Barbara Bleisch: Die Lust auf Langsamkeit

Als Philosophin nimmt sich Barbara Bleisch gern Zeit. Für sie darf Denken auch Zumutung sein – und spendet Trost. Immer aber bedingt es die Offenheit für Gegenpositionen. Seit Kurzem widmet sie sich den grossen Fragen der Welt in einem neuen Podcast.

Barbara Bleisch ist eine der bekanntesten Philosophinnen der Schweiz. Seit 2011 moderiert sie die «Sternstunde Philosophie» bei SRF. Mit ruhiger Stimme und präziser Sprache stellt sie dort im Turnus mit ihren Kollegen die grossen Fragen: Was ist ein sinnvolles Leben? Wie sprengen wir die Fesseln unserer Herkunft? Werden wir den Kolonialismus je überwinden? Müssen wir Leistung neu denken?

«Philosophie ist nicht in erster Linie eine Expertin für Antworten, sondern für das Fragen»

Dass sich Philosophie dabei nicht auf feste Antworten verlässt, sondern vielmehr das Denken selbst in Bewegung bringt, ist für Bleisch nicht Schwäche, sondern Stärke. «Philosophie ist nicht in erster Linie eine Expertin für Antworten, sondern für das Fragen», sagt sie. In einer Welt, in der schnell verständliche Parolen Konjunktur haben, mutet das langsamere Nachdenken beinahe altmodisch an. Doch genau das reizt Bleisch: «Philosophie leistet sich Genauigkeit. Und oft beginnt die Suche nach einer Lösung erst dann, wenn man verstanden hat, worin die Frage eigentlich besteht.» Dass sie damit manchmal aneckt, nimmt sie bewusst in Kauf – sei es in der «Sternstunde» oder in den Büchern, die sie schreibt.

Doch Widerrede ist für Bleisch kein Rückschlag. «Nur wer beständig die eigenen argumentativen Künste trainiert, vermag im Denken geschmeidig zu bleiben.» Dass Philosophie nicht immer bequem ist, empfindet Bleisch keineswegs als Manko – im Gegenteil. Gerade das Unbequeme sei es, was sie an der Disziplin fasziniere. Sie spricht von «produktiver Irritation», wenn sie beschreibt, was Denken aus lösen kann: «Produktive Irritation ist nachhaltiger als die kurzlebige Sensation, auf die viele Medien heute zielen. Irritation zwingt uns, unsere Gewissheiten zu hinterfragen – und nicht selten macht uns genau das klüger.»

Ein prägender Moment dieser Art war für Bleisch deshalb auch die Auseinandersetzung mit Peter Singer während ihres Studiums. Der australische Philosoph provozierte schon in den Siebzigerjahren mit der These, dass etwa ein Schimpanse mehr Rechte habe als ein Mensch mit schwerster geistiger Beeinträchtigung. Denn in den Augen Singers gilt nur ein Wesen mit Selbstbewusstsein als Person. «Wie so viele andere haben auch mich seine Thesen irritiert – und mit vielem bin ich bis heute nicht einverstanden. Aber Singer ist ein kluger Kopf. Indem ich mich an seinen Texten abgearbeitet habe, habe ich viel gelernt.»

«Wir verblöden, wenn wir uns nicht mit anderen Positionen auseinandersetzen.»

Barbara Bleischs Credo: Eine funktionierende Gesellschaft braucht nicht nur Konsens, sondern auch Widerspruch. Und sie benötigt Menschen, die bereit sind, diesen auszuhalten. Bleisch zitiert John Stuart Mill, einen der Vordenker des politischen Liberalismus, der in seiner Schrift «Über die Freiheit» zeigt, warum wir auch Andersdenkenden zuhören müssten: Entweder sind wir doch Unrecht und lernen dazu, oder aber wir müssen unsere Argumente schärfen, weil wir Gegenwind erhalten. Oder wie Bleisch es vereinfacht formuliert: «Wir verblöden, wenn wir uns nicht mit anderen Positionen auseinandersetzen.» Doch wie gelingt diese Auseinandersetzung in einer Zeit, in der mediale Polarisierung oft mehr Resonanz erzeugt als differenzierter Diskurs? Bleisch ist besorgt über die «Talkshowisierung» des öffentlichen Gesprächs: «Da geht es nicht um gemeinsam errungene Erkenntnis, sondern um Machtdemonstration.»

