Ueli Jaeggi
SRG Deutschschweiz Magazin LINK

«Humor entsteht aus Liebe zu den Menschen»

Ueli Jäggi ermittelt auf SRF als kauziger Privatdetektiv Franz Musil, auf SWR als wortkarger «Tatort»-Kommissar Xaver Finkbeiner. LINK unterhielt sich mit dem passionierten Hör- und Schauspieler über seinen neusten Musil-Fall, über Hörspiele, Humor und Service public.

– Interview von Brigitte Maurer

LINK: Franz Musil löste nach vier Jahren Pause seinen achten Fall. Was unterschied diese Produktion von früheren?
Ueli Jäggi: Wir hatten neu eine «Mono-Autorenschaft». Früher gab es eine starke Zusammenarbeit zwischen Jean-Michel Räber und Regisseur Fritz Zaugg. Nach dem Tod von Fritz Zaugg im 2013 schrieb Räber den Fall alleine. Mit Mark Ginzler stiess auch ein neuer Regisseur zu uns, den ich bereits von SWR-Produktionen kenne. Seine Ästhetik, seine gestalterische Handschrift flossen ein.

Der neue Regisseur konnte mit Ihnen auch auf einen äusserst erfahrenen ­Hörspieler zurückgreifen.
Die Figur Franz Musil wurde ja von Fritz Zaugg und mir ins Leben gerufen und im Laufe der Zeit immer mehr von mir gestaltet, gefüllt. Ich konnte sie aus mir heraus kreieren und genoss dabei grosse Freiheit. Bei einer solchen Figur ist der Humor das Wichtigste. Mit Fritz Zaugg teilte ich dasselbe Verständnis von Humor. Das trifft auch auf Mark Ginzler zu. Deshalb schrieb ich beim neusten «Musil» die Zwischenkommentare mit. Auch, weil ich weiss, wie Musil denkt, wie er die Welt sieht, sie schildert. Ich lebe ja seit über zwanzig Jahren mit ihm.

Sie haben fast dreissig Hörspiele zusammen mit Fritz Zaugg realisiert.
Dabei wuchs eine feine Freundschaft, wir hatten dieselbe Sicht auf die Welt, eine besondere Zuneigung für Menschen. Wenn man die Menschen nicht liebt, in ihrem verqueren Denken und Leben, dann kann man keinen Humor entwickeln. Humor entsteht aus Liebe zu den Menschen, aus Liebe zu deren Widersprüchlichkeit. Darüber zu lachen, heisst nicht, dass man sie auslacht. Vielmehr betrachtet man liebenswürdig ihre Schwächen.

Wenn man die Menschen nicht liebt, in ihrem verqueren Denken und Leben, dann kann man keinen Humor entwickeln.

Musil gerät im neusten Fall in den undurchsichtigen Rohstoffhandel. Wie politisch sind Musil-Krimis?
Jeder Krimi hat auch einen Realitätsbezug, Musil ist von den Wogen der Aktualität nicht ausgenommen. Dieses Mal im «Bonsai-Kanton mit Singapur-Allüren». Die Musil-Geschichten enthalten zwar politische Anspielungen, aber Musil hat, ausser dem Humor und dem «Scheitern als Chance», keine direkte politische Botschaft.

Welches war Ihr erstes Hörspiel als Radiohörer?
«Rosa, es Gnagi! Es Gnagi, Rosa!» – Als Bub hörten wir Kinder «Polizischt Wäckerli» von und mit Schaggi Streuli, während meine Mutter strickte.

Und als Hörspieler?
Mit zwanzig Jahren, in Basel als Mitglied des «Cabaret Stirbelwurm». Produzent Paul Burkhalter wollte damals die Zürcher Unterhaltungsmafia sprengen und strahlte unser Programm «Plattscheibe» live aus dem Radiostudio Basel aus.

Welche Art von Hörspiel fasziniert Sie am meisten?
Mich interessiert vor allem die Vielfäl­tigkeit. Es ist wie mit guter Musik: Mich verblüffen diejenigen Musiker, bei denen die Musik aus dem tiefsten Innern kommt. Und die ihr Instrument immer wieder anders bespielen. Meine Instrumente sind meine Stimme, mein Ohr und mein Umgang mit Sprache. Das ist faszinierend.

