kritik an der israelischen Politik nicht automatisch Judenhass sei, reiche da nicht aus. Denn genau in dieser Diskussion um die Definition liege der Kern aktueller Debatten um Antisemitismus.
Im Film werde etwa der Slogan «From the river to the sea» als klar antisemitisch interpretiert. Dies auf Basis der Antisemitismusdefinition der IHRA. Damit werde für die Zuschauenden der Blickwinkel eingeengt. Andere Jüd:innen würden diesen Ausspruch nämlich anders, humanistisch deuten – als Ruf nach Frieden, Freiheit und Gleichberechtigung aller Menschen, die zwischen Jordan und Mittelmeer leben. Der Generalsekretär des SIG lege den Slogan als Verneinung des Existenzrechts des Staats Israel aus – es gäbe aber auch Jüd:innen mit differenzierteren Meinungen. Diese fehlten im Beitrag.
Überhaupt käme dem SIG-Generalsekretär eine zu gewichtige Rolle zu im Beitrag. Natürlich sei sein Auftritt als Funktionär des Dachverbands jüdischer Gemeinden in der Schweiz legitim. Jedoch hätten auch liberalere Plattformen zu Wort kommen sollen.
Weiter kritisiert die Ombudsstelle den Auftritt von David Klein, Musiker und Publizist. Dieser vertrete eine äusserst kontroverse Haltung und teile die Jüd:innen ein in «makkabäisch» und «assimilierungsversessen» – während erstere den Staat Israel verteidigen würden, wollten zweite «gerne eine ruhige Kugel schieben», so Klein im Beitrag. Dieser Vergleich sei nicht nachvollziehbar, so die Ombudsstelle, im Dokumentarfilm trete dennoch keine Gegenstimme auf. Gleiches gelte für den Pauschalvorwurf Kleins an die Medien, den Antisemitismus durch ihre Berichterstattung zu befeuern. Diese Behauptungen als stellvertretend für die Meinung vieler Jüd:innen zu übernehmen, sei problematisch.
Trotz dieser Mängel: Laut der Ombudsstelle verstösst der «DOK»-Film wohl nicht gegen das Sachgerechtigkeits- und Vielfaltsgebot gemäss Art. 4 RTVG. Denn das Ziel des Films sei es, jene sprechen zu lassen, welche den Judenhass zu spüren bekommen – also wohl primär jene, welche aufgrund ihrer Attribute als Jüd:innen erkennbar sind und dementsprechend offenen oder versteckten Antisemitismus erlebten oder wahrnähmen. Die Trennung zwischen Judenhass und Israelkritik liege nicht im Zentrum des Beitrags, auch wenn gerade dies in der aktuellen gesellschaftspolitischen Debatte eigentlich wichtig wäre, um die Polarisierung zu entschärfen.