
«Unvorstellbares Elend mitten in Europa»
Informationen, persönliche Eindrücke und Gespräche entlang der Balkan-Flüchtlingsroute: Susanne Brunner und Marc Lehmann führten das «Tagesgespräch» für Radio SRF 1 eine Woche lang mit Akteuren vor Ort – am Hafen von Piräus, in Idomeni, an der Grenze Slowenien/Österreich, in Budapest und München.
«Das unvorstellbare Elend mitten in Europa» hat bei Susanne Brunner einen prägenden Eindruck hinterlassen. «Es hat mich schockiert zu sehen, wie 4'000 grösstenteils schulpflichtige Kinder unter prekären hygienischen Bedingungen leben müssen. Das hatte ich bisher noch nie gesehen.» Daran werde sie sich mit Sicherheit immer wieder erinnern.
Freiwillige Helfer in Griechenland
Persönlich betroffen gemacht hat sie auch der fühlbare Mangel an Unterstützung durch Behörden und Politik. «Immer wieder sagten mir die Leute vor Ort, dass sie in die Behörden kein Vertrauen mehr hätten.» Die Arbeit für die Versorgung der Flüchtlinge machen die Hilfswerke und unzählige Freiwillige. «Nicht nur, aber auch in Griechenland sind die Behörden überfordert», stellte Susanne Brunner fest. «Überrascht hat mich, wie viele junge Freiwillige sich in den Flüchtlingslagern engagieren.» Sie wollen nicht nur zuschauen, sondern zupacken.

Marc Lehmann hat erstaunt, wie hilfsbereit die Leute in München immer noch sind. «Vom Bild der Ablehnung gegenüber den Flüchtlingen, das die Medien verbreiten, habe ich in München nichts gespürt.» Dass Sprachkenntnisse die Integration erst ermöglichen, habe er am Projekt des Münchner Fussballclubs beispielhaft erlebt: «Integration über den Sport funktioniert.»
Weshalb gerade jetzt?
«Als langjähriger Osteuropa-Korrespondent hatte ich miterlebt, wie die Grenzen mit der Einführung von Schengen geöffnet wurden.» Doch das hat sich rasch geändert: «Die Grenze zwischen Österreich und Slowenien ist total abgesperrt. Das hat sich innert Tagen komplett geändert», so Lehmann. An dieser Grenze hat es jedoch keinen einzigen Flüchtling mehr. Aber es stehen leere Zelte für Tausende bereit. Das Flüchtlingsdrama in Europa spielt sich bereits seit Monaten vor unseren Augen ab. Deshalb hat Radio SRF gerade jetzt diesen Schwerpunkt mit der «Tagesgespräch»-Serie realisiert?

Susanne Brunner: «Die Diskussionen um das Flüchtlingsdrama reissen nicht mehr ab. Jeden Tag steht etwas in den Medien – pro und contra.» Das sei für die Redaktion der Anlass gewesen, einmal eine Woche lang das ganze Spektrum zu zeigen. «Eine solche Serie kann man nicht langfristig planen», sagt Brunner. Das Konzept ist an einem Freitagnachmittag entstanden. Alles wurde relativ kurzfristig innerhalb von zehn Tagen organisiert. Für die Suche nach den richtigen Gesprächspartnern ist das ganze SRF-Netzwerk (inkl. Redaktionen, Auslandkorrespondenten) eingespannt worden. «Danach haben wir zwei alles selber organisiert.» Reisen, Gesprächstermine, Unterkünfte usw.
Selfmade-Journalisten
Die ganze Woche haben die beiden SRF-Radiojournalisten auch technisch allein bewältigt – sozusagen «selfmade». Die Gespräche wurden jeweils am Morgen geführt und aufgezeichnet. Danach wurden sie über Internet – zumeist WLAN-Verbindungen – in die Schweiz übermittelt und dann um 13 Uhr tagesaktuell gesendet. Das Gespräch mit Michael Räber aus Idomeni beispielsweise wurde über einen Hotspot von seinem Smartphone aus überspielt.

Gefreut haben sich die beiden «Tagesgespräch»-Journalisten über die vielen Rückmeldungen aus dem Publikum. «Wir haben überdurchschnittlich viele und gute Feedbacks erhalten», sagt Susanne Brunner, «überwiegend positive.» Sie habe dabei festgestellt, dass sehr viele Leute helfen wollen. «Natürlich gab’s auch negative Stimmen.»
Text: Ueli Scheidegger
Bild: Susanne Brunner / Marc Lehmann
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