«10vor10»-Beitrag über Testkunden im ÖV beanstandet

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Sie haben mit Ihrer Beanstandung vom 10. August 2016 kritisiert, dass im Beitrag über Testkunden im öffentlichen Verkehr, der in der Sendung «10vor10» vom 9. August ausgestrahlt wurde, ein Tweet von Ihnen ungepixelt verbreitet wurde. Ihre Eingabe erfüllt die formalen Voraussetzungen für eine Beanstandung. Ich kann daher auf sie eintreten. Leider hat sich der Schlussbericht wegen Ferienabwesenheiten verzögert, was Sie bitte entschuldigen mögen.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„ In der 10vor10-Berichterstattung von gestern, 9. August 2016, über ‚Der Bund setzt Testkunden im ÖV ein‘, [1] wurde im Intro ein Tweet von mir gezeigt.

Dabei war sowohl mein Bild wie auch mein voller Namen zu sehen. Und da frage ich mich schon, ob das mit dem Persönlichkeitsrecht vereinbar ist oder nicht oder ob man diese Elemente hätte verpixeln müssen.

Aus meiner Sicht ist es etwas anderes, wenn ich als Privatperson einen Tweet in meinem Namen absetze oder aber wenn dieser vom Schweizer Fernsehen verbreitet wird. Schliesslich und endlich ging es dabei ja nicht um mich als Person, sondern viel eher um das Foto, das ich getweetet hatte.“

B. Die Redaktion von „10 vor 10“ erhielt Gelegenheit, zu Ihrer Beanstandung Stellung zu nehmen. Redaktionsleiter Christian Dütschler schrieb:

„X beanstandet den Beitrag ‚Der Bund setzt Testkunden im ÖV ein‘, welchen wir am 9. August 2016 ausgestrahlt haben.

Im beanstandeten Beitrag begleitet unser Reporter eine Testperson des Bundesamts für Verkehr, welche Schwachstellen des ÖV aufdecken soll. Der Beitrag inkl. Moderation dauert gut vier Minuten. Während der Anmoderation wird während rund einer Sekunde ein Tweet mit Nutzername und Profilbild eingeblendet, der eine SBB-Anzeigetafel mit einer Verspätungsmeldung zeigt und kurz kommentiert. Der Verfasser dieses Tweets, X, ist nun der Meinung, wir hätten sein Bild und seinen Namen aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes verpixeln müssen. Gerne nehmen wir zu diesem Vorwurf Stellung.

Die Anmoderation des Beitrages lautet wörtlich:

<Verspätungen sind nur ein Grund, weshalb die SBB in letzter Zeit einige Kritik einstecken muss. Verglichen mit vor 10 Jahren gab es 2015 doppelt so viele Beschwerden. Stinkende WCs, unfreundliches Personal und nicht funktionierende Klimaanlagen treiben einige Passagiere zur Weissglut, die sich auch auf sozialen Netzwerken entlädt. Immer wieder ärgern sich Kunden und vermelden via Twitter Pannen und unpünktliche Züge. Der Direktor des Verbands öffentlicher Verkehr verteidigt die Bahnbetreiber:

(Quote Ueli Stückelberger, Direktor Verband öffentlicher Verkehr: )

‚Das Jammern ist also zum Teil schon auf extrem hohem Niveau. Also wenn man im Ausland sieht, was da ist. Aber wir nehmen jede Kritik ernst und wir versuchen uns – jedes Unternehmen für sich – innerhalb der Branche zu verbessern.‘

Doch was ist wirklich dran an dieser Kritik? Das will nun auch das Bundesamt für Verkehr abklären und schickt deshalb Testpersonen los, welche den ÖV nun genau unter die Lupe nehmen. Michael Zollinger hat einen ÖV-Tester auf seiner Tour begleitet.>

Zur Illustration der oben fett markierten Aussage wurden an jener Stelle exemplarisch drei Tweets eingeblendet, die sich zu konkreten Verspätungen von Zügen äussern.