Was unterscheidet den Hörspieler vom Schauspieler?
Gestik, Mimik ... All dies gibt es nicht. Man ist komplett reduziert. Wir arbeiten «nur» mit der Sprache, mit dem Ton, der Stimme. Die Figur muss aber genauso dreidimen­sional werden, wie wenn sie einem vor ­Augen wäre. Diese Konzentration, diese ­Reduktion ist absolut aufregend.

Was ermöglicht Hörspiel, das weder Bühne noch Film bieten können?
Es ist näher an einem Buch. Auch hier bildet man die Landschaften einer Person und das Drumherum im Kopf. Jeder hat die Möglichkeit, sich selber Bilder zu machen. Man baut sich seine eigene Welt, die ganz anders ist als diejenige des Nachbarn. Das Hörspiel gewährt also eine gewisse anarchische Freiheit, die weder im Theater noch im Film möglich ist.

Das Hörspiel gewährt eine gewisse anarchische Freiheit, die weder im Theater noch im Film möglich ist.

Braucht es im multimedialen Zeitalter noch Hörspiele?
Ja! Es braucht alle Medien, alles, was kulturelle Bildung ausmacht. Weil dies die Leute im Denken und im Wahrnehmen der Umwelt emanzipiert. Und weil es sich um Nahrung für Seele und Geist handelt, denn die ist lebensnotwendig. Kommunikation, Sozialisierung ... Wir lernen, sehen, erleben über die Literatur, im Theater, in Filmen, über Radio, Hörspiele. Wir brauchen Kultur, sie ist auch unser Spiegel, gibt Denkanstösse. Wenn wir sie nicht mehr ­haben, verkümmern wir. Und die Gesellschaft zerfällt. Deshalb brauchen wir auch den Service public.

Hätte das Hörspiel ohne die SRG eine Zukunft?
Wohl kaum. Der Service public bezeichnet etwas, das nicht rentiert. Das Hörspiel, das Theater kommt nicht direkt als Rendite zurück. Aber genau deshalb zahle ich Steuern und Empfangsgebühren. Denn dann weiss ich: Ich trage eine Verantwortung, beteilige mich am gesellschaftlichen Prozess. Und wenn ich gute Programme empfange, zahle ich auch 462 Franken im Jahr dafür. Beim Service public zählt nicht der Rentabilitätsfaktor, sondern der kulturelle Faktor.

Wir brauchen Kultur, sie ist auch unser Spiegel, gibt Denkanstösse. Wenn wir sie nicht mehr ­haben, verkümmern wir. Und die Gesellschaft zerfällt.

Welches Stück würden Sie einem Jugendlichen empfehlen?
Franz Musils vierter Fall «Blitz, blank und tot». Das ist ein Hörkrimi, der sich um mysteriöse Todesfälle in Altersheimen dreht, die Musil den Schlaf rauben. Gestresst wird er zusätzlich von Freundin, Hündin und einer jungen Frau ...

Ihre nächste Hörspielproduktion?
Anfang 2015 plant SWR wieder einen Radio-«Tatort», bei dem ich jeweils als Kriminaloberrat Xaver Finkbeiner mitspiele. Der nächste «Musil» ist auch schon angedacht, das Legenest gemacht, die Eier sind aber noch nicht gelegt.

Danke höfli, Herr Jäggi.

Interview: Brigitte Maurer

Bild: Thomas Züger


SRF und Christoph Merian Verlag

Seit fast zehn Jahren publiziert der Christoph Merian Verlag aus Basel in enger Zusammenarbeit mit der Hörspielredaktion von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) Hörspiele in einer gemeinsamen Edition und sorgt für deren Präsenz im Buchhandel. Auf eine ausgewogene Mischung im Programm wird Wert gelegt: Vom anspruchsvollen Literaturhörspiel über kultige «Musil»-Krimis bis zu Originalhörspielen präsentiert die Reihe das Hörspielschaffen von SRF in seiner ganzen Vielfalt.

Neben dem Hörbuchprogramm verlegt der Christoph Merian Verlag auch Bücher im Bereich Kunst, Fotografie und Architektur sowie Sachbücher mit Bezug zur Region Basel.

Weitere Infos zum Verlag:
www.merianverlag.ch


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