Marcus Niedermann: So schafft der SRF-Korrespondent Verständnis über den Gotthard hinweg

Gemäss Konzessionsauftrag fördert die SRG die Verständigung, den Zusammenhalt und den Austausch zwischen den Landesteilen. Wo sich diese Kohäsionsaufgabe im audiovisuellen Programm niederschlägt, zeigen verschiedene Mitarbeitende der SRG in dieser Kolumne auf. Diesmal schreibt SRF-Tessin-Korrespondent Marcel Niedermann über Alltag und Anbindung der italienischen Schweiz.
Zur Person
Marcel Niedermann ist TV-Korrespondent im Tessin für SRF.
Polenta, Palmen und Lago Maggiore – das Tessin ist für viele Deutschschweizer:innen ein beliebtes Ferienziel. Doch oft bleibt das Bild vom Südkanton oberflächlich und klischeehaft. Kein Wunder also, dass sich viele Ticinesi von ihren Miteidgenossen im Norden missverstanden fühlen.
Der Gotthard verbindet – und trennt. Zwar ist der Süden durch den Basistunnel gut erreichbar, doch sprachliche Hürden und kulturelle Unterschiede bleiben bestehen. Das zeigt sich im Alltag: Wenn Deutschschweizer:innen im Tessin auf Mundart statt auf Hochdeutsch kommunizieren, wirkt das auf viele Einheimische befremdlich – denn Hochdeutsch ist die Sprache, die sie in der Schule lernen.
Als SRF-Korrespondent im Tessin versuche ich, hinter die Fassade der «Sonnenstube der Schweiz» zu blicken. In Berichten für News- und Hintergrundsendungen sowie auf der SRF-App zeige ich, was die Menschen im Südkanton bewegt – jenseits von Ferienidylle und Postkartenmotiven. So gelingt es, ein grösseres Verständnis füreinander zu schaffen.
Im August 2023 entgleiste ein Güterzug. Die Zugverbindung durch den Gotthard war über ein Jahr unterbrochen. Als kurz darauf auch der Strassentunnel wegen eines Deckenrisses gesperrt wurde, fühlten sich viele Tessiner:innen buchstäblich vom Rest der Schweiz abgeschnitten.
Es war ein Schockmoment für den Südkanton. Diese Erfahrung hat deutlich gemacht, wie wichtig die Anbindung an den Norden ist – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch emotional. Dies zeige ich in Einschätzungen und Beiträgen. Beispielsweise, wenn die Politik in Bern über Tunnelgebühren diskutiert, was aus Tessiner Sicht eine klare Benachteiligung wäre.
«Es ist ein Privileg, die italienische Schweiz journalistisch zu begleiten.»
Auch wirtschaftlich nimmt das Tessin eine Sonderrolle ein: Rund ein Drittel der Erwerbstätigen sind Grenzgänger:innen aus Italien – deutlich mehr als in anderen Grenzregionen. Die sogenannten Frontalieri prägen die politische Debatte seit Jahrzehnten: vom Lohndruck über Verkehrsprobleme bis hin zum Finanzausgleich.
Unsere Aufgabe als Journalist:innen ist, diese Realitäten sichtbar zu machen – und so das Verständnis zwischen den Sprachregionen zu fördern. Das gelingt nur im engen Austausch: Wir arbeiten mit Kolleg:innen von RSI zusammen, recherchieren gemeinsam, tauschen Themen aus und unterstützen uns gegenseitig bei Dreharbeiten und Interviews.
Das Tessin ist mehr als nur ein Ferienkanton. Es bereichert die Schweiz mit seiner Sprache, seiner Kultur und seiner besonderen Perspektive. Die gelebte Italianità – charmant, herzlich, aber klar schweizerisch geprägt – ist ein wertvoller Teil unserer nationalen Identität.
Es ist ein Privileg, die italienische Schweiz journalistisch zu begleiten. Und vielleicht trägt unsere Arbeit dazu bei, dass beim nächsten Ausflug in die Sonnenstube nicht nur die Sonne, sondern auch das gegenseitige Verständnis ein bisschen heller scheint.
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