1. Tweet

Tweet aus 10vor10 vom 9.8.16

2. Tweet

Tweet aus 10vor10 vom 9.8.16

3. Tweet

Tweet aus 10vor10 vom 9.8.16

X beanstandet die Verwendung des ersten der drei gezeigten Tweets in unserer Sendung. Der Tweet – genauer: der abgefilmte Screenshot – zeigt eine SBB-Anzeigetafel mit einer Verspätungsmeldung und folgendem Kommentar: ‚Kleine Verspätung. Arme #Zürcher #SBB‘. Nutzername und Profilbild des Beanstanders sind erkennbar, das gepostete Bild steht aber klar im Zentrum. Der Screenshot wird nur sehr kurz (rund eine Sekunde lang) gezeigt.

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass 10vor10 nicht jeden Eintrag im Internet oder in sozialen Netzwerken publiziert, nur weil er im Internet verfügbar ist. Wir sind der Meinung, dass es einen Unterschied macht, auf welcher Plattform Inhalte publiziert werden. Die Publikation von Inhalten einer privaten Webseite oder eines sozialen Netzwerks, bei dem der Austausch mit Freunden im Vordergrund steht, unterliegt strengeren Kriterien als die Wiedergabe von Inhalten, die auf einem Nachrichtendienst wie Twitter gepostet werden, der die schnelle und breite Informationsverbreitung in Echtzeit zum Ziel hat, und die für alle ersichtlich sind.

Bei Twitter ist es so, dass ein Tweet grundsätzlich von jeder Person auf der Welt, welche über einen Internetzugang verfügt, gelesen werden kann – unabhängig davon, ob sie ein Twitter-Account hat oder nicht. Twitter selber macht auf der Webseite ausdrücklich darauf aufmerksam: ‚Wenn du dich bei Twitter registrierst, sind deine Tweets standardmäßig öffentlich. Das heißt: Jeder kann deine Tweets sehen und mit ihnen interagieren.

Wer das nicht möchte, muss in seinem Twitter-Konto die Standardeinstellung verändern und den Leserkreis beschränken. Das hat X nicht gemacht, seine Tweets sind deshalb unbeschränkt für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Öffentlichkeit von Twitter wird auf dem Netz regelmässig diskutiert (lesenswert dazu der Artikel „Twitter is public“, publiziert von einem Journalisten auf dem Blog Gawker[2]), und lange war juristisch umstritten, ob und wieweit soziale Netzwerke als öffentlicher Raum zu betrachten sind. Das Bundesgericht hat in seinem Urteil 5A_975/2015 die Öffentlichkeit von Tweets in der Zwischenzeit bestätigt: [3]

<Grundsätzlich sind Tweets denn auch nicht für einen bestimmten Empfänger oder einen geschlossenen, vom Sender festgelegten Empfängerkreis bestimmt (...). Im Gegenteil möchte ein Twitterer typischerweise möglichst viele Follower erreichen und hat er insbesondere auf die weitere Verbreitung des Tweets keinen Einfluss. Vielmehr haben es die Betreiber von Twitter - nicht zuletzt aus kommerziellen Gründen - gerade darauf angelegt, dass die Follower empfangene Tweets weiterverbreiten. Ein einfacher Klick genügt für den sog. Retweet; bei diesem handelt es sich um einen Teil der für Twitter typischen Verbreitungskette. Es ist jedem Twitterer bewusst, dass er über seine Nachricht, einmal abgesandt, und deren weitere Verbreitung keinerlei Kontrolle hat, und es ist auch allgemein bekannt, dass sich Texte, Bilder und Videos auf verschiedenen Social Media wie ein Virus innert kürzester Zeit um den ganzen Globus ausbreiten können; im englischen Sprachgebrauch ist dieses Phänomen unter dem Ausdruck ‚it went viral‘ bekannt.>

Im Tweet, den wir in 10vor10 zitiert haben, hat X zudem die Hashtags #Zürcher und #SBB verwendet. Wer also nach dem Schlagwort #SBB sucht, der findet auch den Tweet des Beanstanders. Die Verwendung von solchen Hashtags ist nicht zwingend. Wer aber Hashtags benutzt, um seine Nachrichten gezielt mit einem bestimmten Schlagwort zu verbinden, der erreicht mehr Leser. Auch hier zeigt sich wieder die Absicht resp. Inkaufnahme des Beanstanders, mit seinem Tweet einen möglichst grossen Personenkreis zu erreichen.

