Oceana Galmarini: Keine Angst vor heiklen Themen

Oceana Galmarini steht als Moderatorin und Redaktorin von «Schweiz aktuell» für einen Journalismus mit Haltung, Nähe und Gespür für relevante Geschichten aus den Regionen. Ein Gespräch über Idealismus, magische Livemomente und mediale Vertrauenskrisen.

Oceana Galmarini wusste bereits am ersten Tag ihres Praktikums bei Radiotelevisiun Svizra Rumantscha (RTR) in Chur: «Das ist es, das ist meins.» Sie war 20, kam ohne konkrete Pläne – und war vom ersten Moment an fasziniert.In den folgenden Monaten sog sie alles auf, was sie konnte. «Das Praktikum war ein grosser Glücksfall, und ich wollte so viel wie möglich daraus machen.» Dabei hatte sie nie davon geträumt, einmal für das Fernsehen zu arbeiten.

Ihre frühe Kindheit verbrachte sie in Herisau, mit sechs Jahren zog sie mit ihrer Familie nach Ardez ins Unterengadin. Nach der KV-Lehre absolvierte sie die Berufsmatura; ein ganz normaler Werdegang. «Doch dann plötzlich zog es mir im Journalismus den Ärmel rein.» Von 2014 bis 2016 bildete sie sich an der Schweizer Journalistenschule MAZ aus. Parallel dazu absolvierte sie eine zweijährige Stage bei RTR. Sie schrieb und schnitt Beiträge, führte Interviews, drehte im Studio und draussen im Feld. «Das war eine grosse Spielwiese für mich», erinnert sich Galmarini. «Zudem hatte ich das Glück, mit Menschen arbeiten zu können, die mir etwas zutrauten.»

Nach verschiedenen Stationen beim RTR wechselte sie im März 2020 zum Moderationsteam von «Schweiz aktuell». Ihr romanisches «A revair» am Schluss der Sendung wurde rasch zu ihrem Markenzeichen. Die 32-Jährige steht aber nicht nur vor der Kamera – sie recherchiert Geschichten, plant Sendungen und ist als Reporterin im ganzen Land unterwegs. «Mittlerweile kenne ich wohl jedes Sandwich von jeder Tankstelle», sagt Galmarini lachend.

Die Arbeit unterwegs ist für sie das Herzstück des Formats. «Diese Nähe zu den Menschen ist einzigartig. Weil wir häufig live sind, erleben wir magische Momente, die man nicht planen kann.»

«Wir sind bei den Leuten, wenn es brennt.»

«Schweiz aktuell» erzählt Geschichten aus der Schweiz – nicht primär aus dem Bundeshaus, sondern aus den Gemeinden, Kantonen, Regionen. «Wir sind bei den Leuten, wenn es brennt, wenn etwas passiert, wenn etwas politisch oder gesellschaftlich relevant wird.» Doch wie findet man die richtigen Geschichten? Was ist über die Region hinaus relevant? Oceana Galmarini beschreibt

das Spannungsfeld so: «Wenn eine Story zu lokal ist, schaltet der Basler beim Beitrag aus dem Wallis ab. Und umgekehrt. Aber wenn sie trotz Regionalität eine nationale Relevanz hat – dann funktioniert sie.» Die tägliche Herausforderung für die Redaktion: Themen finden, die möglichst viele Menschen in verschiedenen Landesteilen ansprechen, berühren, interessieren. Mal ist es ein Dorf, das sich gegen eine geplante Umfahrung wehrt. Mal ein exklusiver Einblick in ein grosses Kulturereignis. Und dann behandelt «Schweiz aktuell» immer auch wieder brisante Themen – politische Skandale, Wirtschaftskrimis, Missstände bei Ämtern und Behörden.

Besonders bei solchen Geschichten blüht Galmarini auf: «Ich habe keine Angst vor heiklen Themen. Wenn es brenzlig wird, kommt mein Idealismus zum Vorschein.» Für sie ist klar: Journalismus muss nicht nur erzählen, sondern auch einordnen. Und er muss dorthin schauen, wo es wehtut. «Das ist unsere Aufgabe, auch wenn es unbequem ist.» Dazu braucht es Haltung, Ausdauer, Kritikfähigkeit. «Und vor allem Qualität. Wir müssen bei SRF nicht immer die Ersten sein, aber wenn wir berichten, muss es Hand und Fuss haben.»

«Sprache ist Ausdruck der Identität.»

Neben «Schweiz aktuell» gibt es bei SRF zwei weitere News-Flaggschiffe: die «Tagesschau» und «10vor10». Oft werden sie verglichen. Für Galmarini ist klar: Jede Sendung hat ihr eigenes Profil und ihre Berechtigung. Was «Schweiz aktuell» besonders mache, seien die Livepräsenz und die Nähe zu den Menschen. «Und wir senden auf Schweizerdeutsch – das schafft nochmals eine ganz andere Verbindung.» Die Vielfalt ist auch in der Redaktion spürbar: Dialekte aus der ganzen Schweiz, ein Team mit unterschiedlichsten Biografien.

Sprache ist für Galmarini denn auch mehr als ein Werkzeug. «Sie ist Ausdruck der Identität.» Die Journalistin ist nicht nur in der rätoromanischen Schweiz, sondern auch mit gehörlosen Eltern aufgewachsen. Die Gebärdensprache lernte sie als Kind. «Das ist nicht einfach eine andere Sprache, das ist eine eigene Kultur.» Mit eigenem Humor, eigenen Codes, eigenem Sozialverhalten. Dass «Schweiz aktuell» seit 2021 simultan in Gebärdensprache übersetzt wird, freut sie deshalb besonders. «Früher konnte meine Mutter meine Sendung nicht verstehen, heute kann sie sie mitverfolgen. Das finde ich megaschön.»

Auch abseits des Scheinwerferlichts umgibt sich Galmarini gern mit Menschen. Sie liebt es, Freundinnen und Freunde zum Apéro einzuladen, draussen zu sitzen, zu kochen, zu reden. «Bei meinen sozialen Kontakten lade ich meinen Akku auf.» Auch Bewegung ist ihr wichtig: Wandern, Fitness, Natur. «Ich spüre meinen Körper gern – und es darf ruhig auch mal ein bisschen wehtun.» Und dann ist da noch die Fotografie, eine alte Liebe. Bereits als Kind kaufte sie sich mit Erspartem ihre erste Digitalkamera. Während der Ausbildung am MAZ wurde das Hobby zur Passion. «Ein Gesicht einzufangen, ist wie ein Geschenk. Es ist, als könnte man einen Moment der Schönheit an- und festhalten.»

«Wir brauchen gute Medien mehr denn je.»

Trotz aller Leidenschaft für den Journalismus und die Damit verbundenen Medien sieht Galmarini auch die Schattenseiten. Immer mehr Menschen wendeten sich von den Medien ab, misstrauten ihnen, mieden sie. «Ich erlebe das im eigenen Umfeld. Viele sagen: ‹Ich konsumiere keine News mehr, weil es mir nicht guttut.›» Hinzu kommt der wirtschaftliche Druck, der sich auch bei SRF bemerkbar macht. Und doch bleibt sie überzeugt: «In einem demokratischen System braucht es eine Instanz, die hinschaut, kritisch bleibt, aufdeckt.» Der Journalismus sei vielleicht nicht perfekt, aber unverzichtbar. «Wir brauchen gute Medien mehr denn je.»

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Text: Daniel Schreiber

Bild: SRF/Gian Vaitl

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