«10vor10»-Bericht über «Rammstein»-Video war gerechtfertigt
In einem Video provozierte die deutsche Band «Rammstein» mit einer KZ-Szene. «10vor10» vom 5. Juni 2019 berichtete darüber. Eine Zuschauerin beanstandete diesen Beitrag. Sie kritisiert die zynische Verwendung des Holocausts zu Werbezwecken durch die Band. SRF habe mitgeholfen, das unermessliche Leid des Holocausts zu verharmlosen.
Anlass für den Bericht in der Sendung «10vor10» war das Konzert der erfolgreichen wie umstrittenen deutschen Rockband «Rammstein» vom 5. Juni 2019 im Stade de Suisse in Bern. Das Konzert fand im Rahmen der Europatournee zum 25-jährigen Bestehen der Band statt. Zum neuen Song «Deutschland» veröffentlichte die Band im März 2019 einen Teaser. Dieser ist ein Ausschnitt aus dem einen Tag später veröffentlichten gesamten Clip und zeigt die Bandmitglieder als KZ-Häftlinge am Galgen stehend mit einem Strick um den Hals. Mit dieser Provokation löste die Band ein grosses Medienecho und heftige Diskussionen aus.
Die Beanstanderin fühlt sich als Jüdin und Zeitzeugin des 2. Weltkrieges durch die, Zitat, «zynische Verwendung von Kostümen aus der Nazizeit» persönlich verletzt und beleidigt. Die Band habe nur Aufsehen erregen und Reklame für sich machen wollen. Mit dem ausführlichen Bericht hat SRF in den Augen der Beanstanderin der Band dabei geholfen.
Berichterstattung als journalistische Aufgabe
Christian Dütschler, Redaktionsleiter «10vor10», und Corinne Stöckli, Fachspezialistin SRF, nehmen Stellung zur Beanstandung. Die Redaktion habe sich bei der Entstehung des Beitrages eingehend Gedanken gemacht, ob sie darüber berichten und die umstrittene Szene des Videos zeigen soll. Nach Gesprächen mit Experten, darunter ein Extremismus-Experte, hat sich die Redaktion dafür entschieden.
Im gesamten Videoclip von «Rammstein» geht es gemäss Dütschler und Stöckli um die deutsche Geschichte insgesamt. Die Bandmitglieder inszenieren sich darin in verschiedenen Rollen. Als germanische Kämpfer, Links-Terroristen, sozialistische Funktionäre, SS-Offiziere und schliesslich auch als KZ-Insassen. Sie thematisieren das Dilemma, dass man der Geschichte wegen Deutschland nicht lieben darf («Deutschland, meine Liebe kann ich Dir nicht geben»). Der Gesamt-Clip relativiere zwar den früher veröffentlichten Teaser. Doch die Provokation mit dem Teaser habe für Aufsehen gesorgt und so eine neue Stufe erreicht. «Wir sehen es gerade als unsere journalistische Aufgabe an, unserem Publikum aufzuzeigen, wie das System Rammstein funktioniert und wie dieses mit den fraglichen KZ-Bildern eine neue Eskalationsstufe erreicht hat», sind Dütschler und Stöckli überzeugt.
Im «10vor10»-Beitrag habe man kritische Distanz gewahrt und eine klare Haltung eingenommen. Ziel sei gewesen, die konkrete Grenzüberschreitung und das Konzept dahinter - eben die Provokation und die damit verbundene Aufmerksamkeit - aufzuzeigen und kritisch zu erläutern. So habe man deutlich gemacht, mit welchem Kalkül die Band den grenzüberschreitenden Teaser publiziert hat und wie dieser im Gesamtkontext zu verstehen sei. SRF habe die Bilder nicht für sich stehen gelassen, sondern nebst dem Aufzeigen des Gesamtkontexts die umstrittene Szene von einem Experten einordnen lassen.
Klare Botschaft
Ombudsmann Roger Blum gibt zu bedenken, dass man zwischen dem Programm der Rockgruppe «Rammstein» und der Sendung unterscheiden müsse. Man müsse auch unterscheiden zwischen Kunstfreiheit und dem, was sich moralisch verbiete. Zwar geniesse eine Band wie «Rammstein» Kunstfreiheit, doch gebe es Themen, die sich selbst als Provokation verbieten würden. Dazu gehöre der Holocaust. Es sei unerträglich, wenn er instrumentalisiert werde. Blum hält den Videoclip ebenfalls für unerträglich.
Blum erinnert an die Berichterstattungspflicht sowie die Kritik- und Kontrollfunktion der Medien. Es gehöre zu ihrer Aufgabe, auch über Widerwärtiges zu berichten. Diese Pflichten habe SRF wahrgenommen. Die Botschaft im Beitrag sei klar gewesen: Rammstein geht zu weit! «10vor10» sei nur der kritische Bote des Unerhörten gewesen, nicht der Verursacher. Die Sendung hat deshalb nicht gegen das Programmrecht verstossen. Obwohl der Ombudsmann die moralischen Einwände der Beanstanderin teilt, kann er die Beanstandung formal nicht unterstützen.
Schlussbericht Ombudsstelle 6017
Sendung «10vor10» vom 5. Juni 2019: «Rammstein im Stade de Suisse in Bern»
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