SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

Satiresendung «Zytlupe» über Landeshymne und SVP-Wahlkampfsong beanstandet (Teil VIII)

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Mit E-Mail vom 13. Oktober 2015 haben Sie die Sendung „Zytlupe“ vom 19. September auf Radio SRF 1 beanstandet.

Wie üblich, habe ich die Verantwortlichen von Radio SRF gebeten, zu Ihren Kritiken Stellung zu beziehen. Dies ist erfolgt und in der Zwischenzeit habe ich die von Ihnen kritisierte Sendung analysieren können. Ich bin somit in der Lage, Ihnen heute meinen Schlussbericht zu senden.

1. Sie begründen Ihre Reklamation wie folgt:

„Ich habe mit Herrn Grossrat Johner von Kerzers Kontakt gehabt, der sich wie ich über die oben erwähnte Sendung aufgehalten hat. Ich habe mich im Anschluss an die Sendung auf der SRF-Homepage zu Wort gemeldet, aber keine Antwort erhalten. Was Stefanie Grob geboten hat, übersteigt die Grenzen des Anstandes. Ich bin nicht (mehr) Mitglied der SVP, aber wie diese Partei verunglimpft wurde, darf nicht unwidersprochen bleiben. Die Begriffe "Neonazi", "Euthanasie", "Gaskammern", "Heil Hitler" oder "Schwarzes Hakenkreuz auf rotem Grund", mit einer Partei in Verbindung gebracht, passen wirklich nicht in eine Sendung unseres "Staatsradios", auch wenn diese als Satire deklariert wird.

Es ist erstaunlich, dass die Sendung nicht heftige Reaktionen in den Medien ausgelöst hat - vielleicht besser so, um die Stimmung vor den Wahlen nicht anzuheizen“.

2. Wie bereits erwähnt, haben die Verantwortlichen von Radio SRF zu Ihren Kritiken Stellung bezogen. Ich möchte Ihnen das Schreiben von Frau Anina Barandun, Re­daktionsleiterin „Zytlupe“, nicht vorenthalten. Sie schreibt Folgendes:

„Die Zytlupe von Stefanie Grob vom 19. September 2015 thematisiert zwei aktuelle Versuche, unsere Landesidentität in Musik und Text abzubilden: zum einen den Na­tionalhymnen-Wettbewerb der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft SGG, zum anderen das Novum, dass sich eine Partei im Wahlkampf mit youtube-Songs zu Wort meldet.

Die Autorin Stefanie Grob geht zunächst von den Liedtexten aus, die sie formal und inhaltlich aufs Korn nimmt, im Ganzen aber nicht ohne Sympathie kommentiert. Doch der Text des Wahl-Songs «Welcome to SVP» erhält im Video-Clip eine visuelle Ebene, die weit über den reinen Wortlaut des Songs hinausgeht und deshalb Fragen aufwirft. Fragen, die der SVP unmittelbar nach der Lancierung des Videos am 11. September bereits von der «Basellandschaftlichen Zeitung» und dem «Blick» gestellt wurden, aber nie eine Antwort erfahren haben.

Konkret geht es um die Zahl 88, die auf dem T-Shirt einer Tänzerin ins Auge springt. (Alle anderen Tänzerinnen tragen einfarbige oder diskret gemusterte T-Shirts.) Wie auch die erwähnten Medien umgehend erkannt haben, ist die Zahl 88 ein gebräuch­licher Zahlencode der Neonazis, um im Geheimen «Heil Hitler» zu sagen. (Das H ist der 8. Buchstabe im Alphabet.) Geheim ist dieser Code allerdings schon lange nicht mehr. Eine einfache Google-Suche unter dem Stichwort «Symbol 88» führt auf An­hieb zu einem halben Dutzend Artikel über rechtsextreme Zahlen und Zeichen. Ent­sprechend haben Presse und Öffentlichkeit wiederholt auf diese Symbolzahl reagiert: Die Waschmittelmarke «Ariel» hat während der Fussball-WM 2014 die Zahl 88 in der Art eines Trikots der Nationalmannschaft auf ihre Packungen gedruckt (eine Packung reiche für 88 Waschgänge, so die Erklärung der Firma) und damit einen Medien-Skandal ausgelöst. Gökhan Inler wurde mit harschen Reaktionen konfrontiert, als er sich bei seinen italienischen Clubs die Rückennummer 88 wünschte. Am Rand der 1. August-Feier in Basel kam es zu gewalttätigen Übergriffen. Einer der Angreifer wird von der Polizei wie folgt beschrieben und gesucht: «Unbekannter, Glatze, Tätowie­rung 88 am Hals».

