«Kassensturz»: Beitrag über Anbindeställe war ausgewogen
In der Schweiz halten Bauern und Bäuerinnen über 40 Prozent der Milchkühe in Anbindeställen. Der «Kassensturz» thematisierte dies im Februar in einem Beitrag sowie in einem Studio-Interview. Mehrere Beanstandende kritisierten daraufhin die Ausgewogenheit der Sendung.
16 Beanstandungen erreichten die Ombudsstelle, nachdem der Kassensturz in der Sendung vom 22. Februar 2022 über das Thema Anbindestall berichtet hatte. Die Mehrheit der Beanstandenden kritisierte dabei die Ausgewogenheit des Beitrages und bezeichnete diesen als einseitig. Der Kassensturz hatte in einem Beitrag sowie in einem Studio-Interview über die Tierhaltungsform Anbindestall berichtet. Um den Zuschauerinnen und Zuschauern eine Vorstellung zu geben, welche verschiedenen Stallsysteme es für Milchkühe gibt, wurde im ersten Teil des Beitrags das Prinzip des Laufstalls erklärt. Ein Landwirt und sein Sohn erläuterten, warum sie sich für die Haltung in einem Laufstall entschieden haben. Anschliessend besuchte eine Reporterin einen Anbindestall im Berner Oberland, der für den «Kassensturz» von der Interessengemeinschaft Anbindestall für die Filmaufnahmen ausgewählt worden war. Nach dem Besuch führte eine wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) aus, welche Bedeutung die regelmässige Bewegung für Kühe hat. Am Schluss des Beitrags forderte eine Vertreterin des Zürcher Tierschutzes ein Verbot von Anbindeställen oder vorerst zumindest täglichen Auslauf oder Weidegang.
In einem kritischen Studiogespräch mit Markus Ritter, dem Präsidenten des Schweizer Bauernverbandes, wurde diese Forderung nach einem Verbot gleich zu Beginn thematisiert, von ihm aber klar zurückgewiesen. Der Präsident des Bauernverbandes machte geltend, dass ein Verbot von Anbindeställen nicht praktikabel sei, weil Pächter dies zum Beispiel nicht von sich aus entscheiden könnten. Die Moderatorin hakte mehrmals kritisch nach, bevor sie schliesslich auf die Massentierhaltungsinitiative zu sprechen kam. Der Präsident des Bauerverbandes begründete seine ablehnende Haltung dazu.
Stellungnahme der Redaktion
In Bezug auf die Ausgewogenheit erklärt die Redaktion, dass sowohl im längeren Beitrag als auch im ausführlichen Studiogespräch verschiedene Aspekte und Meinungen zu Anbindeställen thematisiert worden seien. Insgesamt hätten im Beitrag kritische Stimmen 1:51 Minuten Redezeit und Anbindestall-Befürworter 2:22 Minuten Redezeit erhalten. Mit Markus Ritter befand sich zudem ein überzeugter Fürsprecher von Anbindeställen im Studio. Er war es auch, der das letzte Wort in der Berichterstattung hatte. Angesichts dieser Umstände findet die Redaktion die Bemängelung, der Beitrag sei überhaupt nicht ausgewogen, nicht nachvollziehbar.
Einen weiteren Kritikpunkt machten die Beanstandenden im Titel des Beitrags aus. Wer die Sendung nachträglich online anschauen wollte, las dort die Überschrift: «Auslaufmodell Anbindestall: Wenn Milchkühe leiden.» Dies stiess auf Unverständnis bei mehreren Beanstandenden: «Der Titel beschuldigt mich als Landwirt mit Anbindehaltung der Tierquälerei. Aushänger mit falscher Tatsache. Milchkühe leiden nicht im Anbindestall.», so ein Zuschauer. Die Formulierung habe viele Emotionen und Missverständnisse hervorgerufen, was die Redaktion bedauere. Tatsächlich gehe die Zahl der Anbindeställe zurück und das Anbinde-System lasse viel weniger Bewegung zu, was nicht nur die Vertreterin des Tierschutzes, sondern auch die Agroscope-Mitarbeiterin thematisiert hätten. Die Formulierung der Überschrift sei nicht falsch, aber unglücklich gewählt. Es liege der Redaktion natürlich fern, die Bauern vor den Kopf zu stossen. Aus diesen Gründen habe man in der Kurzbeschreibung im SRF-Player die Überschrift umformuliert in «Tierschützer kritisieren Anbindeställe».
Stellungnahme der Ombudsstelle
Die Ombudsstelle versteht, dass sich betroffene Bäuerinnen und Bauern über den «Kassensturz»-Beitrag geärgert haben. Kein Tierhalter schätzt es, wenn er kritisiert wird. Wie die Redaktion richtig festhält, wurden die verschiedenen Stimmen pro und kontra Anbindeställe aufgezeigt. Von Anfang an wurde klargestellt, dass Anbindeställe gesetzlich zulässig sind, dass Tierschützerinnen und Tierschützer diese Tierhaltung aber als nicht immer dem Tierwohl entsprechend bezeichnen. Die zitierte Tierschützerin räumt hingegen sogar ein, dass Anbindeställe akzeptierbar seien, wenn die Kuh täglich ihren Auslauf bekommt. Es liegt in der Natur der Sache, dass die betroffenen Beanstandenden vor allem die kritischen Stimmen gegen die Anbindeställe hörten. Dem ist entgegenzuhalten, dass nicht nur rein mathematisch die Ausgewogenheit gewährleistet war, sondern auch von den Aussagen her. Nicht zuletzt durch das Gespräch mit Markus Ritter, dem Präsidenten des Schweizerischen Bauernverbands. Nirgends wurden falsche Aussagen gemacht und nirgends wurde bewusst einseitig interpretiert.
Die Ombudsstelle teilt allerdings die Meinung derjenigen Beanstandenden, die den Titel im SRF-Player als nicht sachgerecht kritisieren. Bei einem gut geführten Anbindestall mit regelmässigem Auslauf, genügend langen Lägern und genügend Abstand zur nächsten Kuh leidet das Tier nicht nur nicht, es hat es unter Umständen sogar besser als eine Kuh in einem schlecht ausgestatteten Laufstall. Auch die Bezeichnung «Auslaufmodell» ist nicht korrekt. Das Ausmass des Rückgangs deutet nicht auf ein «Auslaufmodell» hin und vor allem insinuiert der Titel, die Anbindeställe gingen einzig aus Haltungsgründen zurück. Es sind aber auch andere Faktoren – Investitionskosten beim Umbau der Ställe oder ganz generell ein Ausstieg aus der Tierhaltung oder der Landwirtschaft – für den Rückgang möglich.
In diesem Punkt erachtet die Ombudsstelle das Sachgerechtigkeitsgebot gemäss Art. 4 Abs. 2 des Radio- und Fernsehgesetzes als verletzt. Die Redaktion hat den Titel denn auch geändert. In den anderen kritisierten Punkten erachtet die Ombudsstelle das Sachgerechtigkeitsgebot als nicht verletzt.
«Kassensturz» vom 22.02.2022 im Video
«Kassensturz» vom 22.02.2022 im Video
- Beitrag zu Anbindeställen ab 6:58
- Studiointerview mit Markus Ritter ab 17:40
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