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Wenn Radio selbst zu Kultur wird

«Der Abbruch des Radiostudios auf dem Bruderholz in Basel rückt näher und plötzlich wird den Baslerinnen und Baslern ­bewusst, dass in ­diesem Studio nicht nur von Kultur berichtet worden ist, sondern dass in diesem Studio auch viel Kultur ­entstanden ist: Radio­kultur nämlich.

Beim Bahnhof Basel SBB klafft gleich neben den Gleisen ein ­riesiges Loch im Boden. Man könnte darin sicher ein ganzes Fussballfeld versorgen, samt Spielern, Fans und Catering. In ­diesem Loch entsteht das ‹Meret Oppenheim-Hochhaus›, das künftig die Studios und Büros von SRF Kultur beheimaten wird.
250 Arbeitsplätze sollen hier konzentriert werden. Dieses mediale Kulturzentrum könnte, fast mehr noch als das Kunstmuseum Basel, die Fondation Beyeler oder das Theater, dazu beitragen, Basel zur Kulturhauptstadt der Schweiz zu machen.

Wobei sich natürlich fragt, von welcher Kultur wir da reden. Wenn man die Programminhalte zum Massstab nimmt, dann ist der Kulturbegriff erfreulich breit und umfasst heute Hoch- und Jugendkultur, einheimisches Schaffen sowie Werke aus anderen Ländern, Wissenschaft und Religion, gesetztes Parlando und fetzig-lauten ­Poetry-Slam. Eine Kultur vergessen Öffentlichkeit und Politiker dabei gerne: die Radio- und Fernsehkultur selbst. Ich meine damit nicht die Produktion von ­Kultur im engeren Sinn, also den ‹Bestatter› oder den ‹Gotthard›-Zweiteiler. Ich meine die alltägliche Präsenz im Äther – ­pardon: in der Glasfaser.

Jetzt, wo der Abbruch des alten Studios auf dem Bruderholz näher rückt, tauchen viele Erinnerungen auf an das, was im Haus ­zwischen den Birken auf dem Hügel alles geschaffen worden ist. Die Radiohit­parade zum Beispiel. Hörspiele. ‹Sounds› und ­‹Virus›. Und wer da alles am Mikrofon war, von Mäni Weber und Heidi Abel über Peter Richner und Hilde Thalmann bis ­Christoph Schwegler und François ‹FM› Mürner.

Bloss seltsam, dass diese Radiokultur uns erst aus historischer Distanz als Kultur erscheint. Mit dem Abriss des Studios wird uns bewusst, wie wertvoll und einzigartig vieles davon ist, was darin geschaffen wurde. Schade, tritt das der Öffentlichkeit erst im Rückblick ins Bewusstsein. Hat es mit einem nostalgisch verklärten Blick zu tun? Vielleicht. Sicher ist: Die Gegenwart bietet Radiokultur auch ohne Histörchen. Vielleicht ist es tatsächlich schwieriger, in der Gegenwart und ohne historische Distanz sich der kulturellen Radioleistung von ‹Rendez-vous› bis ‹Echo der Zeit› und von ‹Schnabelweid› bis zu ‹Kontext› bewusst zu werden. Ein Blick in das grosse Loch in Basel mag dabei helfen: Man stelle sich nur vor, es bleibe, dieses Loch hinter den Gleisen; und alles, was im ‹Meret Oppenheim-Hochhaus› künftig statt­finden soll, würde davon verschluckt. Schlimm, oder?

Das Bewusstsein, dass auch das Radio (und Fernsehen und Internet) der Gegenwart Kultur ist, hilft uns vielleicht, gegenüber Politikern und der Öffentlichkeit selbstbewusster aufzutreten. Gleichzeitig könnte das ein Ziel des künftigen SRF-Kulturzentrums in Basel sein: nicht nur über die Schweizer Kulturszene zu berichten, sondern, ganz ­bewusst, selbst ein Teil dieser Kulturszene zu ­werden.»


Zur Person

Matthias Zehnder ist Vorstandsmitglied der SRG Region Basel sowie freischaffender Publizist und Medienwissenschaftler.


Text: Matthias Zehnder

Bild: Radio: Colourbox.de, Porträt: Ferdinando Godenzi, Basel

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