Dass der verschlüsselte Hitlergruss in der Wahlkampagne der SVP auftaucht und dass sich die Partei, deren wichtigste Exponenten allesamt im Video-Clip mitspielen, nie davon distanziert hat: Das ist das Thema, das Stefanie Grob in ihrem Satire-Bei­trag aufgreift und vergrössert, ganz gemäss dem Titel der Sendung «Zytlupe». Auch die maximale Zuspitzung in der Schlusspassage hat die Autorin nicht künstlich her­gestellt, sondern denkt konsequent zu Ende, was das Video mit der prominenten Platzierung der Zahl 88 suggeriert. Ob dies in provokativer Absicht oder aus Unwis­senheit geschieht, ist unklar. Klar ist, dass weder das eine noch das andere die Autoren des Videos ihrer Verantwortung enthebt. Nach den bekannten Fällen der jüngeren Zeit ist allerdings davon auszugehen, dass ihnen die versteckte Botschaft bekannt sein musste.

Der Autorin und der Redaktion ist bewusst, dass die Satire vom 19. September scharf und pointiert war. Diese Eigenschaften aber sind der Satire immanent. Hinge­gen war der Beitrag weder tatsachenwidrig noch ehrverletzend. Er hat keine religiö­sen Gefühle tangiert und verstösst somit nicht gegen die publizistischen Leitlinien von SRF. Die entscheidende Frage ist vielmehr: Steht der Satiretext in einem nach­vollziehbaren Zusammenhang zu seinem Auslöser? Wir sind überzeugt, dass dies der Fall ist.

Nachtrag:

Unsere Satire-Sendungen entstehen Woche für Woche aufgrund eines intensiven Dialogs zwischen dem Autor / der Autorin und dem zuständigen Redaktor / der zu­ständigen Redaktorin. Natürlich bedenken wir immer auch das mediale Umfeld einer Satire-Produktion. So tendierten wir nach der öffentlichen Auseinandersetzung zwi­schen der SVP und unseren Redaktionskollegen vom «Kassensturz» vorerst dazu, ein anderes Thema zu suchen. Doch da der codierte Hitlergruss andernorts keine Debatte auslöste, entschieden wir uns, am Thema festzuhalten. Satire ist in solchen Fällen prädestiniert, ja geradezu verpflichtet, nachzuhaken. Das ist ihr demokrati­scher Auftrag. Satire muss vom publizistischen Gebot der Ausgewogenheit ausge­nommen sein, denn Satire und Ausgewogenheit schliessen sich gegenseitig aus. In den Worten von Kurt Tucholsky: «Satire bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.»“

3. Soweit die ausführliche Stellungnahme der Redaktionsleiterin von „Zytlupe“. Frau Anina Barandun analysiert die Sendung und argumentiert glaubwürdig, warum ihrer Meinung nach Ihre Beanstandung abgewiesen werden sollte.

Geht es um meine eigene Beurteilung, so habe ich für Ihre kritischen Bemerkungen durchaus Verständnis. Denn es ist nicht zu bestreiten, dass die Berner Autorin Stefa­nie Grob in der Sendung „Zytlupe“ vom 19. September die SVP in Verbindung mit dem Rechtsextremismus gebracht hat. Die Begründung: Im Video zum Wahlkampf­song „Welcome to SVP“ trägt eine Tänzerin vor versammelter SVP-Prominenz ein T-Shirt mit der Aufschrift „88“ (siehe Bild aus der Zeitschrift „Hebdo“).

Nun ist aber die Zahl 88 in der Neonazi-Szene bekanntlich ein Code für „Heil Hitler“, was in einem Wahlkampfvideo einer politischen Partei grundsätzliche Fragen aufwirft. Stefanie Grob nahm diesen Umstand auf und im Zusammenhang mit ihrer Satire über die Schweizer Hymne nahm sie die „bitzli Hitlersymbolik“ im Video der SVP auseinander. Hat was Stefanie Grob geboten hat „die Grenzen des Anstandes übersteigt“, wie Sie es monieren?

Bei der Beurteilung Ihres Vorwurfs muss der spezielle Charakter von satirischen Sendungen zwingend berücksichtigt werden. Wie von Frau Anina Barandun bereits betont, gilt praxisgemäss, dass die Satire ein besonderes Merkmal der Meinungs­äusserung ist, bei dem sich die Form bewusst nicht kongruent zur angestrebten Aussage verhält. Die Form der Satire übersteigt die Wirklichkeit, verfremdet sie, stellt sie um, kehrt wieder zu ihr zurück, banalisiert sie, karikiert sie, macht sie lächerlich. In diesem Sinne profitiert die Satire von der in den Artikeln 16 und 26 BV sowie in Artikel 10 EMRK gewährleisteten Meinungsäusserungs- und Kunstfreiheit. Der Rah­men, den satirische Sendungen zu beachten haben, ist demnach mit anderen Wor­ten sehr weit abgesteckt.

Die – grosszügige – Praxis lässt in satirischen Sendungen sehr vieles zu, was in nicht-satirischen Sendungen nicht mehr als zulässig bezeichnet werden könnte. Die Praxis erlaubt der Satire auch pointierte Aussagen, welche der Wirklichkeit nicht ent­sprechen oder gar widersprechen. Das Publikum ist sich dessen bewusst und nimmt die einzelnen Aussagen – vorliegend die scharfen und pointierten Kommentare über das Symbol „88“ im SVP-Video – nicht für bare Münze.

