Hungersnot in Gaza: Wenn ein Bild eine Debatte auslöst

Bild von Hungersnot in Gaza: Wenn ein Bild eine Debatte auslöst

Zur Illustration der Hungersnot im Gazastreifen verwendete SRF ein Bild eines abgemagerten Kindes. Vier Beanstander:innen kritisieren die Bildwahl, da der Junge an einer Erbkrankheit leide, welche für seinen Zustand verantwortlich sei. Die Ombudsleute kommen bei der Begutachtung der beiden Publikationen zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Darum geht es in den beanstandeten Beiträgen

Thema im SRF News-Artikel vom 25. Juli sowie in der «Tagesschau» vom 28. Juli 2025 war die extreme Hungersnot im Gazastreifen.

Der Online-Artikel fokussiert darauf, weshalb westliche und arabische Staaten der hungernden palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen nicht oder zu wenig zu Hilfe kommen. Der «Tagesschau»-Artikel legt den Schwerpunkt auf die humanitäre Lage im Gaza-Streifen und die wieder anrollenden Hilfslieferungen. Dies, nachdem die israelische Regierung am 27. Juli 2025 angekündigt hatte, humanitäre Feuerpausen einzuhalten und humanitäre Korridore einzurichten.

SRF News vom 25. Juli 2025

Was wird beanstandet?

Zur Veranschaulichung der Hungersnot zeigten der Online-Artikel und der «Tagesschau»-Beitrag unter anderem Bilder von abgemagerten Kindern.

Sowohl im Online-Artikel als auch in der «Tagesschau» kritisieren die Beanstanderinnen und Beanstander je ein Bild als irreführend. Es erzähle nicht die ganze Wahrheit. Der Junge leide nämlich an einer Zerebralparese. Dies sei eine genetische Erkrankung, welche Muskelschwund und Abmagerung herbeiführe – auch ohne Unterernährung. Einige der Beanstandenen monieren, das Bild sei von den Medien missbraucht worden, um eine, Zitat: «Hungersnot-Geschichte» zu verbreiten.

Was sagt die Redaktion?

Die verantwortliche Redaktion erklärt in ihrer schriftlichen Stellungnahme, sie habe die Bilder von renommierten Agenturen übernommen und verbreitet. Einige der Agenturbilder zeigten Kinder mit Vorerkrankungen oder Behinderungen. Solche Bilder hätten grosse Debatten ausgelöst, welche Medien weltweit thematisiert hätten.

Der Online-Artikel habe bei der Erstpublikation ein Reuters-Bild gezeigt, welches die palästinensische Mutter Samah Matar mit ihrem unterernährten Sohn Youssef zeige. Dieser leide gleichzeitig auch an einer Zerebralparese. In der Bildbeschreibung der Agentur Reuters sei die Vorerkrankung erwähnt gewesen. Dass der Online-Artikel die Vorerkrankung nicht erwähnt habe, sei ein Versäumnis gewesen, räumt die verantwortliche Redaktion ein. Die Information hätte dazugehört. Die Redaktion habe deshalb das Bild zeitnah ausgetauscht, um die Diskussion, welche von der Hungerkrise im Gazastreifen ablenke, nicht weiter zu befördern. Die Anpassung habe man in einer Textbox am Ende des Artikels transparent gemacht, so die Redaktion.

Der «Tagesschau»-Beitrag vom 28. Juli habe unter anderem zwei Kinder gezeigt. Die Aufnahmen stammten wie üblich von der European Broadcast Union (EBU), der für SRF wichtigste und verlässlichste Partner für Videomaterial. Bei diesem Material habe es keinen Hinweis auf Vorerkrankungen der Kinder gegeben, so die Redaktion. Eines der gezeigten Kinder sei Mohammed Zakaria al-Mutawaq. Er sei unter anderem prominent von der «New York Times» porträtiert worden. Das Kind habe tatsächlich gesundheitliche Probleme und leide wahrscheinlich ebenfalls an Zerebralparese. Allerdings sei der Junge gemäss der «New York Times» nebst seiner Vorerkrankung massiv unternährt.

Zudem sei es beim «Tagesschau»-Beitrag primär nicht um die Einzelschicksale der Kinder gegangen, sondern um die Gesamtsituation. Der Beitrag habe die relevanten Informationen vermittelt, die der Redaktion zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung gestanden seien.

Was sagt die Ombudsstelle?

Das ursprüngliche Bild mit dem komplett abgemagerten Kind sei sinnbildlich für die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen gestanden, so die Ombudsleute. Viele renommierte und internationale Medien hätten dieses Bild veröffentlicht. Sobald bekannt geworden sei, dass der Knabe an einer angeborenen Krankheit leide, hätten die Medien ein Korrigendum gebracht. Dies habe auch SRF getan und zudem das Bild ausgetauscht.

Den Medien, welche das Bild ohne Wissen um die Krankheit des Jungen veröffentlichten, habe Israel Desinformation vorgeworfen: Die Medien würden das Bild eines kranken, behinderten Kindes benutzen, um die Darstellung einer Hungersnot im Gazastreifen zu verbreiten, hiess es.

Die Ombudsleuten bejahen, dass die Verwendung des Bildes falsch gewesen sei, da der Zustand des Kindes nicht primär auf das Hungern zurückzuführen sei. Ebenso falsch sei jedoch auch zu behaupten, dass keine Hungersnot herrsche und «ein falsches Narrativ einer Hungersnot verbreitet» werde.

Für die Ombudsleute geht es nun darum zu untersuchen, ob SRF die wahre Ursache für den Zustand des Kindes hätte erkennen bzw. prüfen müssen. Dazu haben die Ombudsleute den Online-Artikel sowie den «Tagesschau»-Beitrag separat betrachtet:

Das für den Online-Bericht verwendete Bild von der Agentur Reuters sei mit der Zusatzinformation zur Krankheit, an der der Knabe leidet, für SRF verfügbar gewesen. Zwar sei aus der Beschreibung nicht klar hervorgegangen, ob die Zerebral-Krankheit oder die Unterernährung für den abgemagerten Körper verantwortlich sei. Weil die Ursache aber nicht klar gewesen sei, hätte das Bild in den Augen der Ombudsleute ohne weitere Recherche so nicht gezeigt werden dürfen. Sie erkennen dadurch eine Meinungsverfälschung und somit die Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots durch den Online-Artikel.

Anders verhalte es sich beim Video-Bericht der beanstandeten «Tagesschau». Das Video stamme von der European Broadcast Union (EBU). Diese ist eine seriöse Quelle und wird weltweit von Medien genutzt. Hier sei kein Hinweis auf die Vorerkrankung des Kindes vermerkt gewesen. Es sei auch nicht klar erkennbar gewesen, dass der Knabe an Zerebralparese leide. Deshalb habe sich die Video-Redaktion von SRF darauf verlassen dürfen, dass das Aussehen des Kindes einer gravierende Mangelernährung geschuldet sei. Im «Tagesschau»-Beitrag sehen die Ombudsleute somit keine vermeidbare Meinungsverfälschung und dementsprechend keine Verletzung des Radio- und Fernsehgesetzes.

Text: SRG.D/dl

Bild: Reuters/Mahmoud Issa; Hintergrund bearbeitet von SRG.D. Das Bild zeigt Kinder im Gazastreifen, die auf Essen warten.

Tags

Alle Schlussberichte der Ombudsstelle jetzt ansehen

Weitere Neuigkeiten