Wie das Bundesgericht schreibt, ‚ist jedem Twitterer bewusst, dass er über seine Nachricht, einmal abgesandt, und deren weitere Verbreitung keinerlei Kontrolle hat.‘ Dass diese Verbreitung auch über die Grenzen des Mediums Twitter hinausgehen kann, haben verschiedene Fälle aus der Vergangenheit, wie zum Beispiel der im Urteil behandelte Kristallnacht-Tweet, gezeigt. Dass Tweets von Zeitungen – online oder auf Papier – zitiert werden, ist heute weit verbreitet (siehe z.B. ‚Twitter-Reaktionen zu Djokovics Aus‘ auf Tages-Anzeiger Online [4]). Als Twitterer muss X also auch damit rechnen, dass sein Tweet in anderen Medien, wie im Fernsehen, zitiert werden könnte - im konkreten Fall als eines von verschiedenen Beispielen, wie sich die Nutzer von Sozialen Medien zu den Verspätungen der SBB äussern.

Schliesslich ist anzumerken, dass der Beanstander den Fernsehbeitrag selber weiterverbreitet und zusätzlich mit dem Hashtag #10vor10 versehen hat. Er hat also noch einmal auf seinen Tweet, den er mit Bild und vollem Namen verfasst hat, aufmerksam gemacht. Dieser Tweet datiert vom selben Tag wie die Beanstandung.

Tweet aus 10vor10 vom 9.8.16

X kritisiert insbesondere, dass wir mit dem Tweet auch seinen Namen und sein Profilbild gezeigt haben. Bei der Erstellung eines Twitter-Account ist es dem Nutzer selbst überlassen, unter welchem Namen er twittert und welches Profilbild er wählt. So gibt es viele Twitterer, die unter einem Pseudonym oder einer Abkürzung twittern und/oder ein Symbolbild verwenden. X hat sich dazu entschieden, unter seinem vollen Namen und unter Nutzung eines realen Profilbilds zu twittern.

Der Name des Beanstanders war zwar sichtbar, wurde aber von der Moderatorin nicht genannt. Im Zentrum stand nicht die Person des Twitterers, sondern - exemplarisch - seine auf Twitter publizierte scheint uns nicht nur zulässig, sondern im Sinne einer Quellenangabe sogar angebracht. Namensnennung ist auch nach den Richtlinien des Presserates zulässig ‚sofern die betroffene Person im Zusammenhang mit dem Gegenstand des Medienberichts öffentlich auftritt‘.[5] Das trifft hier zu: Der gezeigte Tweet wurde durch den Beanstander öffentlich gemacht. Zudem dokumentiert er nicht etwa eine private Angelegenheit, sondern behandelt – wie unser Beitrag – Verspätungen im ÖV.

Eine Verpixelung ist auch deshalb nicht nötig, weil der Verfasser durch die Publikation im Beitrag in keiner Weise in seiner Persönlichkeit verletzt wird. Er wird weder blossgestellt, noch wurde er in seiner Ehre oder seiner Privatheit verletzt.

Zusammenfassend haben wir einen öffentlich zugänglichen Tweet so publiziert, wie ihn der Beanstander verfasst hat. Der unverfängliche Tweet wurde als einer von mehreren rund eine Sekunde lang gezeigt. Wie journalistisch üblich, haben wir den Namen des Verfassers im Sinne einer Quellenangabe gezeigt. Gerade weil Twitterer mit ihren Nachrichten die Öffentlichkeit suchen, können wir nicht erkennen, wie die Zitierung seines Tweets in 10vor10 die Persönlichkeit des Beanstanders verletzt haben soll.