Voraussetzung dafür, dass eine Sendung vom „Satireprivileg“ Gebrauch machen kann, ist allerdings, dass diese Sendung als Satire erkennbar sein muss, was bei „Zytlupe“ eindeutig der Fall ist. Laut Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gilt, dass je öffentlicher und einflussreicher eine Person ist, des­to stärker ist die Satire, die sich gegen diese Person richtet, geschützt. Der Spiel­raum für Einschränkungen ist entsprechend klein. Dasselbe gilt, wenn Satire Themen aufgreift, die politisch oder sonst von öffentlichem Interesse sind. Dies gilt eindeutig für die Sendung „Zytlupe“ vom 19. September. Sie geniesst deshalb besonderen Schutz und kann durchaus übertreiben und überspitzen, ohne die sonst geltenden rechtlichen Bestimmungen für Radio und Fernsehen zu verletzen.

Echte Satire soll aber ein Thema behandeln, das einen wahren Kern enthält. Der Boden, aus dem die Satire wächst, ist die Realität. Satire darf alles – nur nicht auf falschen Tatsachen aufbauen.

Der Bezug zur Realität ist im „Zytlupe“ eindeutig gegeben. Gewiss: Man kann sich über die Bedeutung des Symbols „88“ streiten. Das im SVP-Video zu sehende T-Shirt mit der Anschrift „Bronx 88“ ist eine weitverbreitete und populäre Marke, die keine Verbindung zur rechtsextremen Szene hat. Auch viele Sportler, insbesondere Basketball- und Eishockeyspieler, tragen öfters die Nummer 88, ohne dabei als rechtsextrem zu gelten. Doch es ist unbestritten, dass 88 auch zweimal für den 8. Buchstaben des Alphabetes steht und den Neonazis als Abkürzung für den Gruss „Heil Hitler“ dient. Ausserdem steht 88, wenn man das Alphabet von hinten abzählt, für die Buchstaben SS.

Nicht umsonst hat der Bundesrat selber im Jahr 2009 im Strafgesetzbuch einen neu­en Art. 261ter vorgeschlagen, um die Verwendung rassistischer Symbole mit Busse zu bestrafen. Darunter – und dies scheint mir wichtig zu betonen – wurde auch die Zahl 88 für „Heil Hitler“ als strafbar definiert. Wenn der Bundesrat nach der Ver­nehmlassung auf sein Reformvorhaben verzichtete, so ist dies insbesondere, weil es problematisch sein dürfte, die Strafnorm anzuwenden. Dies vor allem, wenn Symbole für Gleichgesinnte eine Bedeutung haben, sich ihr Sinn aber Aussenstehenden ver­schliesst. Der unbefangene Dritte weiss nicht, falls er diese Symbole überhaupt wahrnimmt, was diese bedeuten.

In ihrem Radiobeitrag hat Stefanie Grob diese Sachlage berücksichtigt. In ihrem Text hat sie eindeutig erklärt, warum die Zahl 88 auf dem T-Shirt einer Tänzerin im SVP-Video ihre kritische Reaktion provoziert: „88 isch die allgemein bekannti Abchürzig für Heil Hitler, s H isch dr acht Büächstabä im Alphabet u zwöimau H git Ha Ha u da lacht natürläch dr Neonazi wo so härzläch wiukommä gheissä wird vor SVP. U äs isch ungloubläch, das ä Bundesrat bi so öbbis mitmacht u ungschorä drvo chunnt. Bislang hetr no nid mau ä Stellignahm müässä abgäh, kei Dischtanzierig, nüt!“ Das Publikum war somit in der Lage zu verstehen, um was es ging, und sich darüber eine eigene Meinung zu bilden.

Besonders kritische Reaktionen hat der Schlusssatz des Beitrags von Frau Stefanie Grob verursacht: „U ja sorry, SVP weni öich itz dä Song chlaue, abr dir heit nä ja o klaut u zwar vom DJ Antoine. Drfür chöit dir ja schüsch d Landeshymne ha, di isch itz wieder frei. Villäch mit ‚schwarzes Hakenkreuz auf weiss-rotem Grund, unser Zei­chen für den Bund... ja wüu wenn, de doch grad Klartext. Kes Blatt vor z Muu näh, das propagieret dir doch immer. Auso hörät doch uf mit 88 HaHa. I fingä heil äh hei, singet doch Klartext!“ Doch ich bin der Meinung, dass auch diese provokative Aufforderung die Grenze des in einer Satire Zulässigen vielleicht geritzt, aber nicht überschritten hat.

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass ich zwar für Ihre Reaktion Verständnis habe, Ihre Beanstandung aber, soweit ich darauf eintreten konnte, nicht unterstützen kann.

4. Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG entgegenzunehmen. Über die Mög­lichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI (Monbijoustrasse 54A, Postfach 8547, 3001 Bern) orientiert Sie der beiliegende Auszug aus dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen.

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