Mit der «Sternstunde Philosophie» will sie einen alternativen Raum schaffen. «Ich gehe in ein Gespräch mit der Offenheit, meine Meinung ändern zu können. Und ich erwarte das auch von meinen Gästen.» Damit dieser Raum entstehen kann, braucht es Vertrauen – und die Bereitschaft zum Eingeständnis. «Ein Meinungsumschwung darf nicht als Niederlage inszeniert werden. Nur dann entsteht ein echtes Gespräch.» Dass das nicht immer gelingt, weiss auch Bleisch. «Manche wollen einfach nur ihre immer gleiche Botschaft abliefern. Ein wirkliches Gespräch ergibt sich nicht.» Trotzdem glaubt sie an die Kraft des Nachdenkens. Auch in Zeiten der Krise. «Etwas nicht zu verstehen, ist kein Grund zur Flucht – sondern ein Denkanlass.» Und ja, sie empfindet die Zeit als herausfordernd. «Viele Sicherheiten brechen gleichzeitig weg. Manchmal habe ich das Gefühl, wir stehen an einer Abbruchkante unserer bisherigen Lebensform.»

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«Ich wünschte mir öfter eine Rückfrage statt einer schnell gemachten Meinung»

In solchen Momenten helfen Bleisch das Denken, das Diskutieren – und auch eine Prise Humor. Eine Kombination daraus gibt es seit diesem Juni im neuen Podcast «Sternstunde Philosophie: Zimmer 42». «Wir knöpfen uns die grossen Lebensfragen vor, mit viel Alltagsbezug und der nötigen Leichtigkeit.» Der Podcast- Name ist dabei eine Anspielung auf Douglas Adams’ Kultroman «Per Anhalter durch die Galaxis», in dem ein Supercomputer nach Millionen Jahren die Antwort auf alles liefert: 42. Der Podcast soll kein philosophisches Oberseminar sein, sondern ein offenes Angebot für alle, die sich mit den grossen Fragen des Lebens auseinandersetzen wollen – auch ohne Vorkenntnisse, aber mit Neugier. Tatsächlich ist Barbara Bleisch überzeugt, dass die Sehnsucht nach Tiefe keineswegs verschwunden ist. «Ich glaube nicht an Denkfaulheit als Generationenproblem. Eher an eine gewisse Zukunftsverdrossenheit.» Die sozialen Medien mit ihrer Dauerbeschallung trieben uns zwar oft die Lust am Denken aus, doch gerade das mache neue Denk- und Dialogräume so wichtig. «Ich wünschte mir öfter eine Rückfrage statt einer schnell gemachten Meinung», sagt sie.

Damit kommt sie wieder beim Kern ihrer Haltung an: dem Mut zur Ungewissheit. Sie zitiert Wittgenstein: «Ein philosophisches Problem hat die Form: Ich kenne mich nicht aus.» Diese Verunsicherung nicht abzuwehren, sondern zu durchdenken, sei essenziell. «Philosophie räumt keine Sicherheiten ein», sagt sie, «aber sie schafft Orientierung – im Denken, im Leben, in der Gesellschaft.» Und manchmal auch Trost. Nicht durch Heilsversprechen, sondern durch das, was der Dichter Gottfried Benn das «Gegenglück Geist» nannte: die stille Freude am Denken. «Ein Leiden, das man denkend durchdringen kann, quält nicht mehr so dumpf wie ein Leiden, dem man gänzlich passiv gegenübersteht.»

«Sternstunde Philosophie: Zimmer 42» – Neuer Podcast mit Barbara Bleisch

Jeden zweiten Dienstag öffnet Philosophin Barbara Bleisch die Tür zum Zimmer 42. Hier knöpft sie sich gemeinsam mit Menschen aus Philosophie, Psychologie und Popkultur Lebensfragen vor, die uns nachts wach halten. Was tun gegen bohrende Selbstzweifel? Was sind Freunde fürs Leben? Und ist die Suche nach dem Sinn des Lebens vielleicht einfacher, als wir denken?

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Text: Nicole Krättli

Bild: SRF/Marion Nitsch

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