Aus den oben genannten Gründen bitten wir Sie, die Beanstandung zurückzuweisen.“

C. Damit komme ich zu meinem eigenen Kommentar zu dieser Angelegenheit. Ich kann ein Stück weit nachvollziehen, dass Sie ein wenig erschraken, als Sie sich mit Ihrem Tweet im Fernsehen wiederfanden. Sie fragen, ob dadurch nicht Ihr Persönlichkeitsrecht verletzt ist. Dazu gibt es rechtliche Überlegungen und Überlegungen des gesunden Menschenverstandes. Die rechtlichen Überlegungen hat Herr Dütschler in seiner Stellungnahme bereits angestellt. Ich kann mich diesen Überlegungen voll anschließen. Was den gesunden Menschenverstand betrifft, so muss man den Inhalt und die Geschwindigkeit der Tweet-Präsentation in Betracht ziehen. Mein gesunder Menschenverstand sagt, dass der Inhalt für Sie in keiner Weise ehrenrührig war, im Gegenteil: In den Augen des Publikums haben Sie auf einen Missstand aufmerksam gemacht, nämlich auf krasse Verspätungen bei der SBB. Niemand muss sich schämen, wenn er auf einen Missstand hinweist, im Gegenteil: Sie haben sich gewissermaßen als Konsumentenschützer engagiert und sich damit verdient gemacht. Und mein gesunder Menschenverstand sagt weiter: Die Präsentation der drei Tweets von Bahnkunden ging so schnell, dass sich niemand die einzelnen Personen merken konnte. Ich musste mir die Sequenz fünf Mal angucken, bis ich die vier Elemente Ihres Tweets alle erfasst hatte: Ihren Namen, Ihren Kommentar, den Screenshot als Ganzes und den „Stein des Anstosses“, nämlich den Vermerk, dass der Zug 60 Minuten Verspätung hat. Erst nach dem fünften Mal hatte ich alle Informationen beisammen! Der überwiegenden Mehrheit des Publikums, die Sie nicht persönlich kennt, ist es sicherlich gleich gegangen wie mir: Sie bekam mit, dass drei Tweets gezeigt wurden von Personen, die sich über Pannen und Verspätungen bei der SBB ärgerten, konnte sich aber deren Namen und Aussagen nicht merken. Lediglich jene, die Sie kennen, Ihre Freunde, Ihre Nachbarn, Ihre Verwandten, ihre Berufskollegen, haben mit großer Wahrscheinlichkeit Ihren Namen registriert. Aber der Zusammenhang war, wie gesagt, nicht ehrenrührig.

Sie müssen sich mit dem Gedanken anfreunden, dass Twitter ein öffentliches soziales Medium ist und dass Sie mit Ihren Hashtags #Zürcher #SBB dazu beitrugen, dass Kreise, die nicht zu Ihren Followers gehören, Ihren Tweet ebenfalls sahen. Sie dürfen sich zudem nicht widersprüchlich verhalten, indem Sie einerseits die Sendung „10 vor 10“, in der Ihr Tweet vorkam, per Tweet am 10. August 2016 wiederum versandten, und indem Sie sich bei Twitter als #SBB #Pendler ohne viel #Euphorie - bezogen auf das Pendeln vorstellen, aber dann, wenn Sie genau als das wahrgenommen werden, sich darüber beschweren. Alles in allem komme ich zum Schluss, dass die Verwendung Ihres Tweets durch „10 vor 10“ zur Illustration des Ärgers von SBB-Nutzern sowohl rechtlich als auch aufgrund des gesunden Menschenverstands unproblematisch war. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] http://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-der-bund-setzt-testkunden-im-oev-ein?id=a8efa522-1c15-4dff-9af6-bf91a72a2d6a

[2] http://gawker.com/twitter-is-public-1543016594

[3] http://www.polyreg.ch/bgeunpub/Jahr_2015/Entscheide_5A_2015/5A.975__2015.html

[4] http://www.tagesanzeiger.ch/sport/tennis/twitterreaktionen-zu-djokovics-aus/story/14337301

[5] http://presserat.ch/Documents/Richtlinien_2015.pdf; Richtlinie 7.2

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